-->"Ich würde derzeit weder in Aktien noch in Anleihen investieren"
Anleihen-Guru Bill Gross über einen zögerlichen Greenspan, steigende Zinsen und die beste Anlagemöglichkeit für 10 000 Euro
von Karsten Seibel
Franfurt/Main - Um seinen Arbeitsplatz beneiden Bill Gross viele. Der vermeintlich einflussreichste Anleihe-Investor der Welt residiert an der kalifornischen Pazifikküste in Newport Beach. Von dort sucht er tagtäglich mit seinen mehr als 600 Mitarbeitern nach den besten Anlagemöglichkeiten für umgerechnet rund 330 Mrd. Euro. Seit dem Jahr 2000 gehört der von Gross 1971 gegründete Vermögensverwalter Pimco zur Münchener Allianz Group. Mit Gross sprach Karsten Seibel.
DIE WELT: Alle erwarten von US-Notenbankpräsident Alan Greenspan eine Zinserhöhung Ende Juni. Was würden Sie an seiner Stelle machen?
Bill Gross: Ich würde den Leitzins direkt um 100 Basispunkte von einem auf zwei Prozent erhöhen. Dies hört sich gewaltig an, doch eigentlich wäre in dem derzeitigen Konjunkturumfeld sogar ein Leitzins von drei Prozent angemessen. Es war ein Fehler, die Zinsen überhaupt bis auf ein Prozent herunterzunehmen. Zwei Prozent hätten als Untergrenze gereicht. Greenspan muss sich vorwerfen lassen, dass er zu hektisch auf die kurzfristig verbreiteten Deflationsängste reagiert hatte.
DIE WELT: Sie erwarten für Ende des Monats einen Zinsschritt von 100 Basispunkten?
Gross: Nein, nicht von Greenspan. Er wird nun zwar schnell, aber in kleinen Schritten die Zinsen erhöht. Bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November haben wir einen Satz von zwei Prozent. Bis Mitte nächsten Jahres sind wir dann bei drei Prozent.
DIE WELT: Keine guten Aussichten für die Anleihemärkte, bedeuten steigende Zinsen doch fallende Kurse.
Gross: Für die USA ist das richtig. Bei der zehnjährigen US-Staatsanleihe erwarte ich innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre einen Renditeanstieg von 4,8 auf rund sechs Prozent. Anders in Europa. Hier werden angesichts des langsameren Wirtschaftswachstums die Zinsen gemächlicher steigen. Von 4,4 auf rund fünf Prozent bis 2006/2007. Der Europäischen Zentralbank kommt zu Gute, dass sie vorausschauender als die US-Notenbank handelte und den Leitzins nicht unter zwei Prozent senkte.
DIE WELT: Wann gibt es die erste Zinserhöhung in Europa?
Gross: In Europa besteht keine Eile. Dort werden die Zentralbank-Zinsen für lange Zeit auf diesem Niveau bleiben.
DIE WELT: Doch wird der Ã-lpreis nicht auch in Europa für höhere Inflationsraten sorgen?
Gross: Die Inflationsgefahr sehe ich eher in den USA als in Europa. In den Vereinigten Staaten halte ich einen Preisauftrieb von jährlich drei bis vier Prozent für wahrscheinlich. Wegen der niedrigen Kreditzinsen ist dort viel billiges Geld im Umlauf, das den Wirtschaftsaufschwung unterstützt und die Inflation beschleunigt. Die Gefahr ist, dass die Preisentwicklung in den nächsten Monaten außer Kontrolle gerät.
DIE WELT: Was heißt das?
Gross: Die Weltwirtschaft balanciert derzeit auf einem Hochseil. Links versucht die Inflation, sie in die Tiefe zu ziehen, rechts zerrt die Deflation.
DIE WELT: Deflation?
Gross: Ja. Es besteht die Gefahr, dass die Notenbank mit zu großen Schritten die Zinsen zu weit nach oben zieht. Alles über einem Satz von drei Prozent wäre schon wieder schädlich. Dann würden einige Blasen platzen, die in den vergangenen Jahren mit viel billigem Geld gespeist wurden - an den Immobilien-, den Aktien- und den Anleihemärkten. Die US- und damit die Weltwirtschaft würden in eine Rezession stürzen.
DIE WELT: Klingt nicht unbedingt nach einer Welt, die sich Investoren wünschen?
Gross: Die Unsicherheit hat in den vergangenen Monaten tatsächlich zugenommen. Neben dem Ã-lpreis und den ständigen Terrorsorgen spielt dabei Asien eine wichtige Rolle. Die amerikanischen Anleihemärkte hängen vor allem vom Geld asiatischer Notenbanken ab, zudem weiß keiner, ob die chinesische Wirtschaft und damit der gesamte asiatische Raum weiter so kräftig wachsen.
DIE WELT: Welchen Wert haben da noch Ihre Marktprognosen über einen Zeitraum von drei Jahren und mehr?
Gross: Sie bleiben wichtig. Sicherlich dreht sich die Welt heute schneller als noch vor ein paar Jahren. Das kommt allein daher, dass sehr flexible Spieler, wie etwa Hedgefonds, das Marktgeschehen zunehmend mitbestimmen. Doch jeder Anleger braucht in der jetzigen Zeit eine Vorstellung, wie sich die Märkte mittelfristig entwickeln könnten. Ansonsten handelt er bei überraschenden Ereignissen nicht mehr rational, sondern lässt sich von seinen Gefühlen leiten.
DIE WELT: Angenommen Sie hätten 10 000 Euro übrig. Was würden Sie machen?
Gross: Ich würde derzeit weder in Aktien noch in Anleihen investieren, sondern die sichere Variante wählen und kurzfristig auf den Geldmarkt setzen. Zwei Prozent für die kommenden sechs bis zwölf Monate machen einen zwar nicht reich, aber man verliert auch nichts.
DIE WELT: Sie wollen wirklich keine Anleihen?
Gross: Na ja, eine fünfjährige deutsche Staatsanleihe ist kein Fehler, aber Finger weg von US-Papieren.
Artikel erschienen am 11. Juni 2004
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