Zandow
25.08.2004, 14:34 |
Zur Geschichtsschreibung und Chronologiekritik (Bitte um Ergänzungen) Thread gesperrt |
-->Hallo Forumsgemeinde,
es folgt eine kleine Einführung in die Geschichtsschreibung und Chronologiekritik. Falls jemand Zeit und Lust hat, ich freu' mich über Ergänzungen, weiterführende Hinweise und Kritiken.
Unsere Zeitrechnung ist eine christliche. Die absolute Chronologie wurde erst ab dem 11./12. Jhh. durch christliche Mönche geschaffen (ebenso die AD-Zählung). Grundlage für diese Chronologie bildete die Bibel. Eine zeitgleiche Entstehung von absoluter Chronologie in der Geschichtsschreibung und der Bibeltexte, so wie wir sie heute kennen, darf angenommen werden. Die frühesten heute bekannten Bibeltexte (AT) werden in die Zeit zw. 929 bis 1121 datiert (Geniza-Manuskripte aus Kairo). Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt auch die von den Masoreten im Orient geschaffene Thora (heutiger Text) aus der 2. Hälfte des 10. Jhh. (in dieser Zeit auch die plötzliche Christianisierung Skandinaviens und Islands; dazu später mehr). Die den Geniza-Manuskripten sehr ähnlichen Rollen von Qumran (der Dominikaner DeVaux hat jahrelang die Existenz einiger Rollen verschwiegen; warum wohl?) werden bisher auf die Zeit nach 70 AD datiert. Diese Datierung stammt jedoch nicht aus den archäologischen Zusammenhängen, sondern wurde von katholischen Klerikern vorgenommen und resultiert aus der Erwähnung der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch Titus. Für diese Zerstörung gibt es allerdings keine archäologischen, sondern nur schriftliche Belege. Ebenso für eine weitere Zerstörung des Tempels im Jahr 135 AD. Bei diesen beiden Ereignissen (Tempelzerstörungen 70 und 135) handelt es sich um Rückprojektionen der Tempelzerstörung durch die Perser im Jahr 614 AD (Auslöser der Kreuzzüge). Die Qumranrollen stammen also frühestens aus dem 7. Jhh., welches unter Berücksichtigung der frühmittelalterlichen Phantomzeit dem 10. Jhh. entspricht. Bestätigung erhält diese Sicht durch den stark vom frühen Islam geprägten Inhalt der Rollen (Geschwisterhochzeit, Engel der Gerechtigkeit und Engel des Unrechts,"Lügenpriester" Mohammed? statt Jesus). Desweiteren konnte die Urheberschaft der Rollen (zumindest eines großen Teils davon) im in der Nähe des Fundorts befindlichen Dorfes Qumran, das mit Sicherheit kein Kloster war, ausgeschlossen werden. Ebenso ausgeschlossen werden konnte durch neuere Grabungen in Qumran die Niederlassung einer Essener-Gemeinde (Essener - neben den Pharisäern und Sadduzäern eine der drei Hauptgruppen des frühen Judentums). Die Qumran-Funde (Schmuck, kostbares Geschirr, enge Verwandschaftsverhältnisse, sog. 'soziologischer Heiratskreis') passen nicht zum asketischen und zölibatären Leben der Essener.
Ähnlich wie bei den Rollen von Qumran, bestehen Datierungsprobleme bei der Septuagiuta (Bibelübersetzung ins Griechische), der Hexapla (Bibel in sechs Versionen von Origenes), den Makkabäerbüchern, den Evangelien (besonders Kodex von Sinai, Vatikanischer Kodex und Alexandrinischer Kodex, Kodex des Ephraim) und der Evangekienharmonie. Alle diese Texte wurden im Zeitraum von frühestens 10. bis ca. Ende 15. (!) Jhh. geschrieben. Vormasoretische"Ur"texte gibt es nicht und die Hoffnung, solche noch zu finden, muß wohl aufgegeben werden.
Die angesprochene Phantomzeit ("Dunkles Mittelalter", 614 bis 911 AD nach Illig) gibt es nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der griechischen Frühzeit (ca. 1200 bis 800 BC, Schichten der Tyrannis liegen direkt auf denen der Mykene) und wahrscheinlich auch in der ägyptischen und asiatischen (hier besonders China) Chronologie.
Die Kritik an der christliche Geschichts- und Geschichtenschreibung begann bereits im 17. Jhh., und zwar durch Christen selbst, beginnend mit den französischen Jesuiten Barthelemy Germon (Schriften:"Von den alten Urkunden der fränkischen Könige und der Kunst, echte von gefälschten zu unterscheiden" und"Von den alten ketzerischen Verderbern der Bücher der Kirchenväter" ) und Jean Hardouin ("Vorrede zu einer Kritik der alten Schriftsteller" ), der u.a. die Werke der antiken Autoren wie Cassiodor, Isidor von Sevilla und St. Justin Märtyrer als viele Jhh. später geschrieben und somit frei erfunden und gefälscht bezeichnet.
Die Entdeckung der frühmittelalterlichen Phantomzeit geht auf Robert Baldauf zurück. In seinem Werk"Historie und Kritik" (1903) beschäftigt er sich mit den Taten des Königs Karl der Große, die nicht von ihm getätigt wurden, sondern von einem Mönch namens Notker im Kloster St. Gallen erfunden wurden, jedoch erst nach dem 11. Jhh. aufgeschrieben wurden (wschl. erst im 14. Jhh.).
Ähnliches Unheil (nämlich die Entstehung der Schriften lange nach dem 11. Jhh.) drohen dem"Gallischen Krieg" und dem"Bürgerkrieg" von Cäsar (ist sogarCäsar selbst eine Erfindung?) sowie den"Annalen", der"Historie" und der"Germania" von Tacitus, die wschl. eine Fälschung im Auftrag von Papst Pius II. zw. 1430 und 1470 als Waffe im Kampf gegen die deutschen Kaiser war (was ich persönlich jetzt überhaupt nicht mehr lustig finde).
Weitere frühe Chronologiekritiker waren Henschen und Papebroch (17. Jhh.), Borber 1847), Pertz (1872) und Bruno Kusch (1938). Der wohl radikalste Chronologiekritiker war Wilhelm Kammeier (geb. nach 1890), der Geschichts- und Urkundenfälschungen als unkoordinierte, einige Jahrhunderte andauernde (ab 10. Jhh.)"Große Aktion" verstand.
Bei all den bisher festgestellten Fälschungen und Erfindungen stellt sich die Frage nach der Herkunft und der Entstehungszeit der Ausgangsschrift unserer heutigen Chronologie, nämlich dem AT selbst. Gemäß dem christliche Kanon, der erst im 13. Jhh. voll ausformuliert war, dem Fehlen vieler christlicher Symbole in der Antike und im Frühmittelalter, den nichtexistenten"Ur"texten sowie den auffällig vielen Parallelen zu den heidnischen und anderen Kulten, Religionen und Mythen kann die Entstehung des AT frühestens in die Nachantike (Merowingerzeit) bzw. das Frühmittelalter (Karolingerzeit) gelegt werden. Quellen- und Schriftenkunde, Numismatik, Architektur, Kunst und Archäologie unterstützen diese Sicht.
Ein großes Problem bei der Chronologiekritik stellt die Herkunft und die Bedeutung des Christusmonogramms XP dar (XP = Christos = der Gesalbte), denn damit ist keinsfalls Jesus Christus gemeint. Lassen wir uns überraschen.
Also: Wie war das nun mit der Konstantinischen Schenkung? Viele Schenkungsurkunden sind auch in deutschen Klöstern zu finden. Eine näher Betrachtung lohnt sich.
Herzliche Grüße in die Runde, <font color=#008000>Zandow</font>
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Rene
25.08.2004, 16:22
@ Zandow
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Wenn mich nicht alles täuscht, |
-->gab es dieses Thema hier schon mal vor einiger Zeit (Jahren?).
In diesem Zusammenhang (es fehlen ein paar Jahrhunderte zw. 600 und 900) fiel auch der Name Erich von Däniken.
Leider stehe ich mit der Forumssuchmaschine auf Kriegsfuss,-(((.
Gruss
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Zandow
26.08.2004, 14:55
@ Rene
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Dr. Illig war's |
-->Hallo Rene,
<font color=#0000FF>>In diesem Zusammenhang (es fehlen ein paar Jahrhunderte zw. 600 und 900) fiel auch der Name Erich von Däniken.</font>
Ne, mit Däniken hat das nix zu tun. Gemeint ist Dr. H. Illig (mehrere Bücher dazu,"Wer hat an der Uhr gedreht?","Das erfundene Mittelalter").
Mir geht's hauptsächlich um die Frage, wie die Kirche im Mittelalter zum größten Landbesitzer in Europa aufsteigen konnte. Da ich kein Latein kann, ist das Quellenstudium sehr anstrengend. Am Rande ergeben sich dann immer mehr Fragen: z.B. ob die Christianisierung Roms wirklich stattgefunden hat oder wie die ersten Mönche nach Island gekommen sind, wo hatten die ihren Glauben her? Hochinteressant in diesem Zusammenhang auch die Gründungsgeschichte der Klöster (meist abseits der Städte, warum?).
Der gigantische Landbesitz der Kirche im Mittelalter muß doch irgendwie abgesichert worden sein. Wie und womit? Schwierig, schwierig das alles und sowenig Literatur zu finden.
Herzliche Grüße, <font color=#008000>Zandow</font>
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Euklid
26.08.2004, 15:11
@ Zandow
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Re: Dr. Illig war's |
-->Hallo Zandow
es gibt da ja auch Beispiele im Mittelalter die die Judenverfolgung einwandfrei belegen.
Dottore hat hier ja auch mal solche alten Denkmäler aus der Luther Zeit gepostet.
Wäre es denkbar daß der Landraub der Kirche einzig dem Zwecke dienen sollte ein Bündnis gegen die Juden zusammenzubringen das mit der nötigen Kapitalmacht ausgestattet war?
Wer Grund und Boden als sprudelnde Finanzquelle in seiner Macht hat ist ja wirklich mächtig.
Noch immer nicht ganz klar sind mir die Zahlungen an den Vatikan die aus deutschen Steuerquellen über die Kirchensteuer gespeißt werden.
Schwelt da etwa der idiotische Kampf Judentum gegen katholische Kirche schon seit Jahrhunderten?
Soll der etwa nach der Auseinandersetzung mit dem Islam wieder zu neuen Ehren kommen?
Mir graust es vor solchen Ideologien,vor allem dann wenn der religiöse Touch noch hinzukommt.
Meine Toleranz geht soweit daß ich jedem zugestehe seinen eigenen Gott zu wählen samt seinem eigenen heiligen Geist.
Gruß Euklid
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Zandow
26.08.2004, 15:30
@ Euklid
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Landraub |
-->Hi Euklid,
<font color=#0000FF>>Dottore hat hier ja auch mal solche alten Denkmäler aus der Luther Zeit gepostet.</font>
Yo, ist in der Sammlung. Luther ist für die Betrachtung aber einige Jhh. später.
<font color=#0000FF>>Wäre es denkbar daß der Landraub der Kirche einzig dem Zwecke dienen sollte ein Bündnis gegen die Juden zusammenzubringen das mit der nötigen Kapitalmacht ausgestattet war?</font>
Just um diesen 'Landraub' geht's ja. Wie vollzog der sich? Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches steht plötzlich die Kirche als größter Landbesitzer da. Wie zum Teufel haben die das gemacht?
<font color=#0000FF>>Noch immer nicht ganz klar sind mir die Zahlungen an den Vatikan die aus deutschen Steuerquellen über die Kirchensteuer gespeißt werden.</font>
Schon die Skandinavier zahlten einen Penny an den Vatikan (so nach 1000 AD). Dabei bliebs dann wohl.
<font color=#0000FF>>Schwelt da etwa der idiotische Kampf Judentum gegen katholische Kirche schon seit Jahrhunderten?</font>
Mit dem Judentum kenn' ich mich noch zu wenig aus. Jedenfalls ist dort auch nicht alles echt und erst viel später entstanden, als bisher angenommen. Und die Konkurrenz zwischen den Schriftreligionen hat sicherlich einiges zur Entstehung der Schriften erst im Spätmittelalter beigetragen.
<font color=#0000FF>>Mir graust es vor solchen Ideologien,vor allem dann wenn der religiöse Touch noch hinzukommt.</font>
Naja, diese oder jene Religion, ist eigentlich wurscht. Es geht letztenendes immer um die Macht und die Möglichkeit des Steuerkassierens. Z.Z. wiedermal im Irak zu beobachten. Die geistlichen Führer positionieren sich. Wenn die Amis weg wären, gäb's dort ein munteres Hauen und Stechen untereinander.
<font color=#0000FF>>Meine Toleranz geht soweit daß ich jedem zugestehe seinen eigenen Gott zu wählen samt seinem eigenen heiligen Geist.</font>
Ja, soll jeder sein Ding machen, solange wie er mir damit nicht auf den Senkel geht.
Beste Grüße, <font color=#008000>Zandow</font>
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Student
27.08.2004, 09:56
@ Zandow
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Re: Landraub / Toleranz und Schulden |
-->Hi Euklid, hi Zandow!
><font color=#0000FF>>Meine Toleranz geht soweit daß ich jedem zugestehe seinen eigenen Gott zu wählen samt seinem eigenen heiligen Geist.</font>
Volle Zustimmung! An dieser Toleranz soll es nicht fehlen.
>Ja, soll jeder sein Ding machen, solange wie er mir damit nicht auf den Senkel geht.
Oder anders ausgedrückt: Solange er mir keine Schulden auferlegt.
Als Kind hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Muttern war im Garten und
häufelte Kartoffeln an. Dann kam ein Polizeiwagen, zwei Polizisten (Waffe an
der Hüfte) traten auf uns zu und verlangten von Muttern, daß sie sofort mit der
Gartenarbeit aufhören solle. Und würde sie wieder anfangen, dann hätte das
erhebliche Konsequenzen.
Lb Gr
der Student
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