Rumpelstilzchen
17.11.2000, 15:48 |
Elliottwaves und Marktpsychologie Thread gesperrt |
Liebe Märchenfreunde,
das positive Feedback auf meine Ausführungen zur Börsenpsychologie hat mich ermuntert, das ganze noch einmal in Verknüpfung mit den Elliotwellen darzustellen.
Nachfolgend einige Ausführungen zur Marktzyklik und Börsenpsyche
Es war einmal... eine Phase der Unsicherheit. An den Börsen tummeln sich kaum Privatanleger. Das Bewertungsniveau ist sehr niedrig. Niemand interessiert sich recht für Aktien. Den meisten steckt noch der letzte Crash in den Knochen und niemand hat so recht Lust, sich mit Aktien zu beschäftigen. Gewinne werden bald mitgenommen. Die kurzfristige Korrektur umfasst oft 100%des vorherigen kurzfistigen Anstiegs. Die meisten Marktteilnehmer sind vorsichtig und es bestehen Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Aktien machen eigentlich nicht so richtig Spaß und sind ziemlich unerotisch.
Aus börsenpsychologischer Sicht so spannend wie ein russischer Heimatfilm. Das Land ist verwüstet, die Leute melancholisch-depressiv und nichts wichtiges passiert.
Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
Dann entwickelt sich eine Phase mit anhaltendem Wachstum. Die Fundamentaldaten werden immer besser, der Markt zieht kontinuierlich an. So richtig bekommen die Kleinanleger, also Leute wie Du und ich, noch nicht Wind davon. Einige Leute scheffeln ganz gut Kohle und ihre neidischen Nachbarn denken sich, na warte nur, das verlierst Du schon wieder.
Aber der eine oder andere mutige Kleinanleger kriegt doch etwas Appetit und schaltet mal ntv ein. Da gibts gute Tipps und man kann ja mal nachmachen, was die Friedhelm Buschs so einem empfehlen. Und mit etwas Geld klappts vielleicht auch mit der Nachbarin.
Jetzt wird der mutige Kleinanleger viele gute Lernerfahrungen machen können. Wenn die Aktien fallen, sollst Du kaufen. Denn bald geht es nur noch mehr nach oben. Er kriegt auch immer mehr gute Vorbilder von Leuten, die dasselbe machen und die dafür belohnt werden. Und wir sind uns einig, es geht nach oben.
Aus börsenpsychologischer Sicht wird die Sache spannend. Es kommt zu einem allgemeinen Konditionierungsprozess. Kaufe, halte und Du gewinnst, lautet die Botschaft. Da es schwer ist, in einem solchen Umfeld Fehler zu machen, verdient der mutige Anleger mit den meisten Positionen. Er lernt außerdem: Du hast raus, wie es funktioniert. Du hast es in der Hand. Das nennt man dann Kontrollillusion. Zusätzliche Sicherheit schaffen die anderen, die dasselbe tun und so viele Leute können nicht irren.
Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
Dann kommt Welle 4, die allen ein Stückchen von ihren Gewinnen wegnimmt. Einige steigen aus.
Dann aber kommt Welle 5 und jetzt wird es richtig interessant.
Die Bande hat Blut geleckt. Es geht nach oben und wie. Der Trend beschleunigt sich (Trendakzeleration). Wer ausgestiegen ist, beisst sich in den Arsch und kauft sich um jeden Preis zurück. Wer drin geblieben ist, hat gelernt. Aussitzen ist alles. Jetzt kauft auch die Nachbarin selbst Aktien, und der Nachbar auch. Und die 18jährige Göre pfeifft ihren Opi an, weil er ihr ein Sparbuch zum Geburtstag schenkt. Und alle haben gelernt: Wer die Zähne zusammenbeissen kann, wird mit märchenhaften Reichtümern belohnt.
Börsenpsychologisch kann man nur noch von irrationaler Gier sprechen. Steigende Zinsen, abschwächendes Wachstum interessiert keinen mehr. Es wird nicht wahrgenommen (selektive Wahrnehmung) oder wegrationalisiert (kognitive Dissonanz) oder einfach ignoriert/verdrängt. Die Kontrollillusion hat sich weiter verstärkt, die Konditionierung weiter gefestigt. Der Börsenerfolg wird mit dem Selbstwertgefühl verknüpft. Es kommt zu einer starken emotionalen Verpflichtung (commitment), den eigenen Börsenvorstellungen treu zu bleiben. Es kommt auch zu einer positiven Rückkopplung. Der Erfolg sorgt für weitere Investion und damit weiteren Erfolg. Die meisten Kleinanleger, die sich jetzt an der Börse tummeln, haben aber eigentlich keine Ahnung, was sie machen. Ihr Verhalten ist einfach Imitation. Sie folgen ihren Vorbildern. Darum ist mir auch Schweinchen Förtsch so verhasst. Eine gute Frage ist natürlich, wieviel Wissen die Profis haben. Wenn ich höre, wie 25jährige (!) Fondsmanager millionenschwere High-Tech-Fonds anvertraut bekommen, könnte mir schon schlecht werden.
Und jetzt die Umkehrung:
Es herrscht eine Phase der übertriebenen Sicherheit (Overconfidence). Die Aktienkurse steigen nicht mehr, aber das ist nicht wichtig, denn alle sind sicher, dass die Frage der nächsten Rally nur eine Frage der Zeit ist. Also streiten sie, ob es denn eine Sommer-, Herbst-, Winter- oder"Jahresendrally" (tolles Wort) wird. Das Bewertungsniveau ist jenseits von gut und böse. Es kommt zwar zu wiederholten kleineren Einbrüchen, aber die anschließende Korrektur fängt die Verluste meist wieder zu 100% auf. Die Bewegung läuft insgesamt seitwärts.
Aktien sind zwar sehr erotisch, aber sie machen nicht mehr so richtig Spaß. Die Marktteilnehmer sind investiert. Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung bestehen, interessieren aber keinen. Die Gewinnaussichten der Unternehmen gehen zurück, die Zinsen steigen. Who cares?
Börsenpsychologisch ist das ganze so spannend deutscher Heimatfilm. Heile Welt in den Köpfen, Trümmer ringsum, alle sind glücklich.
Der Prozeß der allgemeinen Konditionierung ist so weit fortgeschritten, dass die Kontrollillusion den Höhepunkt erreicht hat. Keine Angst an Bord der Titanic, wir haben alles im Griff. Kurseinbrüche können in dieser Phase nicht anhaltend sein, weil genügend Anleger vorhanden sind, die aufgrund ihrer bisherigen Lernerfahrungen jede Schwäche als Kaufsignal sehen. Die Trendwende ist erfolgt, aber die wenigsten bekommen sie mit. Leider gibt es in dieser Phase keine Vorbilder, die die in ihrem Verhalten auf Imitation beschränkten Kleinanleger in ihrer bisherigen Strategie erschüttern könnten. Warum sollten sie auch. Zuerst ich, dann mein Geld, dann Frauen und Kinder.
Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
Dann bildet sich doch ein stabiler Abwärtstrend. Es sind einfach nicht genügend Käufer und genügend Geld da, um die übertriebenen Bewertungen auf Dauer halten zu können. Erstaunlich ist, dass in dieser Phase keine hohen Umsätze stattfinden. Obwohl der stabile Abwärtstrend monatelang anhalten kann, bleibt der Verkaufsdruck relativ konstant.
Börsenpsychologisch eine sehr interessante Phase. Die Spannung der"kognitiven Dissonanz" steigert sich von Tag zu Tag, indem der Marktteilnehmer einerseits mit kontinuierlich fallenden Kursen konfrontiert wird, andererseits an seinen konditionierten Grundüberzeugungen unbedingt festhalten will. Es muss immer mehr psychische Energie aufgewandt werden, um diese Dissonanz auszuhalten. So mancher mutige Kleinanleger hält den Druck nicht aus und verkauft (je nach vorherigem Ausmaß des eigenen"Commitment" zum eigenen Engagement). Aber sie fallen in dieser Phase erst Stück für Stück um. Jeder ist eben in unterschiedlichem Ausmaß von sich selbst überzeugt. Die Nachbarin hält bestimmt noch und glaubt, dass jetzt nur"Weicheier" verkaufen.
Das zerrt natürlich an den Nerven und erklärt auch den aggressiver werdenden Ton in den Boards. Psychologisch bietet sich jetzt wahres Panoptikum an bemerkenswerten Phänomen. Erwähnen will ich hier v.a. die"aversion of regret", das bedeutet, dass die meisten Marktteilnehmer, die"schlechten" Gefühlen vermeiden wollen, die entstehen, wenn Buchverluste in Realverluste überführt werden. Das führt letztlich zu Passivität und erklärt auch die niedrigen Umsätze in dieser Phase. Ich denke, das wir uns jetzt genau an dieser Stelle befinden.
Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
Dann kommt die Welle 4, die einigen etwas von ihren Verlusten wieder zurückbringt, Einige steigen wieder ein.
Und dann kommt es wieder zur Trendakzeleration. Die Nerven der Anleger sind strapaziert, das Aufrechterhalten der inneren Verteidigungslinie gegen die Realität hat zuviel Kraft gekostet. Die Frustrationstoleranz nach der demütigenden Welle 3 ist minimal. So etwas will man sich nicht mehr antun.
Es reicht schon ein kleiner Anstoß und die Welle wird losgetreten. Jetzt aber mit Volumen, jetzt verkauft auch die Nachbarin.
Das ist der"sellout" oder"sell-off".
Psychologisch ist jetzt die Angst vor dem erneuten psychischen Druck größer als die Angst, Buchverluste einzugestehen. Die Kontrollillusion wird durch ein Gefühl von Kontrollverlust ersetzt. Der"locus of control" ist außerhalb von mir, das bedeutet, das nicht mehr ich die Ereignisse (Kursverhalten) und ihre Wirkung auf mich vorhersehen, d.h. kontrollieren kann, sondern etwas oder jemand anderes verantwortlich ist. Wer sich jetzt noch vor den"schlechten Gefühlen" schützen will, der muss, nachdem durch den Verkauf die Angst vor weiteren Verlusten hinfällig geworden ist, die Börse ganz aus seiner Wahrnehmung verdrängen.
Carola Ferstl wird also keine Zuschauer mehr haben ( Hurra), Heiko Thieme kriegt kein Publikum mehr, Schweinchen Fötsch kriegt im Knast keine Börsenzeitung, weil es keine Börsenzeitung mehr gibt.
O.K. meinetwegen gibt es noch Börsenzeitungen, aber nicht mehr den"Aktionär".
Und Elliott: genau. Wieder Welle 5
Und dann wieder von vorn...
Nachtrag:
Warum habe ich mir 1 1/2h Zeit genommen, dass alles zusammenzuschreiben?
Auch ich habe ein Bedürfnis nach Kausalität und Kontrolle. Die börsenpsychologische Analyse schafft natürlich genau ein Problem, dass sie doch beseitigen sollte: Die Kontrollillusion. Am Ende meine ich zu verstehen, warum die Börse so läuft, wie sie läuft und erkennen zu können, wo sie hinlaufen wird. Das Aufschreiben zwingt mich dazu, meine eigenen Überlegungen offenzulegen und macht sie damit der Kritik Dritter zugänglich. Bevor ich jetzt also selbst einer Kontrollillusion zum Opfer falle, fordere ich alle geschätzten Leser zur konstruktiven Kritik auf. Denn unwissend bin ich geboren, aber trotzdem will ich nicht arm sterben...
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<HR>
</center> |
Toro
17.11.2000, 15:56
@ Rumpelstilzchen
|
Kompliment! oT |
>Liebe Märchenfreunde,
>das positive Feedback auf meine Ausführungen zur Börsenpsychologie hat mich ermuntert, das ganze noch einmal in Verknüpfung mit den Elliotwellen darzustellen.
>Nachfolgend einige Ausführungen zur Marktzyklik und Börsenpsyche
>Es war einmal... eine Phase der Unsicherheit. An den Börsen tummeln sich kaum Privatanleger. Das Bewertungsniveau ist sehr niedrig. Niemand interessiert sich recht für Aktien. Den meisten steckt noch der letzte Crash in den Knochen und niemand hat so recht Lust, sich mit Aktien zu beschäftigen. Gewinne werden bald mitgenommen. Die kurzfristige Korrektur umfasst oft 100%des vorherigen kurzfistigen Anstiegs. Die meisten Marktteilnehmer sind vorsichtig und es bestehen Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Aktien machen eigentlich nicht so richtig Spaß und sind ziemlich unerotisch.
>Aus börsenpsychologischer Sicht so spannend wie ein russischer Heimatfilm. Das Land ist verwüstet, die Leute melancholisch-depressiv und nichts wichtiges passiert.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann entwickelt sich eine Phase mit anhaltendem Wachstum. Die Fundamentaldaten werden immer besser, der Markt zieht kontinuierlich an. So richtig bekommen die Kleinanleger, also Leute wie Du und ich, noch nicht Wind davon. Einige Leute scheffeln ganz gut Kohle und ihre neidischen Nachbarn denken sich, na warte nur, das verlierst Du schon wieder.
>Aber der eine oder andere mutige Kleinanleger kriegt doch etwas Appetit und schaltet mal ntv ein. Da gibts gute Tipps und man kann ja mal nachmachen, was die Friedhelm Buschs so einem empfehlen. Und mit etwas Geld klappts vielleicht auch mit der Nachbarin.
>Jetzt wird der mutige Kleinanleger viele gute Lernerfahrungen machen können. Wenn die Aktien fallen, sollst Du kaufen. Denn bald geht es nur noch mehr nach oben. Er kriegt auch immer mehr gute Vorbilder von Leuten, die dasselbe machen und die dafür belohnt werden. Und wir sind uns einig, es geht nach oben.
>Aus börsenpsychologischer Sicht wird die Sache spannend. Es kommt zu einem allgemeinen Konditionierungsprozess. Kaufe, halte und Du gewinnst, lautet die Botschaft. Da es schwer ist, in einem solchen Umfeld Fehler zu machen, verdient der mutige Anleger mit den meisten Positionen. Er lernt außerdem: Du hast raus, wie es funktioniert. Du hast es in der Hand. Das nennt man dann Kontrollillusion. Zusätzliche Sicherheit schaffen die anderen, die dasselbe tun und so viele Leute können nicht irren.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt Welle 4, die allen ein Stückchen von ihren Gewinnen wegnimmt. Einige steigen aus.
>Dann aber kommt Welle 5 und jetzt wird es richtig interessant.
>Die Bande hat Blut geleckt. Es geht nach oben und wie. Der Trend beschleunigt sich (Trendakzeleration). Wer ausgestiegen ist, beisst sich in den Arsch und kauft sich um jeden Preis zurück. Wer drin geblieben ist, hat gelernt. Aussitzen ist alles. Jetzt kauft auch die Nachbarin selbst Aktien, und der Nachbar auch. Und die 18jährige Göre pfeifft ihren Opi an, weil er ihr ein Sparbuch zum Geburtstag schenkt. Und alle haben gelernt: Wer die Zähne zusammenbeissen kann, wird mit märchenhaften Reichtümern belohnt.
>Börsenpsychologisch kann man nur noch von irrationaler Gier sprechen. Steigende Zinsen, abschwächendes Wachstum interessiert keinen mehr. Es wird nicht wahrgenommen (selektive Wahrnehmung) oder wegrationalisiert (kognitive Dissonanz) oder einfach ignoriert/verdrängt. Die Kontrollillusion hat sich weiter verstärkt, die Konditionierung weiter gefestigt. Der Börsenerfolg wird mit dem Selbstwertgefühl verknüpft. Es kommt zu einer starken emotionalen Verpflichtung (commitment), den eigenen Börsenvorstellungen treu zu bleiben. Es kommt auch zu einer positiven Rückkopplung. Der Erfolg sorgt für weitere Investion und damit weiteren Erfolg. Die meisten Kleinanleger, die sich jetzt an der Börse tummeln, haben aber eigentlich keine Ahnung, was sie machen. Ihr Verhalten ist einfach Imitation. Sie folgen ihren Vorbildern. Darum ist mir auch Schweinchen Förtsch so verhasst. Eine gute Frage ist natürlich, wieviel Wissen die Profis haben. Wenn ich höre, wie 25jährige (!) Fondsmanager millionenschwere High-Tech-Fonds anvertraut bekommen, könnte mir schon schlecht werden.
>Und jetzt die Umkehrung:
>Es herrscht eine Phase der übertriebenen Sicherheit (Overconfidence). Die Aktienkurse steigen nicht mehr, aber das ist nicht wichtig, denn alle sind sicher, dass die Frage der nächsten Rally nur eine Frage der Zeit ist. Also streiten sie, ob es denn eine Sommer-, Herbst-, Winter- oder"Jahresendrally" (tolles Wort) wird. Das Bewertungsniveau ist jenseits von gut und böse. Es kommt zwar zu wiederholten kleineren Einbrüchen, aber die anschließende Korrektur fängt die Verluste meist wieder zu 100% auf. Die Bewegung läuft insgesamt seitwärts.
>Aktien sind zwar sehr erotisch, aber sie machen nicht mehr so richtig Spaß. Die Marktteilnehmer sind investiert. Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung bestehen, interessieren aber keinen. Die Gewinnaussichten der Unternehmen gehen zurück, die Zinsen steigen. Who cares?
>Börsenpsychologisch ist das ganze so spannend deutscher Heimatfilm. Heile Welt in den Köpfen, Trümmer ringsum, alle sind glücklich.
>Der Prozeß der allgemeinen Konditionierung ist so weit fortgeschritten, dass die Kontrollillusion den Höhepunkt erreicht hat. Keine Angst an Bord der Titanic, wir haben alles im Griff. Kurseinbrüche können in dieser Phase nicht anhaltend sein, weil genügend Anleger vorhanden sind, die aufgrund ihrer bisherigen Lernerfahrungen jede Schwäche als Kaufsignal sehen. Die Trendwende ist erfolgt, aber die wenigsten bekommen sie mit. Leider gibt es in dieser Phase keine Vorbilder, die die in ihrem Verhalten auf Imitation beschränkten Kleinanleger in ihrer bisherigen Strategie erschüttern könnten. Warum sollten sie auch. Zuerst ich, dann mein Geld, dann Frauen und Kinder.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann bildet sich doch ein stabiler Abwärtstrend. Es sind einfach nicht genügend Käufer und genügend Geld da, um die übertriebenen Bewertungen auf Dauer halten zu können. Erstaunlich ist, dass in dieser Phase keine hohen Umsätze stattfinden. Obwohl der stabile Abwärtstrend monatelang anhalten kann, bleibt der Verkaufsdruck relativ konstant.
>Börsenpsychologisch eine sehr interessante Phase. Die Spannung der"kognitiven Dissonanz" steigert sich von Tag zu Tag, indem der Marktteilnehmer einerseits mit kontinuierlich fallenden Kursen konfrontiert wird, andererseits an seinen konditionierten Grundüberzeugungen unbedingt festhalten will. Es muss immer mehr psychische Energie aufgewandt werden, um diese Dissonanz auszuhalten. So mancher mutige Kleinanleger hält den Druck nicht aus und verkauft (je nach vorherigem Ausmaß des eigenen"Commitment" zum eigenen Engagement). Aber sie fallen in dieser Phase erst Stück für Stück um. Jeder ist eben in unterschiedlichem Ausmaß von sich selbst überzeugt. Die Nachbarin hält bestimmt noch und glaubt, dass jetzt nur"Weicheier" verkaufen.
>Das zerrt natürlich an den Nerven und erklärt auch den aggressiver werdenden Ton in den Boards. Psychologisch bietet sich jetzt wahres Panoptikum an bemerkenswerten Phänomen. Erwähnen will ich hier v.a. die"aversion of regret", das bedeutet, dass die meisten Marktteilnehmer, die"schlechten" Gefühlen vermeiden wollen, die entstehen, wenn Buchverluste in Realverluste überführt werden. Das führt letztlich zu Passivität und erklärt auch die niedrigen Umsätze in dieser Phase. Ich denke, das wir uns jetzt genau an dieser Stelle befinden.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt die Welle 4, die einigen etwas von ihren Verlusten wieder zurückbringt, Einige steigen wieder ein.
>Und dann kommt es wieder zur Trendakzeleration. Die Nerven der Anleger sind strapaziert, das Aufrechterhalten der inneren Verteidigungslinie gegen die Realität hat zuviel Kraft gekostet. Die Frustrationstoleranz nach der demütigenden Welle 3 ist minimal. So etwas will man sich nicht mehr antun.
>Es reicht schon ein kleiner Anstoß und die Welle wird losgetreten. Jetzt aber mit Volumen, jetzt verkauft auch die Nachbarin.
>Das ist der"sellout" oder"sell-off".
>Psychologisch ist jetzt die Angst vor dem erneuten psychischen Druck größer als die Angst, Buchverluste einzugestehen. Die Kontrollillusion wird durch ein Gefühl von Kontrollverlust ersetzt. Der"locus of control" ist außerhalb von mir, das bedeutet, das nicht mehr ich die Ereignisse (Kursverhalten) und ihre Wirkung auf mich vorhersehen, d.h. kontrollieren kann, sondern etwas oder jemand anderes verantwortlich ist. Wer sich jetzt noch vor den"schlechten Gefühlen" schützen will, der muss, nachdem durch den Verkauf die Angst vor weiteren Verlusten hinfällig geworden ist, die Börse ganz aus seiner Wahrnehmung verdrängen.
>Carola Ferstl wird also keine Zuschauer mehr haben ( Hurra), Heiko Thieme kriegt kein Publikum mehr, Schweinchen Fötsch kriegt im Knast keine Börsenzeitung, weil es keine Börsenzeitung mehr gibt.
>O.K. meinetwegen gibt es noch Börsenzeitungen, aber nicht mehr den"Aktionär".
>Und Elliott: genau. Wieder Welle 5
>Und dann wieder von vorn...
>Nachtrag:
>Warum habe ich mir 1 1/2h Zeit genommen, dass alles zusammenzuschreiben?
>Auch ich habe ein Bedürfnis nach Kausalität und Kontrolle. Die börsenpsychologische Analyse schafft natürlich genau ein Problem, dass sie doch beseitigen sollte: Die Kontrollillusion. Am Ende meine ich zu verstehen, warum die Börse so läuft, wie sie läuft und erkennen zu können, wo sie hinlaufen wird. Das Aufschreiben zwingt mich dazu, meine eigenen Überlegungen offenzulegen und macht sie damit der Kritik Dritter zugänglich. Bevor ich jetzt also selbst einer Kontrollillusion zum Opfer falle, fordere ich alle geschätzten Leser zur konstruktiven Kritik auf. Denn unwissend bin ich geboren, aber trotzdem will ich nicht arm sterben...
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3rd_wave
17.11.2000, 16:03
@ Rumpelstilzchen
|
BRAVO!!! am liebsten mag ich die stelle mit dem kleinen schweinchen...:-))) |
>Liebe Märchenfreunde,
>das positive Feedback auf meine Ausführungen zur Börsenpsychologie hat mich ermuntert, das ganze noch einmal in Verknüpfung mit den Elliotwellen darzustellen.
>Nachfolgend einige Ausführungen zur Marktzyklik und Börsenpsyche
>Es war einmal... eine Phase der Unsicherheit. An den Börsen tummeln sich kaum Privatanleger. Das Bewertungsniveau ist sehr niedrig. Niemand interessiert sich recht für Aktien. Den meisten steckt noch der letzte Crash in den Knochen und niemand hat so recht Lust, sich mit Aktien zu beschäftigen. Gewinne werden bald mitgenommen. Die kurzfristige Korrektur umfasst oft 100%des vorherigen kurzfistigen Anstiegs. Die meisten Marktteilnehmer sind vorsichtig und es bestehen Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Aktien machen eigentlich nicht so richtig Spaß und sind ziemlich unerotisch.
>Aus börsenpsychologischer Sicht so spannend wie ein russischer Heimatfilm. Das Land ist verwüstet, die Leute melancholisch-depressiv und nichts wichtiges passiert.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann entwickelt sich eine Phase mit anhaltendem Wachstum. Die Fundamentaldaten werden immer besser, der Markt zieht kontinuierlich an. So richtig bekommen die Kleinanleger, also Leute wie Du und ich, noch nicht Wind davon. Einige Leute scheffeln ganz gut Kohle und ihre neidischen Nachbarn denken sich, na warte nur, das verlierst Du schon wieder.
>Aber der eine oder andere mutige Kleinanleger kriegt doch etwas Appetit und schaltet mal ntv ein. Da gibts gute Tipps und man kann ja mal nachmachen, was die Friedhelm Buschs so einem empfehlen. Und mit etwas Geld klappts vielleicht auch mit der Nachbarin.
>Jetzt wird der mutige Kleinanleger viele gute Lernerfahrungen machen können. Wenn die Aktien fallen, sollst Du kaufen. Denn bald geht es nur noch mehr nach oben. Er kriegt auch immer mehr gute Vorbilder von Leuten, die dasselbe machen und die dafür belohnt werden. Und wir sind uns einig, es geht nach oben.
>Aus börsenpsychologischer Sicht wird die Sache spannend. Es kommt zu einem allgemeinen Konditionierungsprozess. Kaufe, halte und Du gewinnst, lautet die Botschaft. Da es schwer ist, in einem solchen Umfeld Fehler zu machen, verdient der mutige Anleger mit den meisten Positionen. Er lernt außerdem: Du hast raus, wie es funktioniert. Du hast es in der Hand. Das nennt man dann Kontrollillusion. Zusätzliche Sicherheit schaffen die anderen, die dasselbe tun und so viele Leute können nicht irren.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt Welle 4, die allen ein Stückchen von ihren Gewinnen wegnimmt. Einige steigen aus.
>Dann aber kommt Welle 5 und jetzt wird es richtig interessant.
>Die Bande hat Blut geleckt. Es geht nach oben und wie. Der Trend beschleunigt sich (Trendakzeleration). Wer ausgestiegen ist, beisst sich in den Arsch und kauft sich um jeden Preis zurück. Wer drin geblieben ist, hat gelernt. Aussitzen ist alles. Jetzt kauft auch die Nachbarin selbst Aktien, und der Nachbar auch. Und die 18jährige Göre pfeifft ihren Opi an, weil er ihr ein Sparbuch zum Geburtstag schenkt. Und alle haben gelernt: Wer die Zähne zusammenbeissen kann, wird mit märchenhaften Reichtümern belohnt.
>Börsenpsychologisch kann man nur noch von irrationaler Gier sprechen. Steigende Zinsen, abschwächendes Wachstum interessiert keinen mehr. Es wird nicht wahrgenommen (selektive Wahrnehmung) oder wegrationalisiert (kognitive Dissonanz) oder einfach ignoriert/verdrängt. Die Kontrollillusion hat sich weiter verstärkt, die Konditionierung weiter gefestigt. Der Börsenerfolg wird mit dem Selbstwertgefühl verknüpft. Es kommt zu einer starken emotionalen Verpflichtung (commitment), den eigenen Börsenvorstellungen treu zu bleiben. Es kommt auch zu einer positiven Rückkopplung. Der Erfolg sorgt für weitere Investion und damit weiteren Erfolg. Die meisten Kleinanleger, die sich jetzt an der Börse tummeln, haben aber eigentlich keine Ahnung, was sie machen. Ihr Verhalten ist einfach Imitation. Sie folgen ihren Vorbildern. Darum ist mir auch Schweinchen Förtsch so verhasst. Eine gute Frage ist natürlich, wieviel Wissen die Profis haben. Wenn ich höre, wie 25jährige (!) Fondsmanager millionenschwere High-Tech-Fonds anvertraut bekommen, könnte mir schon schlecht werden.
>Und jetzt die Umkehrung:
>Es herrscht eine Phase der übertriebenen Sicherheit (Overconfidence). Die Aktienkurse steigen nicht mehr, aber das ist nicht wichtig, denn alle sind sicher, dass die Frage der nächsten Rally nur eine Frage der Zeit ist. Also streiten sie, ob es denn eine Sommer-, Herbst-, Winter- oder"Jahresendrally" (tolles Wort) wird. Das Bewertungsniveau ist jenseits von gut und böse. Es kommt zwar zu wiederholten kleineren Einbrüchen, aber die anschließende Korrektur fängt die Verluste meist wieder zu 100% auf. Die Bewegung läuft insgesamt seitwärts.
>Aktien sind zwar sehr erotisch, aber sie machen nicht mehr so richtig Spaß. Die Marktteilnehmer sind investiert. Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung bestehen, interessieren aber keinen. Die Gewinnaussichten der Unternehmen gehen zurück, die Zinsen steigen. Who cares?
>Börsenpsychologisch ist das ganze so spannend deutscher Heimatfilm. Heile Welt in den Köpfen, Trümmer ringsum, alle sind glücklich.
>Der Prozeß der allgemeinen Konditionierung ist so weit fortgeschritten, dass die Kontrollillusion den Höhepunkt erreicht hat. Keine Angst an Bord der Titanic, wir haben alles im Griff. Kurseinbrüche können in dieser Phase nicht anhaltend sein, weil genügend Anleger vorhanden sind, die aufgrund ihrer bisherigen Lernerfahrungen jede Schwäche als Kaufsignal sehen. Die Trendwende ist erfolgt, aber die wenigsten bekommen sie mit. Leider gibt es in dieser Phase keine Vorbilder, die die in ihrem Verhalten auf Imitation beschränkten Kleinanleger in ihrer bisherigen Strategie erschüttern könnten. Warum sollten sie auch. Zuerst ich, dann mein Geld, dann Frauen und Kinder.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann bildet sich doch ein stabiler Abwärtstrend. Es sind einfach nicht genügend Käufer und genügend Geld da, um die übertriebenen Bewertungen auf Dauer halten zu können. Erstaunlich ist, dass in dieser Phase keine hohen Umsätze stattfinden. Obwohl der stabile Abwärtstrend monatelang anhalten kann, bleibt der Verkaufsdruck relativ konstant.
>Börsenpsychologisch eine sehr interessante Phase. Die Spannung der"kognitiven Dissonanz" steigert sich von Tag zu Tag, indem der Marktteilnehmer einerseits mit kontinuierlich fallenden Kursen konfrontiert wird, andererseits an seinen konditionierten Grundüberzeugungen unbedingt festhalten will. Es muss immer mehr psychische Energie aufgewandt werden, um diese Dissonanz auszuhalten. So mancher mutige Kleinanleger hält den Druck nicht aus und verkauft (je nach vorherigem Ausmaß des eigenen"Commitment" zum eigenen Engagement). Aber sie fallen in dieser Phase erst Stück für Stück um. Jeder ist eben in unterschiedlichem Ausmaß von sich selbst überzeugt. Die Nachbarin hält bestimmt noch und glaubt, dass jetzt nur"Weicheier" verkaufen.
>Das zerrt natürlich an den Nerven und erklärt auch den aggressiver werdenden Ton in den Boards. Psychologisch bietet sich jetzt wahres Panoptikum an bemerkenswerten Phänomen. Erwähnen will ich hier v.a. die"aversion of regret", das bedeutet, dass die meisten Marktteilnehmer, die"schlechten" Gefühlen vermeiden wollen, die entstehen, wenn Buchverluste in Realverluste überführt werden. Das führt letztlich zu Passivität und erklärt auch die niedrigen Umsätze in dieser Phase. Ich denke, das wir uns jetzt genau an dieser Stelle befinden.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt die Welle 4, die einigen etwas von ihren Verlusten wieder zurückbringt, Einige steigen wieder ein.
>Und dann kommt es wieder zur Trendakzeleration. Die Nerven der Anleger sind strapaziert, das Aufrechterhalten der inneren Verteidigungslinie gegen die Realität hat zuviel Kraft gekostet. Die Frustrationstoleranz nach der demütigenden Welle 3 ist minimal. So etwas will man sich nicht mehr antun.
>Es reicht schon ein kleiner Anstoß und die Welle wird losgetreten. Jetzt aber mit Volumen, jetzt verkauft auch die Nachbarin.
>Das ist der"sellout" oder"sell-off".
>Psychologisch ist jetzt die Angst vor dem erneuten psychischen Druck größer als die Angst, Buchverluste einzugestehen. Die Kontrollillusion wird durch ein Gefühl von Kontrollverlust ersetzt. Der"locus of control" ist außerhalb von mir, das bedeutet, das nicht mehr ich die Ereignisse (Kursverhalten) und ihre Wirkung auf mich vorhersehen, d.h. kontrollieren kann, sondern etwas oder jemand anderes verantwortlich ist. Wer sich jetzt noch vor den"schlechten Gefühlen" schützen will, der muss, nachdem durch den Verkauf die Angst vor weiteren Verlusten hinfällig geworden ist, die Börse ganz aus seiner Wahrnehmung verdrängen.
>Carola Ferstl wird also keine Zuschauer mehr haben ( Hurra), Heiko Thieme kriegt kein Publikum mehr, Schweinchen Fötsch kriegt im Knast keine Börsenzeitung, weil es keine Börsenzeitung mehr gibt.
>O.K. meinetwegen gibt es noch Börsenzeitungen, aber nicht mehr den"Aktionär".
>Und Elliott: genau. Wieder Welle 5
>Und dann wieder von vorn...
>Nachtrag:
>Warum habe ich mir 1 1/2h Zeit genommen, dass alles zusammenzuschreiben?
>Auch ich habe ein Bedürfnis nach Kausalität und Kontrolle. Die börsenpsychologische Analyse schafft natürlich genau ein Problem, dass sie doch beseitigen sollte: Die Kontrollillusion. Am Ende meine ich zu verstehen, warum die Börse so läuft, wie sie läuft und erkennen zu können, wo sie hinlaufen wird. Das Aufschreiben zwingt mich dazu, meine eigenen Überlegungen offenzulegen und macht sie damit der Kritik Dritter zugänglich. Bevor ich jetzt also selbst einer Kontrollillusion zum Opfer falle, fordere ich alle geschätzten Leser zur konstruktiven Kritik auf. Denn unwissend bin ich geboren, aber trotzdem will ich nicht arm sterben...
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<HR>
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JüKü
17.11.2000, 16:04
@ Rumpelstilzchen
|
Re: Elliottwaves und Marktpsychologie / Meilenstein |
Wunderbar! Konnte jetzt nur überfliegen, werde demnächst genauer darauf eingehen.
>Liebe Märchenfreunde,
>das positive Feedback auf meine Ausführungen zur Börsenpsychologie hat mich ermuntert, das ganze noch einmal in Verknüpfung mit den Elliotwellen darzustellen.
>Nachfolgend einige Ausführungen zur Marktzyklik und Börsenpsyche
>Es war einmal... eine Phase der Unsicherheit. An den Börsen tummeln sich kaum Privatanleger. Das Bewertungsniveau ist sehr niedrig. Niemand interessiert sich recht für Aktien. Den meisten steckt noch der letzte Crash in den Knochen und niemand hat so recht Lust, sich mit Aktien zu beschäftigen. Gewinne werden bald mitgenommen. Die kurzfristige Korrektur umfasst oft 100%des vorherigen kurzfistigen Anstiegs. Die meisten Marktteilnehmer sind vorsichtig und es bestehen Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Aktien machen eigentlich nicht so richtig Spaß und sind ziemlich unerotisch.
>Aus börsenpsychologischer Sicht so spannend wie ein russischer Heimatfilm. Das Land ist verwüstet, die Leute melancholisch-depressiv und nichts wichtiges passiert.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann entwickelt sich eine Phase mit anhaltendem Wachstum. Die Fundamentaldaten werden immer besser, der Markt zieht kontinuierlich an. So richtig bekommen die Kleinanleger, also Leute wie Du und ich, noch nicht Wind davon. Einige Leute scheffeln ganz gut Kohle und ihre neidischen Nachbarn denken sich, na warte nur, das verlierst Du schon wieder.
>Aber der eine oder andere mutige Kleinanleger kriegt doch etwas Appetit und schaltet mal ntv ein. Da gibts gute Tipps und man kann ja mal nachmachen, was die Friedhelm Buschs so einem empfehlen. Und mit etwas Geld klappts vielleicht auch mit der Nachbarin.
>Jetzt wird der mutige Kleinanleger viele gute Lernerfahrungen machen können. Wenn die Aktien fallen, sollst Du kaufen. Denn bald geht es nur noch mehr nach oben. Er kriegt auch immer mehr gute Vorbilder von Leuten, die dasselbe machen und die dafür belohnt werden. Und wir sind uns einig, es geht nach oben.
>Aus börsenpsychologischer Sicht wird die Sache spannend. Es kommt zu einem allgemeinen Konditionierungsprozess. Kaufe, halte und Du gewinnst, lautet die Botschaft. Da es schwer ist, in einem solchen Umfeld Fehler zu machen, verdient der mutige Anleger mit den meisten Positionen. Er lernt außerdem: Du hast raus, wie es funktioniert. Du hast es in der Hand. Das nennt man dann Kontrollillusion. Zusätzliche Sicherheit schaffen die anderen, die dasselbe tun und so viele Leute können nicht irren.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt Welle 4, die allen ein Stückchen von ihren Gewinnen wegnimmt. Einige steigen aus.
>Dann aber kommt Welle 5 und jetzt wird es richtig interessant.
>Die Bande hat Blut geleckt. Es geht nach oben und wie. Der Trend beschleunigt sich (Trendakzeleration). Wer ausgestiegen ist, beisst sich in den Arsch und kauft sich um jeden Preis zurück. Wer drin geblieben ist, hat gelernt. Aussitzen ist alles. Jetzt kauft auch die Nachbarin selbst Aktien, und der Nachbar auch. Und die 18jährige Göre pfeifft ihren Opi an, weil er ihr ein Sparbuch zum Geburtstag schenkt. Und alle haben gelernt: Wer die Zähne zusammenbeissen kann, wird mit märchenhaften Reichtümern belohnt.
>Börsenpsychologisch kann man nur noch von irrationaler Gier sprechen. Steigende Zinsen, abschwächendes Wachstum interessiert keinen mehr. Es wird nicht wahrgenommen (selektive Wahrnehmung) oder wegrationalisiert (kognitive Dissonanz) oder einfach ignoriert/verdrängt. Die Kontrollillusion hat sich weiter verstärkt, die Konditionierung weiter gefestigt. Der Börsenerfolg wird mit dem Selbstwertgefühl verknüpft. Es kommt zu einer starken emotionalen Verpflichtung (commitment), den eigenen Börsenvorstellungen treu zu bleiben. Es kommt auch zu einer positiven Rückkopplung. Der Erfolg sorgt für weitere Investion und damit weiteren Erfolg. Die meisten Kleinanleger, die sich jetzt an der Börse tummeln, haben aber eigentlich keine Ahnung, was sie machen. Ihr Verhalten ist einfach Imitation. Sie folgen ihren Vorbildern. Darum ist mir auch Schweinchen Förtsch so verhasst. Eine gute Frage ist natürlich, wieviel Wissen die Profis haben. Wenn ich höre, wie 25jährige (!) Fondsmanager millionenschwere High-Tech-Fonds anvertraut bekommen, könnte mir schon schlecht werden.
>Und jetzt die Umkehrung:
>Es herrscht eine Phase der übertriebenen Sicherheit (Overconfidence). Die Aktienkurse steigen nicht mehr, aber das ist nicht wichtig, denn alle sind sicher, dass die Frage der nächsten Rally nur eine Frage der Zeit ist. Also streiten sie, ob es denn eine Sommer-, Herbst-, Winter- oder"Jahresendrally" (tolles Wort) wird. Das Bewertungsniveau ist jenseits von gut und böse. Es kommt zwar zu wiederholten kleineren Einbrüchen, aber die anschließende Korrektur fängt die Verluste meist wieder zu 100% auf. Die Bewegung läuft insgesamt seitwärts.
>Aktien sind zwar sehr erotisch, aber sie machen nicht mehr so richtig Spaß. Die Marktteilnehmer sind investiert. Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung bestehen, interessieren aber keinen. Die Gewinnaussichten der Unternehmen gehen zurück, die Zinsen steigen. Who cares?
>Börsenpsychologisch ist das ganze so spannend deutscher Heimatfilm. Heile Welt in den Köpfen, Trümmer ringsum, alle sind glücklich.
>Der Prozeß der allgemeinen Konditionierung ist so weit fortgeschritten, dass die Kontrollillusion den Höhepunkt erreicht hat. Keine Angst an Bord der Titanic, wir haben alles im Griff. Kurseinbrüche können in dieser Phase nicht anhaltend sein, weil genügend Anleger vorhanden sind, die aufgrund ihrer bisherigen Lernerfahrungen jede Schwäche als Kaufsignal sehen. Die Trendwende ist erfolgt, aber die wenigsten bekommen sie mit. Leider gibt es in dieser Phase keine Vorbilder, die die in ihrem Verhalten auf Imitation beschränkten Kleinanleger in ihrer bisherigen Strategie erschüttern könnten. Warum sollten sie auch. Zuerst ich, dann mein Geld, dann Frauen und Kinder.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 1 und Welle 2.
>Dann bildet sich doch ein stabiler Abwärtstrend. Es sind einfach nicht genügend Käufer und genügend Geld da, um die übertriebenen Bewertungen auf Dauer halten zu können. Erstaunlich ist, dass in dieser Phase keine hohen Umsätze stattfinden. Obwohl der stabile Abwärtstrend monatelang anhalten kann, bleibt der Verkaufsdruck relativ konstant.
>Börsenpsychologisch eine sehr interessante Phase. Die Spannung der"kognitiven Dissonanz" steigert sich von Tag zu Tag, indem der Marktteilnehmer einerseits mit kontinuierlich fallenden Kursen konfrontiert wird, andererseits an seinen konditionierten Grundüberzeugungen unbedingt festhalten will. Es muss immer mehr psychische Energie aufgewandt werden, um diese Dissonanz auszuhalten. So mancher mutige Kleinanleger hält den Druck nicht aus und verkauft (je nach vorherigem Ausmaß des eigenen"Commitment" zum eigenen Engagement). Aber sie fallen in dieser Phase erst Stück für Stück um. Jeder ist eben in unterschiedlichem Ausmaß von sich selbst überzeugt. Die Nachbarin hält bestimmt noch und glaubt, dass jetzt nur"Weicheier" verkaufen.
>Das zerrt natürlich an den Nerven und erklärt auch den aggressiver werdenden Ton in den Boards. Psychologisch bietet sich jetzt wahres Panoptikum an bemerkenswerten Phänomen. Erwähnen will ich hier v.a. die"aversion of regret", das bedeutet, dass die meisten Marktteilnehmer, die"schlechten" Gefühlen vermeiden wollen, die entstehen, wenn Buchverluste in Realverluste überführt werden. Das führt letztlich zu Passivität und erklärt auch die niedrigen Umsätze in dieser Phase. Ich denke, das wir uns jetzt genau an dieser Stelle befinden.
>Aus Sicht der Elliottwellen Welle 3
>Dann kommt die Welle 4, die einigen etwas von ihren Verlusten wieder zurückbringt, Einige steigen wieder ein.
>Und dann kommt es wieder zur Trendakzeleration. Die Nerven der Anleger sind strapaziert, das Aufrechterhalten der inneren Verteidigungslinie gegen die Realität hat zuviel Kraft gekostet. Die Frustrationstoleranz nach der demütigenden Welle 3 ist minimal. So etwas will man sich nicht mehr antun.
>Es reicht schon ein kleiner Anstoß und die Welle wird losgetreten. Jetzt aber mit Volumen, jetzt verkauft auch die Nachbarin.
>Das ist der"sellout" oder"sell-off".
>Psychologisch ist jetzt die Angst vor dem erneuten psychischen Druck größer als die Angst, Buchverluste einzugestehen. Die Kontrollillusion wird durch ein Gefühl von Kontrollverlust ersetzt. Der"locus of control" ist außerhalb von mir, das bedeutet, das nicht mehr ich die Ereignisse (Kursverhalten) und ihre Wirkung auf mich vorhersehen, d.h. kontrollieren kann, sondern etwas oder jemand anderes verantwortlich ist. Wer sich jetzt noch vor den"schlechten Gefühlen" schützen will, der muss, nachdem durch den Verkauf die Angst vor weiteren Verlusten hinfällig geworden ist, die Börse ganz aus seiner Wahrnehmung verdrängen.
>Carola Ferstl wird also keine Zuschauer mehr haben ( Hurra), Heiko Thieme kriegt kein Publikum mehr, Schweinchen Fötsch kriegt im Knast keine Börsenzeitung, weil es keine Börsenzeitung mehr gibt.
>O.K. meinetwegen gibt es noch Börsenzeitungen, aber nicht mehr den"Aktionär".
>Und Elliott: genau. Wieder Welle 5
>Und dann wieder von vorn...
>Nachtrag:
>Warum habe ich mir 1 1/2h Zeit genommen, dass alles zusammenzuschreiben?
>Auch ich habe ein Bedürfnis nach Kausalität und Kontrolle. Die börsenpsychologische Analyse schafft natürlich genau ein Problem, dass sie doch beseitigen sollte: Die Kontrollillusion. Am Ende meine ich zu verstehen, warum die Börse so läuft, wie sie läuft und erkennen zu können, wo sie hinlaufen wird. Das Aufschreiben zwingt mich dazu, meine eigenen Überlegungen offenzulegen und macht sie damit der Kritik Dritter zugänglich. Bevor ich jetzt also selbst einer Kontrollillusion zum Opfer falle, fordere ich alle geschätzten Leser zur konstruktiven Kritik auf. Denn unwissend bin ich geboren, aber trotzdem will ich nicht arm sterben...
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Lullaby
17.11.2000, 16:22
@ Rumpelstilzchen
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Re: Kam gar nicht mit dem Ausdrucken nach... SUPER! (owT) |
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mond73
17.11.2000, 16:40
@ Rumpelstilzchen
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So oder ähnlich hatte ich es immer in meinem Kopf...mkT |
Nur glaube ich, daß im Dow und Dax erst die 1 erreicht ist (bin sehr unbedarft im Zählen), während in Nasdaq und Nemax die 3 erreicht wurde.
Nochmals Danke für Deine MÜhe, echt super.
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Tobias
17.11.2000, 17:07
@ Rumpelstilzchen
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Dieser Beitrag ist ein Nugget! Danke und klitzekleine Anmerkung... |
>Nachtrag:
>Warum habe ich mir 1 1/2h Zeit genommen, dass alles zusammenzuschreiben?
>Auch ich habe ein Bedürfnis nach Kausalität und Kontrolle. Die börsenpsychologische Analyse schafft natürlich genau ein Problem, dass sie doch beseitigen sollte: Die Kontrollillusion. Am Ende meine ich zu verstehen, warum die Börse so läuft, wie sie läuft und erkennen zu können, wo sie hinlaufen wird. Das Aufschreiben zwingt mich dazu, meine eigenen Überlegungen offenzulegen und macht sie damit der Kritik Dritter zugänglich. Bevor ich jetzt also selbst einer Kontrollillusion zum Opfer falle, fordere ich alle geschätzten Leser zur konstruktiven Kritik auf. Denn unwissend bin ich geboren, aber trotzdem will ich nicht arm sterben...
***Kontrollillusion, Gier, Angst, selektive Wahrnehmung, etc. (Behavioral Finance) und die Kenntnis über Elliottwellen u.a. sind - auch wenn man es so präzise und klar durchschaut wie Du, Rumpel - nur ein Teil des eigenen Börsenerfolgs. Das ist der betrachende, passive Teil.
Der andere Teil ist der aktive, der wo man selbst handelt und Teil des Marktgeschehens wird. Und hier gehört mindestens ebenso soviel Lernerfahrung dazu (permanentes Lernen und Weiterentwickeln, Fehlervermeidung/-reduktion)!
Wichtig im aktiven Teil sind zum Beispiel:
- jede Entscheidung wirklich selbst zu treffen und die volle Verantwortung für das eigene Tun/Nicht-Tun ("Standing aside is a position.") zu übernehmen!
- die Positionsgröße angemessen zu halten (max. x% Prozent des eigenen Risikokapitals einzusetzen)!
- das Risiko (auch wenn man sich noch so sicher ist) über Stopps strikt zu begrenzen. Immer und ausnahmslos!
- Gewinne wirklich laufen zu lassen!
- wirklich gemäß dem eigenen"Schlachtplan" zu handeln (statt zu zögern), also sein"überlegenes" Wissen in echte Profite zu verwandeln!
Vielen Dank für diesen weiteren tollen Beitrag,
Tobias
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snob
17.11.2000, 17:37
@ Rumpelstilzchen
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Wirklich toll dargestellt...mkt |
auch wenn ich kein Elliott-Anhänger bin gefällt mir Deine Geschichte.
Sie charakterisiert die typischen Eigenschaften von Hausse und Baisse.
Gruß,
snob
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Rumpelstilzchen
17.11.2000, 18:31
@ Tobias
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Re: Dieser Beitrag ist ein Nugget! Danke und klitzekleine Anmerkung... |
>***Kontrollillusion, Gier, Angst, selektive Wahrnehmung, etc. (Behavioral Finance) und die Kenntnis über Elliottwellen u.a. sind - auch wenn man es so präzise und klar durchschaut wie Du, Rumpel - nur ein Teil des eigenen Börsenerfolgs. Das ist der betrachende, passive Teil.
>Der andere Teil ist der aktive, der wo man selbst handelt und Teil des Marktgeschehens wird. Und hier gehört mindestens ebenso soviel Lernerfahrung dazu (permanentes Lernen und Weiterentwickeln, Fehlervermeidung/-reduktion)!
Hi Tobias!
Natürlich hast Du völlig recht. Grau ist alle Theorie, in der Praxis spielt die Musik.
Und Anfang meines Spekulantendaseins war ich auch nicht halb so schlau wie jetzt. Dann habe ich die gängigen Fehler gemacht und habe gedacht, jetzt wäre ich schlau. War aber ein Irrtum. Ich habe noch ein paar Fehler gefunden, die ich noch nicht gekannt habe, die habe dann auch noch gemacht. Und immer wieder finden sich neue Fehlerchen, die ich dann gleich ausprobiere.
Aber die Performance wird trotzdem besser.:)
>Wichtig im aktiven Teil sind zum Beispiel:
>- jede Entscheidung wirklich selbst zu treffen und die volle Verantwortung für das eigene Tun/Nicht-Tun ("Standing aside is a position.") zu übernehmen!
>- die Positionsgröße angemessen zu halten (max. x% Prozent des eigenen Risikokapitals einzusetzen)!
Mein Lieblingsfehler!
>- das Risiko (auch wenn man sich noch so sicher ist) über Stopps strikt zu begrenzen. Immer und ausnahmslos!
Ich hasse Stopps. Sie kränken mich durch ihre reine Existenz.
Leider hast Du völlig recht.
>- Gewinne wirklich laufen zu lassen!
Puh, das einzige, was mir leicht fällt.
>- wirklich gemäß dem eigenen"Schlachtplan" zu handeln (statt zu zögern), also sein"überlegenes" Wissen in echte Profite zu verwandeln!
Genau das wollte ich hören!
Ich fühle mich bestätigt.
>Vielen Dank für diesen weiteren tollen Beitrag,
>Tobias
Vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Bin bislang nicht falsifiziert worden.
Aber ich habe den Beitrag auch noch in 2 Bullenboards gestellt.
Für die Jungs wird es wohl eine kleine Provokation.
Mal schauen, ob ich dort"erschüttert" werde.
Grüße
R.
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Sascha
18.11.2000, 10:32
@ Rumpelstilzchen
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Super Beitrag, Rumpelstilzchen! (owT) |
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JüKü
21.11.2000, 19:57
@ Rumpelstilzchen
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Re: Elliottwaves und Marktpsychologie / Noch Mal, weil's so schön ist |
Endlich habe ich den Beitrag ganz in Ruhe gelesen. Wahrhaft"Psychologie live" und, wie ich schon sagte, ein Meilenstein.
Die"kognitive Dissonanz" war damals (9/99) der"rote Faden" in meinem Vortrag, den ich in Luxemburg gehalten habe.
Also noch Mal: Danke, Rumpelstilichen!
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