aus eirna.com
"Nach uns die Sintflut"
In der November-Ausgabe seines Richebaecher Letter legt der ehemalige Chefökonom der Dresdner Bank Dr. Kurt Richebächer eine niederschmetternde Analyse der Wirtschafts- und Finanztrends in den USA vor.
Die Grundhaltung der US-Finanzelite lasse sich nur mit dem Motto"nach uns die Sintflut" beschreiben, so Richebächer. Die Ausschläge am Aktienmarkt nähmen immer wildere Ausmaße an, und man werde"bald schockiert sein, wie schnell die Stärke der US-Wirtschaft einfach verpuffen wird, sobald der Bullen-Markt endet". Dabei hat es den"Wirtschaftsboom" in den USA, und insbesondere in der"New Economy", im Grunde nie gegeben.
Richebächer analysiert im Detail das vermeintliche außergewöhnliche Wachstum von Produktivität und Gewinnen der US-Unternehmen. Bei genauerem Hinsehen zeigen die amtlichen Statistiken National Income and Product Accounts (NIPA), daß das Wachstum der Unternehmensgewinne von 1996-2000 recht gering war. Im produzierenden Sektor betrug es nur 3,4% jährlich. Aber selbst diese Zahlen beruhen auf 1. ausufernder"kreativer Buchführung", 2. den Auswirkungen von Aktienoptionen für Mitarbeiter und 3. geringeren Arbeitgeberzahlungen in Rentenfonds wegen der starken Kapitalgewinne auf den Aktienmärkten. Das angebliche"Produktivitätswunder" beruht weitgehend auf statistischen Manipulationen (siehe auch SAS, 37/2000).
"Die schwachen Profite der US-Wirtschaft in den 90er Jahren sind keineswegs nur vorübergehend und zufällig - sie sind endemisch und strukturell", schreibt Richebächer."Ironischerweise liegt die Ursache genau in den beiden Merkmalen des Paradigmas der neuen US-Wirtschaft, die allgemein als Hauptquellen ihrer Überlegenheit hinsichtlich Wachstum und Produktivität gepriesen werden. Das eine ist das Modell des Shareholder Value, das andere die neue Informationstechnologie. Die alten Ã-konomen hätten gesagt: beide sind antikapitalistisch."
Im Mittelpunkt des Shareholder-Value-Modells stehe der"beispiellose Vorstoß von Kostensenkung und Schrumpfung", bei gleichzeitiger Abneigung gegen alle langfristigen Kapitalinvestitionen. Die angebliche profitsteigernde Unternehmens-Umstrukturierung sei nur"ein vager Euphemismus für alle mögliche Maßnahmen, die tendenziell den Aktienwert kurzfristig steigern, praktisch unter Ausschluß jedes anderen Zieles". Das Paradigma der"neuen Wirtschaft" gebe vor,"Reichtum ohne Kapitalbildung" zu schaffen, bedeute aber in Wirklichkeit eine"massive Kapitalvernichtung". Eine absolute Voraussetzung für echten Wohlstand sei langfristige Kapitalbildung, u.a. durch Bau neuer moderner Produktionsstätten, Schaffung neuer Industriearbeitsplätze sowie Infrastrukturinvestitionen.
Richebächer erklärt, der Kapitalismus in Amerika sei kein"neuer, effizienterer", sondern ein"später, degenerierter" Kapitalismus. Zum klassischen Kapitalismus"gehörte die langfristige Kapitalakkumulation aus Spargeldern, man empfand eine starke Verantwortung für die Hinterlassenschaft an zukünftige Generationen". Der neo-amerikanische Kapitalismus der 90er Jahre bedeute dagegen die"hektische Jagd nach schnellen und leichten Gewinnen auf dem Aktienmarkt durch Firmendeals und Aktienrückkäufe, eine sparunwillige Ã-ffentlichkeit und eine ungebremste Kreditschöpfung des Finanzsystems für Konsum und Spekulation. Die Verantwortung des Managers beginnt und endet in diesem,neuen' Kapitalismus beim kurzfristigen Aktienwert." Sparen und Kapitalakkumulation seien zur völligen Bedeutungslosigkeit verkommen.
Jede gebildete Nation sollte sich dieses neuen Kapitalismus"schämen", so Richebächer, weil"die Unternehmensstrategien, die aus der einspurigen mikroökonomischen Logik der Maximierung des aktuellen Aktienwerts resultieren, inhärent immer negativere langfristige makroökonomische Folgen für Wirtschaftswachstum, Einkommen und Gewinnerzeugung nach sich ziehen". Es herrsche ein"zügelloser Überkonsum auf Kosten der zukünftigen Generationen", welche"eine vernachlässigte Bildung von Sachkapital im Inland, einen Berg von Auslandsschulden und Massen wertloser Papiertitel (Aktien und Anleihen) erben werden. Man könnte es den,Mach-deine-Kinder-arm-Kapitalismus' nennen. Das Motto dieses Kapitalismus ist:,Nach uns die Sintflut'."
Die Folge seien zunehmende"wirtschaftliche Ungleichgewichte und finanzielle Exzesse beispiellosen Ausmaßes", welche die US-Wirtschaft"verwundbarer denn je" machten. Richebächer:"Überall ernste Probleme: auf den Kreditmärkten, im Bankensystem, bei den Aktienwerten, bei den Gewinnen, bei der Schuldenlast von Unternehmen und Verbrauchern und beim stark überbewerteten Dollar. Das Vertrauen in den Dollar war der einzige Nagel, der bisher noch das desintegrierende System zusammenhielt." Somit seien Hoffnungen auf eine"weiche Landung" der US-Wirtschaft"völlig fehl am Platze. Wir haben die schlimmste Finanzblase der Geschichte erlebt."
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