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Ekkehard Jänicke 05.12.2003
Eine Nachlese zum CDU-Parteitag
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Wenn Jesus heute da wäre, würde er an der Seite der Leute von Attac stehen.
Heiner Geißler, früherer Generalsekretär der CDU
Logisch, nach Heiner Geißler wäre Jesus folglich am Rande des CDU-Parteitags bestenfalls zur Tempelreinigung erschienen, wenig erquicklich für fliegende Händler und Sponsoren. Nun, aber Jesus war mit Sicherheit nicht da, da er auch nicht gerufen oder angerufen wurde, sondern alle Litaneien galten einem neuen Herrn und nicht mehr dem noch nicht offiziell, aber inoffiziell mit diesem Parteitag abgelegten mit dem"hohen" C. Dem Mammon Opfergaben darzubringen galt die Show."Merkel wirbt für radikale Sozialreformen" (Süddeutsche Zeitung),"Merkel schwört CDU auf Kurswechsel ein" (Die Welt),"Merkel schwört CDU auf Reformkurs ein" (Frankfurter Rundschau) titelte der deutschen Blätterwald auf Seite eins. Angela Merkel hatte sich"drei Aufgaben" in Leipzig gestellt:"Erstens Wachstum, zweitens Wachstum und drittens Wachstum".
Eine feierliche Beerdigung im neuen Unionsritus ohne"C" erfuhren Sozialethik und Soziallehre, die doch in der Vergangenheit wenigstens bei neoliberalen Experimenten noch als abmildernder Balsam zur Anwendung kamen. Angela Merkel muss ab sofort keine Imageanleihen bei Mutter Theresa mehr nehmen, ohne"C" geht es auch und"Angela die Schreckliche" klingt wohl mehr nach Tatkraft und Entschlossenheit, nach Macherin als Alternative zum Macher.
Die von ihr innerhalb von zwei Monaten mit herzoglichem Hofstaat durch die CDU gedrückten Beschlüsse sind einfach und überzeugend. Rot-Grün nimmt Armen, Alten, Kranken und Arbeitslosen mit der"Agenda 2010" nach CDU-Überzeugung noch nicht ganz das letzte Hemd. Darum muss Angela ran, denn das Wachstum wäre höher und die deutsche Exportquote den USA und Japan noch weiter voraus, wenn man dem"sozialen Bodensatz" alles nähme. Auch die Rechnung ist einfach und bedarf keiner volkswirtschaftlichen Verifikation: Arme, sterbt früher, Rentner, Euch reicht eigentlich Sozialhilfe, Patienten, die Ihr zuviel kostet, legt Euch ins Sterbebett und Arbeitslose, für eine warme Suppe müsst Ihr künftig ordentlich Arbeitsdienst leisten.
Merkel hat gelernt, man kann nicht zwei Herren dienen, weg mit den Schnörkeln christlicher Sozialbetroffenheitslyrik oder gar den rhetorischen"Solidaritäts"- und"soziale Gerechtigkeits"-Schnörkeln, die SPD und Grüne zur Rechtfertigung um sozialen Kahlschlag winden. Angela die Schreckliche lieferte in Leipzig frei Haus das Programm des vollendeten Sozialdarwinismus.
Patriotismus als Akzeptanzmittel
Was war da dagegen schon ein Martin Hohmann mit seiner"jüdisch-bolschewistischen" Gruselshow und seiner"Gottlosen"-Beschwörung verglichen mit der Verurteilung einer einheitlichen Sozialversicherung durch"Angela die Schreckliche" als"Alptraum" oder gegen ihre logische Folgerung, die Gesundheit von Chef und Sekretärin sei gleich viel wert und daher seien auch die Kosten gleich? Endlich fordert jemand nicht nur das gleiche Recht für Arbeitslose und Millionäre, unter Brücken zu schlafen, sondern erweitert dies auf das gleiche Recht für alle Patienten, sich eine Chefarztbehandlung auf Privatstationen zu leisten. Es wird noch ein wenig dauern, bis die Wählerinnen und Wähler merken, was für Gaben diesmal von der CDU nicht mehr das Christkind, sondern Väterchen Frost auf den Gabentisch legen möchte.
Natürlich bedarf es für die Akzeptanz solch harter sozialer Einschnitte einer Gemeinsinnsideologie, zur Zeit"Patriotismus" genannt. Ohne solch ideologisches Mäntelchen des Zusammenhalts laufen sonst alle weg, die man noch braucht, die christlichen Fundamentalisten, die Nationalliberalen, die vaterländische Front mit ihren Scharnieren nach ganz Rechts usw.. Unver"blümt" geißlern sie wenigstens nicht und irgendwelche Werte müssen ja auch in der CDU noch Geltung behalten.
Die Debatte um den Fraktionsausschluss Hohmanns trübte, wenn auch im Mediengetöse weitgehend unbemerkt, vorübergehend das Klima beim CDU-Parteitag. Merkel hatte erneut dessen Fraktionsausschluss verteidigt und offenbar deshalb die Patriotismus- Debatte angestoßen. Bei der Entscheidung über Hohmann habe die CDU ihre"Grundwerte" als Maßstab angelegt, weshalb man so entscheiden musste. In der anschließenden Aussprache über die Merkel-Rede übte der nordrhein-westfälische Delegierte Leo Lennartz scharfe Kritik an dem Vorgehen, doch die Parteitagsregie in Zusammenspiel mit dem Dokumentationskanal Phönix ließ ihn wie einen unbedeutenden Pausenclown erscheinen, Beifall für ihn wurde einfach ausgeblendet.
Gegen Hohmann sei"ein Klima der Vorverurteilung" erzeugt worden, meinte Lennartz."Der Betroffene hatte nicht die Chance eines fairen Verfahrens." Während der Lennartz-Rede riefen mehrere Delegierte"Aufhören, Aufhören". In einer improvisierten Pressekonferenz sagte Lennartz, es gehe ihm nur um das Verfahren."Zur Sache habe ich auch eine Meinung, aber die sage ich hier nicht." Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende und CDU-Vize Jürgen Rüttgers entgegnete Lennartz mit einer bei CDU-Parteitagen selten erlebten Schärfe:"Gott sei Dank ist dies ihr letzter Parteitag", so Rüttgers,"ich will mit solchen Leuten wie Ihnen nicht in einer Partei sein."
Doch mit welchem Speck fängt man Mäuse, bleibt in der"Mitte" und integriert doch das rechte Spektrum, wenn auch nicht ein Fossil wie diesen Lennartz, verzichtet auf alte Grundwerte der Soziallehre/ Sozialethik, aber stützt sich gleichzeitig auf einen Grundwertekatalog, der eigentlich Sozialdarwinismus ebenso wenig sanktioniert wie Hohmanns Tiraden?
Das Zauberwort lautet"Patriotismus". Denn eine Nebelkerze wird immer gebraucht, die nur sichtbar macht, dass alle in einem Boot sitzen, aber unsichtbar lässt, wer rudern muss. Man denke an die historischen Vorbilder, Stichwort Sozialpartnerschaft und davor Volksgemeinschaft. Patriotismus ist ja auch flexibler und bei Bedarf wird der Begriff einfach ergänzt zu"Europatriotismus" und schon finden sich Argumente, warum auch eine einmal demokratische Türkei keinen Platz in der abendländischen Gemeinschaft habe.
Auch Schröder hatte ja den Patriotismus entdeckt. Merkel warf deshalb dem Bundeskanzler vor, den Patriotismus-Begriff umgedeutet zu haben. Aus der Sicht Schröders sei nur Patriot, wer seinen Reformen zustimme."Da kann er lange warten", kontert die CDU- Chefpatriotin."Für eine Partei wie die CDU gründet Patriotismus sich auf Geschichtsbewusstsein". Dabei ließ sie wohlweislich offen, ob, wenn es nicht das Geschichtsbewusstsein des Herrn Hohmann mehr sein darf, soll es dann nun das der Frau Steinbach sein oder gar das der CDU-Geschichtsprofessoren Hornung oder Knütter? Ihr Vize Rüttgers meinte, es sei"höchste Zeit", diese Debatte zu beginnen und damit war sie, zumindest auf dem Parteitag der Einheit und Geschlossenheit, auch schon beendet.
Nach CDU-Chefin Angela Merkel fordert nun wie immer im Nachtrab der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle ebenfalls eine Patriotismus-Debatte ein. Das Thema müsse"aus der miefigen und muffigen Ecke raus". Wie kann er und will der FDP-Vorsitzende auch nicht sagen und beschrieb seine Vorstellung von Patriotismus als"eine Mischung aus Zuneigung zur Gesellschaft, in der man lebt, Verbundenheit mit der Heimat und einer gehörigen Portion Verantwortung gegenüber dem Staat".
Ab und zu ein Bauernopfer wie Hohmann
Blickt man in die Foren von CDU oder FDP oder legt sein Ohr an die Mitgliedschaft beider Parteien, dann wird deutlich, in Union wie FDP geht die Angst um, der nicht unbedeutende rechte Rand beider Parteien könnte sich zu einer neuen Partei formieren, in der Hohmänner ebenso ihren Platz haben wie die Rechtsaußen der CDU um Steinbach oder Knütter oder die Rechtsaußen in der FDP wie Ex-Bundesanwalt von Stahl und Ex-Konkretchef Röhl.
Seit Jahren kommt es immer mal wieder zu Vorfällen wie dem Fall Hohmann bei der CDU oder dem Fall Möllemann bei der FDP. Einzelne werden gegangen, doch die Karawane zieht mit den stramm rechten Flügeln weiter, man braucht sie ja noch. Der Einschätzung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, wonach in der CDU ein"gewisser Bodensatz an unbelehrbaren Nationalkonservativen oder fast Rechtsradikalen" existiere, stimmt CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer nur begrenzt zu und eine Volkspartei wie die CDU habe die Aufgabe,"auch am rechten Flügel des politischen Spektrums alle anzusprechen", so zu hören bei Phönix und nicht nur im Focus zu lesen.
Meyer will weiter auch jene mitzunehmen,"die eben noch in der Lage sind, demokratische Parteien zu wählen". Damit lässt sich summieren, weder CDU noch FDP haben aus dem Debakel gelernt. Wieder versuchen sie mit Patriotismusrhetorik auszusitzen. Die Strategie der Parteien ist ebenso wenig neu wie die ihrer Parteirechten. Die Parteien schielen auf den rechten Wähleranteil und die Parteirechten erhoffen sich durch ihre Scharnierfunktion die Stärkung ihres Einflusses durch Druck von Rechtaußen auf die Parteien. Ab und zu ein Bauernopfer wie Hohmann, aber weiter wie bisher.
Erika Steinbach bereits 1996 im Interview in Der Selbständige (1/1996 S.9):
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Der Selbständige: Die FDP kämpft ums Überleben: Wäre es daher aus Ihrer Sicht nicht angezeigt. Wenn sich in Deutschland eine demokratisch legitimierte Rechtspartei bildet?
Erika Steinbach: Ich halte nichts davon, wenn sich rechts von der Union eine neue Partei gründet. Und von Koalitionen in diese Richtung halte ich auch genauso wenig wie von Koalitionsgedanken in Richtung Grüne. Beide Koalitionsarten wären für die CDU absolut tödlich und eine Zerreißprobe erster Ordnung. Nach meiner Auffassung würde die CDU an solchen Bündnissen zerbrechen. Erfolgsversprechender wäre schon, wenn die FDP, deren linksliberalen Positionen von den Grünen und der SPD abgedeckt werden und deren wirtschaftliche Zielvorstellungen zum größten Teil von der Union vertreten werden, wenn sich diese Partei wieder zurück auf ihre Wurzeln besinnt und dem nationalliberalen Bürger wieder eine Heimat bietet. Daher ist der Weg, den Alexander von Stahl oder Rainer Zittelmann gehen wollen, für die FDP die einzige Überlebensmöglichkeit, die ich sehe.
Ob jedoch sich die rechten Seilschaften nach dem Zuspruch, den sie an der Basis von CDU/CSU und FDP nach Hohmanns Rede fanden, davon abhalten lassen, sich nun neu zu formieren, bleibt fraglich. Man hat publizistisch Einfluss und sammelt weiter Gefolgsleute, über 5000 sollen es schon sein, die den Solidaritätsaufruf unterzeichnet haben.
Die scheinbare Geschlossenheit der CDU, wie sie sich in Leipzig zeigte, steht auf wackligem Boden und scheint schon zwei Tage nach Leipzig dahin, auf der Linken murren die Sozialausschüsse auf, ermuntert von Geißler und andern. Bricht auch der rechte Flügel teilweise weg, wie dieser Appell an der Hohmann-Solidaritätsfront deutlich zu machen scheint, was bleibt dann noch von CDU, mal ganz davon abgesehen, wie der Bruderkampf zwischen CDU und CSU künftig ausgetragen wird. Die"Zerreißprobe erster Ordnung", von der Frau Steinbach schon 1996 sprach, erscheint weder für die Unionsparteien, noch für ihre FDP-Vasallen wirklich abgewendet.
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