thomas
15.11.2003, 00:19 |
Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor Thread gesperrt |
-->Gibt es eine Lücke in meinem Verständnis, oder in dottore's
Argumentation? Warum soll der Staat nicht finanzierbar sein?
Thomas
Ich behaupte: Wenn der Staat zu seiner Finanzierung im Jahr X
insgesamt Steuerforderungen in Höhe von Y Einheiten Abgabengut
abgetreten hat, und zwar zum Termin 1. März des Folgejahres, dann muss
er den Bürgern lediglich am 28. Februar des Folgejahres Y Einheiten
des Abgabengutes"wegnehmen", damit alle abgetretenen Forderungen
erfüllt werden können.
dottore
Er kann nur Steuerforderungen abtreten, wenn es ihn als
Steuerabforderungsinstrument bereits gibt. Du kommst am
Früher-Später-Problem nicht vorbei. Du kannst nicht sagen: Ich bin der
Staat und trete Dir meine Steuerforderungen per 28. Februar des
nächsten Jahres ab und bis dahin gibt es mich nicht. Abtreten
lassen sich nur Steuer-Forderungen, die Termin haben. Und um
Steuer-Termin überhaupt setzen zu können, musst Du bewaffnet
sein.
Vielleicht habe ich mich mißverständlich ausgedrückt. Ich versuche es
noch einmal, übermäßig ausführlich vielleicht, aber mit genauester
Berücksichtigung aller auftretenen Termine, Fälligkeiten und
vorher/nachher-Beziehungen.
Zunächst sei erstens zur Abgrenzung bemerkt, dass ausschließlich von der
Staatsfinanzierung des Jahres X die Rede ist, und nicht von den Jahren X-1
und/oder X+1. Wenn also die Steuern für das Jahr X im (z.B.) Februar des
Folgejahres X+1 eingetrieben werden, dann entstehen dabei
selbstverständlich Eintreibungskosten im Jahr X+1 (z.B. Kosten der
Gewaltandrohung). Das ist unstrittig,
aber um die Kosten geht es hier nicht, weil sie nicht im Jahr X
anfallen. (Dagegen fallen natürlich im Jahr X Kosten zur Eintreibung der
Steuern aus X-1 ein, die müssen natürlich als Kosten des Jahres X
berücksichtigt werden.
Die Finanzierungsperioden müssen eben sauber voneinander getrennt
sein, aber das ist eigentlich selbstverständlich.
Zweitens: Es ist möglich, alle zur Finanzierung der Kosten des Jahres
X gemachten Staatschulden (inklusive aller Zinsen) bis zum (Beispiel)
1. März des Folgejahres restlos zu tilgen, und zwar aus Steuern,
die nachträglich für das Jahr X erhoben werden. Das ist ganz einfach
an einem Beispiel einzusehen:
Am 1. Januar X steigt die Mega-Orgie im Palast, der Marktpreis für den
ganzen Wahnsinn sei 100, <em>sofort fällig</em>. Mit sofort fällig kann der
Staat nicht dienen, wohl aber mit <em>fällig am 1. März des Folgejahres.</em>
Dafür muss der Staat aber (Beispiel) 120 zahlen, wegen späterer
Fälligkeit. Er bekommt also heute Leistung für 100, und muss am Tag
der Steuerfälligkeit 120 zurückzahlen. <em>Mit den 120 am Tag der
Steuerfälligkeit ist die Schweinerei im Palast dann aber endgültig
(inklusive aller Zinsen) getilgt.</em>
So wie im obigen Beispiel können alle Ausgaben des Jahres X behandelt
werden: Schulden machen, mit Rückzahlungstermin am Tag der
Steuerfälligkeit, und für den Fälligkeitsunterschied von jetzt und
1. März des Folgejahres einen Zins hinnehmen.
Bei dieser Finanzierungsmethode muss der Staat alle seine Gläubiger am
selben Tag bedienen, nämlich am 1. März X+1. Wäre es bei der
Palast-Orgie als einziger Ausgabe geblieben, wären genau 120 am
1. März fällig. In der Praxis dürfte es wohl etwas mehr sein.
Nun weiß also der Staat, wieviel er am 1. März X+1 an Gläubiger zu
zahlen hat, die Summe sei Y Einheiten Abgabengut. (Das weiss er
natürlich seit dem 1. Januar X+1). Woher nehmen? Mit Gewalt
eintreiben! Wieviel eintreiben? Genau Y Einheiten.
(Zur Erinnerung: Die Kosten für die Eintreibung der Steuern fallen im
Jahr X+1 an, und liegen damit ausserhalb des Diskurses.)
Damit ist das Jahr X für den Staat endgültig am 1. März X+1 finanziert.
Drittens können wir die Aussage für die Finanzierbarkeit des
Jahres X verallgemeinern. Was im Jahr X gilt, kann auch für alle
Folgejahre gelten, und auch für die Jahre vor X.
Mögliche Angriffsflächen
Eigentlich finde ich die ganze Sache mit der Staatsfinanzierbarkeit banal
und trivial, aber dottore's persistente Behauptung des Gegenteils
macht mich stutzig, sonst hätte ich diesen Beitrag nicht so
ausführlich gefasst.
Es verwundert mich auch, dass die dottore'sche Behauptung von der
Unmöglichkeit des Staates hier auf keinen lauten Widerspruch trifft.
Wie dem auch sei, abschließend einige möglichen Lücken meiner
Argumentation, natürlich unvollständig:
Vielleicht sind es Charaktereigenschaften von Machthabern, die den
Untergang vorzeichnen? Hier könnte bestimmt mit psychologischen
Argumenten gearbeitet werden. Solche Argumentation war in diesem Forum
aber bisher nicht explizit.
Vielleicht sind es die <em>die Eigenschaften der Masse</em>, die das
Ende bestimmen? Dazu gibt es hier im Forum schon mehr Andeutungen,
siehe Elliott-Wellen, Gustav Le Bon etc. Allerdings waren auch solche
Argumentationen für den zwangsweisen Staatsbankrott bisher nicht
explizit.
Historische Argumentation: dottore führt ja selbst immer wieder Beispiele an,
dass es in der Geschichte für die Staaten immer im Staatsbankrott
geendet hat. Das ist sicher beeindruckend, die Beobachtung hat aber noch lange
nicht den Rang eines Naturgesetzes. Die Beobachtung als solche ist
ohne Erklärung eben nur das: eine Beobachtung.
Schließlich könnte ich in meiner Argumentation irgendwelche Schulden
vergessen haben, die mit dem <em>Prozess der Machtergreifung</em> zu tun haben,
und deshalb nicht in die sauber abgegrenzten Finanzierungsperioden
eingeordnet werden können. Das scheint mir die wahrscheinlichste Lücke
meiner Argumentation zu sein, aber ich sehe keinen Grund, warum solche
Schulden nicht ebenfalls nach und nach eingetrieben werden können.
Danke für die Aufmerksamkeit, und gute Nacht allerseits!
Thomas
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Bärentöter
15.11.2003, 02:30
@ thomas
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Re: Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor |
-->>Historische Argumentation: dottore führt ja selbst immer wieder Beispiele an,
>dass es in der Geschichte für die Staaten immer im Staatsbankrott
>geendet hat. Das ist sicher beeindruckend, die Beobachtung hat aber noch lange
>nicht den Rang eines Naturgesetzes. Die Beobachtung als solche ist
>ohne Erklärung eben nur das: eine Beobachtung.
Yup, das hab ich ihm auch schon mal vorgeworfen.
Im Übrigen gibts keine Naturgesetze. Gibt nur Modelle die die Wirklichkeit möglichst genau beschreiben. Z.B. die Schwerkraft"gilt" nur im Vakuum, aber das gibts nirgends auf der Erde. Also legt man so lange nach bis es für Praxisanwendung reicht (z.b. Luftwiderstand etc)
MFG
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Karl52
15.11.2003, 06:49
@ Bärentöter
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Re: Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor |
-->Im Übrigen gibts keine Naturgesetze. Gibt nur Modelle die die Wirklichkeit möglichst genau beschreiben. Z.B. die Schwerkraft"gilt" nur im Vakuum, aber das gibts nirgends auf der Erde. Also legt man so lange nach bis es für Praxisanwendung reicht (z.b. Luftwiderstand etc)
Hallo Bärentöter,
sorry, wenn ich jetzt mal Dein physikalisches Weltbild erschüttern muß. Wenn die Schwerkraft nur im Vakuum gelten würde, wärst Du schon längst per Zentripedalkraft von Muttern Erde weggeschleudert worden, ab ins Vakuum des interplanetaren Raumes.
Zur Aktualisierung Deines Weltbildes empfiehlt sich das Intensivstudium experimentalphysikalischer Lehrbücher, Teilnahme an einschlägigen VHS-Kursen oder schlicht die Verwirklichung Kant'scher Maximen zur Verwendung der in den oberen, näherungsweise kugelförmigen Extremitäten angesiedelten grauen Zellen, gemeinhin Grütze genannt.
Nix für ungut, Karl
PS: Hat PISA doch recht?
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Bärentöter
15.11.2003, 14:27
@ Karl52
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Re: Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor |
-->Tach Karl
leider hast du mich überhaupt nicht verstanden.
Die Schwerkraft in der einfachsten Form, d.h. F=mg, gilt nur im Vakuum.
MFG
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Euklid
15.11.2003, 14:43
@ Bärentöter
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Re: Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor |
-->Ist schon klar daß dies nur im Vakuum gilt:Aber selbst dann wenn wir Vakuum hätten stimmt es ja noch immer nicht,denn g ist ja eine Veränderliche obwohl den Kindern in der Schule eine Natur- Konstante untergejubelt wird.
Leider am Nordpol wieder anders als am Äquator.
Es gibt überhaupt keine Natur-Konstanten obwohl immer wieder davon geredet wird.
Was meinst du wenn tatsächlich Mr Big-X in unsere Nähe kommt wie diese Naturkonstante dann progressiv ansteigt in Abhängigkeit von Masse und Nähe des Big-X.
Es gibt in der Natur nichts was konstant ist.Und morgen mittag werde ich auf Grund des Alters wohl wieder ein paar nanometer kleiner sein [img][/img]
Gruß EUKLID
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Bärentöter
15.11.2003, 16:05
@ Euklid
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Re: Nochmal: Staatsfinanzierung, @dottore, @raubgraf, @bernor |
-->Genau so isses. Das Modell leitet sich aus der Realität durch Experiment ab, nicht umgekehrt. Durch schlampigen Sprachgebrauch ("Naturgesetz") ist das erschreckend vielen leider nicht klar.
Wie wärs also mit Pisa für Rentner [img][/img]
MFG
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Zardoz
15.11.2003, 17:07
@ Bärentöter
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Was ist Existenz? (owT) |
-->
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Raubgraf
15.11.2003, 20:28
@ thomas
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Beipiel Weltwirtschaftskrise |
-->Hallo Thomas,
damit die Privaten Investoren ihre Vorfinanzierungskosten eintreiben können, brauchen sie immer wieder Nachschuldner. Hält der Staat seinen Haushalt ausgeglichen, geht das Kettenbriefsystem der Verschuldung im privaten Sektor weiter. Dies hat seine Grenze.
Siehe Weltwirtschaftskrise: Der amerikanische Staat hatte von 1920 bis 1930 einen ausgeglichenen (es gab sogar Überschüsse, ich denke die Zahlen waren damals noch nicht so manipuliert wie heute) Haushalt und der private Sektor war am Ende total überschuldet.
Es wurde damals nicht nur die Spekulation an den Börsen angeheizt (die Maklerkredite lagen Ende 1929 bei 7 Mrd. Dollar), sondern auch der Massenkonsum. Es setzten sich in den Zwanziger Jahren neue Marketing- und Werbemethoden durch. Es wurden Markenartikel und neue Kaufanreize geschaffen, die zu Änderung der Kaufgewohnheiten der Konsumenten führten. Durch Kundenkredite wurde es erstmals möglich Anschaffungen auf Raten zu kaufen. Vor dem Börsenkrach wurden 60% aller Autos, Radios und Möbel über Kredite finanziert.
Der Teilzahlungskredit erleichterte den Absatz von teureren Gütern. Der Bestand an Teilzahlungswechseln stieg von 1,375 Mrd. Dollar 1925 auf 3,0 Mrd. Dollar 1929. Das Volumen der ausstehenden Hypotheken stieg von 11 Mrd. Dollar 1920 auf 27 Mrd. Dollar 1929. Die Verschuldung der amerikanischen Aktiengesellschaften erhöhte sich in den Jahren 1920 - 1929 um 21%, auf ca. 25 Mrd. Dollar 1929.
Aufgrund der Angst vor einer Inflation hielt man es 1930 für notwendig den Staatshaushalt ausgeglichen zu halten. Der amerikanische Bundesstaat übernahm somit (noch) nicht die Rolle eines neuen Nachschuldners und im überschuldeten privaten Sektor gab es kaum mehr Neuverschuldungsmöglichkeiten.
Trotz der Programme in den 30er Jahren, betrug die Arbeitslosigkeit in den USA 1940 immer noch 15%. Die Wirtschaft erholte sich erst durch den 2. Weltkrieg. Die Staatsausgaben stiegen innerhalb eines Jahres von 16,9 Mrd. Dollar auf 51,9 Mrd. Dollar. Dies wirkte sich entsprechend auf die Staatsverschuldung aus, sie verfünfachte sich in etwa in den Jahren von 1940 -1945!. Die Kriegsausgaben betrugen bis 1943 81,1 Mrd. Dollar. 1942 und 1943 konnte die Zahl der Arbeitslosen jeweils halbiert werden. Die Weltwirtschaftskrise konnte beendet werden, da mit dem Marktteilnehmer Staat in den USA noch ein verschuldungsfähiger Nachschuldner gefunden werden konnte.
Und seither verläuft die Staatsverschuldung der USA wie eine e-Funktion!!
Quelle: meine Diplomarbeit (Thema: Die Verschuldung als eine Ursache der Weltwirtschaftskrise)
Ich hoffe ich habe den Kern Deiner Frage hiermit getroffen
Gruss
Raubgraf
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