JoBar
12.11.2004, 21:34 |
Einen hab ich noch - für dottore, Christian & Co.: Chiffonbluse für 39,90 Euro Thread gesperrt |
-->Samstag, 13. November 2004
Chiffonbluse für 39,90 Euro
Ralph Kotsch
Schon am Donnerstagabend in einer Schöneberger Kneipe trauten die Leute ihren Augen nicht, als ein Tagesspiegel-Verkäufer sich durch die Tische schob. Auf der Titelseite der Freitagausgabe prangte nicht das Foto des gerade verstorbenen Palästinenserführers Arafat, sondern das des exzentrischen Modemachers Lagerfeld, an den sich eine brünette Schönheit schmiegte. "Warum denn Lagerfeld, wenn doch Arafat tot ist?"; fragte einer der Gäste verwundert, und der Verkäufer gab ihm zur Antwort:"Das ist Werbung".
In der Tat. Der Tagesspiegel hatte bis auf einen schmalen Streifen seine gesamte Titelseite an die Firma H&M verkauft, die am Freitag erstmals Lagerfeld-Kreationen in ihren Filialen anbot. Die Aktion stieß in der Redaktion nicht nur auf Gegenliebe, es gab Diskussionen, doch am Ende hat sich die Anzeigenabteilung durchgesetzt. Schätzungsweise 100 000 Euro, eher mehr, so genau will das keiner sagen, hat das Blatt mit dem Titel und drei weiteren H&M-Seiten verdient. Das ist viel Geld für eine Tageszeitung inmitten der Werbekrise, erst recht, wenn sie, wie der Tagesspiegel, jährlich Millionen Verluste macht.
Dass die Werbekunden auf immer ausgefallenere Ideen kommen, um im Reklamestrom aufzufallen, ist bekannt. Vor allem in Zeitschriften finden sich stets neue, so genannte Sonderwerbeformen. Mal erscheint das People-Magazin Gala für die Kosmetikfirma L'Oreal ganz in Silber, mal das Magazin der Süddeutschen Zeitung für den I-Pod von Apple ganz in Rosa, mal gehen Anzeigen- und Artikeltexte ineinander über, mal färbt die Zeitung Welt ihre erste Seite für AOL blau ein.
Dass aber eine seriöse Tageszeitung fast ihre ganze Titelseite für eine Anzeige opfert, das gab es bisher noch nicht. Der Tagesspiegel hat damit ein Tabu gebrochen, und man wird sehen, was seine Leser davon halten. Es könnte sein, dass die Stammkunden des Blattes, die besser situierten Westberliner, nicht übermäßig begeistert sind, wenn sie statt politischer Nachrichten auf Seite 1 nur die Information bekommen, dass die Chiffonbluse bei H&M für 39,90 Euro zu haben ist. Der Tagesspiegel hätte dann zwar immer noch viel Geld verdient, sich aber keinen Gefallen getan.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/media/394939.html
Ja, ja, unsere Journalisten - treiben sich wohl zu häufig mit unsereren Politikern herum:(
J
|
Christian
13.11.2004, 09:43
@ JoBar
|
Re: Anzeigenpreise |
-->Tagesspiegel, Anzeigenpreise aus Januar 2003:
1 Seite in s/w: 14.572,80 Euro
1 Seite in 4c: 21.120 Euro
Du kannst davon ausgehen, dass die Titelseite deutlich mehr gekostet hat. Oder aber es wurde als Zugeständnis für einen immensen Folgeauftrag so arrangiert. Wie auch immer: Jede Redaktion wird amok laufen, wenn man ihr die Titelseite wegnimmt. Diese Entscheidung hat nichts, aber auch gar nichts mit den Redakteuren zu tun, sondern ist eine Verlagsentscheidung. Und der hat vor allem finanzielle Interessen, denn er muss seine Redakteure schließlich bezahlen und will auch noch fette Gewinne machen. Aber du hast Recht: Schön ist das nicht.
Indes: In anderen Medien wie dem TV nimmt man nervige Werbung mittlerweile völlig widerspruchslos hin. Und das in einem Ausmaß, dass einem schon schlecht wird. Bei Printprodukten ist es nur augenfälliger, weil nicht so flüchtig. Aber genau das sollte ja aus Sicht des werbenden Unternehmens auch erreicht werden. Wichtigste Nachricht des Tages: Bei Dingenskirchen gibt es einen Fummel, für den ein berühmter Fuzzi seinen Namen hergibt. Es grüßt die Krake Kommerz.
Wünsche ein schönes Wochenende, Christian
PS: Welche Journalisten mit welchen Politikern herumglucken, ist zweitrangig. Wichtig ist, welche Unternehmen wieviel Geld in Anzeigen investieren. Die können sich dann nämlich äußerst gefälliger Berichterstattung versichert sein. Ich erinnere mich daran, dass in einem mir bekannten Verlagshaus von der Verlagsleitung (also NICHT von der Redaktion) zuletzt die Parole ausgegeben wurde, die Opel-Geschichte doch etwas positiver darzustellen: Nicht zu schreiben, wieviele Arbeitsplätze wegfallen, sondern wieviele Arbeitsplätze erhalten werden. Nur ein klitzekleines Beispiel aus dem alltäglichen Wahnsinn, mit dem Redaktionen leben müssen.
|
JoBar
13.11.2004, 16:25
@ Christian
|
Re: Es ist nur dieses nervige"des Kaisers neue Kleider"-Spiel der Medien |
-->>Du kannst davon ausgehen, dass die Titelseite deutlich mehr gekostet hat. Oder aber es wurde als Zugeständnis für einen immensen Folgeauftrag so arrangiert. Wie auch immer: Jede Redaktion wird amok laufen, wenn man ihr die Titelseite wegnimmt. Diese Entscheidung hat nichts, aber auch gar nichts mit den Redakteuren zu tun, sondern ist eine Verlagsentscheidung. Und der hat vor allem finanzielle Interessen, denn er muss seine Redakteure schließlich bezahlen und will auch noch fette Gewinne machen. Aber du hast Recht: Schön ist das nicht.
Ebend! Die Medien-Schaffenden halten den tagaus und tagein die Monstranz des"hehren Journalismus" vor sich hoch - und alle die sich Vorteile von einer Kumpanei mit den Medien versprechen, bestätigen ihnen das immerzu.
Wo bleibt denn nun das Kind, welches einfach das herausruft, was es sieht:
<h2>Medien und Journalisten machen es fürs Geld!</h2>
Wer zahlt bekommt seine"gute Presse", seine positive Meldungen.
J
|
JoBar
13.11.2004, 17:27
@ JoBar
|
Nachschlag:"Ich nenne das Hurra-Journalismus" |
-->URL: http://www.fr-aktuell.de/fr_home/startseite/?cnt=588473
"Ich nenne das Hurra-Journalismus"
Vom richtigen Ticken: Warum die deutschen Medien den Folterskandal von Abu Ghraib verschliefen
<hr>
Abu Ghraib in den Medien
Über ein halbes Jahr haben Medienstudenten der Hochschule Mittweida beobachtet und analysiert, welchen Weg der Folterskandal von Abu Ghraib in den Medien nahm, seitdem der US-Sender CBS im April erstmals ausführlich darüber berichtete.
Dabei stellte sich heraus, dass deutsche Medien schon wesentlich früher über die Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-amerikanische Soldaten hätten berichten können, da bereits im vergangenen Jahr Zeugenaussagen, Fotos und Berichte von Menschenrechtorganisationen vorlagen.
"Der Skandal wurde verschlafen" sagt Professor Horst Müller, der das Projekt leitet, zu dem auch ein Buch erschienen ist:"Folter frei - Abu Ghraib in den Medien" ist unter www.medien-student.de bestellbar. Weitere Informationen unter www.folter-frei.de. oge
<hr>
Frankfurter Rundschau: Herr Müller, hätten die deutschen Medien schon früher über die Folterungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten berichten können?
Horst Müller: Nicht können, sondern müssen. Es gab bereits 2003 Berichte von amnesty international, in denen die Übergriffe beschrieben wurden. Es gab Zeugenaussagen, und es gab sogar eine Pressemitteilung des amerikanischen Verteidigungsministeriums, in denen die Anklagepunkte bestätigt wurden. Mit anderen Worten: Die Beschuldigten haben die Folterungen selbst eingeräumt. Da fragt man sich, was es noch braucht, damit berichtet wird. Anscheinend muss man den deutschen Medien erst die Gefolterten vor die Tür legen.
FR: Stattdessen wurde hier erst berichtet, nachdem am 28. April die Sendung"60 Minutes II" auf dem US-Sender CBS eine Reportage über die Folterungen brachte.
Müller: Aber selbst da mit Verzögerung. Die Nachrichtenagentur dpa hat 15 Stunden gebraucht, um die Meldung, die bei CBS lief, wiederzugeben - ohne zusätzliche Recherche. Da haben sämtliche Korrespondenten im Tiefschlaf gelegen, obwohl die CBS-Sendung zuvor den ganzen Tag im Fernsehen angekündigt worden war.
FR: Wie erklären Sie sich das Versäumnis?
Müller: Mit Einführung von CNN hat sich der Job des Korrespondenten grundlegend gewandelt. Er ist nicht mehr Primär-, sondern Sekundärberichterstatter und schaut, was die anderen machen, anstatt selbst Themen und Prioritäten zu setzen. Zu Hause in den Redaktionen dasselbe Bild: Da gilt nicht das Wort des Korrespondenten, sondern was andere Zeitungen und Sender berichten. Ich nenne das Hurra-Journalismus. Was Tagesschau oder Spiegel melden, wird einfach übernommen, da wird gar nicht mehr geguckt, ob das richtig ist, sondern nur noch, wie groß die anderen das Thema machen. Erst dann traut man sich selbst.
FR: Im Falle von Abu Ghraib war aber selbst der"Spiegel" spät dran.
Müller: Unheimlich spät. Die hatten sogar noch wenige Tage vor dem CBS-Beitrag einen Titel über die Amerikaner im Irak, ohne auch nur mit einem Wort die Folterungen zu erwähnen. Spiegel-Chef Stefan Aust muss das Versäumnis wohl bemerkt haben, denn dann hat der Spiegel schnell einen Titel über die Folterungen gemacht. Anschließend zogen alle nach. So funktioniert das.
...
FR: Es gibt auch schon lange die Bilder aus Guantanamo von gefesselten Irakern mit Knebeln im Mund und Säcken über den Köpfen.
Müller: Schlimmer noch. Es gab sogar eine offizielle Begehung, als Abu Ghraib von den Amerikanern übernommen wurde. Aber nur einigen wenigen Journalisten fiel auf, dass da gefesselte Gefangene bei 50 Grad in der Sonne saßen und das möglicherweise mit den Menschenrechten unvereinbar war.
...
FR: "Bild" hat sehr zögerlich über die Folterungen berichtet.
Müller: Da ist man mit Amerika-Kritik sehr zurückhaltend und macht lieber große Geschichten über heldenhafte US-Soldaten, die ihre Kameraden retten. Oder über Saddam Hussein im Erdloch. Das war wirklich auffallend zurückhaltend, wenn man schaut, in welchem Umfang und mit welch brachialen Methoden die Bild-Zeitung sonst vermeintliche Skandale anrührt. Im Falle Abu Ghraib aber wurde anscheinend nur darauf gewartet, dass es pro-amerikanische Berichtselemente gab.
FR: Sie haben in ihrer Untersuchung von"Bild" die Antwort bekommen, dass es vorher keine Beweise gab für die Vorwürfe.
Müller: Es geht ja noch weiter. Die haben allen Ernstes behauptet, dass sie nichts wussten. Und nicht nur Bild. Drei so genannte Leitmedien wollen von den Folterungen nichts gewusst haben: RTL-aktuell, Bild und Focus. Das ist ein journalistischer Offenbarungseid.
...
FR: Ist nicht auch die wirtschaftliche Krise ein Grund für schlechteren Journalismus, weil einfach kein Geld mehr für Recherche da ist?
Müller: Das ist schon möglich. Es traut sich in den Chefetagen der Verlage offenbar niemand mehr, den Journalisten den Rücken freizuhalten und sie ausdauernder recherchieren zu lassen. Stattdessen muss immer der schnelle Erfolg her, eine exklusive Geschichte. Dabei erreicht man so das Gegenteil. Nennen Sie mir mal eine exklusive Geschichte in den letzten Jahren aus Spiegel, Stern oder Focus, die die Welt bewegt hätte.
FR: Dabei sind doch die Möglichkeiten so gut wie noch nie.
Müller: Vielleicht sind sie zu gut. Sie können heute am Schreibtisch mit dem Internet und elektronischen Datenbanken alles in Minuten recherchieren, wofür Sie früher Tage unterwegs waren. Das führt dazu, dass die Journalisten die Informationen kaum noch hinterfragen. Es gibt so viele Belege, dass im Fall des Irak Fakten ignoriert wurden, die nicht in appetitlichen Info-Häppchen aufbereitet waren. Viele Redakteure lesen die Pressemitteilungen nicht richtig, weil sie nur noch in Schlagzeilen denken.
...
FR: Ist das also auch eine ideologische Frage? Immerhin haben Sie festgestellt, dass alternative, linke Medien wie die"taz" und die"Junge Welt" wesentlich früher über Abu Ghraib berichtet haben.
Müller: Deren Leser hatten einen absoluten Wissensvorsprung gegenüber den Nutzern der so genannte Leitmedien wie Spiegel oder ARD. Das ist aber nicht nur eine Frage der Ideologie, sondern auch der Konventionen. Diese Journalisten schotten sich nicht so sehr ab und nehmen nicht so viel Rücksicht auf den Mainstream. Während sich die anderen noch mit den Anschlägen auf die Amerikanern beschäftigten oder über Saddam im Erdloch berichteten, waren die schon viel weiter.
FR: Die anderen haben die Meldungen in ihrem Internetangebot versenkt. Ist das so eine Art Abladeplatz für Geschichten, denen man nicht traut?
Müller: Man muss fast das Gefühl haben. Das ZDF hat in unserer Befragung gesagt, man hätte keine Beweise und genaueren Kenntnisse gehabt. Tatsächlich standen im Internetangebot des ZDF schon vorher eigene Berichte mit detaillierten Zeugenaussagen. Auch Spiegel-Chef Aust hat uns wissen lassen, dass es vor dem 28. April"keine konkreten Vorgänge" gegeben habe. Dabei hatte Spiegel-online rund einen Monat zuvor die Meldung verbreitet, dass US-Soldaten Iraker misshandelt haben sollen.
FR: Glauben Sie, dass die Untersuchung zur Selbstkritik in den Medien beiträgt?
Müller: Es gibt in diesem Land einen Riesen-Mainstream, und die Wenigen, die dagegen berichten, werden nicht ernst genommen, sondern an die Seite gedrängt. Dabei könnten sich auch ARD und Spiegel, die immer diese Attitüde der Allwissenheit vor sich hertragen, einmal kritisch mit sich selbst auseinander setzen. Aber die werden sagen: Das ist so ein Spinner von einer kleinen Ossi-Hochschule - was will der uns kritisieren. Der tickt doch wohl nicht richtig.
Interview: Oliver Gehrs
<hr>
Ja, ja, unsere tollen Medien und Journalisten. Immer der Wahrheit verpflichtet. Oder war es"der political correctness"? Oder"unseren amerikanischen Freunden und deren Anhängseln"? Oder...
Scheißspiel mit diesem käuflichen Pack!
J
|