-->„Wie tief man sinken kann“
Dirk Sch. gilt als Sachsens „dümmster Räuber“, er handelte auch aus Verzweiflung
Von Thomas Schade
Richter Herbert Pröls will den sozialen Aspekt des „durchschnittlichen Falls von schwerem Raub“ nicht überbewerten: „Wenn man Verantwortung für sein Kind übernimmt, heißt das auch, keine Straftaten zu begehen, erst recht, wenn das Damoklesschwert der Bewährung über einem schwebt“, sagt er.
Doch das Risiko erwischt zu werden, ist nicht die größte Sorge des 26-jährigen Dirk Sch., als er am 13. Mai im Auto von Aue nach Dresden fährt. Seinen Führerschein musste er schon abgeben, als Schwarzfahrer ist er nur noch auf Bewährung auf freiem Fuß. Überhaupt ist dem gelernten Industriekaufmann viel schief gegangen seit dem Tod seiner Mutter vor zwei Jahren. Die Lebensgefährtin hat ihn wegen eines anderen Mannes verlassen. Von der gemeinsamen Tochter will sie nicht viel wissen. So erhält Dirk das Sorgerecht und versucht sich als allein erziehender Vater.
Doch das ist mit seinem Außendienst-Job bei der Allianz nicht vereinbar. Er habe sich für das Kind entschieden und die feste Anstellung aufgegeben, sagt er später. Ein Jahr schlägt er sich noch in einem Mobilfunkladen durch. Seit 2002 ist er arbeitslos. Mit 700 Euro, so sagt er, muss er auskommen. Im Frühjahr gibt er all seine Ersparnisse aus und kauft ein gebrauchtes Auto für die Familie seiner Schwester. Sie ist sein neuer Bezugspunkt, man hilft sich, denn Dirk ist wegen eines steifen Sprunggelenkes schwerbehindert. Wenige Tage später sperrt ihm das Arbeitsamt seine Bezüge. Er hatte einen Termin sausen lassen. Bald ist sein Geld alle. Zum fünften Geburtstag seiner Tochter habe er nicht mal ein Geschenk kaufen können.
Irgendwie und irgendwo Geld beschaffen
Irgendwie und irgendwo Geld beschaffen - mit diesem Ziel ist er unterwegs, bewaffnet mit einer ungeladenen Gaspistole und einigen Kabelbindern, die sich zum Fesseln bestens eignen. In der Dresdner Neustadt auf dem Bischofsweg entdeckt er das kleine Debeka-Versicherungsbüro. Dort schiebt Gabi S. kurz vor 20 Uhr allein Bürodienst. Die Lage scheint günstig, auf der anderen Straßenseite ist ein Park, durch den man gut flüchten könnte. Doch Dirk Sch. traut sich nicht, sondern ruft in der Agentur an und bittet für den nächsten Morgen um einen Beratungstermin.
Am 14. Mai sieht die 54-jährige Gabi S. dem langen, schmächtigen Mann nach, dass er erst einmal auf Toilette muss. Als er plötzlich eine Pistole auf sie richtet und den Laptop auf ihrem Bürotisch haben will, erschrickt sie mächtig. „Wer hat Ihnen so wehgetan, dass Sie das tun?“, fragt sie. „Sie haben ja keine Ahnung, wie tief man sinken kann“, antwortet er. - Es kommt zur „Kabbelei“, wie Gabi S. es beschreibt. Dirk Sch. fesselt sie auf der Toilette. Das Opfer kann sich befreien. Dirk Sch. droht: „Ich breche dir das Genick!“ Sie gibt auf, wird noch fester gefesselt und eingeschlossen.
Doch der Täter hat ebenso viel Angst. „Er stand neben sich und war mit der Situation überfordert“, sagte Gabi S. gestern im Gericht. „Ich wollte nur noch raus“, sagte Dirk Sch. Er nimmt seinem Opfer zwölf Euro ab, lässt den Laptop liegen - und auch seine Mappe mit persönlichen Unterlagen samt Adresse. Für die Polizei ist es ein Leichtes, ihn am nächsten Tag in seiner Wohnung festzunehmen.
Gestern im Gericht vergräbt Dirk Sch. sein blasses Gesicht zwischen den Händen. Er entschuldigt sich bei seinem Opfer und weiß, dass er nun auch seine Tochter verloren hat. Die Tat ist „nicht entschuldbar“, meint auch Verteidiger Jürgen Saupe. Aber die Umstände? Der Anwalt verweist auf „Harz IV“, die Arbeitsmarktreform, und spricht vom „Vorgeschmack, was da kommen kann“ angesichts zu erwartender sozialer Härten. Davon ließ sich das Gericht nicht beeindrucken. Es folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft und schickte Dirk Sch. für drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis.
<ul> ~ „Wie tief man sinken kann“</ul>
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