-->Rohöl: Ein Markt an der Kapazitätsgrenze
1. Vor nicht einmal zwei Jahren, kurz vor dem Irakkrieg, herrschte am Ã-lmarkt die Meinung vor, dass Ã-lpreise von 20 bis 25 US-Dollar pro Barrel die Norm wären. Schließlich ging man davon aus, dass die USA nur im Irak einmarschieren und den Ã-lhahn aufdrehen müssten. Die Optimisten übertrafen sich in ihren Prognosen, wie schnell der Irak seine Produktion ausweiten und den Ã-lmarkt mit zusätzlichem Rohöl fluten würde, was zwangsläufig stark fallende Ã-lpreise zur Folge gehabt hätte. Zu guter Letzt wettete man noch darauf, dass die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) an den niedrigen Preisen zerbrechen würde. Dass es sich dabei jedoch eher um Wunschträume und weniger um die Realität handelte, wurde spätestens dann offensichtlich, als klar wurde, dass die instabile Sicherheitslage im Irak in absehbarer Zukunft keine nachhaltige Produktionsausweitung zuließe. Die Folge war ein Preisanstieg, der 2004 einen neuen Höhepunkt fand. Die Eskalation im Irak ist jedoch nur ein kleines Mosaiksteinchen, wenn es darum geht, eine Erklärung für den starken Ã-lpreisanstieg im laufenden Jahr zu finden. Tatsächlich hat sich die Situation am Ã-lmarkt innerhalb kurzer Zeit grundlegend geändert.
2. Dieser Regimewechsel spiegelt sich am deutlichsten in den langfristigen Preiserwartungen wider. In den vergangenen Monaten haben nicht nur Ã-l-Analysten ihre Preisprognosen kräftig nach oben revidiert, sondern auch die langlaufenden Futures an der New York Mercantile Exchange (NYMEX) sind kräftig gestiegen. Aktuell ist es nicht möglich, Rohöl auf Termin Dezember 2010 für weniger als 37 US-Dollar pro Barrel zu kaufen. Diese Situation ist neu, denn während vergangener Ã-lpreisanstiege, wie beispielsweise während des zweiten Golfkriegs 1990/91 oder des Anstiegs im Jahr 2000, blieben die langfristigen Preiserwartungen stets stabil in einem Bereich von 20 bis 25 US-Dollar pro Barrel. Der Markt interpretierte die damaligen Preisanstiege offensichtlich lediglich als vorübergehendes Phänomen, welches sich schnell wieder zurückbilden würde. Warum aber hat der jüngste Ã-lpreisanstieg dazu geführt, dass plötzlich auch die langfristigen Preiserwartungen deutlich nach oben korrigiert werden?
3. Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach: Der Ã-lmarkt hat innerhalb kürzester Zeit die Fähigkeit zur Grobsteuerung über das Angebot und zur Feinsteuerung über die Lagerbestände verloren. Was dies genau bedeutet wird im Folgenden näher beleuchtet.
In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich die Marktteilnehmer an die Tatsache gewöhnt, dass am Ã-lmarkt Überschusskapazitäten bzw. freie Kapazitäten vorhanden sind. Diese freien Kapazitäten, die größtenteils von den OPEC-Ländern, insbesondere Saudi-Arabien bereit gestellt wurden, waren größtenteils die Folge des zweiten Ã-lpreisschocks Ende der Siebzigerjahre. Damals hatte der dramatische Ã-lpreisanstieg einen Einbruch der Ã-lnachfrage zur Folge. Dies wurde von den wichtigsten Ã-lförderländern jedoch zu spät erkannt, weshalb in den ersten Jahren des Nachfragerückgangs sogar noch zusätzliche Kapazitäten auf den Markt kamen. Die Folge waren massive Überkapazitäten in allen Bereichen der Wertschöpfungskette, von der Förderung über die Weiterverarbeitung bis hin zum Transport und der Lagerung. Von diesen freien Kapazitäten hat der Markt in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelebt. Einem Anstieg der Nachfrage konnten innerhalb kürzester Zeit mit einer Angebotsausweitung durch die Inbetriebnahme bereits bestehender Kapazitäten begegnet werden. Trotz einer steigenden Nachfrage konnte der Preis somit stabil gehalten werden. Selbst der dramatische Rückgang der russischen Ã-lproduktion zu Beginn der Neunzigerjahre oder auch der irakische Einmarsch in Kuwait, der zu einem Komplettausfall der irakischen und kuwaitischen Ã-lproduktion geführt hatte, spiegelte sich nur vorübergehend in den Preisen wider. Schließlich gab es genügend freie Kapazitäten, auf die im Bedarfsfall zurückgegriffen werden konnte. Zu tatsächlichen Engpässen bzw. zu Befürchtungen über mögliche Engpässe in der Zukunft kam es daher in den vergangenen 20 Jahren nie, denn meist war es Saudi-Arabien, das mit einer Produktionsausweitung in die Bresche sprang.
4. Die bestehenden Überkapazitäten und das Niedrigpreisumfeld hatten aber auch dazu geführt, dass Investitionen in zusätzliche Kapazitäten kaum profitabel erschienen. Zugespitzt hat sich die Lage gegen Ende der Neunzigerjahre. Der Einbruch der Ã-lpreise als Folge der Asienkrise und der New-Economy-Boom an den Börsen ließen Investitionen im „altmodischen“ Ã-lsektor unrentabel erscheinen. Die Folge war, dass die bestehenden Überkapazitäten kontinuierlich dahin schmolzen. Durch das starke Nachfragewachstum aus China wurde dieser Prozess zusätzlich beschleunigt. Aktuell gibt es weltweit laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) weniger als 1 Million Barrels an freien Kapazitäten (noch im April 2002 beliefen sich die freien Kapazitäten auf knapp 8 Millionen Barrels). Doch selbst bei dieser Zahl muss man vorsichtig sein, denn bei den noch bestehenden Kapazitäten, die nahezu ausschließlich in Saudi-Arabien angesiedelt sind, handelt es sich überwiegend um so genanntes saures Rohöl, welches einen höheren Schwefelgehalt aufweist als beispielsweise WTI oder Brent und damit von geringerer Qualität ist. Da die meisten Raffinerien in den USA, wo die Situation am Ã-lmarkt besonders eng ist, aber nicht die Möglichkeiten haben, dieses Rohöl weiterzuverarbeiten, sind diese freien Kapazitäten momentan mehr oder weniger nutzlos. Dies spiegelt sich auch in dem hohen Preisunterschied zwischen qualitativ hochwertigem und minderwertigem Rohöl wider. De facto arbeitet der Ã-lmarkt damit in einzelnen Segmenten erstmals an der Kapazitätsgrenze.
5. Schon allein die Tatsache, dass es nicht mehr möglich ist, das Angebot innerhalb kürzester Zeit auszuweiten, reicht aus, um den Ã-lpreis nachhaltig auf einem höheren Niveau zu halten. Anders ausgedrückt: Während der Markt in der Vergangenheit ohne weiteres durch eine Anpassung des Angebots im Gleichgewicht gehalten werden konnte, läuft die Anpassung nun stärker über die Preisentwicklung.
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Solange beide Probleme, Kapazitätsverknappung und niedrige Lagerbestände, fortbestehen, wird man sich daher an Preise auf hohem Niveau bei gleichzeitig hoher Volatilität gewöhnen müssen. Da es sich bei den Kapazitätsengpässen um ein strukturelles Problem handelt, das noch einige Jahre überdauern wird, rechnen wir in den nächsten Jahren kaum mit einem starken und vor allem nachhaltigen Rückgang der Ã-lpreise. Für das Jahr 2005 prognostizieren wir einen durchschnittlichen Preis von 50 USD/bbl für Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI). Für Brent erwarten wir einen Preis von 47 USD/bbl im Jahresdurchschnitt. Die Volatilität wird auch im nächsten Jahr hoch bleiben, wodurch ein vorübergehendes Über- oder Unterschießen jederzeit möglich ist. Geplante Kapazitätsausweitungen sollten dann 2006 zu einem Rückgang in den Bereich von 40 bis 45 USD/bbl beitragen
zum kompletten Artikel http://www.dekabank.de/globaldownload/de/economics/vowi_spezial/VS_04-12-08%20_Rohoel.pdf
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