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KLARTEXT
Beitrag KLARTEXT vom 24.03.2004
Rückübertragung eines Grundstückes: Skandalentscheidung rechtfertigt Stasi-Spitzelei
Das Nachbargrundstück von Robert Havemann bei Berlin wurde 1977 enteignet, damit die Stasi ihn"zur Verteidigung der Republik" observieren konnte. Ein Brandenburger Amt entschied: die Enteignung ist noch heute gültig. Die Alteigentümer klagen nun.
Im nächsten Beitrag geht’s um Vergangenheit, die gegenwärtig ist und um Unrecht, das heute auf einmal Recht sein soll. Die Rede ist von einem idyllischen Fleckchen Erde am See in Grünheide. Auch am letzten Wochenende kamen wieder viele Interessenten um das in der Zeitung zum Verkauf ausgeschriebene Grundstück zu besichtigen. Was ihnen niemand sagte: das Gelände trägt eine schwere Hypothek. 1977 wurde es enteignet. Die Stasi überwachte von hier aus den Regimekritiker Robert Havemann. Ute Barthel über die Ignoranz der Behörden und über Menschen, die zum zweiten Mal auf der Verliererseite stehen.
Grünheide 30 Kilometer östlich von Berlin. Schon zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ausflugsgebiet. In den zahlreichen Datschen suchten viele Berliner am Wochenende Erholung. Zum Beispiel in der Burgwallstraße. Das Grundstück Nummer 3 gehörte einst dem Kommunisten und Gastronomen Otto Metz, der mit seiner Familie in West-Berlin lebte. Das Nachbargrundstück mit der Nummer 4 verkaufte er Ende der 40er Jahre an seinen schon damals prominenten Freund Robert Havemann. Der spätere Regimegegner wurde hier ab 1976 unter Hausarrest gestellt und von der Stasi überwacht. Seine Frau erinnert sich.
Katja Havemann
„Im Herbst oder im Winter ‘76 wurden auch Scheinwerfer installiert, also die zogen Kabel am Zaun entlang und installierten mehrere Scheinwerfer, die abends an waren und auf unser Grundstück gerichtet waren. Wir sollten uns möglichst wie im Lager fühlen.“
Wie im Gefängnis sollten Katja und Robert Havemann in ihrem Haus in Grünheide leben. Der Regimekritiker Robert Havemann stand zweieinhalb Jahre unter Hausarrest, jeden Schritt, jedes Wort überwachte die Stasi. Er sollte psychisch zermürbt werden, deshalb fand die Beobachtung ganz offen statt.
Ideale Bedingungen für die Überwachung Havemanns bot das Nachbargrundstück Nummer 3 der Familie Metz. Hier nistete sich die Staatssicherheit ein. Die amilie Metz aus West-Berlin wurde urzerhand enteignet, wie dieses Dokument zeigt.
Wörtlich heißt es:
Zitat
„Die Inanspruchnahme erfolgt mit Wirkung vom 19.10.1977“
Erst 1989 nach dem Fall der Mauer konnten es die Kinder von Otto Metz wieder betreten. Seine Tochter hatte hier mit ihren Geschwistern oft die Sommerferien verbracht.
Regine Schiller-Horatsch
„Hier war nichts, es war Wildnis, kein Haus, gar nichts, nur Bäume, rasen und da unten der See. Jede Sommerferien waren wir in Grünheide, wir durften uns unsere Freundinnen mitnehmen, eine Tante sorgte für uns, kochte für uns, betuttelte uns und es war wunderschön.“
Die Burgwallstraße wurde während des Hausarrestes von Robert Havemann hermetisch abgeriegelt.
Volkspolizei
„Das Gebiet ist gesperrt und da darf kein DDR-Bürger und auch kein Bürger der BRD hier rein.“
Regine Schiller-Horatsch
„Wir haben das ja auch immer gelesen, dass er vom Nachbargrundstück aus beobachtet wird und das hat ja die internationale Presse auch aufgegriffen. Aber da konnten wir ja gar nichts zu sagen. Wir kamen ja hier nicht her."
"Aber sie wussten, dass es sozusagen von ihrem Grundstück aus gemacht wurde?"
"Das wurde uns dann klar, ja.“
"Aber mitgeteilt hat man ihnen natürlich nichts…?"
"Ach - ih, bewahre. Nichts“
Um Robert Havemann zu überwachen berief sich die Staatssicherheit auf das Verteidigungsgesetz der DDR. Damit wird auch die Enteignung des Nachbargrundstückes begründet.
Zitat
„ Im Interesse der Verteidigung der Republik können Grundstücke….gegen Entschädigung in Volkseigentum überführt werden.“
Robert Havemann wurde als gefährlicher Gegner angesehen. Deshalb löste er mit seiner Kritik am real-existierenden Sozialismus den Verteidigungsfall der DDR aus.
Katja Havemann
„Da lebte hier ein einzelner älterer nichtgesunder Mann mit 'ner Schreibmaschine, die wurde ihm auch noch weggenommen bei einer Hausdurchsuchung und wurde so mit martialischem Aufwand überwacht. Das ist ein Bild, was gerade aus heutiger Sicht einfach so grotesk ist.“
Auch nach dem Ende des Hausarrestes und sogar nach dem Tod Robert Havemanns blieb der Verteidigungsfall bestehen. Die Stasi beobachtete mutmaßliche Staatsfeinde vom Nachbargrundstück aus bis zum Ende der DDR. Am 9. September 1989 fotografierten die Spitzel jeden, der sich dem Havemannschen Grundstück näherte, weil hier das Neue Forum gegründet wurde.
„Dann mit so einem lächerlichem Loch hier, und da gibt’s eine Menge Fotos die zeigen, wer durch mein Eingangstor auf meine Tür zugeht.“
Nach dem Mauerfall wollten die Tochter von Otto Metz und ihre Geschwister ihr Grundstück zurück und stellten einen Rückübertragungsantrag. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen entschied nach über zehn Jahren.
Zitat
„Das Ministerium für Staatssicherheit war Teil des Sicherheits- -und Verteidigungssystems der DDR, das sich sowohl gegen eine Vermeintliche äußere Bedrohung als auch gegen als feindlich angesehene Kräfte im Innern richtete. Enteignungen aufgrund des Verteidigungsgesetzes zur Unterstützung dieser Tätigkeiten müssen daher als zulässig angesehen werden.“
Damit hat die Behörde die Willkürmaßnahme gegen Robert Havemann heute noch für rechtsgültig erklärt. Die Paranoia der damals Regierenden hat also 14 Jahre nach der Wende immer noch rechtliche Folgen. Ein Interview für Klartext verweigert das Amt. Die Tochter von Otto Metz inzwischen Klage eingereicht.
Anfang März hat die Treuhandliegenschaftsgesellschaft hat das Grundstück zum Verkauf angeboten. Auf unsere Nachfrage erfolgt jetzt ein Teilrückzug. Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft erklärt, dass sie vor einem Ende des Rechtsstreites doch nicht verkaufen werde. Ein Interview vor der Kamera aber wird uns auch hier verweigert.
Katja Havemann und die Tochter von Otto Metz kennen sich inzwischen gut. Beide wollen, dass die unrechtmäßige Enteignung von 1977 zurückgenommen wird.
Katja Havemann
„Mein Mann ist allen politischen Belangen rehabilitiert. Die Schuldigen sind bestraft. Und diese Maßnahme der Enteignung die zu diesem Paket von Willkürakten dazugehört, die bleibt bestehen, also das kann eigentlich nicht sein.“
Renate Schiller-Horatsch
„Wir möchten unser Grundstück wieder, weil wir sehen: Das gehört uns nach wie vor. Wir sehen, dass sie hier unrechtmäßig das sich selbst übertragen haben, würde ich mal so sehen. Damit sind wir nicht einverstanden. Und wir werden bis zur letzten Instanz vorgehen. Das ist schon mal 100prozentig sicher.“
Beitrag von Ute Barthel
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