-->Paul Kirchhof im heute.online-Interview
Bundesverfassungsrichter a.D. Paul Kirchhof setzt sich seit Jahren für
radikal vereinfachte Steuergesetze ein. Am Mittwoch erscheint sein neues
Buch mit dem Titel"Der sanfte Verlust der Freiheit" im Buchhandel. Darin
fordert er ein neues Steuergesetz. Es soll"klar, verständlich und gerecht"
sein, fordert Kirchhof Im Gespräch mit heute.online.
heute.online: Erzieht das bestehende Steuerrecht zur Unehrlichkeit?
Prof. Paul Kirchhof: Jedenfalls fühlt sich derjenige als"der
Dumme", der die gesetzlich vorgesehene Regelsteuer zahlt. Er verliert
das Vertrauen in den Staat. Dieser fordert Geldleistungen und damit
Einsicht, Verständnis, grundsätzliche Billigung der Steuerpflicht. Das
geltende Steuerrecht bedroht durch Ungleichbehandlungen Gesetzesvertrauen,
Bürgersinn und soziale Zugehörigkeit.
heute.online: Das klingt nach einer Entsolidarisierung der Menschen. Ein
schlimmer Vorwurf. Dabei geht es doch schlicht darum, die Steuerlast so
niedrig wie möglich zu halten. Was ist am Quittungen sammeln so schlimm?
Paul Kirchhof ist einer der wichtigsten Experten zum Steuerrecht. Er hat mit Unterstützung der Bundesländer ein radikal vereinfachtes Steuergesetz erarbeitet. In der
Zeit von 1987 bis 1999 war er als Richter am Bundesverfassungsgericht an
wichtigen Entscheidungen zum Steuerrecht beteiligt. Heute lehrt und forscht
er an der Uni Heidelberg.
Kirchhof: Die Freude an
der Steuerersparnis trübt sich später beim Blick auf seinen Steuerbescheid,
wenn er das Gefühl gewinnt, er hätte auf dem Klavier des Steuerrechts noch
besser spielen und dadurch noch mehr Steuern sparen können. Zu dem Ärger
über die Steuerlast tritt dann der intellektuelle Selbstvorwurf, nicht
hinreichend geschickt gewesen zu sein. heute.online:... und das macht
unfrei? Kirchhof: Der Steuerzahler gibt an den Toren des Steuerrechts
unbewusst ein Stück seiner Freiheit ab. Er versucht einer drohenden
Steuerlast auszuweichen und wähnt sich in dieser Unfreiheit im Vorteil. Das
Recht stellt ihn vor die Alternative einer vermeidbaren Steuerlast und kann
sicher sein, dass er um der Steuervermeidung willen in Richtung
Freiheitsverlust geht.
heute.online: Erzieht das bestehende Recht zur Unehrlichkeit? Kirchhof:
Ja. Durch die Pendlerpauschale wird man veführt mehr Kilometer anzugeben -
der Sparer durch das Bankgeheimnis, seine Erträge zu verschweigen - der
Unternehmer durch das Bwertungsrecht und Verrechnungsweise einen überhöhten
Aufwand auszuweisen. heute.online: Was bedeutet für Sie
Steuergerechtigkeit?
Kirchhof: Gerecht ist, wenn jeder bis zu einem Viertel des Einkommens zur
Finanzierung der Rechtsgemeinschaft beiträgt.
Verlustzuweisungs-Gesellschaften, Filmförderung, Begünstigung der Schiffe
(Tonnagesteuer) haben hier keinen Platz.
heute.online: In Ihrem Buch kritisieren Sie das steuerrechtliche
Grundprinzip der Lenkungswirkung. Warum? Kirchhof: Der Bürger erhält eine
Steuervergünstigung, wenn er ein Denkmal restauriert, ein Eigenheim baut,
in den Wohnungsbau investiert. Diese Verhaltensweisen sind erwünscht - die
Verhaltenslenkung steht aber grundsätzlich nicht dem Steuergesetzgeber zu.
Eine freiheitliche Verfassung sollte darauf setzen, dass die Menschen
selbst am besten wissen, wie sie ihr Einkommen verwenden sollen. Einer
steuerlichen Lenkung bedarf es nicht.
heute.online: Überschreitet der Steuergesetzgeber seine Kompetenzen?
Kirchhof: Die Steuer ist Ausdruck der jeweiligen Freiheitskultur: Im
Idealfall belässt sie daher das Wirtschaftsleben in privater Hand und
vertraut auf die freiheitlichen Initiativen der Menschen. Ein maßvoller
Teil des erzielten Privateinkommens und der eingesetzten Kaufkraft muss die
Steuer für den Staat beanspruchen. Unser Steuerrecht ist aber durchsetzt
von einer Fülle von Lenkungs-, Bevorzugungs- und
Benachteiligungs-Tatbeständen, die den Bürger zu einem bestimmten Verhalten
veranlassen wollen.
heute.online: Was haben Sie gegen Steuersubventionen?
Kirchhof: Die Entlastung des einen setzt die entsprechende Mehrbelastung
eines anderen voraus. Der Staat kann dem einen nur die Gunst erweisen, wenn
er den anderen dafür benachteiligt - ihm mit Missgunst begegnet. Ein kluger
Staat wird deshalb die Lastenbalance für alle wahren und strikt an der
Regelsteuer ohne Ausnahme und ohne Ausweichmöglichkeit - festhalten.
heute.online: Wo sehen Sie Verstößen gegen Verfassungsrecht?
Kirchhof: Der Steuergesetzgeber unterliegt den Anforderungen des
Gleichheitssatzes unseres Grundgesetzes. Der Steuerpflichtige empört sich
zu Recht, wenn dieses Verfassungsprinzip gegenwärtig im Steuerrecht nicht
verlässlich verwirklicht wird. Das geltende Recht belastet Arbeitseinkommen
höher als Kapitaleinkommen, benachteiligt die Familien, begündtigt
gestaltungsfreudige und gewandte Steuerpflichtige.
heute.online: Wie soll das neue Steuerrecht aussehen?
Kirchhof: Wir müssen zu einem einfachen, verständlichen, gleichmäßigen
und deshalb maßvollen Steuerrecht zurückkehren. Dies lässt sich in einem
Gesetz mit nur 23 Paragrafen verwirklichen. Die 31 Bundessteuern sollen auf
vier - je eine Steuer auf das Einkommen, den Umsatz, die Erbschaft und den
Sonderverbrauch - zurückgenommen werden. Über 70.000 Paragrafen des
geltenden Rechts könnten so um 69.600 auf 400 vermindert werden. Dem Bürger
sind nicht mehr Vorschriften zuzumuten, als der zuständige Ministerialrat
aktuell im Gedächtnis behalten kann.
heute.online: Kommt es Ihnen komisch vor an der Abschaffung oder
zumindest Radikalkur eines Rechtssystems zu arbeiten, dessen Inhalte Sie
während Ihrer eigenen Ausbildung als gegebene, unverrückbare Tatsache
hinnehmen mussten?
Kirchhof: Ein Verfassungsrechtler stellt die Inhalte des geltenden
Steuerrechts in Frage. Es ist für einen Professor unerträglich, den
Studenten ein Recht vermitteln zu sollen, das in wesentlichen Teilen
Unrecht ist.
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