-->Aus der Süddeutschen Zeitung:
Der folgende Artikel erschien am 28.07.2004 auf Seite 4 der München-Ausgabe
der Süddeutschen Zeitung
(c) Sueddeutsche Zeitung
Verbotene Gedanken
Ausstellung der Uni-Bibliothek zum 200. Geburtstag des
Philosophen Ludwig Feuerbach
Am 28. Juli 1804, vor genau 200 Jahren,wurde in Landshut ein
Mann geboren, der die Mit- und Nachwelt ähnlich spaltete wie sein etwas
jüngerer (mit ihm gut bekannter) Zeitgenosse Karl Marx: der Philosoph und
Religionskritiker Ludwig Feuerbach. Nachdem kürzlich die Deutsche Post zu
Ehren des Jubilars eine Briefmarke herausgebracht hat, erinnert nun die
Universitätsbibliothek bis zum 15. Oktober mit einer Ausstellung im
Hauptgebäude an ihn.
Das allein schon ist eine Überraschung: Nirgendwo sonst wurden
Feuerbachs Ideen so heftig abgelehnt wie gerade in München, wo man ihm die
1830 veröffentlichten"Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" nie verzieh.
Darin verneinte der 26-jährige, eben habilitierte Erlanger
Philosophie-Dozent ähnlich wie Kant und Hegel die theologische oder
philosophische Begründbarkeit des Jenseits- und Auferstehungsglaubens, ging
aber weiter. Er nannte sie"Wunschdenken" und eine Folge des physiologisch
bedingten"Unsicherheitsgefühls" der Menschen. Dieser ganz neue
anthropologische Ansatz erregte einen Sturm der Entrüstung. In Bayern wurde
die Schrift sofort verboten, die Bewerbung des Verfassers um eine Professur
an der LMU wiederholt kommentarlos abgelehnt. Fortan publizierte Feuerbach
als Privatgelehrter und Gastdozent. Auch sein berühmter Vater, der Jurist,
Strafrechts-Reformer und Mitbegründer des modernen bayerischen Staates,
Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach, konnte ihm nicht helfen: Er starb
1833 -- selber heftig angefeindet wegen seines Eintretens für den Findling
Kaspar Hauser. Bis heute gilt Sohn Ludwig (der von der Ermordung des Vaters
überzeugt war) den Fundamentalisten als Beispiel für die negativen Folgen
der Aufklärung. Und seine Verarmung (die kleine Porzellanfabrik der
fränkischen Ehefrau ging Pleite) als gerechte Strafe für den"Atheisten" und
"Materialisten".
Warum also jetzt eine Jubiläums-Ausstellung? Weil"es Zeit ist,
Feuerbach von der einseitigen Rezeption zu befreien", sagt die Organisatorin
Cornelia Töpelmann. Und zu beweisen,"dass der in der ehemaligen DDR
verehrte Philosoph in Wirklichkeit ein großer Humanist war und ein tief
religiöser Mann, auch wenn er eine andere Vorstellung von Gott hatte als die
Theologen". Sein Vorbild sei Giordano Bruno gewesen.
Die Leiterin der Abteilung"Nachlässe und Autographen" kann
dafür -- auch das eine Überraschung -- auf etwa 100 Bände größtenteils
unveröffentlichter Tagebücher und Manuskripte des 1872 gestorbenen
Philosophen zurückgreifen. Feuerbachs Tochter Eleonore hat sie 1917 der
Münchner Universität geschenkt. Höchste Zeit also auch nach bald 90 Jahren,
dass die Wissenschaftler daran gehen,"die Schätze zu heben", wie Töpelmann
hofft.
Nun liegt eine kleine Auswahl, meist in Kopie, in den 16
Vitrinen vor der Großen Aula, ergänzt durch Fotografien, Bilder, Dokumente.
Man erfährt etwa, in welchem Zusammenhang das häufigste Feuerbach-Zitat
steht, der missverständliche Spruch:"Der Mensch ist, was er isst." Einige
Vitrinen enthalten Privates aus dem Leben der Familie Feuerbach. Vor allem
wird die außerordentliche Wirkungsgeschichte Feuerbachs deutlich. Und die
Tatsache, dass sein Hauptwerk"Das Wesen des Christentums" (1841) eben nicht
nur die deutschen Revolutionäre und später Marx, Engels, Lenin beeinflusste,
sondern auch Richard Wagner. Der schrieb 1850"Das Kunstwerk der Zukunft" in
Anlehnung an Feuerbachs"Philosophie der Zukunft" und widmete es ihm"zum
Dank für die von Ihnen mir gewordene Herzstärkung".
ELISABETH HÃ-FL-HIELSCHER
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