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Denn sie wissen nicht, was tun
» Nie gab es in Zürich mehr Partys doch die Szene ist gelangweilt. Befindlichkeitsanalyse vor der Street Parade
VON CHRISTINA HUBBELING
Ganz Europa nein, die ganze Welt! wird in zwei Wochen nach Zürich strömen, auf Zürich schauen, über Zürich reden, sich in Zürich aufhalten wollen: Hunderttausende Partyfreudige erwarten die Veranstalter der dreizehnten Street Parade. Farbpastig dekoriert und kollektiv beschallt wird vor japanischen Fernsehkameras mit der Federboa gewedelt und kanadischen Fotografen gepiercte Körperstellen entgegengestreckt.
Endlich! Zürich hat es geschafft, das Ausland davon zu überzeugen, dass aus der lustfeindlichen Zwinglistadt ein Party mekka geworden ist. «Das einst so beschauliche Zürich hat ein Nachtleben zu bieten, bei dem andere Städte sich vor Neid in den Ärmel beissen», schreibt die «Süddeutsche Zeitung», und Frankreichs Intellektuellenblatt «La Libération» lobte unlängst das pulsierende Nachtleben in der Limmatstadt über den grünen Klee.
Schweissränder auf Designerklamotten versucht man zu vermeiden
Während Zürich also für Auswärtige über eine grosse Anziehungskraft verfügt, legen die ortsansässigen Hedonisten den Rückwärtsgang ein: Die Street Parade ist für sie ein Grund, die City fluchtartig zu verlassen und in der Abgeschiedenheit der Bergwelt Ruhe zu suchen.
Die Partykaterstimmung ist freilich mehr als eine Replik auf den alljährlichen Technoumzug. Sie ist Ausdruck einer neuerdings grassierenden szene immanenten Be find lichkeit: Die Zürcher In-People sind akut partymuffelig. Es herrscht Katerstimmung. Es herrscht Langeweile. Es herrscht Defätismus.
«Die Szene ist übersättigt und befindet sich in der Endlosschlaufe. Jeder steht in seinen neusten Puma-Turnschuhen kühl-gelangweilt in der Ecke und wartet darauf, dass ein anderer die Initiative ergreift», sagt Robert Meles, der die beiden In-Spots Seebad Enge und die Dachkantine der Toni-Molkerei mitbetreibt. Und der DJ und Kyoto-Tube-Partyveranstalter Gregory Bournet, ein House-Aficionado der ersten Stunde, doppelt nach: «Die Leute tanzen nicht, sondern stehen bloss rum, damit ihre Designerklamotten keine Schweissränder bekommen.»
Noch vor wenigen Jahren war die Sache klar: Am Donnerstag ging man ins Kaufleuten, am Freitag und Samstag ins Gothic und sonntags ab und an ins Terrasse. Zwischendurch mischte man sich unter die ganz besonders coolen Szenis in einer halb legalen Kellerbar. Jeder hatte seine Lieblings-DJs, wusste, wann Oli Stumm hinter dem Plattenteller steht und wo Dani König, Mike Levan oder Lun est Lautre für gute Stimmung sorgen. Jetzt behält keiner mehr den Überblick. «Früher verteilten wir noch gezielt in Szenelokalen Flyers», sagt Greg Müller, der im Terrasse, als dieses noch ein Kabarett war, legendäre House-Partys durchführte. Heute trudeln täglich Partyankündigungen per SMS oder E-Mail herein. Es sind so viele, dass man sie sich gar nicht mehr ansehen mag. Zu welchen Absurditäten solche Umstände führen können, beweist der Effort der Housepeople, die sich laut eigenen Angaben für die Qualitätssicherung der Clubszene einsetzen, indem sie den angeblich besten Ausgehorten das so genannte Safer-Clubbing-Gütesiegel verleihen (www.housepeople.ch).
«Überall dieselbe Musik, überall dasselbe austauschbare Publikum»
Vorbei sind die Zeiten von Exklusiviät, Exzentrik und epochaler Wir-sind-lustige- Partymenschen-Stimmung. Der urbane Hedonismus ist auf dem besten Weg, sich selber abzuschaffen. «Zürich braucht neuen Schwung», sagt Alejandro Vazquez von der Almodobar. Subkultur, Kultorte, pulsierendes Nachtleben und somit die gute Stimmung scheinen dem Kommerz zum Opfer gefallen zu sein. Statt um den avantgardistischen Lifestyle, dreht sich alles um den Profit. «Jeder will mit möglichst wenig Aufwand viel Geld aus dem Nachtleben rausholen», sagt Partyorgani sator Carl Hirschmann, das Enfant terrible unter den jungen Reichen.
Diese Einschätzung teilt auch Thomas Campolongo, ehemaliger DJ: «Es geht nur ums schnelle Geld, sonst würden nicht allerorts Clubs, Bars und Lounges eröffnet, die sich nicht individuell positionieren, sondern sich immer nach dem Vorbild anderer, vermeintlich erfolgreicher Clubs, Bars und Lounges richten. Beim Sound ebenso: überall dieselbe Musik, überall dieselben DJs. Und dazu passend: überall dasselbe, austauschbare Publikum.» Und René Sciacca, der seit 1992 vollamtlich als DJ René S. hinter dem Plattenteller steht, ergänzt: «Eine Subkultur à la New York oder Mailand gibt es in Zürich nicht mehr.»
Zürich wurde auf einen Schlag zum eidgenössischen Partymekka
Die Kreativität ist abhanden gekommen. Dieser Verlust ist umso bedauerlicher, wenn man sich vor Augen führt, wie hart sich die Zürcher ihre Freiheiten erkämpfen mussten. Das Partymekka war nämlich noch in den Achtzigerjahren eine Paranoia City die Zwinglistadt erwies ihrem Namen alle Ehre. Das Maximum an Toleranz, das die Nachbarn einem entgegenzubringen gewillt waren, war das Duschen um 22.15 Uhr. Kurzum: Spass zu haben, war verboten. Die Zürcher lebten sozusagen freiwillig einen DDR-ähnlichen Freiheitsbegriff.
Derweil übten innovative Guerillakneipiers zivilen Ungehorsam: Man versammelte sich in illegalen Einmal-die-Woche-Bars, in de nen die Luftqualität schlechter als in einem Kohlebergwerk und das Bier so warm wie der Golfstrom war. Egal: Die urbane Subkultur war ein Lebensgefühl. Man tat etwas Klandestines welche Aufregung!
Dann kam 1998 die Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes. Auf einen Schlag wurde Zürich zur dionysischen Lifestylemetropole, zum eidgenössischen Party- Mekka. Bars und Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden. Aus der Kellerbargeneration wurde die Spassgesellschaft, ein «Aprilscherz des ausgehenden 20. Jahr hunderts» («Neue Zürcher Zeitung»). Mit der Liberalisierung nahm das roman tisch- suburbane Wir-Gefühl ein Ende, und die Ich-AG war geboren. Heute sehnt sich manch einer nach den Zeiten im Untergrund zurück. «Die Leute weinen ihren schummrigen, illegalen Bars in den Kellern und Hinterhöfen der Stadtkreise 4 und 5 hinterher und haben gemerkt, dass das Ausgehen vielleicht doch nicht so toll ist», sagt Robert Meles.
Hinzu kommt, dass vor etwa einem Jahr ein Generationenwechsel unter den Partyveranstaltern stattfand. Die heutigen Organisatoren können mit Parolen wie «Freie Sicht aufs Mittelmeer» nichts anfangen und assoziieren damit allenfalls eine Schaumparty auf Ibiza. Vom jahrelangen Kampf gegen zwinglianische Eisberge und Permafrost in der Ausgehpolitik haben sie keine Ahnung. Sie sind in den Partyboom hineingewachsen und gewohnt, dass man sie hofiert. Umfasste die Gästeliste des Kaufleuten früher um die 50 Namen, so sind es heute angeblich 700. Jeder ist ein VIP, ein Popstar und erwar tet, umsonst Einlass zu erhalten. Vorbei ist die Zeit, als man vor einem Kaufleuten Schlange stand, in der Hoffnung, dem Pitbull-Türsteher nicht länger als eine hal be Stunde schöne Augen machen zu müssen, auf dass er einem Zutritt zum Tempel der Schönen und Reichen gewährt.
Die Clubs sind halb leer, und im Ausgang tummeln sich nur Teenager
Heute kann das Kaufleuten, wie jeder Club in der Stadt, froh sein, wenn überhaupt jemand kommt. Die Ausgehtempel sind halb leer, und im Ausgang tummeln sich fast nur Teenager aus Gegenden, die auf -gau enden. Ein Supergau für jeden Clubbetreiber. Besserung ist nicht in Sicht. So lange jedenfalls, bis der Markt sich selber reguliert und dem Überangebot den Garaus macht «Die Schlange jedes Wochenende vor dem Eingang kann man für die nächsten fünf Jahre vergessen», prognostiziert Carl Hirschmann.
Was von der ehemaligen Szene noch übrig geblieben ist, trifft sich an den letzten noch halbwegs kultigen Orten, im Talacker, auf dem Hechtplatz, in der Plaza- oder in der Almodobar bezeichnenderweise allesamt Bars und keine Clubs. Es gibt freilich eine Gelegenheit, die sich keiner, aber auch wirklich keiner der über 30-jährigen Szenis entgehen lässt: Die Eröffnungsparty eines neuen Lokals. Dann nippen sie naserümpfend am Gratiscüpli, bemängeln das Interieur, kritisieren das Konzept und ziehen über die trendige Mischpoke her. «Die Leute kommen sofort, wenn es etwas umsonst gibt», sagt Greg Müller. «Aber wenn nicht einmal mehr das Club-Line-up stimmt, setzt später keiner mehr einen Fuss ins Lokal», fügt Gregory Bournet an.
aus Sonntagszeitung in Zürich vom 25.7.2004
PS: Jetzt merken auch die Allerletzten was und wo es geschlagen hat!
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