NickLeeson
17.05.2000, 00:42 |
Über die Wirtschaftskrise in Japan Thread gesperrt |
Hallo Allerseits,
ich habe heute im gold-eagle-Archiv gestöbert und bin dort auf einen Aufsatz aus dem Jahr 1998 (!) über die Wirtschaftskrise in Japan gestoßen der mich sehr beeindruckt hat. Insbesonders im Hinblick auf die Ursachen und Folgen der derzeitigen Euroschwäche ist der Artikel nach wie vor aktuell. Den kompletten Aufsatz findet man unter
http://pages.prodigy.net/ashino4112/articl01.htm
Gruß, NickLeeson
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NickLeeson
17.05.2000, 12:30
@ NickLeeson
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Über die Sparquote in den USA |
Jürgen Küßner hat gestern die neusten Zahlen über die weiter sinkende Sparquote gebracht. Unter folgender Addresse findet man eine Beschreibung, wie die Sparquote tatsächlich berechnet wird:
http://www.contraryinvestor.com/essays/savingsrate.htm
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Ron Sommer
17.05.2000, 12:32
@ NickLeeson
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Re: Über die Wirtschaftskrise in Japan |
Mein Englisch ist leider nicht gut genug für diesen Artikel. Könntest DU bitte in 3-4 Sätzen zusammengefasst schreiben was darin steht?
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Schlangenfuchs
17.05.2000, 20:29
@ NickLeeson
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Fragen: |
Hallo Nick, ich brauche auch"ein wenig Licht ans Fahrrad" (LOL),
Wenn ich folgenden Text lese, dann meine ich, dass 5o'ooo (annually earned income) und 50'000 Kapitalgewinne (capital gains) zusammen 100'000 ergeben, weil bei den Kapitalgewinnen ja das englische Wort 'also' steht, was auf Deutsch soviel wie 'ausserdem' bedeutet.
Zitat:
"Let's take the case of an individual who realizes earned income of $50,000 annually and pays $15,000 in income tax on the earned income. This individual is also lucky enough to have realized $50,000 in capital gains (stock options, of course) for the year. After paying $15,000 (30% combined Fed and State tax assumption) in cash taxes on the capital gain, the individual is left with $35,000 net from the gain. The individual chooses to put the $35,000 down on the purchase of a $200,000 home."
Wenn jetzt einer 1oo'ooo Dollar verdient, wovon ihm 7o'ooo nach steuern verbleiben, und er davon davon 35'ooo in sein Haus steckt, ist das zuwenig, um ein Haus zu finanzieren?
Ihm verbleiben danach 35'ooo Dollar - das sind ja immerhin mehr als 70'ooo DM - um zu leben!
Wenn jedes Jahr 5o'ooo Dollar aus dem Optionsprogramm in seine Kasse kommt, dann hätte er abzüglich der Steuern das Haus in insgesamt 6 Jahren restlos abbezahlt, was ich schon ziemlich schnell finde und was das beschrieben Beispiel bestimmt als ein höheres Einkommen ausweist.
Ich habe auch gehört, dass in USA die Optionen ein wesentlicher Bestandteil der Entlöhnung seien, wesentlicher als in Europa jedenfalls.
Zu der im Text genannten Kritik muss ich folgendes anfügen: es ist schon etwas befremdlich, dass das Haus vollständig in die Sparrate eingeht, obschon dem frischgebackenen Hausbesitzer in Wirklichkeit nur erst ein Sechstel davon gehört. Wir haben das aber schon mal gehabt, dass einer ein Aktivum in seiner Buchhaltung hält, dem gegenüber Passiva stehen, die in dieser Berechnungsart nicht erwähnt werden.
Da wundern wir uns dann, wenn die Definition dessen, was nun die Sparrate ist, oft zu verschiedenen Auslegungen kommt.
Ich sage nur: 'politics, politics!'
Nun, ich weiss ja nicht wirklich, aber vielleicht wird es jetzt dann hell um meine flitzenden Speichen, wenn du was Klärendes dazu weisst.
Herzliche Grüsse
Schlangenfuchs
PS: Kürzlich las ich, dass die amerikanischen Haushalte 42,4% aller US-Aktien besitzen. Wenn dem so ist, dann sind die Amerikaner ja schon ziemlich reich und manch einer kann sich ein Haus leisten.
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NickLeeson
17.05.2000, 23:11
@ Schlangenfuchs
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??? |
Hallo Schlangenfuchs,
könnte es sein, daß hier ein Mißverständnis vorliegt?
Dies Sache läuft wie folgt:
Das Dept. of Commerce betrachtet Spekulationsgewinne als"one time event" und berücksichtigt sie deswegen NICHT bei der Berechnung des Einkommens. Die darauf gezahlten Steuern werden jedoch voll angerechnet, d.h. durch einen Spekulationsgewinn wird das in die Sparrate eingehende Einkommen nicht nur nicht erhöht, sondern verringert! Je größer der Anteil des Einkommens ist, der aus Stockoptions herrührt, desto geringer ist das Gesamteinkommen.
Zitat:"In the current environment, the number is being distorted in that gross realized capital gains are being excluded from personal income, but capital gains cash taxes associated with those gains are being included as an offset. The rationale for the exclusion of realized capital gains is that the Commerce Dept. believes they can be considered a one time event."
Der Kaufpreis des Hauses zählt natürlich negativ, also als Ausgabe. Das ist konsequent, der Kaufpreis muß beim Kauf ja komplett bezahlt werden.
Die Rechnung sieht damit wie folgt aus:
reguläres Einkommen: +50,000 $
Steuern insgesamt: -30,000 $
Hauskauf: -200,000 $
-> Ersparnisse: -180,000 $
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NickLeeson
18.05.2000, 00:42
@ Ron Sommer
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Re: Über die Wirtschaftskrise in Japan |
Hallo Ron Sommer,
wenn es möglich wäre, den Inhalt in 4 Sätzen zusammenzufassen, warum sollte der Autor ihn dann über so viele Seiten ausdehnen?
Die Sache geht in etwa so:
Um die gegenwärtige Situation in der Welt im allgemeinen und in den USA im besonderen zu verstehen, müssen wir zurückgehen an den Anfang der achtziger Jahre (genaugenommen sogar bis 1973, aber das würde zu weit führen). Die hohe Inflation in den Siebzigern hatte der amerikanischen Industrie schwer zugesetzt und der neue amerikanische Präsident, Ronald Reagan, hatte beschlossen die Wirtschaft durch massive Steuersenkungen zu stimulieren. In der Tat war dieses Rezept (die sogenannte Reagonomics) sehr erfolgereich, aber leider wurde vergessen, die Staatsausgaben im gleichem Maß zu reduzieren. Als Folge stieg die Staatsverschuldung der USA stark an und um das benötigte Kapital anzulocken mußten hohe Zinsen gezahlt werden.
An dieser Stelle kommt Japan ins Spiel: die japanische Wirtschaft war zu dieser Zeit außerordentlich stark und Japaner waren froh, daß sie ihre steigenden Handelsbilanzüberschüsse in den USA gewinnbringend anlegen konnten. Defacto bedeutet das, daß die Japaner nicht nur Waren in die USA geliefert haben, sondern daß sie die Amerikanern auch noch mit den nötigen Krediten versorgt haben, um diese zu bezahlen. Nach einiger Zeit traten jedoch Probleme auf, da die viele amerikanische Betriebe durch den hohen Dollarkurs der japanischen Konkurrenz nicht gewachsen waren und somit aus dem Geschäft gedrängt wurden. Aus diesem Grund wurde 1985 von den USA und anderen Industrienationen eine Abwertung des Dollars gegenüber dem Yen"engineered" (von 250 Yen pro $ in 1985 auf 125 Yen in 1988) und gleichzeitig wurde Japan genötigt, den inländischen Konsum zu stimulieren.
Dieser Bitte kam Japan bereitwillig nach, indem die Bank of Japan (BOJ) in den Folgejahren eine sehr expansive Geldpolitik verfolgte und so die Inlandsnachfrage stimulierte. Unglücklicherweise ging aber nur ein kleiner Teil der freizügig vergebenen Kredite tatsächlich in den Konsum, da die japanische Regierung schlicht vergessen hatte die unzähligen Importbeschränkungen für ausländische Waren aufzuheben. Der größte Teil des Geld wurde stattdessen in Aktien und Imobilien angelegt, was eine gigantische Spekulationsblase zur Folge hatte (auf dem Höhepunkt war das Grundstück des Kaiserpalastes in Tokyo mehr Wert als der ganze Staat Kalifornien). Hierbei ist es wichtig zu wissen, daß diese völlig überteuerten Grundstücke von den japanischen Banken zu Marktpreisen als Sicherheiten für neue Kredite akzeptiert wurden. Beunruhigt durch die leichtfertige Kreditvergabe durch die Banken, ging die BOJ 1990 zu einer deutlich restriktiveren Geldpolitik über, was die Spekulationsblase platzen ließ und einen wirtschaftlichen Abschwung zur Folge hatte.
Das Kapital, was bis dahin in der Blase"gebunden" war, strömte nun wieder vermehrt in die USA und durch den starken Rückgang der Inlandsnachfrage wurde auch wieder verstärkt exportiert. Mehr noch, die japanische Industrie, die in der vorangegangenen Boom-Phase beträchtliche Produktionskapazitäten aufgebaut hatte, war nun vom Export völlig abhängig. Durch die restriktive Geldpolitik der BOJ (hohe Zinsen) stieg der Außenwert des Yen in der Folgezeit aber stark an, bis auf 80 Yen pro $ in 1995. Dies wiederum beeinträchtigte die Konkurrenzfähigkeit der japanischen Industrie, die daraufhin begann Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlagern. Um dem entgegenzuwirken und gleichzeitig die Inlandsnachfrage zu stimulieren vollzog die BOJ Mitte 1995 eine weitere Kehrtwende in ihrer Geldpolitik indem sie die Zinsen fast auf Null senkte. In der Folge setzte eine massive Kapitalflucht in die USA ein, die eine Abwertung des Yen bis auf 140 Yen pro $ bewirkte und so die Konkurrenzfähigkeit der japanischen Produkte wieder herstellte.
Die Niedrigzinspolitik der BOJ hatte jedoch verheerende Nebenwirkungen sowohl für Japan, als auch für die USA. Die japanischen Produkte verdrängten die amerikanischen Anbieter, so daß sowohl Kapital als auch Arbeitskräfte freigesetzt wurden. Diese konnten nun in Bereichen eingesetzt werden, die nicht in Konkurrenz mit ausländischen Anbietern stehen, nähmlich die Dienstleistungsbranche und die EDV-Branche. Und wie wurde das ganze finanziert? Natürlich mit dem vielen Geld was aus Japan in die USA strömte! Hierbei gab es jedoch ein Problem: das japanische Geld mußte an die amerikanischen Verbraucher verteilt werden. Dies geschah auf zwei verschiedenen Wegen: zum einen als direkter Kredit über Kreditkarten, Hypotheken und Autokredite (In diesem Zusammenhang spielen auch die"Asset Backed Securities",über die wir hier im Board bereits des öfteren diskutiert haben, eine wichtige Rolle). Ein Teil des Geldes ist aber auch in den Aktien- und den Imobilienmarkt und geflossen und hat dort eine Spekulationsblase erzeugt, die bei den Amerikanern, von denen fast 50 % Aktien besitzen, zu der Illusion von großem Wohlstand geführt hat, was wiederum die Bereitschaft Kredite aufzunehmen weiter erhöht hat.
Das alles war aber nur möglich, weil die amerikanische Notenbank in den letzten Jahren eine sehr expansive Geldpolitik verfolgt hat. Unter normalen Umständen hätte diese Politik bereits nach kurzer Zeit zu einer starken Inflation geführt, aber durch das überreichliche Produktangebot aus Japan und, nach der Asienkrise auch aus den ostasiatischen Tigerstaaten, sind die Preise bisher weitgehend konstant geblieben.
Dies ist das schmutzige kleine Geheimnis das hinter dem langanhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung in den USA steht. Es versteht sich von selbst, daß das nicht auf ewig funktionieren kann und letztendlich in einer Katastrophe enden wird.
Kommen wir nun noch zu den Auswirkungen in Japan. Durch die Kapitalflucht in die USA (und einige andere Effekte, die ich hier nicht im Detail erläutern will) ist es dort zu einer akuten Geldknappheit gekommen, die eine wirtschaftliche Erholung bisher verhindert hat. Stattdessen ist die Staatsverschuldung in astronomische Höhen geschnellt (ca. 160 % des BSP), da die verschiedenen Regierungen mit zahllosen Stimulationsprogrammen immer wieder vergeblich versucht haben, die Konjunktur in Schwung zu bringen. Japan befindet sich somit in einer Schuldenfalle, denn wenn die Zinsen auf ein marktübliches Niveau angehoben werden sollten, könnte der Staat die Zinslast, die bereits jetzt 25 % der Steuereinnahmen beträgt, nicht mehr bezahlen.
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JüKü
18.05.2000, 00:49
@ NickLeeson
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GROSSES LOB!... |
Wirklich lobenswert und beeindruckend, welche Mühe dahinter steckt!
Solche Beiträge (und natürlich viele, viele andere) machen dieses Forum so einzigartig!
DANKE!
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NickLeeson
18.05.2000, 17:42
@ JüKü
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noch'n Link zu Japan |
Hier ist noch ein weiterer interessanter Artikel über Japan (auch schon etwas älter, aber immer noch lesenswert)
http://www.gold-eagle.com/asian_corner_98/shilling072098.html
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Schlangenfuchs
19.05.2000, 00:30
@ NickLeeson
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Re:??? |
Stimmt und danke!
Ich habe da ein wenig flüchtig gelesen!
Verwundelich bleibt trotzdem, dass das Einkommen um 100% unterschätzt wird (wegen der nicht eingerechneten Kapitalgewinn) in dieser Statistik.
(In dieser Sparstatistik werden auch nicht die Kapitalgewinne im Vermögen berücksichtigt, also darf man sie unter keinen Umständen als eine Statistik über die Verschuldung oder das vermögen privater ameriknischer Haushalte insgesamt verstehen: unter keinen Umständen, weil es nur um das Einkommen und nicht um die Ersparnisse geht (der Titel der Statistik ist darum irreführend: 'personal saving rate' bedeutet nur, Lohnsparrate und nicht Sparrate total.
Fazit:
1. Die Kapitalgewinne aus der Optionsentlöhnung ist nicht berücksichtigt und darum ist die Rechnung fraglich in ihrer Aussagekraft über die Ersparnisse der amerikanischen Haushalte. Eigentlich sagt diese Zahl nichts!
2. Die Zahl sagt ebenfalls nichts aus über die Ersparnisse der Amerikaner insgesamt
Schluss:
Ich habe Mühe, mit dieser Zahl irgend eine Aussage zu fundieren. Seit Jahren höre ich nun, dass die amerikanische Sparrate schlecht oder sogar negativ sei und nichts besonderes ist dabei passiert. Es kann nun durchaus sein, dass diese Zahl einfach die Realität nicht mehr widerspiegelt. Real laufen die Dinge vielleicht einfach anders und die Bürokraten haben Mühe oder keine Lust, diese Realität in einem besseren Zahlenwerk einzufangen.
mit den vorzüglichsten Grüssen und bestem Dank
Schlangenfuchs
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