-->Berufsbild Bürgerrechtler - Ein Dramolett
Eine weitere überflüssige Erklärung zu den Montagsdemonstrationen
Von Kostja Schibrowski
„In der DDR ist alles real,
bloß nicht der Sozialismus;
in der BRD ist alles real,
bloß nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“
Rudi Dutschke
Wir sind einverstanden mit der Wiederbelebung der Montagsdemonstrationen“ verkünden die neunundfünfzig Unterzeichner einer „ Erklärung von Angehörigen ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen“ am 29.08.2004.
Diese Erklärung kommt spät, rund acht Wochen nach Beginn der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV. Aber der Gedanke zählt und hier ist ein Einverständnis der Gedanke.
Neunundfünfzig Menschen erlauben den organisierten Protest des Volkes. Das ist furchtbar nett. Aber man mag sich dennoch fragen, wer denn da sein Einverständnis gibt. Und warum.
Zehntausende Menschen finden sich zusammen um gemeinsam gegen unsoziale Politik auf die Strasse zu gehen, gegen politische Tendenzen die immer deutlicher werden, gegen den Abbau des Sozialstaates und zwei Monate später fühlen sich die besagten Personen bemüßigt diesem Bürgerwiderstand großzügig ihren Segen zu geben. Das riecht ein wenig nach Selbstüberschätzung, ja sogar etwas nach Profilierung. Auch die Tatsache, daß die Unterzeichner sich explizit als „Angehörige ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen“ bezeichnen, macht neugierig. Denn wer im fraglichen Kontext auf die DDR-Opposition rekurriert, der meint letztlich auch die Montagsdemonstrationen von 89/90. Damals fanden sich Hunderttausende Bürger auf den Strassen ein und bildeten eine einzige städteübergreifende DDR-Oppositionsgruppe. Keiner der Demonstranten wußte damals, wie sich die Regierung ob ihrer Präsenz verhalten würde, ob die Volksarmee nicht doch zum Einsatz gegen sie kommen würde. Peking war in diesen Tagen nicht weit entfernt von Leipzig oder Dresden. Jeder einzelne Bürger der sich damals an den Demonstrationen beteiligte, ging bewußt ein Risiko ein und war somit automatisch auch ein Bürgerrechtler.
Wenn sich heute diese neunundfünfzig Personen so vollmundig wie spät in Pose werfen und sich mit den aktuellen Montagsdemonstrationen einverstanden erklären, so ist dies nichts weniger, als eine peinlich-ärgerliche Posse. Sich in der Sache gegen Hartz IV auf die Vergangenheit zu berufen und eigens eine Erklärung zu unterzeichnen und zu verbreiten, die einen inhaltlichen Bogen zwischen der DDR-Opposition und der heutigen neoliberalen Politik zieht um daraus in bester selbstreferentieller Manier eine Legitimation für eben diese Erklärung und das eigene Erscheinen zu basteln, ist ein beschämend alberner Zug, der zu nichts weiter taugt, als zur Wichtigtuerei. Will man sich dem Protest gegen Hartz IV und die dahinterstehende Ideologie anschließen um ihn zu stärken, so bringt man sich ein und nimmt Teil. Will man diesen Protest hingegen nutzen, um sich persönlich ins Bewußtsein der Menschen und in das Licht der Medien zu transportieren, veröffentlicht man überflüssige Erklärungen und startet eine unlautere Werbekampagne. Als Bürgerrechtler springt man nicht auf fahrende Protestzüge auf, sondern bringt die Lok ins Rollen. Davon jedoch kann hier allerdings keine Rede sein, der Zug hat bereits seit zwei Monaten den Bahnhof verlassen. Jetzt kommen neunundfünfzig Nachzügler hinterhergehetzt, springen hechelnd auf und posaunen ein „Wir müssen endlich los!“ durch die Abteile. Solidarität ist gefragt, von Profilierungsgedanken geprägtes Gehabe jedoch, schadet der Sache, der man sich erklärtermaßen verpflichtet fühlt.
Von Spaltung und Profilierungssucht im Zuge der aktuellen Proteste ist leider sehr oft die Rede, nicht selten zu Recht. Die Unterzeichner dieser albernen Erklärung müssen sich diesen Vorwurf ebenfalls gefallen lassen. Sie schaden dem Ansinnen all der Menschen, die sich derzeit bundesweit gegen die katastrophale Politik von Regierung und parlamentarischer Opposition engagieren. Gleiches gilt andererseits natürlich auch und in noch deutlicherem Maße für jene Stimmen, die die aktuellen Montagsdemonstrationen als Kern der Proteste gegen den Neoliberalismus ablehnen und entsprechendes Engagement diskreditieren. Nicht wenige dieser Ablehner sitzen heute auf politischen Posten und tragen die von einem Großteil des Volkes als unsozial empfundenen Reformen mit. Wenn sich z.B. ausgerechnet. eine Vera Lengsfeld hinstellt und die Montagsdemonstrationen kritisiert, weil durch sie „das Erbe der DDR-Bürgerrechtsbewegung verschleudert" würde, muß man sich fragen, wovon die Dame eigentlich spricht. Die Montagsdemonstration als solche, wird hier aufgeteilt und behandelt wie ein Markenzeichen. Auf der einen Seite die Montagsdemo als physisches Ereignis und der Name „Montagsdemonstration“ auf der anderen Seite. Die Frage, die sich einem aufdrängt, wer denn Inhaber dieser „Marke“ ist und somit das Recht besitzt, unter diesem „Markennamen“ zu Protestkundgebungen zu rufen, wenn nicht das Volk selbst, beantwortet die Oppositionspolitikerin freilich nicht. Und was, so möchte man anschließen, ist eigentlich das Erbe „der“ Bürgerrechtsbewegung? Die neoliberale Politik etwa, für die die ehemalige Bürgerrechtlerin Lengsfeld als CDU-Mitglied heute steht oder die unbedingte Freiheit der Menschen, gegen (diese) Politik zu demonstrieren?
Was wollten Bürgerrechtler wie z.B. Günter Nooke, Angelika Barbe oder eben Vera Lengsfeld mit ihrem Engagement gegen das DDR-Regime eigentlich erreichen? Haben sie damals mitgeholfen die Ein-Parteien-Diktatur zu beenden, um den Bürgern der DDR eine Politik zu „ermöglichen“, wie sie heute von den großen Volksparteien vertreten wird? Was macht heute die Kompetenz dieser Köpfe aus, über die Bürgerproteste zu urteilen? Man sieht, die einen fallen durch ihr berechnendes Einverständnis auf, die anderen durch ihre nicht minder problematische Ablehnung.
Die Menschen, die gegen die kalte und unsoziale Entwicklung der bundesdeutschen Politik aufbegehren, sollten sich weder von der einen noch der anderen Gruppe überrumpeln oder beeinflussen lassen, denn beide interessieren sich im Kern nur für sich selbst, ihre öffentliche Biographie und einen möglichst ausgeprägten Glanz ihres Namens.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sich die vielen tausend Gegner der sozialdestruktiven Politik, in den neuen Bundesländern (Wie lange ist etwas eigentlich „neu“?) an ihren Erfahrungen orientieren. Mithin werden Menschen, denen das Image des „Bürgerrechtlers“ anhängt, besondere und oftmals automatische Vertrauensboni geschenkt. Längst nicht immer geschieht dies auf der Basis von tatsächlichen Verdiensten der Beschenkten. Etikettenschwindel wird in Zeiten revolutionärer Umbrüche zu einem beliebten und leichten Delikt. Wenn sich Massen einmal bewegen, entsteht immer auch eine Möglichkeit für opportunistische Charaktere, die sich hernach zu Trommlern für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stilisieren. In solchen Situationen ist die Definitionsfrage, wofür man denn kämpft, meist eine wenig gestellte. Sie geht dann unter im hochenergetischen Sturm des kleinsten gemeinsamen Nenners der Massenproteste. Daß heißt, nur weil man gemeinsam gegen etwas ist, ist man noch lange nicht für ein Gemeinsames. Den letztendlichen Wirkungen dieser tragischen Mechanik, sind wir derzeit Zeugen.
Es geht um Perspektive und nachgerade den Kampf (und es ist ein solcher) um Perspektive. Da darf es nicht sein, daß Einzelne sich sozusagen um sich selbst scharen, sich mit unwahren oder halbwahren Vergangenheiten oder gar Gegenwarten umnebeln um sich so auf Kosten der Lebensqualität der Menschen zu möglichen Rettern aus Nöten aufzuspielen, deren Architekten auch sie selbst schließlich sind. Genau dies ist es aber, was derzeit vielerorts vor sich geht.
Solidarität ist keine Angelegenheit, die auf dem Niveau von Seifenoperndrehbüchern oder Werbestrategien gedeiht, sondern die extrem schwer herzustellende Grundingredienz allen unzweideutigen Miteinanders.
So bitter es klingen oder sein mag, in diesem Land werden keine ehemaligen oder gar „früheren“ Bürgerrechtler ehemaliger Oppositionsgruppen gebraucht, zumal keine zweifelhaften, sondern klar positionierte, entschlossene und sich einander solidarisch fühlende Menschen, die den Mut aufbringen, sich hintanzustellen.
<ul> ~ http://www.rbi-aktuell.de/Politik/10092004-02/10092004-02.html</ul>
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