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WOZ
von Rudolf Strahm
«Wir in Davos suchen nach sehr pragmatischen Wegen, um die Situation in der
Welt zu verbessern. Am Weltsozialforum geht es um ideologische Diskussionen.»
Klaus Schwab, Präsident Weltwirtschaftsforum Davos
In Davos die PragmatikerInnen, in Porto Alegre und Mumbai die IdeologInnen. -
So kam die Botschaft aus Davos. Schauen wir einmal jenseits aller Ideologien
in einen «Weltwirtschaftsbetrieb» hinein, in eine Produktionsverlagerungsfirma
in Indien, die für die schweizerische Postfinance, für Ascom und für
verschiedene schweizerische Versicherungsgesellschaften als neue Arbeitsstätte
für ausgelagerte Informatikdienstleistungen fungiert. Wir haben sie nach dem
Weltsozialforum in Bombay besucht.
Die Firma Datamatics ist eine aufstrebende und für indische Verhältnisse sehr
gut gemanagte Firma. Sie arbeitet zu hundert Prozent für den Export von
Informatikdienstleistungen. Ihren Sitz hat sie in der Zollfreizone Seepz in
Bombay. Das ist eine Zero-Tax-Zone: keine direkten Steuern, keine Zölle, keine
Mehrwertsteuer, massiv reduzierter Grenzformularkrieg. Die Freizone mit über
hundert Firmen ist eingezäunt wie ein Militärareal, mit uniformierten
Wächtern, Batch-Kontrollen beim Eingang und elektronischer Überwachung jeder
Personenbewegung.
In der Firma Datamatics arbeiten 2000 Personen, praktisch zu hundert Prozent
indische UniversitätsabsolventInnen, in den Bereichen Ingenieurwissenschaften,
Informatik, Mathematik und Technologie, die Hälfte davon mit Postgraduate-
Weiterbildung (Master, Doktorat). Das Umsatzwachstum betrug zuletzt etwa 25
Prozent pro Jahr. Fast alle MitarbeiterInnen - ein gutes Drittel sind Frauen -
sind zwischen 25- und 35-jährig. Sie sind optimistisch, zukunftsgläubig, leben
mit dem Gefühl der ökonomischen Aufbruchstimmung.
Eine grosse Abteilung in einem Grossraumbüro arbeitet für wissenschaftliche
Zeitschriften («Lancet», «Elseviers»), indem sie am Bildschirm die Artikel
formatiert, die Fussnoten platziert und die Abstract-Kennwörter für globale
Suchmaschinen extrahiert. Die Artikel werden online von den Autoren und
Forscherinnen an den Universitäten respektive von den Redaktionen irgendwo auf
der Welt abgeschickt und im indischen Grossraumbüro meistens von Frauen mit
guten Sprach- und Imformatikanwenderkenntnissen zurechtgemacht. Sie arbeiten
acht Stunden pro Tag. Gearbeitet wird in drei Schichten, also rund um die Uhr,
an sieben Wochentagen. Die Arbeitnehmenden haben für indische Verhältnisse
gute Arbeitsbedingungen mit Sechstagewoche zu acht Stunden, mit einer Woche
bezahlten Ferien pro Jahr und zwei zusätzlich bezahlten, gesetzlichen
Feiertagen. Der Lohn beträgt etwa 10 000 Rupien pro Monat, das sind etwa 300
Franken oder drei- bis sechsmal mehr als derjenige eines Taxichauffeurs.
Eine andere Abteilung von Datamatics besteht aus
EntwicklungsinformatikerInnen, die in Zehnerteams an Informatikprojekten
arbeiten. Ein Zehnerteam tüftelt an Informatiklösungen für die schweizerische
Postfinance. Andere Teams entwickeln massgeschneiderte Softwarelösungen für
Ascom-Verkehrsautomaten, die nach Asien geliefert werden.
Ticketautomatensysteme müssen für jede Stadt und jede Währung angepasst
werden. Es braucht massgeschneiderte Lösungen und nach der Lieferung
wiederholte Anpassungen. Die Hardware, die Automaten selber, werden von Ascom
in der Schweiz gefertigt. Die Präzisionsarbeit am physischen Material ist -
trotz hohen Löhnen - in der Schweiz günstiger, dank hoher Berufsbildung der
PolymechanikerInnen und TechnikerInnen. Doch die Software wird von der
indischen Firma im Auftragsverhältnis entwickelt und geliefert.
Die EntwicklungsingenieurInnen arbeiten fünf Tage in der Woche und verdienen
zwischen 300 000 und 800 000 Rupien pro Jahr, das sind 9000 bis 25 000 Franken
Jahreslohn. In der Schweiz rechnet Postfinance etwa mit 250 000 Franken
Arbeitsplatzkosten für eineN InformatikerIn (brutto, unter Einbezug aller
Lohnnebenkosten). Die totalen Kosten stehen allerdings nicht in einem
Verhältnis von zehn zu eins, denn durch die Produktionsverlagerung nach Indien
entstehen Transaktionskosten. Die Leitung von Postfinance Schweiz rechnet bei
der Produktionsverlegung nach Indien mit einer Lohnkosteneinsparung von etwa
zwei Dritteln der hiesigen Kosten.
Die indische Firma arbeitet - vorläufig - als blosser Subcontractor, sie ist
reiner Zulieferer, das vermarktete Endprodukt kommt ausschliesslich vom
Konzern in der Schweiz, der die Wertschöpfung des Innovationsvorsprungs für
sich beanspruchen kann. Vorläufig deshalb, weil andere indische Firmen bereits
in der Lage sind, Eigenprodukte auf dem Weltmarkt anzubieten. Zum Beispiel die
Tata Consultancy Services, die wir auch besucht haben. Diese Firma mit 27 000
Beschäftigten (davon achtzig Prozent Uni-AbsolventInnen) besorgt nicht nur
sämtliche Voucher-Abrechnungen für die Swiss (früher auch die Swissair),
sondern auch für die Austrian Airlines und andere Fluggesellschaften.
So manifestiert sich der Weg der Globalisierung, der Weg in die globale
Wissens- und Kommunikationsgesellschaft. Nüchtern gesehen.
<ul> ~ Friendly Takeover</ul>
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