Galiani
12.12.2003, 16:27 |
@dottore: Obwohl ich jetzt natürlich inbrünstig an Ihre Machttheorie glaube... Thread gesperrt |
-->Hallo
... muß ich doch ein paar Trugschlüsse in Ihrem letzten Posting in Sachen "Bauernbefreiung","Zession von Macht", Bevölkerungswachstum ausräumen.
Alles, alles, alles hat bei Ihnen immer nur mit der bösen"Macht" und ihren mehr oder weniger bitterbösen Machenschaften zu tun. Zum Beispiel antworten Sie auf die Frage:"Woher kam plötzlich das Proletariat" - wie immer beredsam:
<font color=#0000FF>>... Bevölkerungsvermehrung. Die war nach der Bauernbefreiung schon deshalb nach oben offen</font> [Aha! "Bevölkerungsvermehrung""nach oben offen"; - klingt toll; so intellektuell!], <font color=#0000FF>weil die Menschen sich das Heiraten nicht mehr vom Guts- oder Grundherrn genehmigen lassen mussten. Sie waren wirklich"frei" und vor allem: sie konnten die Scholle verlassen, an die sie und ihre Vorfahren jahrhundertelang gebunden waren:"Tschüs, Herr Baron, auf Nimmerwiedersehen!" </font>
Na, ist das nicht wieder mal entzückend formuliert!
Das große ABER aber ist, daß freigelassene Bauern ohne Land und ohne Werkzeug natürlich noch schlechter dran sind als vorher; - das hat sich beispielsweise nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland sehr deutlich gezeigt! Sooo gewinnen Sie das Argument nicht, verehrter dottore! Ihre freigelassenen Bauern ohne Boden würden glattweg verhungern müssen; - auch wenn sie"Tschüs, Herr Baron, auf Nimmerwiedersehen!" sagen und"ihre Scholle verlassen" dürfen.
Überleben und so reichlich Nachkommenschaft zeugen, wie dies in Tat und Wahrheit der Fall war, konnten diese freigelassenen Bauern keineswegs dank der Segnungen Ihrer"Macht" (wie Sie es behaupten. - Eben! Sie können an überhaupt nichts mehr anderes denken als an die"Macht" die interessante Tabelle von JoBar).
Der Punkt jedenfalls ist, - ich wiederhole mich da:
Anders als Sie (wenn auch sehr wortgewaltig) darlegen, hatte die ganz entscheidende Erscheinung der letzten drei- oder vierhundert Jahre, nämlich die ungeheure Vermehrung der Weltbevölkerung, die unsere heutige Welt vor allem prägt, mit Ihrer"Macht" oder einer"Zession der Macht" gar nichts zu tun! Wenn überhaupt, so hat die Staatsmacht durch Kriege eher zu einer Dezimierung der Bevölkerung beigetragen, nicht etwa zu ihrer Vermehrung im Wege einer Ihrer ohnehin obskuren"Zessionen von Macht".
Diesen Sachverhalt wollte ich nur nochmals festgestellt haben. (Ich hab' nur nicht soviel Zeit und Energie wie Sie, meine Sache zu verteidigen!) Im übrigen aber glaube ich natürlich, wie gesagt, mittlerweile auch ganz, ganz fest an die"Machttheorie"...[img]" alt="[image]" style="margin: 5px 0px 5px 0px" />
Gruß
G.
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Jochen
12.12.2003, 16:52
@ Galiani
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Re: @dottore: Obwohl ich jetzt natürlich inbrünstig an Ihre Machttheorie glaube... |
-->Hallo,
>Überleben und so reichlich Nachkommenschaft zeugen, wie dies in Tat und Wahrheit der Fall war, konnten diese freigelassenen Bauern keineswegs dank der Segnungen Ihrer"Macht", sondern - wie ich schon sagte - dank der Arbeitsplätze in der aufstrebenden Industrie
Anmerkung: Die Bevölkerungsexplosion Europas begann schon vor der Industrialisierung.
D.h. die Industrialisierung war nicht Ursache der Bevölkerungsexplosion.
mfg
Jochen
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Galiani
12.12.2003, 17:28
@ Jochen
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@Jochen Re: Bevölkerungsexplosion Europas begann schon vor d Industrialisierung |
-->Hallo
Richtig! Ich habe das Wort"Industrialisierung" auch nur als näherungsweise zutreffendes Kürzel für das Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise gebraucht, die - das scheint mir außer Zweifel zu stehen - die Bevölkerungsexplosion ausgelöst hat. Unter der"kapitalistischen Wirtschaftsweise" verstehe ich eine Organisation, bei der der Inhaber der Ausrüstungen für die Produktion von Gütern Arbeiter anstellt, die ihm helfen, seine (vorfinanzierten) Produktionseinrichtungen voll zu nutzen.
Diese Organisation der Wirtschaft scheint ein Phänomen der frühen Neuzeit zu sein. Mir ist jedenfalls aus früherer Zeit nichts von Arbeits- oder Anstellungsverträgen bekannt; früher gab's offenbar nur Kloster- oder Hausgemeinschaften (Knechte; Magd) und dergleichen.
Die Sache war Gegenstand zahlreicher wirtschaftshistorischer Untersuchungen und wird u.a. auch in dem von mir geposteten Hayek-Aufsatz von 1954 erwähnt. Dort heißt es (ich übersetze die betreffende Passage mal schnell):
<font color=#0000FF>Die wirkliche Geschichte der Verbindung zwischen Kapitalismus und dem Aufkommen des Proletariates ist fast das Gegenteil von dem, was diese Theorien der „Expropriation der Massen“ behauptet. Die Wahrheit ist, daß für die meisten Männer der Besitz der Werkzeuge für ihre Arbeit seit jeher eine wesentliche Bedingung fürs Überleben oder zumindest für die Möglichkeit war, ihre Familie zu ernähren. Die Zahl derer, die sich durch Arbeit für andere erhalten konnte, ohne selbst die notwendige Ausrüstung für diese Arbeit zu besitzen, war auf einen kleinen Anteil der Bevölkerung beschränkt. Die Gesamtzahl derer, die überhaupt überleben konnten, war limitiert einerseits von der verfügbaren Menge an bebaubarem Land sowie andererseits von der Menge an Werkzeugen, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden. Kein Land oder keine Werkzeuge zu haben, um das Land zu bebauen, bedeutete in den meisten Fällen Tod durch Verhungern oder zumindest die Unmöglichkeit der Fortpflanzung. So lange der Vorteil, zusätzliche Arbeitskräfte zu beschäftigen, hauptsächlich auf jene Fälle beschränkt war, wo der Eigentümer der Werkzeuge im Wege der Arbeitsteilung eine höhere Arbeitsproduktivität erreichen konnte, gab es für eine Generation wenig Anreiz und kaum Möglichkeiten, jene zusätzlichen Werkzeuge anzuschaffen, die das Überleben einer größeren Anzahl von Menschen möglich gemacht hätte.
Erst als schließlich größere Gewinne durch die Verwendung von Maschinen die Möglichkeit und die Gelegenheit für Investitionen boten, ergab sich auch in größerem Umfange eine Chance zu überleben für jenen Teil der Bevölkerung, der in der Vergangenheit immer zu einem frühem Tod verurteilt war. Die Bevölkerungszahlen, die viele Jahrhunderte lang praktisch gleich hoch geblieben waren, begannen schnell zuzunehmen. Es war eine zusätzliche Bevölkerungsschicht, der durch die neuen Gegebenheiten des Anstellungsverhältnisses, die der Kapitalismus bot, ermöglicht worden war, heranzuwachsen. Daß das Aufkommen des Kapitals die Entstehung des Proletariates möglich machte, stimmt somit in dem Sinn, daß das Kapital die Produktivität der Arbeit steigerte, so daß eine viel größere Zahl derer, die von ihren Eltern nicht mit den notwendigen Werkzeugen ausgestattet worden waren, sich allein durch ihre Arbeit erhalten konnte; aber das Kapital mußte zuerst einmal da sein; und zwar bevor jene, die jetzt plötzlich überleben konnten, Ansprüche auf einen Anteil daran erheben würden. Obwohl es bestimmt nicht aus wohltätigen Motiven geschah, war es doch das erste Mal in der Geschichte, daß eine Gruppe von Leuten es in ihrem Interesse befand, ihr Einkommen in großem Maßstab dafür zu benutzen, neue Produktionseinrichtungen anzuschaffen, die von jenen bedient werden sollten, denen es unter anderen Umständen nicht möglichgewesen wäre, für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen.... </font>
Dies zur Erklärung.
Gruß
G.
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Jochen
12.12.2003, 21:02
@ Galiani
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Re: @Galiani |
-->Hallo Galiani,
Sie kennen sich mit Hayek sehr gut aus. Frage: inwieweit beruhen seine wirtschaftshistorischen Überlegungen auf tatsächlicher Forschung oder sind das eher Spekulationen? Ich habe da keine Kenntnisse.
Gruß
Jochen
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dottore
12.12.2003, 22:08
@ Galiani
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Re: @dottore: Obwohl ich jetzt natürlich inbrünstig an Ihre Machttheorie glaube... |
-->Hi Galinai,
>Das große ABER aber ist, daß freigelassene Bauern ohne Land und ohne Werkzeug natürlich noch schlechter dran sind als vorher; - das hat sich beispielsweise nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland sehr deutlich gezeigt!
Das ist nicht der Fall. Denn den jetzt freien Bauern muss der bisherige Leib-Herr ja einkaufen, also ihm Geld geben, damit er arbeitet. Wer sollte ihm sonst die Felder bestellen? Der Baron doch nicht selbst - oder?
Siehe die Studien zum Lollardenaufstand, der Jacquerie und den Folgen.
>Sooo gewinnen Sie das Argument nicht, verehrter dottore! Ihre freigelassenen Bauern ohne Boden würden glattweg verhungern müssen; - auch wenn sie"Tschüs, Herr Baron, auf Nimmerwiedersehen!" sagen und"ihre Scholle verlassen" dürfen.
Und was sagt der Baron?
Heult er in die verbliebenen Battist-Laken oder kauft er jetzt Lohnarbeiter am Markt ein?
>Überleben und so reichlich Nachkommenschaft zeugen, wie dies in Tat und Wahrheit der Fall war, konnten diese freigelassenen Bauern keineswegs dank der Segnungen Ihrer"Macht" (wie Sie es behaupten. - Eben!
Der Bauern wurde nicht wie ein überschüssiger Hund vom Hof geprügelt. Sondern es begann eine erbitterte Konkurrenz um ihn. Schließlich musste ja jemand die Ernte einbringen.
>Sie können an überhaupt nichts mehr anderes denken als an die"Macht" die interessante Tabelle von JoBar).
Ein Hof, mein Bester, kann nur eine bestimmte Zahl ernähren. Um die Zahl zu begrenzen, gab es das Ver-Sacrum-Phänomen (um Ostern mussten die überschüssigen Leiber weg, daher der Tanz um den Oster-Termin, allgemein bekannt, siehe die dann auftretenden Klostergründungen), es gab Bevölkerungsstabilisierungs-Bemühungen ("weise Frauen" = Verhütung = Kindstötungen en masse ="Hexen"-Verfolgungen, als Menschen als Waffe gebraucht wurden) und es gab die Möglichkeit, sich andere Gebiete einzuverleiben. Die Zeit war nicht gerade friedlich.
>Der Punkt jedenfalls ist, - ich wiederhole mich da:
>Anders als Sie (wenn auch sehr wortgewaltig) darlegen, hatte die ganz entscheidende Erscheinung der letzten drei- oder vierhundert Jahre, nämlich die ungeheure Vermehrung der Weltbevölkerung, die unsere heutige Welt vor allem prägt, mit Ihrer"Macht" oder einer"Zession der Macht" gar nichts zu tun!
Ihnen ist das Phänomen der"Freiheit" des Einzelnen völlig fremd. Diese Freiheit gab es nicht ex ante, sondern sie wurde gegen die, die Freiheit verhindernde, da die Menschen lieber selbst nutzende Macht erkämpft.
Ihre Freiheit, also die Verfügungsgewalt des Menschen über sich selbst, ist eine Zession der Macht, nichts anderes. Der erste USA-Botschafter, der bei Bismarck als preußischem MP aufkreuzte, war noch von Sklaven begleitet.
Ihre liebenswürdige Vorstellung, dass"alle Menschen" frei sind und dies auch von Anfang an UND durch alle Zeiten waren, ist falsch. Dies ist ein Konstrukt, das es überhaupt erst NACH der Befreiung gegeben hat. Warum denn"liberté" als FORDERUNG (!) in der Französischen Revolution, wenn es sich eh von selbst verstanden hätte?
Warum steht der Freiheitsartikel (jeder hat Eigentum an sich selbst) im GG der Deutschen VOR dem Eigentumsartikel (jeder kann Eigentum an Sachen haben)?
>Wenn überhaupt, so hat die Staatsmacht durch Kriege eher zu einer Dezimierung der Bevölkerung beigetragen, nicht etwa zu ihrer Vermehrung im Wege einer Ihrer ohnehin obskuren"Zessionen von Macht".
Ja, das ist Pech für die Macht. Es geht halt nix über Bevölkerungsmaximierung bzw. über die Maximierung der Machtmittel, welche die gegnerische Bevölkerung minimieren kann.
Das ist - im Ernst jetzt - das Problem der USA. Sie könnten mit ihren Waffen widerstandslos sämtliche Chinesen töten - aber sie"trauen" sich nicht. Was soll die Posste mit dem Irak? Eigene WMD flächendeckend einsetzen, und die irakische Bevölkerung existiert nicht mehr (sieh, was Athen mit den Meliern gemacht hat). War in Vietnam genau so: Den Norden flächendeckend nuken - und kein Hahn kräht mehr. Da waren eben Jungs wie Kublai Khan noch von rechtem Schrot und Korn.
>Diesen Sachverhalt wollte ich nur nochmals festgestellt haben. (Ich hab' nur nicht soviel Zeit und Energie wie Sie, meine Sache zu verteidigen!) Im übrigen aber glaube ich natürlich, wie gesagt, mittlerweile auch ganz, ganz fest an die"Machttheorie"...[img]" alt="[image]" style="margin: 5px 0px 5px 0px" />
Freut mich. Die Macht ist halt durch nichts zu toppen. Vorausgesetzt, sie wird nicht durch"humantätere" Überlegungen in ihrem Sturmlauf gebremst. Dass sie anschließend in sich selbst scheitert (die Galiani-Untertanen fallen weg) ist natürlich ebenfalls logisch.
Jedes Staat- und Machtsystem verliert zum Schluss seine"Untertanen" (Galiani). Ganz einfach, weil der von der Macht ausgeübte bewaffnete Zwang der menschlichen Natur widerspricht.
Und heute verliert die Staatsmacht ihre"Untertanen" (= Abgaben Leistende) schneller als je zuvor.
Gruß!
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Galiani
12.12.2003, 22:29
@ Jochen
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@Jochen Re: Hayek |
-->Hallo Jochen
In einem Gespräch mit dem Bruder Hayek's, mit dem ich in meiner Jugend auf einer Bergtour in der Nähe Innsbruck's zusammentraf, war der schon sehr früh hochbegabte Friedrich August ein unermüdlicher Forscher, der nur 3 Stunden Schlaf am Tag benötigte. Er habe niemals ein Wort zu Papier gebracht, das er nicht zuvor mit den größten Kapazitäten der Welt besprochen und durch kritisches Quellenstudium abgesichert hätte. Schon in frühen Jahren verfügte F.A. v. Hayek, ein entfernter Verwandter und Freund Wittgenstein's, über eine ziemlich große zum Teil sogar sehr wertvolle historische und ökonomische Bibliothek (die er bei seiner Übersiedlung nach London der soeben neu gegründeten BIZ in Basel verkaufte; vgl. Fußnote 5, S. 245, in Tabarelli, Ferdinando Galiani-Über das Geld, Düsseldorf 1999). Im Gegensatz zum schillernden Leben etwa eines Keynes oder Schumpeter, die stets von reichlich Glanz und Glitter umgeben waren, erscheint Hayek's Leben geradezu prototyphaft eintönig als das Leben des ernsthaften Wissenschaftlers, dessen Wort immer Hand und Fuß hat, wenn er es denn ergreift. Er hatte als Universitätslehrer zunächst in England an der LSE - zumal während des Weltkrieges - ja auch kaum Ablenkung und genügend Zeit zum Studium.
Neuerdings schreibt auch Hennecke's Biographie Hayek ein ungeheures Spezialwissen zu; nicht nur in der Ã-konomie, der Rechtswissenschaft und Soziologie, in jenen Materien also, die er studiert und in denen er an der Universität Prüfungen abgelegt hatte, sondern auch auf dem Gebiet der Psychologie, der Geschichte, der Biologie, Erkenntnisphilosophie, Politischen Wissenschaft und Methodologie. Sein umfassender Briefwechsel mit Milton Friedman, Fritz Machlup, Karl Popper, Eric Voegelin, der von ihm gegründeten"Mont Pèlerin Society", mit Konrad Lorenz und Karl von Frisch sowie vielen, vielen anderen und die 112 Boxen mit Hayek's Quellenstudien legen ein lebhaftes Zeugnis davon ab, daß es Hayek bei dem, was er dachte, niemals bei bloßen Spekulationen beließ.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage einigermaßen.
Gruß
G.
>Hallo Galiani,
>Sie kennen sich mit Hayek sehr gut aus. Frage: inwieweit beruhen seine wirtschaftshistorischen Überlegungen auf tatsächlicher Forschung oder sind das eher Spekulationen? Ich habe da keine Kenntnisse.
>Gruß
>Jochen
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Jochen
12.12.2003, 23:20
@ Galiani
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Re: @Galiani: Merci! (owT) |
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Galiani
13.12.2003, 11:08
@ dottore
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Wer denken kann, wird die Antwort darauf selbst finden! Ich spar' sie mir daher. (owT) |
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