-->Montag, 13. September 2004
Kommentar
Köhler hat Recht
Brigitte Fehrle
Bundespräsident Horst Köhler hat wenige Monate nach seinem Amtsantritt etwas sehr Wichtiges gesagt: Es gab und gibt in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen. Wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat.
Damit hat erstmals ein hochrangiger deutscher Politiker die zentrale Doktrin der deutschen Einheit in Frage gestellt. Die so genannte Angleichung der Lebensverhältnisse gehört zum Gründungsmythos der deutschen Einheit. Sie ist auch ihre größte Lüge. Sie hat 1990 die Ostdeutschen dazu gebracht, den Beitritt zu akzeptieren und sie hat den Westdeutschen die Angst vor Konkurrenz aus dem Osten genommen. Sie war gleichzeitig ein Versprechen an die Ostdeutschen, alle Probleme der untergehenden DDR und ihrer Transformation in kurzer Zeit zu lösen.
Das Versprechen war hohl. Es führte zu Autobahnen, Telefonleitungen, hübschen Innenstädten, renovierten Rathäusern und Heerscharen von Arbeitslosen. Es legte den Grundstein für Unzufriedenheit und Enttäuschung, es begründete den seither unter den Ostdeutschen grassierenden Generalverdacht, für zweitklassig gehalten zu werden. Es verstellt bis heute den Blick auf ökonomische und historische Gegebenheiten und verhindert die sachliche Diskussion.
Deshalb ist Bundespräsident Köhler zu danken. Er hat eine einfache Wahrheit ausgesprochen und damit wahrscheinlich einen komplizierten Prozess in Gang gebracht. Er hat nichts Neues gesagt. Aber kein Politiker vor ihm hat es so deutlich ausgesprochen. Dass Köhler es jetzt, zu Beginn seiner Amtszeit, tut, will etwas heißen. Die Zeit zwischen dem fünfzehnten und dem zwanzigsten Jahr der Einheit könnte zu einer Zeit des Augenöffnens werden.
da geht es weiter http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/meinung/376364.html
J
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