-->http://www.jungewelt.de/2003/11-07/011.php
07.11.2003
Inland
Ulla Jelpke
Regierung trickst und täuscht
Innenausschuß des Bundestages konstatierte, daß Irak-Einsatz der GSG-9 rechtswidrig ist
Die Bundesregierung hat die Ã-ffentlichkeit mit der Entsendung der GSG-9, einer »Elitepolizeitruppe« des Bundesgrenzschutzes, in den Irak überrascht. Viele fragten sich verwundert, ob das Versprechen, sich im Irak nicht militärisch zu engagieren, nicht mehr gilt. Für noch größere Verblüffung sorgte die Regierung, als sie am Mittwoch im Innenausschuß des Bundestags nach der Rechtsgrundlage für den Einsatz gefragt wurde. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Fritz Rudolf Körper (SPD), brachte nämlich keinerlei Klarheit, sondern zeigte nur eines: Die Bundesregierung trickst und täuscht. In Wahrheit ist der Einsatz glatt rechtswidrig.
Seit der Stürmung einer entführten Lufthansa-Maschine in Mogadischu vor über 20 Jahren ist die GSG-9 in der Ã-ffentlichkeit bekannt. In letzter Zeit hat man allerdings wenig von der Truppe gehört, da die Bundesländer eigene polizeiliche Sondereinsatzgruppen gebildet haben und die GSG-9 kein rechtes Betätigungsfeld mehr hat. Jetzt hat sich die Bundesregierung daran erinnert, daß die GSG-9 praktisch schon immer auch militärische Aufgaben wahrgenommen hat, aus historischen Gründen aber Teil des Bundesgrenzschutzes, also der Polizei ist.
Diese feine juristische Unterscheidung wollte sich das Kabinett nun zunutze machen. Denn im Bundestagswahlkampf 2002 hatte sie versprochen, im Irak nicht militärisch einzugreifen. Andererseits steht die Bundesregierung unter dem Druck der USA und ist nur zu geneigt, den Kriegstreibern in der Bush-Administration willfährig zu sein. Da lag es nahe, eine eigentlich militärische Aufgabe im Irak nicht durch die Bundeswehr wahrnehmen zu lassen, sondern durch eine Polizeieinheit. Also wurde die GSG-9 des Bundesgrenzschutzes mit dem Auftrag in den Irak entsandt, die Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) zu schützen. Über die Tatsache, daß angesichts der anhaltenden Kriegssituation im Irak ein solcher Einsatz eindeutig militärischen Charakter trägt, setzte sich die Bundesregierung großzügig hinweg. Damit wollte sie der für SPD und Grüne unmöglichen Situation entgehen, über einen Militäreinsatz im Bundestag abstimmen zu müssen.
Der Trick hat freilich einen Haken: Das Bundesgrenzschutzgesetz bietet dafür keine Rechtsgrundlage. Nach Paragraph 8 des Gesetzes kann die GSG-9 zwar im Ausland tätig werden, jedoch nur in Einzelfällen zur »Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben«. Mit dieser Vorschrift war der Einsatz in Mogadischu abgedeckt, nicht jedoch eine Dauerpräsenz zum Schutz vor möglichen, noch nicht konkret eingetretenen Gefährdungen.
Zur Überraschung des Innenausschusses bezog sich Staatssekretär Körper in seiner Antwort am Mittwoch plötzlich auf Paragraph 9 BGS-Gesetz. Danach darf der BGS deutsche Auslandsvertretungen schützen, also beispielsweise das Gebäude der deutschen Botschaft im Irak. Doch dies ist hier ersichtlich nicht der Fall, zumal die THW-Helfer im ganzen Land unterwegs sind.
Zu Recht hat daher die Opposition im Bundestag die fehlende Rechtsgrundlage dieses Einsatzes moniert. Da gerade die Unionsparteien aber bekanntermaßen jedes militärische Engagement im Irak begrüßen, bauen sie der Koalition goldene Brücken. Prompt bot die CDU/CSU-Fraktion an, einer entsprechenden Ergänzung des BGS-Gesetzes zuzustimmen, um eine nachträgliche Legitimation zu schaffen.
Bleibt noch nachzutragen, daß das Bundesjustizministerium erst vor wenigen Tagen erwartungsgemäß eine Dienstaufsichtsbeschwerde von Friedensgruppen gegen den Generalbundesanwalt Kay Nehm abgeschmettert hat. Nehm hatte mehrere Klagen gegen die logistische Unterstützung des Irak-Krieges wegen des damit begangenen Verfassungsbruchs als unbegründet zurückgewiesen.
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-->Gesetz ist Gesetz! Werden hier die Grundsteine für eine amerikanische Welt-Diktatur in ein paar Jahren gelegt?
Wehret den Anfängen, kommt mir in den Sinn. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß Amerika seine demokratischen Tugenden irgendwann verlassen oder schwächen wird, die entsprechenden Machthaber würden auf eine extrem mißbrauchsgefährdete Rechtslage stoßen, es fehlen nur noch die Notstandsgesetze. Zur Zeit unvorstellbar, aber die Geschichte hat gezeigt, daß man niemals nie sagen sollte!
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INTERNATIONALES STRAFGERICHT
US-Kongress droht Niederlande mit Invasion
Von Steven Geyer, Washington
Parlament und Regierung in den Niederlanden sind empört: Beide Häuser des US-Kongresses haben einem Gesetz gegen den Internationalen Strafgerichtshof zugestimmt, das für den Fall einer Anklage gegen amerikanische Bürger in Den Haag sogar die Invasion im Nato-Partnerland vorsieht.
Capitol Hill in Washington: Arena der Scharfmacher
Washington?"Ich habe hier ein Diagramm, unter dem steht `Vorschlag für eine Invasion der Niederlande`", meint David Obey, ein demokratischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus."Es zeigt, dass wir es vielleicht auf dem Seeweg tun, oder aus der Luft, vielleicht mit Fallschirmjägern. Um sicherzugehen, dass der Gentleman aus Texas diesmal auch weiß, wo Den Haag liegt, ist es auf der Karte markiert." Die Abgeordneten grinsen amüsiert.
Das Schreiben, das Obey in der Debatte im amerikanischen Kongress vorstellte, war die sarkastische Reaktion eines niederländischen Diplomaten auf einen republikanischen Gesetzesvorschlag, der gute Chancen hat, tatsächlich verabschiedet zu werden. Er verbietet US-Behörden, mit dem Internationalen Strafgericht zusammenzuarbeiten und ermächtigt den Präsidenten ausdrücklich, im Ernstfall"alle notwendigen und angemessenen Mittel zu nutzen", um amerikanische Staatsbürger und Bürger ihrer Alliierten aus der Obhut des Gerichtshofs zu befreien, der ab Juli seine Arbeit im niederländischen Den Haag aufnehmen soll. Weil der Entwurf Militäreinsätze ausdrücklich einschließt, wird in Holland schon vom"Den-Haag-Invasions-Gesetz" gesprochen.
Anfang der Woche ist den niederländischen Politikern das Scherzen über das Gesetz jedoch endgültig vergangen. Denn nicht nur die Abgeordneten des amerikanischen Repräsentantenhauses haben ihn angenommen. Seit Donnerstagabend ist eine abgeänderte Version des"Gesetzes zum Schutz amerikanischer Soldaten" auch vom Senat verabschiedet worden? der ersten Kammer des US-Kongresses, die für die Ratifizierung internationaler Abkommen zuständig ist. Nun müssen sich die beiden Kammern nur noch über abweichende Details einig werden, um aus den beiden Entwürfen ein gültiges Gesetz zu machen.
Das niederländische Parlament hat deshalb am Montag geschlossen Außenminister Jozias van Aartsen aufgefordert, Protest gegen das amerikanische Vorgehen einzulegen. Das Gesetz, so die Beschwerde, unterminiere die Autorität des Internationalen Strafgerichtshofs.
Genau das soll es auch."Wir mögen den Internationalen Strafgerichtshof nicht, und wir wollen nicht, dass amerikanische Soldaten oder andere Bürger in seine Fänge geraten", sagte Lester Munson, Sprecher der Republikaner im Kongress, gegenüber SPIEGEL ONLINE."Die Formulierungen, welche die Europäer aufregen, haben die Zustimmung von 75 Senatoren beider Parteien gewonnen. Das ist also die weit verbreitete Meinung im Land."
"Dieses Schurkengericht nicht unterstützen"
Auf den 29 Seiten des"American Servicemembers` Protection Act" wird der amerikanischen Regierung deshalb fast jede Art der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgericht untersagt: Keine Auslieferung Angeklagter nach Den Haag, keine Hilfe bei Ermittlungen, weder finanzielle noch militärische Unterstützung für Länder, die das Gericht anerkennen.
Mit dem Gesetz wolle der Kongress dem Strafgerichtshof eine deutliche Absage erteilen, weil es keine Kontrolle seiner Macht gebe, erklärt Munson. Die Invasions-Klausel hält er dabei eher für ein Detail am Rande. Er habe heute zum Beispiel auch gelesen, dass Deutschland im Fall des `20. Entführers` nicht mit US-Staatsanwälten zusammenarbeite, weil es Einwände gegen die Todesstrafe gebe."Das regt mich auch auf", empört sich Munson, der wie die meisten US-Politiker abweichenden Meinungen im Ausland nur mit Übermacht begegnen will.
DPA
Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag:"Gefahr für Millionen Amerikaner"
So entspricht die Drohung gegen die Niederlande durchaus der laufenden Abkehr der US-Regierung vom Völkerrecht und den Grundprinzipien des Rechtsstaats. Auch bei der Internierung von Terrorverdächtigen ohne Verfahren und der Aburteilung durch Militärgerichte gelten Grundrechte in der amerikanischen Politik nicht mehr viel. Im Umgang mit Partnerstaaten, selbst aus der Nato, werden Verträge zu unverbindlichen Vereinbarungen.
Das Gesetz versuchen die republikanischen Senatoren Jesse Helms (North Carolina) und John Warner (Virginia) sowie Thomas DeLay (Texas), der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, schon seit vergangenem Jahr in verschiedenen Versionen einzubringen."Präsident Bush hat die klare Botschaft ausgesandt, dass wir dieses Schurkengericht nicht unterstützen", tönte DeLay nach der Verabschiedung im Repräsentantenhaus. Da es"unserer Kampfbereitschaft gegen den internationalen Terrorismus" schade, bringe das Gericht angebliche"Millionen von Amerikanern in Gefahr."
Die Zustimmung im Senat gab es am Donnerstag allerdings? nicht zuletzt wegen Bedenken auf Seiten der Demokraten über verärgerte Alliierte in Europa? nur für eine abgeschwächte Version des Gesetzes. So wurde dem Präsidenten durch etliche Zusatzklauseln freie Hand gegeben, im Fall der Fälle eben doch mit den Europäern zusammenzuarbeiten.
"Diese Ausnahmeklauseln machen das Gesetz zu einem reinen Akt der Rhetorik", urteilt Heather Hamilton, Programmdirektorin der World Federalist Association (WFA), einer privaten Organisation in Washington, die sich für internationale Konfliktlösungen einsetzt. Es sei zwar"in rauer Sprache verfasst", aber tatsächlich zwinge es den Präsidenten nicht zum Handeln. Das ganze Verfahren zeige nur,"dass die Republikaner im Wahljahr zu ihrem rechten Flügel pendeln".
Wer ein Verbrecher ist, will die US-Regierung allein bestimmen
Die WFA hat inzwischen eine Gegenbewegung ins Leben gerufen: Den offenen Protestbrief der"Washingtoner Arbeitsgruppe zum Internationalen Strafgerichtshof" an den Senat haben etliche Vertreter von Kirchen sowie Menschenrechts- und Friedensorganisationen unterschrieben, darunter Amnesty International, Human Rights Watch, aber auch der Bürgerrechtler Jesse Jackson und Kriegsveteranen.
US-Bomber im Einsatz: Kontrolle durch unabhängige Richter unerwünscht
Auch innerhalb des Senats treffen die Den-Haag-Gegner auf Widerstand, etwa des demokratischen Senatores Christopher Dodd (Connecticut). Dodd fragt sich,"ob wir nun tatsächlich Truppen losschicken wollen, um Leute vom Internationalen Gerichtshof zu befreien. Die Philippinen sind auch unsere Alliierten, aber es gibt dort Terroristen", polemisiert Dodds Sprecher Tom Lenard."Wenn die Uno in Zukunft diesen Terroristen in Den Haag den Prozess macht, wollen die USA dann einmarschieren und sie befreien, weil sie aus einem alliierten Land kommen?"
Im den nun verabschiedeten Gesetzesentwurf wurde auf Betreiben Dodds immerhin die Formel neu eingefügt, das Gesetz solle die USA"nicht daran hindern, internationale Anstrengungen zu unterstützen, Saddam Hussein, Slobodan Milosevic, Osama Bin Laden, andere Mitglieder der al-Qaida und des Islamischen Dschihad und andere Ausländer der Gerechtigkeit zuzuführen, denen Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden".
Damit versucht der Kongress offenbar den Spagat zwischen dem amerikanischen Anspruch, die Menschenrechte weltweit zu verteidigen, und der Weigerung, sich einem internationalen Gericht zu unterwerfen, bei dem es anders als in den Uno-Gremien auch für die Supermacht kein Veto-Recht gibt.
Die widersprüchliche US-Außenpolitik könnte vor dem Gericht offenbar werden
Das Soldaten-Schutz-Gesetz malt sogar das Szenario, dass nicht nur"Mitglieder der US-Streitkräfte dem Risiko internationaler Anklagen ausgesetzt werden", sondern dass sogar"der Präsident und andere hohe Regierungsmitglieder vom Internationalen Gerichtshof verklagt werden".
Das hält selbst Republikaner-Sprecher Munson für abwegig:"Ich kann mir nicht vorstellen, wer den Präsidenten festnehmen könnte", räumt er ein. Aber auch jeder beliebige Gefreite, der Missionen für sein Land austrage, müsse"sicher vor diesem Gericht sein, dessen Regeln nicht zum US-Gesetz gehören."
Auch diese demonstrative Sorge erscheint jedoch nur vorgeschoben. Konflikte zwischen dem Internationalen Strafgericht und US-Regierungen werden sich vermutlich viel mehr an den vielen zweifelhaften Verbündeten der USA entzünden. Was geschieht, wenn etwa einer von den mit US-Waffen ausgerüsteten Schergen der CIA in Kolumbien in Den Haag vor Gericht gestellt wird? Was, wenn Pakistans Diktator Pervez Musharraf oder seine Generäle unter Anklage stehen?
Mit einer amerikanischen Invasion gegen Holland sei nicht wirklich zu rechnen, beschwichtigen nun die Hardliner. Republikaner-Sprecher Lester Munson kann über diese Vorstellung nur herzlich lachen. Wenn das Soldaten-Schutz-Gesetz demnächst jedoch verabschiedet wird, entbinden die Parlamentarier damit zumindest den US-Präsidenten davon, sich noch einmal ernsthaft mit dem 1998er Abkommen zur Errichtung eines internationalen Strafgerichts auseinander zu setzen. Für Demokrat David Obey wäre genau das allerdings,"der bessere Weg" gewesen: Bush hätte lieber versuchen sollen, Amerikas Interessen in Verhandlungen über den Gerichtshof durchzusetzen. Stattdessen sei der Kongress nun, so Obey,"losgeritten wie der Lone Ranger, Revolverheld Marshall Dillon und Duffy Duck auf einmal."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,200430,00.html
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