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Mzoudi-Prozess
Der geheimnisvolle Zeuge
Bestimmt hatte sich der Marokkaner Abdelghani Mzoudi auf den 22. Januar gefreut. Alles deutete bis Mittwochmittag daraufhin, dass der Tag der Urteilsverkündung im zweiten Hamburger Terrorprozess für den Angeklagten ein Feiertag werden würde. Die meisten Beteiligten rechneten für (den morgigen) Donnerstag mit einem Freispruch des 31-Jährigen. Doch der an Überraschungen so reiche Prozess um die Anschläge vom 11. September geht in die Verlängerung: Das Urteil wurde verschoben. Grund ist ein geheimnisvoller Zeuge, den die Bundesanwaltschaft am Mittwoch aus heiterem Himmel ankündigte.
Überraschend auf freien Fuß gesetzt
Eigentlich hatte die Anklageseite diesen Prozess schon verloren gegeben - darauf deutete zumindest ihr Schlussplädoyer hin, das gespickt war mit bitteren Vorwürfen gegen den Vorsitzenden Richter Klaus Rühle. Der hatte Mzoudi, dem die Anklage Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft, am 11. Dezember überraschend auf freien Fuß gesetzt. Einen Tag vor dem als sicher geltenden Freispruch hat die Bundesanwaltschaft jetzt das Prozessende erneut hinausgezögert. Nach Angaben des Gerichts beantragte sie eine 30-tägige Prozesspause, um die Glaubwürdigkeit eines neuen Zeugen zu prüfen.
Die Geschichte dieses Zeugen, dem die Bundesanwaltschaft Vertraulichkeit zusicherte, klingt mehr als abenteuerlich: Nach Informationen der Verteidigerin Gül Pinar behauptet der Mann, iranischer Auslandsspion gewesen zu sein und schon vor dem 11. September von den Anschlagsplänen gewusst zu haben. Demnach erklärte der Zeuge vor zwei Tagen in seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft, das Terrornetzwerk El Kaida wolle Mzoudi"liquidieren", weil es dessen Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden vermute.
Nebenklage spricht von einer"Sensation"
Aus Telefonaten mit Iran will der Zeuge offenbar wissen, dass Mzoudi sich mit Codes gut auskenne und daher für Informationsaustausch zuständig gewesen sein soll. Außerdem habe der Zeuge erklärt, schon vor den Anschlägen vom 11. September versucht zu haben, die amerikanischen Behörden zu warnen. Er sei aber nicht ernst genommen worden. Nebenklage-Anwalt Ulrich von Jeinsen wertete das Auftauchen des Mannes als"Sensation". Erstmals gebe es einen Zeugen, der von der direkten Einbindung Mzoudis in die Anschlagsplanungen spreche.
Ob das Gericht der Bundesanwaltschaft die 30-Tages-Frist gewährt, ist noch unklar. Um Näheres über den Zeugen zu erfahren, lud Rühle für (den morgigen) Donnerstag zunächst zwei Vernehmungsbeamte als Zeugen. Auch ein Bundesanwalt muss um 14.00 Uhr in den Zeugenstand. Erst danach will das Gericht entscheiden, ob es dem Antrag der Bundesanwaltschaft stattgibt. Möglich ist also auch, dass das Urteil lediglich auf den 29. Januar verschoben wird - der selbe Tag übrigens, an dem der Bundesgerichtshof sich mit der Revision im Fall Mounir El Motassadeq beschäftigen will. Der Landsmann Mzoudis war vor einem Jahr wegen der gleichen Vorwürfe zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.
Der neue Zeuge bedeutet nicht die erste überraschende Wende im Mzoudi-Prozess. Vor dem 11. Dezember hatte Rühle sich während der Verhandlungen noch weitgehend den Auffassungen der Bundesanwaltschaft angeschlossen, während die Verteidigung mit eigenen Anträgen regelmäßig scheiterte. Bis ein"Behördenzeugnis" des Bundeskriminalamtes mit einer anonymen Zeugenaussage auftauchte: Der Zeuge, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um den mutmaßlichen Terrorplaner Ramzi Binalshibh handelte, erklärte, außer ihm und den drei Todespiloten habe niemand zur Hamburger Terrorzelle gehört. Rühle wertete das als entlastend und hob den Haftbefehl auf.
"180-Grad-Wende" des Gerichts
Eine"180-Grad-Wende" habe das Gericht damals hingelegt, kritisierte Bundesanwalt Walter Hemberger in seinem Schlussplädoyer. Die Argumente für die Freilassung seien aber lediglich Spekulationen. Binalshibh habe gelogen, um seine Freunde zu schützen. Echte Beweise für Mzoudis Schuld konnte die Anklage aber bis zu ihrem Schlussplädoyer kaum vorbringen. Die Bundesanwaltschaft sprach stattdessen von einer ausreichenden Indizienkette, die ein stimmiges Gesamtbild ergebe.
Dagegen betonte die Verteidigerin Gül Pinar in ihrem Plädoyer:"Abdelghani Mzoudi gehörte zu den Studenten um Mohammed Atta. Er hat sich auch in Afghanistan aufgehalten - mehr nicht". Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Terroranschläge in Afghanistan und nicht in Hamburg geplant worden seien."Das Mosaik passt nicht zusammen", betonte Pinar. Mzoudis anderer Verteidiger Michael Rosenthal erklärte, die Bundesanwaltschaft habe außer Mutmaßungen und gewagten Interpretationen keinerlei Beweise bieten können.
In buchstäblich letzter Minute könnte der neue Zeuge das ändern.
Lisa Arns
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SPIEGEL ONLINE - 21. Januar 2004, 15:45
URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,282836,00.html
Hamburger Terrorprozess
Neuer Zeuge verzögert Urteilsspruch
Von Matthias Gebauer
Überraschung beim Hamburger Terrorprozess: Die für heute erwartete Urteilsverkündung gegen den mutmaßlichen Terrorhelfer Abdelghani Mzoudi wurde verschoben. Ein mysteriöser Zeuge ist aufgetaucht, der den Angeklagten belastet. Der Prozess geht wieder in die Beweisaufnahme.
Hamburg - Das Fax kam kurz vor der Verhandlung. Vollkommen unerwartet und unangekündigt teilten die Strafverfolger der Karlsruher Bundesanwaltschaft mit, man möge den Prozess doch bitte um 30 Tage unterbrechen. Der Grund: Ein neuer Zeuge sei aufgetaucht. Im Anhang dazu sandten die Ankläger quasi als Vorgeschmack schon mal 30 Seiten Material aus den bisherigen Aussagen eines Iraners, der nun den ganzen Prozess noch einmal wenden könnte.
Mit der neuen Entwicklung ist der alte Zeitplan des Gerichts vorerst vom Tisch. Offiziell teilte der Senat nur eine Stunde nach Eingang des Faxes mit, die geplante Urteilsverkündung für den Donnerstag sei verschoben. Auf Antrag der Bundesanwaltschaft werde der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts nun erneut in die Beweisaufnahme eintreten. Eine Gerichtssprecherin teilte mit, dem Gericht sei am Morgen ein"umfängliches Protokoll vom 19. Januar" über die Vernehmung eines Zeugen zugesandt worden, das den Angeklagten Mzoudi belaste.
Damit könnte der Prozess eine neue Wendung nehmen. Die Bundesanwälte ermittelten einen Mann, der von sich selbst behauptet, lange Jahre ein ranghohes Mitglied des iranischen Geheimdienstes gewesen zu sein. In dieser Funktion habe er bereits im Vorfeld von der Planung zum 11. September erfahren, mehrere al-Qaida-Chefs in Iran gesehen und auch einige der Todespiloten aus Deutschland namentlich gekannt. Bisher kennt zwar nur die Bundesanwaltschaft den Namen des Mannes, doch der will unter Wahrung seiner Anonymität vor Gericht aussagen.
Zeuge: Iran war aktiv am 11. September beteiligt
Laut Vernehmungsprotokoll behauptet der Geheimdienstler, Iran sei aktiv an der Planung des 11. Septembers beteiligt gewesen; er erwähnt ab Seite elf des Protokolls auch den Namen Mzoudis mehrmals. Von befreundeten Iranern innerhalb des Geheimdienstapparats habe er erfahren, dass der Angeklagte nach seiner Freilassung im Dezember 2003 von Terroristen umgebracht werden sollte. Der Grund: In Iran vermute man, Mzoudi arbeite mit westlichen Geheimdiensten zusammen oder solle durch seine Freilassung ausspioniert werden.
Aus Sicht der Bundesanwälte belegt die Aussage erneut, dass Mzoudi sehr wohl Mitglied der Hamburger Zelle gewesen sein muss und deshalb als Geheimnisträger und potenzieller Verräter liquidiert werden soll. Auch andere Aussagen des neuen Zeugen belasten Mzoudi schwer. So berichtet er, dass er den Namen Mzoudi als Verantwortlicher für die Logistik des 11. Septembers gehört habe. Der Marokkaner sei für den"Entwurf und die Entsendung von Informationen an Verbindungsleute" zuständig gewesen,"da er sich mit Codes gut auskannte".
Besonders diese Aussage passt perfekt in das von der Anklage entworfene Bild, wonach Mzoudi der Mann im Hintergrund der Terrorzelle sei. Immer wieder hatten die Bundesanwälte ein Puzzle von vielen kleinen Hilfeleistungen vor Gericht vorgetragen, um Mzoudis Schuld zu beweisen. Allerdings kann der Zeuge seine Behauptung bisher weder belegen noch konkretisieren. Er sagt lediglich, dass er diese Informationen von einem Mann habe, der"ganz oben" im iranischen Geheimdienst angesiedelt sei.
Richter Rühle will Glaubwürdigkeit des Zeugen prüfen
Schwierig dürfte es für die Ankläger werden, die Glaubwürdigkeit des neuen Zeugen zu untermauern. Zwar beteuert der immer wieder, dass seine Person bei Geheimdiensten wie zum Beispiel dem BND bekannt sei und dass er deshalb nicht öffentlich vor Gericht aussagen wolle. Doch ob sich die Richter auf das Argument einlassen, ist fraglich. Im Wirrwarr der internationalen Geheimdienste ist die Wahrheit vor lauter verschiedenen Interessen und dem stets vorhandenen Wunsch nach Quellenschutz nur schwer herauszufiltern.
Zuerst einmal will sich der Vorsitzende Richter Klaus Rühle ein Bild von dem neuen Zeugen machen. Per Vorladung bestellte er die beiden Kommissare vom Bundeskriminalamt (BKA) nach Hamburg, die den Iraner am 15. Januar in Berlin vernommen hatten. Von ihnen will Rühle wissen, um wen es sich handelt und welchen Eindruck die beiden Fahnder von dem Mann hatten. Der weitere Verlauf des Verfahrens entscheidet sich erst danach, doch zumindest in dieser Woche ist mit einem Urteil nicht mehr zu rechnen.
Mitte Dezember war Mzoudi überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem eine ihn entlastende Aussage aufgetaucht war. Bei dem Zeugen soll es sich um den im Herbst 2002 in Pakistan festgenommenen Ramzi Binalshibh handeln, der wegen der Anschläge von den Sicherheitsbehörden in den USA vernommen wird. Mzoudis Haftentlastung hatte heftige Kritik sowohl in den USA als auch von Generalbundesanwalt Kay Nehm ausgelöst.
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