Toni
03.12.2000, 11:40 |
Frankreich gegen Yahoo, Yahoo gegen Frankreich Thread gesperrt |
"Weltwoche"-Artikel über das Ansinnen Frankreichs, seinen Surfern gewisse IP-Adressen vorzuenthalten.
Yahoos Aerger mit der Alten Welt
2000 n. Chr.: Die ganze Welt wird beherrscht von US-Dotcoms... Die ganze? Nein! Im Westen Europas lehnt sich ein Gallier auf
Yahoos Aerger mit der Alten Welt
Wish you a happy Sunntig
Toni
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Baldur der Ketzer
03.12.2000, 20:06
@ Toni
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Re: Frankreich gegen Yahoo, Yahoo gegen Frankreich |
Hallo, miteinander,
rechtssystematisch stecken in der Thematik viele grundsätzliche Streitfragen.
Ist es für einen weltweiten Anbieter zumutbar, sein Angebot für Nutzer verschiedener Herkunft individualisiert einzurichten?
Ist es ihm zumutbar, alle weltweit gültigen Gesetze zu kennen und sein Angebot danach auszurichten?
Gar nicht so einfach.
Ein einziges Land ohne Einschränkungen bei Pornographie, und schon ist es möglich, daß grausame oder abstoßende Darstellungen weltweit verbreitet werden, die besser weder am Netz wären noch jemals passiert.
Nur: was wird wo wie verstanden? Das Meinungsbild ist fließend.
Ein nackter Busen wird in den westlichen Ländern niemanden"offenden", brüskieren, höchstens einen Herrn Humer, und in der Werbung gilt"Sex sells", natürlich im Rahmen des öffentlich angemessenen.
Das aber wird in Ländern mit religiöser Vorherrschaft, insbesondere islamischen Ländern, schon ein Gesetzesverstoß sein.
Verstößt die Beate Uhse AG also gegen ein iranisches oder sudanesisches Gesetz bereits dann, wenn es ermöglicht wird, einem dortigen Internet-User den Blick auf bei uns harmloses Bildmaterial zu gewähren?
Oder erst dann, wenn Ware ins Land geschickt wird?
Oder gar nicht, da ja nur der Importeur gegen heimisches Recht verstößt?
Was ist, wenn ein Staatsbürger dieser Länder im Internet auf solche Angebote zugreift, während er sich in einem Drittland befindet?
Ist es im Gegenzug fremden Staatsbürgern auch in restriktiven Ländern zuzugestehen, sich über heimische Dinge zu informieren?
Nehmen wir die Verurteilung von Felix Somm, dem ehem. Chef von Compuserve Deutschland. Er wurde sinngemäß beschuldigt, an der Verbreitung von Kinderpornographie mitgewirkt zu haben.
In zweiter Instanz wurde das Urteil aufgehoben, auch auf Betreiben der Staatsanwaltschaft übrigens. Soweit sei ein Durchgriff nicht verantwortbar.
Auch die Post kann ja nicht verurteilt werden, weil ein Attentäter die Briefbombe mit der Post verschickt hat.
Oder die Telekom, weil ein Erpresser sich des Telefons bedient, um seine Forderungen durchzugeben.
Nehmen wir Alkoholwerbung und islamische Länder.
Gar nicht so einfach.
Ist es Providern zuzumuten, das Angebot nicht nur nach nationalen, sondern auch nach ethnischen oder religiösen Zugehörigkeiten zu differenzieren?
Jetzt geht es oben um politische Einschränkungen aufgrund der jüngeren Geschichte.
Die werden spezifisch Europa betreffen.
Ein Josef S. oder Adolf H. werden weder, so denke ich mal, in Saudi-Arabien noch in Grönland, weder in Burundi noch in Taiwan von größerem Interesse sein.
Wie ist jetzt aber einzuschätzen, daß es die großen westlichen Demokratien gerne sehen, daß Dissidenten aus Diktaturen fernab am Internet ein Forum geboten bekommen, gegen die dortigen Regierungen zu opponieren?
Nehmen wir Salman Rushdie. Ich gehe davon aus, daß seine Texte tatsächlich viele Muslime außerordentlich beleidigt haben.
Ist es also zumutbar, daß eine Frankfurter Buchmesse beispielsweise iranischen Besuchern den Zutritt auf den Stand des Rushdie-Verlegers verweigert?
Nehmen wir China. Yahoo nimmt ja offenbar Rücksicht auf die Gepflogenheiten dort.
Im Westen sind viele der Meinung, daß die chinesische Führung gegen die Menschenrechte verstößt.
Nur, die Chinesen vertreten die Ansicht, unter Menschenrechten etwas anderes verstehen zu dürfen als Texas, Palermo, Amsterdam oder Kreuzberg.
Sollen wir ihnen das absprechen?
Konflikt..............
Sich bezüglich von Dingen in innere Angelegenheiten Anderer einmischen, die man selbst für richtig hält?
Sich die Einmischung anderer in eigene Belange verbitten, wenn man sie für verfehlt hält?
Da beißt sich was.
Das Internet ist, wie es ist, und wenn man versucht, es einzuschränken, wird sich halt ein zweites, ein Usenet oder was auch immer etablieren.
Wie sagt es die Amish-bezogene Renault-Werbung?
Fortschritt ist nicht aufzuhalten.
Auch nicht durch Unterdrückung.
Selbst, wenn es dabei mitunter auch Dinge betrifft, die einem nicht gefallen.
Und ob die Ersteigerung vielleicht eines alten Käppis mit Emblem drauf den Rassismus fördern wird, na, das ist auch wieder so eine Sache, die dem dummen Baldur zu hoch ist.
Meint der Baldur und grüßt alle am Sonntagabend
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Josef
03.12.2000, 21:37
@ Baldur der Ketzer
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@Baldur: Was ist denn Fortschritt?? Globalisierung? Pornographie weltweit? |
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Baldur der Ketzer
04.12.2000, 00:44
@ Josef
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Re: @Baldur: Was ist denn Fortschritt?? Globalisierung? Pornographie weltweit? |
Hallo, Josef,
solange unter Globalisierung vorrangig ein fairer Wettbewerb und Zugangschancenverbesserung zu verstehen wäre, wäre das tatsächlich ein Fortschritt.
Daß es zu Auswüchsen kommt, ist mir auch klar, wir sehen sie ja zur Zeit.
Nur, ob das primär mit dem Internet zu tun hat, oder mit einer Monopolisierung von Polit&Wirtschaftsmacht, ist die Frage.
Je mehr Infos es im Internet gibt, umso mehr Alternativen lassen sich finden, zumindest mehr als ohne, umso mehr läßt sich auch Globalisierung unterlaufen und Lokales besser vermarkten.
Und weltweite Pornographie auf Schul-Internetzugängen ist sicher auch kein Fortschritt.
Was ich allerdings als fortschrittlich empfinde, das ist halt meine persönliche Meinung, ist, daß man sich über alle möglichen und unmöglichen Dinge aus"beiderlei" Sicht informieren kann.
Lese ich einen Artikel, sagen wir, aus dem rechten Spektrum, und ich habe wenig Infos von außerhalb, dann sehe ich im linken Spektrum vorbei, und bilde mir aus beiden eine sicher ausgewogenere Meinung, als ohne Möglichkeit dieses Vergleichs.
Umgekehrt natürlich genauso.
Geht es um eine Erfindung, die öffentlich als unsinnig gebranntmarkt wird, nehmen wir Dr.Hamer (dort halt Entdeckung oder Theorie), oder alternative physikalische oder technische Ansätze, interessiert es mich schon, was der Entdecker dazu meint, selbst wenn er in der Presse verrissen wird.
Aus beidem kommt die Meinungsbildung näher an den Kern, als nur von einer Seite aus.
Das Beispiel der Pornographie sollte nur aufzeigen, daß die Bewertung einer Verwerflichkeit außerordentlich unterschiedlich sein kann, daß wir in der mitteleuropäischen Hemisphäre kein Maßstab für die ganze Welt sein können und sollten.
Sicher gibt es Übereinstimmungen überall auf der Welt, die in der menschlichen Ethik begründet sind (hoffentlich!), was überall und zu jeder Zeit als untragbar angesehen wird.
Konkreter Aufruf zum Mord fällt sicherlich auch in jedem Land darunter (halt, jetzt kommt wieder der Rushdie-Fall).
Alles diesseits der Tabuschwelle ist von landesspezifischen und kulturellen Einstellungen abhängig.
Toleranz, eigenes Nachdenken und Interessiertheit auch in ausländischen Angelegenheiten wird heute als wünschenswert dargestellt.
Trotzdem findet man es für angebracht, das Internet zu zensieren.
Wie soll es dann möglich sein, sich aus dem breiten Spektrum von Meinungen eine eigene zu bilden?
Wenn Singapore private SAT-Antennen verbietet, um ausländischen destruktiven Einfluß aus dem Lande zu halten, dann mag das sogar einen langfristigen positiven Aspekt haben.
Trotzdem finde ich es auf der Grundlage einer pluralistischen bürgerlichen Gesellschaft für schlicht inkonsequent, freien Bürgern die Möglichkeit zu nehmen, sich allumfassend zu informieren.
Notfalls auch bei Geächteten.
Ich betrachte es da schon als Fortschritt, daß nationale Regierungen nicht mehr allein ein Informationsmonopol haben.
Man denke an den Kosovo-Krieg und die Berichterstattung, oder an den Irak-Krieg (sorry, daß das jetzt wieder als Beispiel kommt).
Das zeigt, daß auch so tolle westliche Demokratien durch gefärbte Brillen schauen, die Wirklichkeit verzerren, um Zustimmung bei den Bürgern notfalls zu erschleichen.
Noch ein Beispiel: Hufeisenplan.
Ich sehe das Internet als wichtiges freiheitliches Regulativ, welches allzu repressive Tendenzen wegen der Wirkungslosigkeit uns vom Halse hält.
Halten könnte. Vielleicht.
Das wollte ich damit ausdrücken.
Freilich hätte ich was dagegen, daß fiktiverweise mein 8jähriger Sohn etwa auf eine hardcore-Seite surft, aber selbst dann würde ich es ihm lieber erklären (in der Schule ist das böse Wort mit F sowieso sofort das Thema 1), als es zu verbieten.
Verbote machen neugierig und sind kontraproduktiv.
Da ist Aufklärung besser.
Und wenn Aufklärung in anderen Bereichen mal nicht funktioniert, könnte es ja sein, daß das, worüber aufgeklärt werden soll, nicht so ganz glaubhaft ist, sonst käme es ja nicht zu anderen Sichtweisen.
In die Richtung jedenfalls.
Besten Gruß vom Baldur
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