-->Florida droht neues Wahldebakel
Von Marc Pitzke, Palm Beach
Bei den US-Wahlen im November droht sich das Auszähldebakel von 2000 zu wiederholen. Schuld sind diesmal ausgerechnet die nagelneuen Wählcomputer: Technische Pannen und mysteriös"verschwundene Stimmen" sind an der Tagesordnung. Ausgangspunkt ist abermals der Seniorenstaat Florida.
Palm Beach - Wer wissen will, was Florida so lebenswert macht, muss die South Florida Fair besuchen. Rosafarbene Plastik-Flamingos, frischer Orangensaft, Vitaminpillen und die neuesten Gehhilfen: Halb Rummelplatz, halb Ramsch, lässt diese Kommunalmesse am Ortsrand des sonnigen Palm Beach erahnen, weshalb es vor allem so viele Senioren in den südlichsten US-Bundesstaat zieht.
Die jüngste, wichtigste Errungenschaft Floridas aber steht verloren auf einem Klapptisch am Hallenrand: ein blauer Plastikkasten, der aussieht wie ein Geldautomat mit Scheuklappen."Kommen Sie, testen Sie, üben Sie Ihr Bürgerrecht aus!", drängt ein junger Mann."Kostenlos!" Keiner bleibt stehen. Obwohl er jedem ein Gratis-Sternenbanner verspricht.
Der Plastikkasten mit der Aufschrift"AVC Edge" steht im höchsten Patriotendienst. Er ist ein Wählcomputer, der neueste auf dem Markt: Floridas Antwort auf das Stimmdebakel der US-Präsidentschaftswahl von 2000 und die Geheimwaffe für den Stimmgang im November. Doch nun geht die Geheimwaffe nach hinten los - und zwar so dramatisch, dass die"New York Times" für den Bezirk Palm Beach besorgt den Demokratie-Notstand ausgerufen hat. Ausgerechnet hier, wo sie heute noch unter der letzten Blamage leiden.
Schlechtes Omen für November
Der"AVC Edge" sollte jetzt verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. 5400 dieser voll elektronischen Maschinen der kalifornischen Tech-Firma Sequoia wurden in Palm Beach aufgestellt. Der Wähler muss nur noch den Bildschirm antippen, klick, pieps, fertig. Idiotensicher. 14,5 Millionen Dollar hat das den Bezirk gekostet. Eine gute Investition, freut sich Theresa LePore, die Wahlbeauftragte von Palm Beach:"Das Equipment funktioniert fehlerfrei."
Oder eben auch nicht. Ein erster Wahl-Ernstfall ging dieser Tage ähnlich daneben wie damals in 2000. Bei einer Nachwahl zum Landesparlament siegte die Republikanerin Ellyn Bogdanoff mit 12 Stimmen; eine Handzählung ergab jedoch, dass 137 Wähler für keinen Kandidaten gestimmt hatten."Diese Wahl war womöglich illegal", schimpft der unterlegene Kandidat Oliver Parker. Déjà -vu?
Ein schlechtes Omen für November - und kein Einzelfall, glaubt man den Experten. Immerhin hat Sequoia fast 50.000 solcher Wählmaschinen in mehr als 35 US-Bundesstaaten geliefert."Wir sind sehr besorgt", sagt die Computerwissenschaftlerin Rebecca Mercuri, die jetzt mit über 100 namhaften Kollegen ein Streitpapier zur US-Wahltechnik vorgelegt hat."Diese neuen Maschinen entpuppen sich überall als defekt."
Man erinnert sich: Es war in Palm Beach, wo die antiquierten"Schmetterlings"-Lochkarten die Wähler vor vier Jahren derart verwirrten, dass Tausende falsch abstimmten und den Demokraten Al Gore um den Sieg brachten. Florida wurde zur weltweiten Lachnummer, die Wahl landete vor dem Obersten Gerichtshof, der Rest ist Geschichte.
Droht den USA im November eine neue Wahlkatastrophe?"Darüber will ich gar nicht mehr reden", seufzt Wahlaufseherin LePore."Seit vier Jahren rede ich über nichts anderes." LePore ist eine Berühmtheit wider Willen. Ihr strenges Pony-Haar ist den TV-Zuschauern noch vom November 2000 vertraut, als sie der Welt den Unterschied zwischen"hängenden" und"schwangeren" Dimpeln zu erklären versuchte.
Gleich nach dem Flop von 2000 beschloss Palm Beach den Umstieg auf Elektronik. LePore ließ alle möglichen Wählsysteme testen."Keiner hat so strenge Prüfmethoden wie wir", sagt sie.
Stimmcomputer werden in Ã-fen gebacken, die Sonnenglut simulieren, und in Tiefkühlern geeist, da es hier auch schon mal friert. Sie werden mit Sand beschossen und mit Salzwasser bespritzt. Gleichzeitig attackieren amtliche Computer-Hacker die Software, um zu sehen, ob sie auch virtuell wasserdicht sind.
Gesamtsieger der Tortur war am Ende der"AVC Edge" von Sequoia. Firmenwerbung:"wählerfreundlich, unvergleichbare Sicherheit". Bei der Kommunalwahl im März 2002 trat der"Edge" in Palm Beach erstmals offiziell an.
Und damit begann das Schlamassel. Wähler beschwerten sich, dass sie den Kreis neben dem Namen eines Kandidaten antippten, das Stimmkreuz aber neben einem anderen Namen erschien. Manchmal fror der Computer ein. In der Gemeinde Wellington endete eine Stichwahl mit dem denkbar knappen Ergebnis von 1263 zu 1259, doch auf 78 elektronischen Stimmdateien - drei Prozent der Stimmen - fehlte jegliche Markierung. Ein"Software-Defekt", so Sequoia-Sprecher Phil Foster.
Doch es ist nicht nur die Software. Auch die Wähler in Palm Beach entpuppen sich abermals als unbekannte Variable."Manche Briefwähler schicken leere Stimmzettel", sagt LePore ratlos."Andere erscheinen am Wahltag und stimmen für niemanden, nur damit ihre Teilnahme registriert wird." Knappe oder Patt-Ergebnisse sind in Palm Beach sowieso an der Tagesordnung:"Wir haben schon Strohhalme gezogen und Münzen geworfen, um den Wahlsieger zu ermitteln", berichtet LePore.[Aha, so wird also in den USA gewählt [img][/img] [Hach, wie praktisch für den Texaner Bush, wenn er die Nummer auch im November landesweit abziehen kann...]. Und im texanischen Wahlkreis Comal verbuchten drei Kandidaten die exakt selbe Stimmenzahl auf sich: 18.181.[/b]
Was ahnen die Hersteller?
Zufall, Fehler - oder Sabotage? Lange schon warnen Computerexperten vor dem Missbrauch der Wähl-Elektronik. Hacker, sagt Rebecca Mercuri, könnten den"Edge" ganz einfach nachträglich"durch einen Port der Maschine umprogrammieren". Diese Buchse sei nur durch einen"dünnen Plastikstöpsel" geschützt.
Diese Zustände seien ein"Betrug der Wähler", schimpfte die"New York Times" jetzt:"So darf man keine Demokratie führen."
"Die Kunden loben unser System dauernd", widerspricht Sequoia-Präsidentin Tracey Graham. Kleinlaut räumen aber auch die Hersteller ein, dass der Stand der Technologie nicht der letzte sein könne."Es ist von höchster Wichtigkeit, dass alle Amerikaner das Recht auf zuverlässige, geheime und akkurate Wahlen haben", sagt Diebold-Chef Bob Urosevich."Elektronisches Wählen macht das erst möglich, und wir werden dazu unsere Technologie immer weiter verbessern."
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Manchmal heißt technologischer Fortschritt auch, dass man sich auf die Vergangenheit besinnt. In diesem Fall die papierne Vergangenheit: Auf politischen Druck bietet Sequoia seine Maschinen demnächst mit der Option eines Papierausdrucks an, auf dem die Wähler ihre virtuelle Stimme nachkontrollieren können. Die Ironie: Im Zweifelsfall steht dieser Ausdruck auch für manuelle Nachzählungen zur Verfügung, wie vor vier Jahren in Palm Beach. Ahnen die Hersteller etwas?
Das Blut der Soldaten im Irak
LePore hilft das wenig. Sie sitzt auf ihren 5400 papierlosen"Edge"-Automaten - und dem endlosen Fallout der Affäre. Der hiesige Kongressabgeordnete Robert Wexler hat sie wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz verklagt. Dabei hat die Parteilose, die bis vor kurzem Demokratin war, nur das Beste gewollt.
"Erst haben sie mich für Bushs Wahlsieg persönlich verantwortlich gemacht", sagt sie."Dann für den 11. September 2001, weil der ein direktes Resultat dessen gewesen sei. Und vorige Woche sprach mir jemand anonym auf den Anrufbeantworter, ich hätte das Blut von 500 im Irak gefallenen Soldaten an den Händen."
Immerhin wird sie es zur Präsidentschaftswahl im November wohl besser haben als ihre Kollegen in 22 anderen Bundesstaaten: In denen kommen weiter die alten, berüchtigten Stanzkarten zum Einsatz.
Zu den Wahlmaschinenherstellern und den"Verbindungen" zu den Rtepublikanern vielleicht noch folgenden Hammer:
"...and now Republican U.S. Senator Chuck Hagel was the head of, and continues to own part interest in, the company that owns the company that installed, programmed, and largely ran the voting machines that were used by most of the citizens of Nebraska.
Back when Hagel first ran there for the U.S. Senate in 1996, his company's computer-controlled voting machines showed he'd won stunning upsets in both the primaries and the general election. The Washington Post (1/13/1997) said Hagel's"Senate victory against an incumbent Democratic governor was the major Republican upset in the November election." According to Bev Harris of www.blackboxvoting.com, Hagel won virtually every demographic group, including many largely Black communities that had never before voted Republican. Hagel was the first Republican in 24 years to win a Senate seat in Nebraska.
Meanwhile, back in Nebraska, Charlie Matulka [der Wahlverlierer] had requested a hand count of the vote in the election he lost to Hagel. He just learned his request was denied because, he said, Nebraska has a just-passed law that prohibits government-employee election workers from looking at the ballots, even in a recount. The only machines permitted to count votes in Nebraska, he said, are those made and programmed by the corporation formerly run by Hagel."
Quelle
<ul> ~ Spiegel</ul>
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