-->08/2004
Pleiten nach Plan
Schiffbau, Kohle und nun die"Innovationsoffensive": Der Staat greift gern in die Wirtschaft ein - und verschwendet Milliarden
Von Klaus-Peter Schmid
Was geht das eigentlich den Staat an? Da will der französische Pharmakonzern Sanofi seinen deutsch-französischen Konkurrenten Aventis kaufen. Im Europäischen Binnenmarkt ist das absolut legal, so, wie Aventis aus der Fusion von Hoechst und Rhône-Poulenc hervorging, und so, wie der britische Mobilfunker Vodafone die deutsche Mannesmann AG übernahm und zerschlug. Den Staat geht das nichts an.
Und doch. Frankreichs Wirtschaftsminister Francis Mer verkündete eilends, er stütze die Ambition von Sanofi, einen „europäischen Champion“ zu schaffen; Premierminister Jean-Pierre Raffarin schwärmte von einem „unbestrittenen Weltmarktführer“. Prompt protestierte Bundeskanzler Gerhard Schröder. Während Paris offensichtlich Sanofi für einen Spitzenplatz in der Pharmabranche aufpäppeln will, fürchtet Berlin um den Rang der deutschen Arzneimittelindustrie, die einst als die Apotheke der Welt galt.
Auch wenn der Kanzler inzwischen erklärt, er akzeptiere eine freundliche Übernahme, sofern sie keine Arbeitsplätze zerstöre: Die Begleitmusik zum Übernahmekampf ist typisch für die Einmischung des Staates in Entscheidungen der Industrie - eben Industriepolitik pur.
Seit Januar macht die von der Bundesregierung losgetretene Innovationsdebatte Schlagzeilen, auch sie ist Ausdruck einer industriepolitischen Ambition. Es ist der klassische Mechanismus: Erst versprechen die ins Kanzleramt gerufenen „Partner für Innovation“, die „für Deutschland zentralen Zukunftsmärkte zu identifizieren und sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu ihrer Erschließung zu verständigen“. Dann sagt ihnen der Kanzler zu, er unterstütze die Wirtschaft „in ihrem Bemühen, die technologische Marktführerschaft in diesen Bereichen zu erringen“. Mit anderen Worten: Bald fließen die Subventionen.
Gestandenen Marktwirtschaftlern ist so etwas ein Graus. Sie akzeptieren nicht, dass der Staat erst entscheidet, was Fortschritt ist, und dann durch gezielte Eingriffe die Wirtschaft genau dahin zu lenken versucht. Dass dann noch ein nach politischen Kriterien besetzter Innovationsrat die Weichen in die Zukunft stellen soll, wie Schröder jetzt plant, erscheint ihnen absurd. „Hinter diesem Ansatz verbirgt sich ein industriepolitisches Denken, das schon vor Jahrzehnten gescheitert ist“, sagt Henning Klodt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Schon Otto Graf Lambsdorff spottete einst über die vermeintliche Weisheit der Beamten an ihren Schreibtischen, die „mit staatlicher Lenkung das Morgen gestalten wollen“.
Investitionen zu lenken sei allein Sache des Marktes, argumentieren die orthodoxen Marktwirtschaftler und zitieren Friedrich Hayeks Definition vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. Und der Staat? Er habe für günstige Rahmenbedingungen zu sorgen. Also für eine moderne Infrastruktur, gut ausgebildeten Nachwuchs, niedrige Steuern, günstige Energieversorgung, gleiche Wettbewerbsbedingungen. Alles andere sei von Übel.
So wie die forcierte Industriepolitik, die Frankreich lange Jahre praktizierte. Bis Mitte der siebziger Jahre definierte die Pariser Regierung im Rahmen der Planifikation Ziele für die Industrie und garantierte zugleich die nötigen Mittel für die Umsetzung. Viele ambitionierte Projekte entwickelten sich dabei zum Milliardengrab. Etwa das Überschallflugzeug Concorde, das sich nie rentierte und ein Prestigeobjekt ohne Folgemodelle blieb. Oder die Investitionen in eine nationale Computerindustrie rund um Bull, die ohne Chance gegen die amerikanische Konkurrenz war und nur dank stattlicher Staatshilfe überlebt. Nicht zu vergessen Secam, das Farbfernsehen à la française, das sich trotz politischer Bemühungen in aller Welt nicht durchsetzen konnte.
Zwar gab es auch Erfolge. Die staatliche Atom- und Energiewirtschaft war technisch immer führend, der Superschnellzug TGV fuhr zehn Jahre vor dem deutschen ICE. Nicht zu vergessen der Airbus, ein ursprünglich deutsch-französisches Projekt, aus dem ohne Drängen der Franzosen nichts geworden wäre. Heute hat Airbus den Erzkonkurrenten Boeing überflügelt, und auch im Berliner Wirtschaftsministerium gilt die deutsch-französische Flugzeugfamilie als Musterbeispiel gelungener Industriepolitik. Die Subventionen seien gerechtfertigt, heißt es, weil kein privater Investor ein solches Projekt hätte finanzieren können.
Aber für Puristen wie Klaus-Werner Schatz vom Institut der deutschen Wirtschaft ist selbst diese Begründung nicht überzeugend: „Dass man gelegentlich mal Erfolg hat, muss einen doch nicht wundern.“ Und Axel Werwatz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) kritisiert: „Das Prinzip Airbus ist kein gutes Prinzip. Es ist total unsicher. Das ist wie eine hoch riskante Geldanlage.“ Und die endet immer wieder in einer Pleite.
Auch hierzulande lassen sich leicht Beispiele für die Verirrungen ambitionierter Industriepolitik finden. Der Schnelle Brüter von Kalkar (Kosten: 3,5 Milliarden Euro) ging nie in Betrieb; der Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop (Kosten: zwei Milliarden Euro) wurde schon nach drei Jahren Betrieb stillgelegt. Der hoch subventionierte Siemens-Großrechner wurde mehr oder weniger am Markt vorbei entwickelt. Der Transrapid, auch er ein Produkt industriepolitischen Ehrgeizes, fährt immerhin auf einer Strecke in China, wird aber seine vom Staat übernommenen Entwicklungskosten von mehr als einer Milliarde Euro mit Sicherheit nie einfahren. Alles Beispiele dafür, so Henning Klodt, „dass sich technologische Erfolge nicht mit der förderpolitischen Brechstange erzwingen lassen“.
Dem Kanzler sind solche Bedenken fremd. Ordnungspolitische Skrupel kennt er schon gar nicht, wenn er als Retter in der Not auftreten kann. Wie 1999 beim maroden Baukonzern Philipp Holzmann. Mit Hilfe staatlicher Darlehen und einer Ausfallbürgschaft sollte das Unternehmen überleben. Später ging es dennoch Pleite. Vor zwei Jahren ließ sich Schröder von den Arbeitern des Waggonbauwerks Ammendorf in Sachsen-Anhalt für die Rettung von 900 Arbeitsplätzen feiern. Heute sind 200 Jobs weggefallen, die Zukunft des Werks bleibt ungewiss.
Milliarden für die Kohle
Der CDU-Finanzexperte Friedrich Merz erkannte in dieser Variante der Industriepolitik ein simples Prinzip: „Wenn der Große Pleite geht, kommt der Bundeskanzler; wenn der Kleine Pleite geht, kommt der Konkursverwalter.“ Ein Vorwurf, den sich auch Länderfürsten gefallen lassen müssen. Der Freistaat Bayern pumpte seit Ende der achtziger Jahre Millionenbeträge in die Maxhütte, beteiligte sich sogar an einer Auffanggesellschaft; inzwischen hat das Stahlwerk die Produktion eingestellt. Dem Charterflieger LTU drohte Ende 2001 die Pleite, sie wurde vor allem dank einer Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen abgewendet. Auf festen Beinen steht LTU immer noch nicht. Das Unternehmen Cargolifter, das ein riesiges Luftschiff bauen wollte, kam nur dank großzügiger Hilfe des Landes Brandenburg über die ersten Runden. Jetzt ist es pleite.
„Hier degeneriert Industriepolitik immer mehr zur Lokalpolitik“, kritisiert Wirtschaftsforscher Schatz, und das gilt im Grunde auch für die größte industriepolitische Sünde: die Steinkohlenhilfe. Dass die künstliche Erhaltung dieser Branche eine zukunftsträchtige Politik wäre, behauptet niemand. Aber kaum ein verantwortlicher Politiker wagt es, die Volksstimmung im Ruhrgebiet gegen sich aufzubringen. So schrieb die Bundesregierung im vergangenen November einen Finanzrahmen für die Unterstützung der Steinkohle fest, der die Steuerzahler bis 2012 fast 16 Milliarden Euro kosten wird.
Eine lupenreine Erhaltungssubvention, aber zum Glück nicht die Regel. Im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers finden sich lediglich drei klare Direkthilfen für bestimmte Branchen: Steinkohle (2004: 2,2 Milliarden Euro), Werftindustrie (61,9 Millionen) und Airbus-Absatzfinanzierung (36,7 Millionen). Heute, so die Philosophie des Berliner Wirtschaftsministeriums, bestehe die Aufgabe der Industriepolitik „in erster Linie im Setzen von Rahmenbedingungen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten und das Wachstums-, Beschäftigungs- und Innovationspotenzial der Industrie erhöhen“. Dafür schüttet der Wirtschafts- und Arbeitsminister an die gewerbliche Wirtschaft in Ost und West immerhin rund vier Milliarden Euro im Jahr aus.
Schwindel mit Innovationen
Gleichzeitig hat auch Brüssel neue industriepolitische Ambitionen angemeldet. Ihre Schlüsselbegriffe - „Wissen“, „Innovation“ und „Initiative“ - definierte schon der EU-Gipfel von Lissabon im Frühjahr 2000. Bis 2010 solle die Union „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Und für die Branchen der Zukunft stehen Biotechnologie, Nanotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologie.
Nur: Was Brüssel will, passt wiederum Berlin nicht ins Konzept. Nach dem Geschmack des Kanzlers setzt die EU-Kommission zu stark auf den Dienstleistungssektor und vernachlässigt die klassischen Industrien. Früh zog Schröder deshalb nach Brüssel, um sich über die Benachteiligung deutscher Interessen zu beschweren. Sein Musterbeispiel: Dass die Kommission den Autohandel liberalisieren wolle, schade der deutschen Automobilindustrie, die noch für lange Zeit von zentraler Bedeutung für die deutsche Wirtschaft bleibe. Es ist das gleiche Phänomen wie auf nationaler Ebene: Europäische Industriepolitik gilt dann als richtig, wenn sie den Interessen vor Ort dient.
Weil die Visite des Kanzlers keine Wirkung zeigte, suchte er Verbündete. Am 20. September 2003 schrieben Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair gemeinsam einen Brandbrief an Kommissionspräsident Romano Prodi, in dem sie vor der „Gefahr einer Deindustrialisierung“ warnten und unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen forderten. Nicht mehr, sondern eine andere Industriepolitik solle Brüssel betreiben.
Konkret: Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Chemikalienpolitik sei zu bürokratisch und entspreche nicht „dem schnellen, einfachen und kosteneffizienten Verfahren, das zugesagt wurde“. Brüssel solle gefälligst Vorschläge vorlegen, die der Industrie Vorteile und nicht Nachteile im internationalen Wettbewerb bescherten.
Dazu kommt das Ärgernis Umweltpolitik. In den vergangenen zehn Jahren sind allein im Umweltbereich auf EU-Ebene mehr als 500 Richtlinien und Verordnungsvorschläge verabschiedet worden. Nun proben die Industrievertreter den Gegenangriff. „Wir verfolgen in Europa, aber auch in Deutschland, zu häufig immer ehrgeizigere ökologische Ziele, ohne die Rückwirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu bedenken“, kritisiert Dieter Ameling, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.
Was der Bundeskanzler - Kyoto-Protokoll hin, Nachhaltigkeit her - dazu sagt, klingt auch nicht viel anders: Europa müsse beim Schutz der Umwelt und des Klimas glaubwürdig bleiben, aber bitte ohne Maßnahmen, „die den Produktionsstandort Europa für unsere Unternehmen so stark an Attraktivität verlieren lassen, dass Arbeitsplätze und Wertschöpfung substanziell bedroht sind“.
Genau das ist das Grundproblem der Industriepolitik: In Wirklichkeit ist sie vor allem Beschäftigungspolitik - und nur im Ausnahmefall ein Instru-ment des Strukturwandels. Was dagegen als Innovationspolitik angepriesen wird, entpuppt sich nur allzu oft als Etikettenschwindel: Mit positiv besetzten Begriffen werden Subventionen begründet, die wenig Neues schaffen. Am Ende, sagt der Kieler Ã-konom Klodt, würden lediglich „alte Konzepte der Industriepolitik in neue Schläuche abgefüllt“.
Und wo Industriepolitik Neues zu generieren versucht, ist sie überfordert - siehe Toll Collect. Für die Entwicklung des technologisch anspruchsvollen Maut-Systems hat die Bundesregierung zwar keinen Euro investiert; das besorgt in ihrem Auftrag ein Konsortium aus Deutsche Telekom, DaimlerChrysler und Cofiroute. Aber der Verkehrsminister sollte an den Maut-Einnahmen partizipieren, und da die Technik noch lange nicht einsatzbereit ist, könnte der Verlust für die Staatskasse am Ende leicht drei Milliarden Euro erreichen. So wird wohl auch Toll Collect vor allem als Milliardengrab in die Annalen deutscher Industriepolitik eingehen.
http://www.zeit.de/2004/08/Ind_Politik
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