-->Wo Ã-tzis Wiege stand
Herkunft des Gletschermanns anhand von Isotopen aufgeklärt
Der Gletschermann kommt nicht zur Ruhe, obwohl er schon vor rund 5200 Jahren gestorben ist. Denn Ã-tzi, wie der im Gletschereis der Alpen konservierte Leichnam getauft wurde, ist von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zum bevorzugten Forschungsobjekt erkoren worden. Schließlich gewährt der Gletschermann spannende Einblicke in das späte Neolithikum Zentraleuropas. Die Forscher haben herausgefunden, wie alt Ã-tzi war, als er starb. Sie haben die Gensequenz seiner Mitochondrien untersucht, seinen Speiseplan ermittelt und die Umstände seines Todes aufgeklärt. Aber seine Herkunft konnten sie nicht zweifelsfrei bestimmen. Jetzt scheint eine internationale Forschergruppe auch dieses Geheimnis anhand von Isotopen-Analysen gelüftet zu haben. Ã-tzis Heimat befand sich demnach nicht mehr als 60 Kilometer von der Stelle entfernt, an der sein Leichnam entdeckt worden ist.
Der Fundort liegt auf einer Höhe von 3120 Metern zwischen dem Schnalstal in Italien und dem zu Ã-sterreich gehörenden Ã-tztal. Dort hat ein Ehepaar aus Nürnberg im September 1991 den teilweise aus dem Eis herausragenden Leichnam entdeckt. Die"Staatsangehörigkeit" des Gletschermanns blieb lange umstritten. Eine neue Vermessung des Grenzverlaufs führte dann zu dem Ergebnis, daß Ã-tzi ein Südtiroler und somit Italiener ist. Die Felsmulde, in die er eingebettet war, liegt 92 Meter und 56 Zentimeter von der Grenzlinie entfernt auf italienischem Staatsgebiet. Folgerichtig wird der Leichnam auch dort aufbewahrt, und zwar im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen. Dort liegt Ã-tzi seit 1998 in einer speziell entwickelten Kühlkammer mit minus sechs Grad und einer Luftfeuchtigkeit von hundert Prozent. Nur gefiltertes, von ultravioletter und infraroter Strahlung befreites Licht darf auf ihn treffen.
Wie man inzwischen weiß, war Ã-tzi 1,60 Meter groß und rund 50 Kilogramm schwer. Er dürfte etwa 46 Jahre alt gewesen sein, als er auf seinem Weg über die Berge offenbar überfallen und von hinten mit einem Pfeil schwer verletzt wurde. Aber woher stammte er? Dieser Frage hat sich Wolfgang Müller von der Australian National University in Canberra zusammen mit Wissenschaftlern aus Colorado und der Schweiz gewidmet. Die Arbeitsgruppe konzentrierte sich auf die Analyse von Isotopen im Zahnschmelz, in den Knochen sowie in der letzten Mahlzeit, deren Reste im Magen von Ã-tzi gefunden wurden. Unter anderem bestimmte man radioaktive Isotope von Strontium und Blei sowie stabile Isotope des Sauerstoffs und Kohlenstoffs. In der geologisch und klimatisch vielfältigen Gebirgswelt sind diese Isotope recht unterschiedlich verteilt. Niederschläge nördlich der Fundstelle enthalten aufgrund ihrer atlantischen Herkunft zum Beispiel größere Mengen des Isotops Sauerstoff-18 als Niederschläge weiter südlich, die vom Mittelmeer herrühren. In der geologisch komplexen Region finden sich auch unterschiedliche Konzentrationen von Strontium und Blei im Boden. Diese beeinflussen den Gehalt in den Lebensmitteln aus dem jeweiligen Gebiet. Im Zahnschmelz werden die mit der Nahrung aufgenommenen Isotope fixiert. Daher kann man aus der gemessenen Konzentration Rückschlüsse auf das Nahrungsangebot und somit auf den Lebensraum des jungen Ã-tzi ziehen. Die Skelettknochen indessen, die im Laufe der Jahre remineralisiert werden, können als Archive des Erwachsenenalters genutzt werden.
Wie Müller und die anderen Forscher in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift"Science" (Bd. 302, S. 759 u. 862) berichten, hat der Gletschermann praktisch sein ganzes Leben südlich des Fundortes verbracht. Als Heimat kommen nur wenige Täler in einer Distanz von rund 60 Kilometern in Frage. Was die Blei- und Strontium-Isotope im Zahnschmelz betrifft, findet sich eine besonders gute Übereinstimmung mit dem entsprechenden Gehalt im Gestein des Eisack-Tals mit der Ortschaft Feldthurns. Dort dürfte Ã-tzi aufgewachsen sein. Aus der Analyse der Skelettknochen leiten die Forscher ab, daß er später vermutlich von dort weggezogen ist, und zwar nach Westen in den unteren Vinschgau beziehungsweise das Etschtal zehn bis zwanzig Kilometer von Meran entfernt. Von dort scheint er ins Ã-tztal zu seiner letzten Wanderung aufgebrochen zu sein. Juval, das früher als sein Wohnort postuliert wurde, paßt vom Isotopen-Verhältnis nicht.
REINHARD WANDTNER
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.11.2003, Nr. 254 / Seite 34
Bildmaterial: dpa/dpaweb
|