--> SPIEGEL ONLINE - 19. Dezember 2003, 11:54
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CIA-Verhör-Methoden
Wie Saddam im"Hotel California" behandelt wird
Von Alexander Schwabe
US-Präsident Bush sagt:"In diesem Land wird nicht gefoltert." Doch viele der wichtigsten Terror-Verdächtigen und Kriegsgefangenen hält die amerikanische Regierung außerhalb ihres Territoriums. Die Geheimdienstler des CIA haben feine Methoden entwickelt, um Gefangene wie den irakischen Ex-Diktator mürbe zu machen: Folter light.
DDP
Saddam nach seiner Festnahme: Wie stark ist sein innerer Widerstand?
Er sah sich als Löwe von Bagdad, als Erbe Nebukadnezars und Saladins. Nun ist aus dem Löwen in den Augen der Welt eine Ratte geworden, eine Natter, die sich in einem Erdloch versteckte und die Waffen streckte, als man ihr auf den Schwanz trat.
Saddam Hussein, einer der gefürchtetsten Tyrannen dieser Welt, hat alles verloren: seine Rolle als Führer, seine Familie, seine Bataillone, die Furcht seiner Untergebenen, die Macht. Doch haben die Ermittler der CIA leichtes Spiel, wenn sie Informationen über den Verbleib von Massenvernichtungsmitteln oder über den irakischen Widerstand aus ihm herauspressen wollen?
Oder aber hängt Saddam weiter seiner fixen Idee nach vom omnipotenten panarabischen Fürsten? Wird er die Fragen der Amerikaner mit Verachtung strafen oder sich - wie bisher - in absurde Phrasen flüchten, wenn er mit seinen Gräueltaten konfrontiert wird? Welche Methoden die Amerikaner bei den Verhören Saddams anwenden, hängt davon ab, wie viel Kraft Saddam noch haben wird, um dem Feind in Gefangenschaft stand zu halten.
AP
George W. Bush:"In diesem Land wird nicht gefoltert"
Pentagon-Chef Donald Rumsfeld beteuert, dass Saddam eine"humane Behandlung im Sinne der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen erfahren wird". Doch der Status eines"POW" (prisoner of war) ist ihm offiziell noch nicht zugestanden worden. Folter, antwortet Rumsfeld empört, werde es natürlich nicht geben."Wir tun so etwas nicht." Und auch George W. Bush hat sich mehrfach von fragwürdigen Verhörmethoden distanziert."Dieses Land foltert nicht", sagte er. Doch was versteht der amerikanische Präsident unter Folter?
Folter light
Das Mittelalter entwickelte drei Grade der Folter, um Geständnisse zu erzwingen oder Informationen herauszuquetschen. Im Unterschied zu den Folterknechten Saddam Husseins ist bei den Amerikanern nicht davon auszugehen, dass sie zu Folterleiter, Elektroschocks, Daumen- und Beinschrauben oder ähnlich barbarischen Marterinstrumenten greifen. Doch es gibt verfeinerte Methoden, die keine bleibenden körperlichen Schäden hinterlassen - und dennoch grausam sind: Folter light.
Als ein amerikanisch-pakistanischer Suchtrupp dieses Frühjahr den mutmaßlichen Architekten der Terroranschläge auf das World Trade Center, Chalid Scheich Mohammed, in Rawalpindi aufspürte, wurde der al-Qaida-Führer nach allen Mitteln der Verhörkunst vom CIA weich gekocht. Die anerkannte US-Zeitschrift"The Atlantic Monthly" beschreibt in ihrer Oktoberausgabe die Behandlung des Scheichs in US-Gefangenschaft.
Demnach versuchte die CIA, ihm das Leben so unangenehm wie möglich zu machen - nicht durch extremen Schmerz, sondern mit Methoden, die die Identität der Person beschädigen. Gefangene von schwerem Kaliber wie Scheich Mohammed oder Saddam werden an einen unbekannten Ort gebracht. Im CIA-Jargon werden diese Plätze Hotel California genannt.
Das Hotel California, ein Ort ohne Raum und Zeit
Ein Hotel California ist für den Gefangenen ein Ort ohne Raum und Zeit. Er verliert dort die Grundfesten seiner Orientierung. Während des Transports hat er eine Augenbinde oder ein Tuch überm Kopf, so dass er nicht weiß, wo er sich befindet. Durch unregelmäßigen Schlaf und einen ständigen Wechsel von grellem Licht, Dunkelheit und Beschallung mit verschiedenen Geräuschen verliert der Gefangene das Gespür für die Zeit.
Die gewöhnlichen Verrichtungen des Tages geraten in der Isolation völlig durcheinander: Mal gibt es zu Trinken, mal nicht, mal gibt es zu Essen, mal nicht, mal mehr, mal weniger, meistens kein gutes. Mal ist es warm in der Zelle, mal kühl, mal ist es trocken, mal nass, mal ist es sauber, mal schmutzig - der Gefangene verliert alle Maßstäbe.
AP
Chalid Scheich Mohammed: Von der CIA weich gekocht
Weigert er sich weiter, Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, droht dem Gefangenen die nächste Stufe des Einschüchterns und gefügig Machens. Seine eigene Zukunft oder die ihm nahe stehender Personen sei gefährdet, wenn er nicht kooperiere, wird ihm angedroht. Er selbst - von der Außenwelt abgeschnitten - erfährt immer weniger, die Ermittler immer mehr über ihn. So überraschen sie ihn mit Details aus seinem Leben, die ihn verunsichern. Ständig überwachen Kameras den Inhaftierten, Mikrofone übertragen jedes Wort, jedes Geräusch aus seiner Zelle.
Kälte, Hunger, Nässe schwächen das Durchhaltevermögen
Die CIA hat Hotels vom Typ California in aller Welt eingerichtet. Das wohl bekannteste steht auf Kuba in Guantanamo Bay. In befreundeten Entwicklungsländern können die Fragesteller die Zügel weiter anziehen als in den USA, so etwa auf der Bagram Airbase bei Kabul. Die"New York Times" berichtete, dass die mutmaßlichen Top-Terroristen Ramsi Binalschib und Abu Zubeida für eine gewisse Zeit in Thailand intensiv verhört wurden.
AP
US-Stützpunkt Guantanamo Bay: Hotel California auf Kuba
In Dritte-Welt-Ländern kann es nach Angaben des"Atlantic Monthly" vorkommen, dass die Verdächtigen von der CIA nackt in den Zellen gehalten werden. Die Räume sind bisweilen so niedrig, dass ein Erwachsener darin nicht aufrecht stehen kann. Oder er wird gezwungen, in unbequemen Sitz- oder Liegepositionen zu verharren. Kälte, Hunger, Nässe schwächen die Durchhaltekraft der Gefangenen systematisch.
Die Ermittler versuchen den Gefangenen verrückt zu machen, indem sie das für den Menschen typische Bestreben, Routine zu entwickeln, ständig torpedieren. Ihre Befragungen variieren in Länge, Lautstärke und Tonfall. Wie aus Krimis bekannt, greifen die Verhör-Experten zur Methode"good cop - bad cop". Einer versucht das Vertrauen des Inkriminierten zu gewinnen, indem er nett zu ihm ist, während der andere versucht, ihm die Hölle heiß zu machen -"grilling" nennt sich das."Es ist wichtig, sein Vertrauen zu erschüttern, und ihn von mindestens einer Person abhängig zu machen", wird ein früherer hoher Beamter der CIA im"Sydney Morning Herald" zitiert. Auch gewisse Pillen führen dazu, dass der Redefluss ansteigt.
Das gelbe Telefonbuch für Saddam
DPA
Einer der Paläste Saddams: Spiegelbild seines Egos
Saddam ist bereits ins Kreuzverhör genommen worden und wird weiter verhört. Nach Angaben von US-Regierungsbeamten hatten die Ermittler seit langem ein"gelbes Telefonbuch" vorbereitet, in dem die Fragen an Saddam stehen.
Zu welchen Verhörmethoden die CIA beim Diktator aus Bagdad genau greift, ist nicht bekannt. Ex-Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke sagt:"Jeder Fall liegt anders. Wir müssen uns bei unseren Verhörtechniken an der jeweiligen Persönlichkeit orientieren." Deren frühere Verhaltensmuster und die derzeitige Verfassung spielten eine Rolle.
Der Republikaner Porter Goss, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Abgeordnetenhauses, sagt, während der ersten Vernehmungstagen gelte es, herauszufinden, wie sich Saddam selbst wahrnehmen wird."Erst danach wird ausgearbeitet, wie eine Atmosphäre geschaffen kann, die ihn zum Reden ermuntert", sagt Goss.
Dafür gibt es ein Expertenteam von Psychologen, das den"Saddam von früher" studiert hat und seine einstigen Verhaltensmuster mit den derzeitigen vergleichen soll. Untersucht wird etwa die Frage, warum der Ex-Diktator ohne Gegenwehr aufgab anstatt sich töten zu lassen oder sich selbst zu erschießen.
Saddams aufgeblähtes Ego
Zu den Kennern der Verhaltensmuster Saddams gehört der frühere CIA-Profiler Jerrold Post. Dem Despoten von Bagdad sei es gelungen, das seit Kindertagen verletzte Selbst mit Macht, Ruhm und Reichtum zu überdecken, sagte er vergangenen Juni gegenüber SPIEGEL ONLINE. Die Prachtbauten Bagdads spiegelten Saddams aufgeblähtes Ego wider - den Bildern von seiner Gefangennahme nach zu schließen scheint es jedoch geschrumpft wie ein verschrumpelter Luftballon.
Dennoch rät Psychiater Post, an Saddams Eitelkeit und dessen übersteigertes Ich-Gefühl zu appellieren. Vielleicht könne man ihn dazu bringen, damit zu protzen, wie er die Waffeninspektoren an der Nase herumgeführt hat.
Die Prozedur hat begonnen. Ein amerikanischer Regierungsbeamter sagt:"Für Saddam wird es wahrscheinlich bald kaum noch einen Unterschied zwischen Tag und Nacht geben." US-Regierungsbeamte sagen freilich auch, es würden nur Techniken angewandt, die"internationalen Bestimmungen" standhielten.
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Zum Thema:
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