-->22.10.2003
Inland
Jürgen Elsässer
Der große Bluff
Je besser die deutsche Wirtschaft auf dem Weltmarkt abschneidet, um so mehr schwächelt sie insgesamt
Die Bundesbank diagnostiziert in ihrem jüngsten Monatsbericht eine beeindruckende Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Seit 1995 habe der bundesdeutsche Export seinen Anteil am Weltmarkt »kräftig« ausgeweitet - allein zwischen 1998 und 2002 um einen ganzen Punkt auf mittlerweile 10,5 Prozent. Bereits in der vergangenen Woche war bekanntgeworden, daß die Deutschen sich den Titel eines Exportweltmeisters zurückerobert hatten. Die bundesdeutschen Ausfuhren lagen demnach im Monat August mit einem Wert von 62 Milliarden mehr als sieben Prozent über denen der USA (vgl. jW, 15. 10. 2003).
In merkwürdigem Kontrast zu diesen Siegesmeldungen stehen die katastrophalen Zahlen der wirtschaftlichen Gesamtbilanz. Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und aktuelles Haushaltsdefizit sind auf einem Rekordniveau, das Wirtschaftswachstum liegt nur knapp über Null. Innerhalb der Europäischen Union hat die deutsche Wirtschaft die Rote Laterne.
Wenn es um die Wirtschaft so schlecht bestellt ist, woher kommt dann der Siegeszug von »Made in Germany« auf dem Weltmarkt? Des Rätsels Lösung: Es gibt ihn gar nicht. Wenn man nicht nur den August betrachtet, sondern auch die übrigen Monate des Jahres, so ist nur ein kleines Plus bei den Ausfuhren zu verzeichnen, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet am Ende von 2003 insgesamt mit »maximal einem Prozent«. Die weltweite Spitzenposition konnte Deutschland demnach nur erringen, weil der bisherige Rekordhalter USA - trotz starker Dollarabwertung - Weltmarktanteile verloren hat.
Starke Zuwächse verzeichnet Deutschland nicht im Export, sondern beim Exportüberschuß, also wenn man den Wert der Einfuhren von denen der Ausfuhren abzieht. Dieser Überschuß betrug im Jahr 2002 insgesamt 127 Milliarden Euro, gegenüber dem Vorjahr ein Plus von satten 33 Prozent. Für das Jahr 2003 dürften der Handelssaldo ähnlich sein.
Diese Überschüssen aus dem Außenhandel, vom Fiskus gnädig verschont, investierten die Unternehmer mit wachsender Tendenz nicht im Inland, sondern im Ausland. Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in anderen Ländern hat sich zwischen 1980 und 2000 auf 442 Milliarden Dollar verzehnfacht. Mittlerweile sind allein in den USA »3000 deutsche Unternehmen mit schätzungsweise einer Million Beschäftigten« präsent, konnte man der FAZ am 1. März dieses Jahres entnehmen. Für Siemens, dessen US-Filialen allein 80000 Menschen beschäftigen, sind die Vereinigten Staaten der größte Einzelmarkt geworden, noch vor Deutschland. Und so wichtig die deutschen Exporte in die USA sind: Sie betragen nur ein Viertel der Umsätze, die die Ableger deutscher Firmen in den USA erzielen, errechnete isw-Wirtschaftsinfo. Brechen deren Profite wegen der amerikanischen Konjunkturschwäche oder aufgrund der aktuellen politischen Streitigkeiten ein, schlägt das auf Deutschland zurück. »Wenn die Industrieproduktion in Deutschland sinkt, liegt das nicht zuletzt daran, daß die US-Töchter deutscher Unternehmen ihre Aufträge an die Mütter reduzieren«, schrieb 2001 die Wirtschaftswoche.
Wie ist es möglich, daß der Export - wie die Gesamtwirtschaft - praktisch stagniert, aber die Exportüberschüsse steil ansteigen? Dies passiert dann, wenn parallel zu den gleichbleibenden Ausfuhren die Einfuhren stark zurückgehen. Dies war etwa im Rekordjahr 2002 mit einem Minus von vier Prozent der Fall.
Der Zusammenhang zwischen Handelsüberschüssen und Krise ist dabei alles andere als ein Zufall, wie der Währungsspezialist Hansjörg Herr durch eine Analyse bundesdeutscher Wirtschaftsgeschichte nachgewiesen hat. In allen Konjunkturflauten und Rezessionen hätten Bundesregierung und Bundesbank nicht gegengesteuert, sondern jeweils die Krise künstlich verschärft. Der Bund habe immer eine rigorose Sparpolitik eingeleitet, etwa den Personalabbau forciert und Großaufträge gestoppt. Mit Zinserhöhungen hätten die Frankfurter Zentralbanker Kommunen, Bundesländern und Privatindustrie zur Einschränkung bei Neuinvestitionen gezwungen. Auf die Gewerkschaften sei Druck ausgeübt worden, sich bei Tarifabschlüssen zu mäßigen - so wurde der Konsum gedämpft. »Immer, wenn die bundesrepublikanische Leistungsbilanz negativ wurde..., reagierte die Bundesbank mit harter Restriktionspolitik, um über geringeres Wachstum die Importe zu drosseln...«
Diesen Zusammenhang stellt auch die Bundesbank in ihrem neuen Monatsbericht her, wenn auch gänzlich unkritisch. <font color=#FF0000>Der Hauptgrund für den Weltmarkterfolg ist demnach, daß in den vergangenen Jahren die Lohnkosten in Deutschland langsamer stiegen als im Rest der Euro-Zone. So erklärt sich, wieso die Bundesrepublik in Europa Schlußlicht und gleichzeitig im Export Weltmeister sein kann: Durch die niedrigen Lohnstückkosten haben die deutschen Exporteure auf dem Weltmarkt Konkurrenzvorteile. Da aber genau deswegen die Masse der Bevölkerung immer weniger Geld in der Tasche hat, lahmt die Binnennachfrage und damit die Wirtschaft insgesamt.
</font>
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2003/10-22/011.php</ul>
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