Zandow
03.01.2004, 23:23 |
Zur Macht- und Gewalttheorie: Die Himmelsscheibe von Nebra Thread gesperrt |
-->Hallo Allerseits,
Im Jahr 1999 wurden von Raubgräbern auf dem Mittelberg bei Nebra aus einer Steinkammer eine Bronzescheibe mit Goldeinlagen, zwei Bronzeschwerter, ein Meißel und zwei Beile sowie Armspiralen geborgen.
Die Scheibe zeigt eine Darstellung des Himmels. Zu sehen sind Halbmond, Vollmond (eher unwahrscheinlich die Sonne), Sterne (Sternbilder), zwei Horizontbögen (einer fehlt) und ein Schiff.
Die Herstellung der Scheibe wird auf ca. 1800 bis 1600 BC datiert und weist sowohl im Material als auch der Verarbeitung eine hohe Qualität auf.
Mit Hilfe der Horizontbögen ist eine genaue Datierung im Jahresverlauf möglich. Richtet man den rechten Rand des am Vollmond liegenden Bogens auf den Brocken, welcher genau den Punkt des Sonnenuntergangs zur Sommersonnenwende zeigt, so weist der linke Rand genau auf den Punkt des Sonnenuntergangs zur Wintersonnenwende. Die Mitte beider Punkte zeigt genau in Richtung Westen.
Das Sternbild der Plejaden, bestehend aus sieben Sternen, zeigt den Beginn der Saat (9. März) und das Ende des landwirtschaftlichen Jahres an.
Bei der Scheibe könnte es sich also um eine Art landwirtschaftlichen Jahreskalender gehandelt haben.
Dieser Ansicht sprechen jedoch zwei Dinge entgegen:
A)
Für den bäuerlichen Ablauf im Jahreszeitraum (Ackerbau wird in Mitteleuropa seit Ende der Altsteinzeit betrieben) war ein so aufwendig gestalteter Zeitmesser nicht notwendig. Das Wissen um die Zeitpunkte zu Saat und Ernte war seit vielen Tausenden Jahren bekannt.
B)
Die beigelegten Schwerter deuten eher auf eine Verbindung der Scheibe zu einer regionalen Macht hin.
Somit könnte die Scheibe von den damaligen Priestern zur Bestimmung der Termine von religiösen Festen benutzt worden sein. Und solche Feste waren schon immer der Termine von Abgaben und Opferungen. Es spricht also zunächst nichts dagegen, daß sich die Scheibe wunderbar in die Macht- und Gewalttheorie einfügt.
Über die Herkunft und den Verbleib der Menschen oder des Volkes, welche die Scheibe wahrscheinlich über mehrere Generationen benutzt haben, gibt es keine Hinweise. Überregionale Machtzentren zu dieser Zeit konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Die Struktur Mitteleuropas bestand aus eher kleinen und weit verstreuten Dörfern. Der unterbliebene Aufbau von Machtzentren und deren zwingend notwendige Befestigung scheinen ein Grund für das Verschwinden der die Scheibe benutzenden Menschen zu sein. Ob das durch innergesellschaftliche Konflikte oder Kriege geschah, wissen wir nicht.
Soviel erstmal zur Himmelsscheibe von Nebra. Bin sehr gespannt auf weitere Erkenntnisse dazu.
Herzliche Grüße an Alle, Zandow
<ul> ~ Hier ein Bild der Scheibe</ul>
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bernor
04.01.2004, 16:13
@ Zandow
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Re: Zur Macht- und Gewalttheorie: Die Himmelsscheibe von Nebra |
-->Hi Zandow,
Im Jahr 1999 wurden von Raubgräbern auf dem Mittelberg bei Nebra aus einer Steinkammer eine Bronzescheibe mit Goldeinlagen, zwei Bronzeschwerter, ein Meißel und zwei Beile sowie Armspiralen geborgen.
Die Scheibe zeigt eine Darstellung des Himmels. Zu sehen sind Halbmond, Vollmond (eher unwahrscheinlich die Sonne), Sterne (Sternbilder), zwei Horizontbögen (einer fehlt) und ein Schiff.
Die Herstellung der Scheibe wird auf ca. 1800 bis 1600 BC datiert und weist sowohl im Material als auch der Verarbeitung eine hohe Qualität auf.
Mit Hilfe der Horizontbögen ist eine genaue Datierung im Jahresverlauf möglich. Richtet man den rechten Rand des am Vollmond liegenden Bogens auf den Brocken, welcher genau den Punkt des Sonnenuntergangs zur Sommersonnenwende zeigt, so weist der linke Rand genau auf den Punkt des Sonnenuntergangs zur Wintersonnenwende. Die Mitte beider Punkte zeigt genau in Richtung Westen.
Das Sternbild der Plejaden, bestehend aus sieben Sternen, zeigt den Beginn der Saat (9. März) und das Ende des landwirtschaftlichen Jahres an.
Bei der Scheibe könnte es sich also um eine Art landwirtschaftlichen Jahreskalender gehandelt haben.
Dieser Ansicht sprechen jedoch zwei Dinge entgegen:
A)
Für den bäuerlichen Ablauf im Jahreszeitraum (Ackerbau wird in Mitteleuropa seit Ende der Altsteinzeit betrieben) war ein so aufwendig gestalteter Zeitmesser nicht notwendig. Das Wissen um die Zeitpunkte zu Saat und Ernte war seit vielen Tausenden Jahren bekannt.
B)
Die beigelegten Schwerter deuten eher auf eine Verbindung der Scheibe zu einer regionalen Macht hin.
Somit könnte die Scheibe von den damaligen Priestern zur Bestimmung der Termine von religiösen Festen benutzt worden sein. Und solche Feste waren schon immer der Termine von Abgaben und Opferungen. Es spricht also zunächst nichts dagegen, daß sich die Scheibe wunderbar in die Macht- und Gewalttheorie einfügt.
Stimmt, siehe auch die jahrhundertelangen Streitigkeiten um den"richtigen" Osterfesttermin.
Über die Herkunft und den Verbleib der Menschen oder des Volkes, welche die Scheibe wahrscheinlich über mehrere Generationen benutzt haben, gibt es keine Hinweise. Überregionale Machtzentren zu dieser Zeit konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Die Struktur Mitteleuropas bestand aus eher kleinen und weit verstreuten Dörfern. Der unterbliebene Aufbau von Machtzentren und deren zwingend notwendige Befestigung scheinen ein Grund für das Verschwinden der die Scheibe benutzenden Menschen zu sein. Ob das durch innergesellschaftliche Konflikte oder Kriege geschah, wissen wir nicht.
Soviel erstmal zur Himmelsscheibe von Nebra. Bin sehr gespannt auf weitere Erkenntnisse dazu.
Rätselhaft erscheint zunächst, warum diese Scheibe, wenn sie denn über mehrere Generationen benutzt wurde, überhaupt jemandem mit ins Grab gelegt wurde - brauchte"man" sie nicht mehr?
Denkbar ist, daß der Stamm ausgewandert ist und die Scheibe seinem letzten Fürsten mit ins Grab gelegt hat, weil die Fixierung auf einen bestimmten Landschaftspunkt andernorts keinen Sinn macht.
Andere Möglickeit: die Scheibe war ein"Unikum", auf einen einzigen Machthaber"zugeschnitten", der damit die"kalendarische Ortung" zwecks Abgabetermin-Festsetzung als Monopol seiner Macht betrieb - welches daher mit seinem Tode erlosch, ohne von (s)einem Nachfolger übernommen zu werden. Dieser konnte ja auch andere Termine setzen bzw. Verfahren anwenden.
Bis heute ist es ja so, daß Abgabetermine nicht durch"allgemeine Übereinkunft","verbindliche Regeln" o. ä., sondern durch den/die Machthaber festgesetzt werden. Die Bindung an irgendwelche"Fixpunkte" (Ernte, Plejaden, Vollmond etc., siehe auch Ostertermin) ist nur vorgeschoben, zumal gelegentlich ungenau, und damit letztendlich willkürlich.
Herzliche Grüße an Alle, Zandow
Herzliche Grüße zurück
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Zandow
04.01.2004, 16:47
@ bernor
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Kein Grab |
-->Hallo bernor,
>Rätselhaft erscheint zunächst, warum diese Scheibe, wenn sie denn über
>mehrere Generationen benutzt wurde, überhaupt jemandem mit ins Grab gelegt
>wurde - brauchte"man" sie nicht mehr?
In der Steinkammer wurden nur diese Gegenstände gefunden, aber keine Leichen. Es handel sich also nicht um ein Grab, sonder die Sachen sind einfach nur vergraben worden. Hatte vergessen, dies zu erwähnen.
>Denkbar ist, daß der Stamm ausgewandert ist und die Scheibe seinem letzten
>Fürsten mit ins Grab gelegt hat, weil die Fixierung auf einen bestimmten
>Landschaftspunkt andernorts keinen Sinn macht.
Ja, die Scheibe machte nur an diesem Ort Sinn und eine Deponierung an diesem Ort scheint also zweckmäßig.
Was aber höchst verwunderlich ist, sind die beigelegten Schwerter. Diese geben einen Hinweis auf die Existenz eines Herrschers (Priester oder so ähnlich). Sind die Schwerter weg, ist der Herrscher weg. Mysteriöse Sache das und sehr spannend.
Der Mittelberg (Fundort) ist übrigens einige Zeit später (Eisenzeit) mit einer Steinmauer eingefasst worden.
Einen schönen Sonntag, Zandow
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