Damit der Artikel nicht verlorengeht:
Zunehmende Konjunkturängste in den USA
Weitere Kontraktion in der Verarbeitungsindustrie
Nachdem sich das Wirtschaftswachstum in den USA im dritten Quartal bereits über Erwarten stark verlangsamt hat, deuten die neusten Konjunkturdaten auf eine weitere Abschwächung hin. Die Befürchtung nimmt zu, dass eine «harte Landung» bevorstehen könnte, wenn die Notenbank nicht bald mit einer Zinssenkung Gegensteuer gibt.
Cls. Washington, 1. Dezember
Mit dem Rückgang der Expansionsrate von 5,6% im zweiten auf 2,4% im dritten Quartal dürfte die Wachstumsverlangsamung in Amerika noch nicht abgeschlossen sein. Die neusten Konjunkturdaten signalisieren eine weitere Abschwächung, und entsprechend haben die Befürchtungen zugenommen, dass die von der Notenbank mit der Serie von sechs Zinserhöhungen angestrebte «weiche Landung» nun doch härter ausfallen könnte. An den Finanzmärkten wird zusehends davon ausgegangen, dass das Federal Reserve bald mit einer Zinssenkung gegensteuern muss. Tatsächlich ist aus den Terminsätzen am Markt für Federal Funds (Tagesgeld) abzulesen, dass die Chance für eine Zinsermässigung um einen halben Prozentpunkt in den nächsten sechs Monaten auf über 50% veranschlagt wird. Zurzeit verharrt die Notenbank auf dem Standpunkt, dass die Inflationsrisiken noch immer grösser seien als die Gefahr einer Rezession, aber diese Neigung zu einer eher strafferen als laxeren Geldpolitik könnte an der nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses am 19. Dezember zugunsten einer «neutralen Haltung» aufgegeben werden.
Forderung nach einer Zinssenkung
Die schlechten Nachrichten kommen vor allem aus der Industrie. Der Sammelindex der nationalen Einkäufervereinigung (Purchasing Managers' Index, PMI), der die Aktivitäten im Verarbeitungssektor misst, ist im November weiter gefallen, und zwar um sechs Zehntelpunkte auf 47,7%. Ein Wert unter 50% zeigt eine Kontraktion in der Verarbeitungsindustrie an; dies war im November zum vierten Mal in Serie der Fall, wobei sich der Rückzug sukzessive beschleunigt hat. Anderseits bedeutet ein Indexstand über 43,9% eine insgesamt expandierende Volkswirtschaft, was seit April 1991 ohne Unterbruch zutrifft. Bemerkenswerterweise ist der Index der Materialpreise, der von seinem Rekordstand von fast 80% zu Beginn des Jahres bis auf 56,4% gesunken war, wieder geringfügig gestiegen. Alle andern Teilindizes notierten deutlich unter der 50%-Marke. Der November-PMI entspricht hochgerechnet einer realen Jahreswachstumsrate von nur mehr 1,9%. - Der Verarbeitungssektor hat im derzeitigen Konjunkturaufschwung bereits einmal eine Kontraktionsphase erlebt, nämlich von Juni 1998 bis Januar 1999 während der Asien-Krise. Damals war die Lage von niemandem dramatisiert worden, doch jetzt zeigt sich die Industrie weniger zuversichtlich. Der Präsident der National Association of Purchasing Management (NAPM), Jerry Jasinowski, erklärte am Freitag, das Risiko einer Rezession sei grösser geworden. Jasinowski verwies auf die gesunkenen Aktienpreise, die höheren Energiekosten, den starken Dollar sowie die politische Ungewissheit nach der unentschiedenen Präsidentschaftswahl. Die Wirtschaft könne mit der derzeitigen Zinspolitik des Fed nicht mehr leben. Mit dieser Aussage forderte Jasinowski unverhüllt eine geldpolitische Lockerung.
Düstere Aussichten
Tatsächlich gibt es eine Reihe weiterer Indizien für eine Verdüsterung des Konjunkturhimmels. Die Zahl der Erstanträge für Arbeitslosengeld ist diese Woche stark gestiegen. Seit April, als ein Tiefpunkt verzeichnet wurde, hat die Nachfrage nach Unterstützung rascher zugenommen als je seit der Rezession von 1990/91. Wenn dieser Trend anhält, der zum Teil mit Betriebsschliessungen der Autokonzerne zusammenhängt, dann wird bald mit einem Anstieg der Erwerbslosenquote zu rechnen sein. Am Arbeitsmarkt gibt es zunehmend Anzeichen für eine Entspannung. Überrascht hat auch, dass die privaten Konsumausgaben im Oktober nur noch bescheiden um 0,2% gestiegen sind, wobei gleichzeitig die Sparquote der Haushalte auf -0,8% gesunken ist, das heisst auf den tiefsten Stand seit der grossen Depression von 1933. Während die Konsumnachfrage im dritten Quartal noch robust war, hatte sich der Zuwachs der Unternehmensinvestitionen bereits halbiert, und es spricht manches dafür, dass sich die Abschwächung fortsetzt. Immer mehr Unternehmen klagen über Kapitalmangel bzw. zu hohe Kapitalkosten. Im dritten Quartal sind die Unternehmensgewinne nur noch um 0,6% gestiegen, und auch an dieser Front dürften noch schlechtere Nachrichten zu gewärtigen sein.
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Wirtschaft, 2. Dezember 2000, Nr.282, Seite 21
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