stocksorcerer
10.10.2003, 13:16 |
@ Pudelbirne: Springer = Systempresse? - Ausverkauf kein Problem? Doch! Thread gesperrt |
-->Hallo Pudelbirne,
Ich sehe das so:
Freie Berichterstattung ist ein Mythos. Aber reine Propaganda ist keiner. Der Raum zwischen beiden ist eine Straße, meist eine Einbahnstraße, die in einer Baugrube endet.
Ich denke, die Berichterstattung in Deutschland im allgemeinen ist schon stark in Richtung Einseitigkeit eingefärbt und geht in Richtung Propaganda. Reine Propaganda findet man hier jedoch seltener als in good old america. Allerdings gibt es noch reihenweise Möglichkeiten, für eine gewisse"Anpassung" zu sorgen. Nicht nur durch"Gottschalks Amerika" und anderen Schmarn und das Erheben Amerikas zum Maß aller Dinge in VIVA-, MTV-, RTL-, Lebensart, Shopping, und dem fortschreitenden Verhunzen unserer Sprache durch Anglizismen. Mittlerweile muß man seine Kinder ja beinahe San Diego nennen, sonst hat man offenbar einen Zug verpaßt.
Jedenfalls: Für direkte Einflußnahme auf Berichterstattung ist das"Einkaufen" in Verlage und Sendeanstalten der einfachste Weg. Es ist besser, den Journalisten nicht nur an der Hand, sondern direkt an der Gurgel zu fassen. That´s it.
In Deutschland hat sich über die vielen Jahre - auch durch die regelmäßigen Erinnerungen an unsere böse Geschichte - in der Bevölkerung und damit auch bei Journalisten ein gewisses Maß an Skepsis gegenüber der"Obrigkeit" eingebürgert, die eine reine Einseitigkeit bzw. Vasallenhörigkeit torpediert hat. Die Recherchekultur ist in Dtld. eine völlig andere als in den USA. Es geht um Wahrheiten, oder vielmehr war das ein wichtiges Postulat der Berichterstattung.
Dennoch gibt es schon seit der Gründung der Bundesrepubklik gewisse Sachzwänge. Es gibt neben den wirtschaftlichen Faktoren des jeweiligen"Unternehmens" auch Gremien, die sich aus sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammensetzen und über die redaktionelle Gestaltung eines Blattes oder eines Kanals mit entscheiden.
Was rückblickend den Vorabend des Irak-Krieges angeht: Es gilt durch größere, direkte Einflußnahme und das Stärken gewisser Gruppen in Zukunft dann wohl schneller und einfacher"Ausrutscher" zu verhindern....
Meine bescheidene Meinung
winkääää
stocksorcerer
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stocksorcerer
10.10.2003, 13:17
@ stocksorcerer
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Bezog sich auf folgenden Thread..... (owT) |
-->
<ul> ~ http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/224480.htm</ul>
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alberich
10.10.2003, 14:24
@ stocksorcerer
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Re: @ Pudelbirne: Springer = Systempresse? - Ausverkauf kein Problem? Doch! |
-->Hallo stocksorcerer,
bzgl. Anglizismen:
da bist Du ja schon mit bestem Beispiel vorangegangen: mit Deinem Namen, nomen est omen, wie der Altsprachler sagt.
Spaß beiseite.
Ich sehe hier einfach das Beispiel Murdoch in England: Boulevardzeitungen und Fernsehen.
Die Investoren bauen nach und nach mit kleinen oder größeren Beteiligungen ein ähnlich gelagertes Imperium auf. Deutschland ist das einzige europäische Land wo das noch möglich ist. Grund ist die zersplitterte Medienlandschaft.
Im Gespräch ist jetzt die erleichterte Fusion im Zeitungsbereich. Da will man mitmischen.
Vielleicht hören die Investoren auch schon die Flöhe husten. Vielleicht ist ja aufgrund der desolaten Haushaltslage der Verkauf eÃnes öffentlich-rechtlichen Fernsehens erforderlich oder die Verschmelzung auf ein Fernsehen ermöglicht höhere Anteile der Privaten. Mit der angenehmen Folge steigender Werbeeeinnahmen aufgrund gestiegener Reichweite.
Die nächsten 5 Jahre werden auch hier Möglichkeiten eröffnen, die man jetzt für unmöglich hält.
Berlusconi und Murdoch grüßen von der Seitenlinie.
Hier geht's erstmal ums Geld und wenn man davon genug hat, um die Meinungsmacht. Und das bedeutet wieder mehr Geld.
The wheel of fortune spinning around and around.
alberich
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fridolin
10.10.2003, 15:12
@ stocksorcerer
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@stocksorcerer |
-->Hallo Stocksorcerer,
habe ich es recht in Erinnerung, daß Du selbst aus dem journalistischen Berufsfeld stammst?
Was genau meinst Du mit Die Recherchekultur ist in Dtld. eine völlig andere als in den USA. Es geht um Wahrheiten, oder vielmehr war das ein wichtiges Postulat der Berichterstattung. Wo siehst Du im einzelnen die Unterschiede zwischen der Art der Berichterstattung bzw. der angesprochenen Recherchekultur in Deutschland und den USA?
Gruß
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stocksorcerer
10.10.2003, 16:11
@ fridolin
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@fridolin - Nachricht und Meinung und Recherchen |
-->Hallo fridolin,
ja, Du erinnerst Dich richtig. Ich bin von Haus aus (später) Publizist (M.A. RUB Bochum 1992/93) und habe jahrelang (vorher/nachher) in Print und Hörfunk gearbeitet.
Was ich meinte ich sogar mehr als die Recherche-Kultur. Es ist die ganze journalistische Praxis, wie sie von den (offenbar wenig übriggebliebenen) Ethikern dieses Berufstandes noch weiterhin vertreten wird.
Es gibt da ein Postulat, das sich Trennung von Nachricht und Meinung nennt. Und demnach muß wertfreie Nachricht allein stehen und darf nicht unterschwellig zwischen den Zeilen versetzt sein durch Meinung oder gar Meinungsmache. Das schließt auch eine weitgehend (so gut wie möglich) objektive Sichtweise ein. Da kann man tausende von Hebeln ansetzen. Am schlimmsten aus meienr Sicht waren die"embedded journalists" im"konventionellen Irak-Krieg", die quasi direkt aus den Amipanzern berichtet haben. Und berichtet.... BERICHT = NACHRICHT. lol
In einer Zeit, in der die Nachricht sich immer mehr mit Unterhaltung mischt, auch der Irak-Krieg war so gesehen ein Schaulaufen allererster Güte, nimmt man es in fast keiner Redaktion mehr so genau. Da spricht Peter Klöppel (mit einer Amerikanerin verheiratet) in seinem"Nachrichtenblock" automatisch von"wir", wenn er eine US-Offensive beschreibt... und anderswo ist ein Dieter Bohlen in den Nachrichten beispielsweise gleich ein genialer Pop-Gigant. Und das nicht nur bei RTL. Wertung und erstaunliche Perspektiven wohin man blickt.
Was ich mit Rercherche meine, zielt auf etwas anderes. Wir alle kennen die Bundespressekonferenzen, auf der Hunderte von Medienleuten sich gegenseitig die Mikros in die Fresse hauen. Das aber sind nur"Pflicht- oder Stullentermine". Die wirkliche Geschichte wird nicht daraus gemacht, sondern aus Hintergrund, Fachwissen und Fleißarbeit. Recherche heißt schwitzen am Telefon. Recherche heißt, Finten, Fangfragen, Archivarbeit und Quervermerke und erfordert eine gute Organisations-, Auffassungs- und Kombinationsgabe. Recherche heißt auch viele Kontakte und manchmal eine jahrelange Vorbereitung auf ein Thema, das irgendwann einmal abgerufen wird. Naher Osten heißt für mich"Fisk". Deshalb lese ich gerne den britischen"Independent". Andere Fachleute interessieren mich nur sekundär. Und an den Namen der RTL-Trulla, die in Bagdad war, kann ich mich nicht einmal erinnern.
In Amerika (anders als in der alten Welt) wird hauptsächlich aus offiziellen, amtlichen Terminen (Rede an die Nation oder anderes) die Nachricht gemacht und die Kommentare werden hinter vorgehaltener Hand an handverlesene Journalisten gleich mitgeliefert. Ausnahmen bestätigen die Regel. Deshalb sind die Amis so geil darauf, wer die erste, zweite und dritte Frage stellen darf, wenn Bush"fertig" hat. Und diejenigen, die die ersten Fragen stellen, werden die Mächtigen niemals überraschen! Es ist ein Theaterspiel.
Und in beunruhigendem Tempo stelle ich Angleichungen auch in Dtld. fest. Hier werden für Radiosender von Stromversorgern, Stahlindustrie, Wirtschaftsförderungsgesellschaften etc. längst fertige Radiobeiträge bei Sendern eingereicht, die pure PR-Dokumente sind. Und vereinzelt wird das Zeug genauso ausgestrahlt. Bei gewissen (großen) Unternehmen und Konzernen gibt es personalisierte Journalisten-Zirkel, bei denen die Wirtschaftsleute sich die Journalisten"warm halten", nachdem sie sie bezüglich der Unternehmensphilosophie"fit gemacht" oder"erzogen" haben.
Kaum eine Redaktion hinterfragt noch Pressemitteilungen. Da werden einfach die ersten fünf, sechs Sätze ein wenig umformuliert und wandern dann so in die Ã-ffentlichkeit. So kann jede Firma in ihrer Pressemitteilung katastrophale Ertragslagen noch als fantastisch verkaufen.
Bestes Beispiel ist alle Jahre wieder (so lange ich denken kann) das Gemauschel mit dem Arbeitsmarkt, bei dem immer der Vormonat für Vergleiche herangezogen wird und (bei noch halbwegs verantwortungsbewußten Mediatoren) irgendwo ganz hinten im Abgesang noch die Rede von den regulären Vergleichszahlen des betreffendes gleichen Monats im Vorjahr herangezogen werden. Aber da hat die"Meinung" klängst die designierten Rezipienten erreicht.
Es gibt noch Unterschiede.... aber bezüglich der Globalisierung und der"zunehmenden Monopolisierung" von Macht verschwimmen langsam die Konturen. Und je mehr internationaler Einfluß in die Medienlandschaft Einzug hält, je mehr werden die letzten Skrupel verschwinden, für eine Quote die Wahrheit zu verzerren.
winkääää
stocksorcerer
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