Popeye
11.11.2005, 16:18 |
Wie kam der Ackerbau nach Europa? Thread gesperrt |
-->Ein kleiner Hinweis auf der Titelseite der FAZ von heute -
Europas Wurzeln liegen in der Altsteinzeit
und ein lĂ€ngerer Beitrag im Feuillton (Seite 36) berichten zwar akkurat ĂŒber die heute in Science Magazine veröffentlichten Beitrag (âAncient DNA from the First European Farmers in 7500-Year-Old Neolithic Sitesâ) einer internationalen Forschergruppe (um Joachim Burger und Wolgang Haak beide Uni Mainz), kommentieren aber mit keinem Wort die eigentliche Brisanz des Ergebnisses.
Das Problem: Wie wurden Landwirtschaft und die dazu gehörigen Techniken vor rund 7.500 Jahren nach Europa âimportiertâ? Wanderten die ersten Bauern Europas mit Sack und Pack von Anatolien, Balkan und der SchwarzmeerkĂŒste Richtung Nordwesten und verdrĂ€ngten die einheimischen Sammler & JĂ€ger (âDemic- Diffusion-Modellâ ) oder wurde nur das Wissen um landwirtschaftliche Techniken von diesen LĂ€ndern nach Europa importiert (Cultural-Diffusion-Modell) und dort lokal verbreitet ohne groĂe Wanderungen von sĂŒd-ost europĂ€ischen und anatolischen Bevölkerungsteilen?
ZunÀchst kurz und knapp die Ergebnisse der Forschungsgruppe:
Erste Menschen (homo sapiens sapiens) lebten bereits vor ca. 40.000 Jahren in Europa. Die ersten Landwirte waren (zunĂ€chst ausgehend von Ungarn) die sog. Bandkeramiker auch Linearbandkeramiker (LBK) bzw. die Alföldi Vonaldiszes KerĂĄmia (AVK), deren endĂŒltige Verbreitung - die bemerkenswerterweise in rund 500 Jahren erfolgte - diese Karte zeigt.
Die Forschungsgruppe hat nun 24 von 57 neolitische Skelette aus Ă-stereich, Deutschland und Ungarn genetisch untersucht indem sie das mĂŒtterlicherseits vererbte mitochondrische DNA ( mtDNA) untersuchten. In 25 Prozent (von 24) also 6 dieser Skelette konnten die Forscher in der mtDNA einen biologischen Baustein (N1a) nachweisen, der als typisch fĂŒr neolitische Farmer gilt. Dieser biologische Baustein - und das ist die Ăberraschung - lĂ€sst sich heute nur in 0,2 Prozent der europĂ€ischen Bevölkerung (einmal je 500) nachweisen. WĂ€hrend also unter den Bandkeramikern 25 Prozent dieses genetische Kennzeichen hatten, lĂ€sst es sich heute nur bei 0,2 Prozent der Bevölkerung nachweisen!
Wie kann das sein?
Auch wenn die Stichprobe sehr klein und somit nicht sehr reprÀsentativ ist, kann eine solche Differenz nicht alleine mit statistischen UnzulÀnglichkeiten erklÀrt werden.
Erinnern wir uns: MtDNA wird nur von der Mutter vererbt (Y-Chromosom vom Vater). Vieles deutet deshalb darauf hin, dass der uralte Brauch des Ver Sacrum sehr viel Ă€lter ist als bisher angenommen. Nicht MĂ€nnlein und Weiblein packten, wenn der Stammesraum zu eng oder der Stamm einfach zu groĂ wurde ihr BĂŒndel, sondern vorwiegend die jungen MĂ€nner. Diese mĂŒssen sich dann zu einem ganz ĂŒberwiegenden Teil mit Frauen der Sammler und JĂ€ger fortgepflanzt haben womit das mĂŒtterliche mtDNA der Zuwanderer gar keine Chance hatte sich bis heute fortzupflanzen.
(Einen Ă€hnlichen Vorgang finden wir ĂŒbrigens bei der Besiedlung des amerikanischen Westens: Die erste Welle der meist mĂ€nnlichen Siedler/Trapper pflanzte sich hĂ€ufig mit Indianerinnen fort.)
Die Forschungsergebnisse werfen weitere brisante Fragen auf: Wie gelang es der offenbar zahlenmĂ€Ăig deutlich unterlegenen Einwanderergruppe Kultur und Sprache der Sammler und JĂ€ger zu dominieren? Deutet die Heiratspolitik der Einwanderer eher auf eine friedliche kulturelle Diffusion hin oder geschah es regelmĂ€Ăig mit Raub und Gewalt? Kinder lernen die Sprache ĂŒberwiegend von der Mutter (KulturtrĂ€ger) wie ist die Geschwindigkeit (500 Jahre) der Diffusion und Adaption der Kultur zu erklĂ€ren?
Man sieht, eine zusÀtzliche Antwort ergibt meist einen Rattenschwanz von zusÀtzlichen Fragen und lÀsst die HÀlfte der alten Fragen ungelöst..
GrĂŒĂe
Bildquellen:
Science, Vol 310, Issue 5750, 964-965, 11 November 2005
Sprachfamilien: Science, Vol 300, Issue 5619, 597-603, 25 April 2003
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Elli (Boardmaster)--
11.11.2005, 19:02
@ Popeye
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Re: Wie kam der Ackerbau nach Europa?/Weiterer Meilenstein i. d. Sammlung (o.Text) |
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Spartakus
11.11.2005, 19:44
@ Popeye
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Dagegen |
-->>Die Forschungsgruppe hat nun 24 von 57 neolitische Skelette aus Ă-stereich,
>Deutschland und Ungarn genetisch untersucht.
Nicht das ich das Ganze uninteressant fĂ€nde, aber anhand so dĂŒnner Daten die europĂ€ische FrĂŒhgeschichte neu schreiben zu wollen, finde ich wieder mal einen dieser Sensationsskandale die mich eher an die Ăberwertung der Pressearbeit glauben lassen.
Nix fĂŒr ungut.
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Popeye
11.11.2005, 20:22
@ Spartakus
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Re: Dagegen |
-->>>Die Forschungsgruppe hat nun 24 von 57 neolitische Skelette aus Ă-stereich,
>>Deutschland und Ungarn genetisch untersucht.
>Nicht das ich das Ganze uninteressant fĂ€nde, aber anhand so dĂŒnner Daten die europĂ€ische FrĂŒhgeschichte neu schreiben zu wollen, finde ich wieder mal einen dieser Sensationsskandale die mich eher an die Ăberwertung der Pressearbeit glauben lassen.
>Nix fĂŒr ungut.
Hallo @Spartakus,
Der Einwand ist prinzipiell richtig und wurde auch von mir erwÀhnt.
Aber, und das hÀtte ich vielleicht erwÀhnen sollen, die Kehrseite der Medaille stimmt: Das Y-Chromosom der Einwanderer, das also nur von MÀnnern vererbt wird bestÀtigt den Befund. Dies ist schon seit lÀngerem bekannt. Es wanderten vornehmlich MÀnner ein, deren Y-Chromosom noch heute in etwa 20-25 Prozent der Bevölkerung nachzuweisen ist.
GrĂŒĂe
Auszug aus:
Sience, Vol 290, Issue 5494, 1155-1159, 10 November 2000
The Genetic Legacy of Paleolithic Homo sapiens sapiens in Extant Europeans: A Y Chromosome Perspective
Ornella Semino et al.
Zitat:
âThese data suggest that the gene pool has ~80% Paleolithic and ~20% Neolithic ancestry. Our data support this observation because haplotypes Eu4, Eu9, Eu10, and Eu11 account for ~22% of European Y chromosomes.â
Weitere Untersuchungen mit identischem Ergebnis:
M. Richards, et al., Ann. Hum. Genet. 62, 241 (1998)
A. Torroni, et al., Am. J. Hum. Genet. 62, 1137 (1998)
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Fremdwort
12.11.2005, 12:35
@ Popeye
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Re: Dasselbe findest du auch bei Telepolis, ABER |
-->da bitte unbedingt die Kommentare beachten.
<ul> ~ http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?forum_id=87756&list=1&hs=0&e=all</ul>
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dottore
13.11.2005, 13:09
@ Popeye
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Re: Wie kam der Ackerbau nach Europa? |
-->Hi @Popeye,
Danke fĂŒr den Hinweis. Der SPIEGEL hat das Thema sehr wohl erkannt, siehe Ausgabe Morgen (S. 132-34).
Das Ganze soll sich innerhalb von nur 100 (sic!) Jahren abgespielt haben. Vor 7600 Jahren. Die Karte mit der Ausbreitung von Kulturpflanzen und Haustieren dort ist noch etwas instruktiver: 11.000 bis 9.000 Jahre im fertile crescent, dann von 9.000 bis 7.500 in den Donaugebieten, Apulien, Sardinien, weitere KĂŒsten entlang des Mittelmeers und Zentralfrankreich (Pariser Becken). Die Rede ist von einer"neuen Rasse ĂŒberlegener Einwanderer", die die"einheimischen Wilden" immer weiter in die SĂŒmpfe zurĂŒckdrĂ€ngten.
Die ArchĂ€ologen widersprechen. Auch die Wildbeuter hĂ€tten schon"kleine GĂ€rtchen" angelegt gehabt, schlieĂlich: Gewandert seien nicht Völker, sondern eine"Idee". Der (befragte und bekannte) Frankfurter Praehistoriker Jens LĂŒning wird zitiert. Der fragt, wie viele Menschen nötig gewesen seinen, um Hessen zum Christentum zu bekehren und antwortet selbst:"Einer, Bonifatius".
Damit ist also die"Missionarsthese" (Pioniere hĂ€tten Sammler & JĂ€ger zu Ackerbau etc."bekehrt") als Gegenthese im Raum. Sein"BeweisstĂŒck" sind die bekannten pĂŒppchengroĂen Tonfiguren, die in jedem Bandkeramik-Langhaus gefunden wurden. Dort mutmaĂlich in jeweils einem"rituellen Raum".
Ob die Bandkeramiker nun Einwanderer oder Bekehrte waren, sei nach wie vor unentschieden. Immerhin beweisen die Mainzer Befunde: Die frĂŒhen Bauern seien halt doch ausgestorben (jedenfalls DNA-mĂ€Ăig). Nur ihre Viecher seien geblieben. ResĂŒmee des SPIEGEL:"Die heutigen EuropĂ€er bleiben gleichsam als Waisen der Geschichte zurĂŒck. Ihre Herkunft bleibt im Ungewissen."
Den Ver-Sacrum-Hinweis halte ich auch fĂŒr wichtig und fĂŒr die derzeit noch passabelste ErklĂ€rung. Das PhĂ€nomen der Jungspund-Exilierung spielt sicher auch bei den (spĂ€teren) KlöstergrĂŒndungen eine Rolle. Aber wie schon richtig angemerkt: Mehr Fragen offen als Antworten derweilen zur Hand.
Man kann's auch sarkastisch sehen: Jede Hautschuppe enthÀlt millionenfach mehr DNA als ein Steinzeitknochen. Vielleicht haben die Mainzer gar sich selbst untersucht bzw. entdeckt?
Nochmals Dank + GruĂ!
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Popeye
13.11.2005, 13:27
@ dottore
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Re: Wie kam der Ackerbau nach Europa? |
-->Hallo, @dottore
>Ob die Bandkeramiker nun Einwanderer oder Bekehrte waren, sei nach wie vor unentschieden. Immerhin beweisen die Mainzer Befunde: Die frĂŒhen Bauern seien halt doch ausgestorben (jedenfalls DNA-mĂ€Ăig). Nur ihre Viecher seien geblieben. ResĂŒmee des SPIEGEL:"Die heutigen EuropĂ€er bleiben gleichsam als Waisen der Geschichte zurĂŒck. Ihre Herkunft bleibt im Ungewissen."
Das widersprÀche zumindest diesen Befunden, die eigentlich als gesichert gelten?!
>Den Ver-Sacrum-Hinweis halte ich auch fĂŒr wichtig und fĂŒr die derzeit noch passabelste ErklĂ€rung. Das PhĂ€nomen der Jungspund-Exilierung spielt sicher auch bei den (spĂ€teren) KlöstergrĂŒndungen eine Rolle. Aber wie schon richtig angemerkt: Mehr Fragen offen als Antworten derweilen zur Hand.
Vielleicht kannst Du das Thema mal H/S antragen im Kontext: Söhne und Weltmacht. Ich hÀtte zwar Lust mich damit mal zu vergraben, aber keine Zeit.
Aber eine Diplomarbeit ist es allemal wert.
Lit.:
I Figli di Marte: Mobilita, Mercenari e Mercenariato Italici in Magna Grecia e Sicilia von G. Tagliamonte
GrĂŒĂe
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dottore
13.11.2005, 15:09
@ Popeye
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Re: Ver Sacrum - Söldner und MĂŒnzen |
-->Hi @Popeye,
>>Ob die Bandkeramiker nun Einwanderer oder Bekehrte waren, sei nach wie vor unentschieden. Immerhin beweisen die Mainzer Befunde: Die frĂŒhen Bauern seien halt doch ausgestorben (jedenfalls DNA-mĂ€Ăig). Nur ihre Viecher seien geblieben. ResĂŒmee des SPIEGEL:"Die heutigen EuropĂ€er bleiben gleichsam als Waisen der Geschichte zurĂŒck. Ihre Herkunft bleibt im Ungewissen."
>Das widersprÀche zumindest diesen Befunden, die eigentlich als gesichert gelten?!
Das kann ich nicht beurteilen, sorry. Ich hatte nur schnell mal den SPIEGEL zitiert (d.h. im Punkt"Science" versucht, vom Generalverdacht, es merke keiner, in Schutz zu nehmen).
>>Den Ver-Sacrum-Hinweis halte ich auch fĂŒr wichtig und fĂŒr die derzeit noch passabelste ErklĂ€rung. Das PhĂ€nomen der Jungspund-Exilierung spielt sicher auch bei den (spĂ€teren) KlöstergrĂŒndungen eine Rolle. Aber wie schon richtig angemerkt: Mehr Fragen offen als Antworten derweilen zur Hand.
Ver Sacrum und Söldner ist sehr interessant. Heinsohn hatte darauf schon vor Jahren kurz verwiesen, es aber nicht weiter verfolgt. FĂŒr die"VerstoĂenen" war es vermutlich produktiver, Machtgebilde zu stĂŒtzen als selbst den Buckel auf dem Acker krumm zu machen.
>Aber eine Diplomarbeit ist es allemal wert.
>Lit.:
>I Figli di Marte: Mobilita, Mercenari e Mercenariato Italici in Magna Grecia e Sicilia von G. Tagliamonte
Danke, das ist eins von vielen verdienstvollen Werken, die den Schalmaien-Freaks nicht zupass kommen. Zu dem Söldner-Komplex ist eine kurze Ausarbeitung von Nutzen. Einige Stellen daraus:
"In the absence of specific terminology for mercenaries, allusions in the sources to men who provided auxiliary assistance on the battlefield appeared in terms of a ritualized foreign friendship (xenia) between foreigners (xenoi) and an allied relationship (symmachia) that blurred what may have been real mercenary activities in the seventh to the fifth centuries BCE."
"Coinage appeared in the Greek cities at the end of the Archaic age and with coinage came new terminology for those who received it as a wage (misthos), reward and recompense for military service.
There may be a relationship between the appearance of coinage in western Asia Minor and the emergence of mercenaries from this region in the latter half of the seventh century BCE."
Diesen Aspekt möchte ich teilen, wie schon andernorts festgehalten. Zumindest die MĂŒnzen (und das daraus bis heute"entwickelte" Geld) sind ein klassisches Machterhaltungsattribut. Weiter:
"There is little doubt that coinage facilitated the growth of mercenary service, for the great mercenary armies of the fourth century BCE could not have emerged without coins. Geoffrey de Ste Croix [The Class Struggle in the Ancient Greek World, 1981] described ancient Greek mercenaries in this era as the first instance of large scale hired labour in antiquity."
Trifft sich mit meiner Meinung: Der erste"Arbeitsmarkt" ist nicht der fĂŒr Lohnarbeiter, sondern eben der fĂŒr Söldner. Und:
"The first Greek mercenaries appeared in the Near East in the Archaic Age, possibly as individuals serving the Assyrian Kings."
Womit die Kette zurĂŒck zum mesopotamischen Machtbereich geschlossen wĂ€re. Dabei hatten wir zunĂ€chst keine assyrischen MĂŒnzen. Die MĂŒnze muss also Folge des Machterhaltungs- und -gewinnungseinsatzes gewesen sein.
"In about 664 BCE, thirty thousand [30.000!] Carians and Ionians from western Asia Minor found service with the Saite dynasty of the Egyptian Pharaohs (Herodotus, 2.163; Plato, 187b; Diodorus Siculus, 1.66.12)."
Auf 664 BCE werden bestenfalls allererste PrĂ€gungen (noch ohne konkretes MĂŒnzbild) datiert, die"geriffelten" oder die einfachen ohne weitere Kennung, wie wir sie auch bei den "RegenbogenschĂŒsselchen" finden, z.B. (ex Lanz demnĂ€chst:
[img][/img]
Stater-Standard (6,8 g).
"Around 590 BCE, Alcaeus's brother took service in Babylon and won renown and reward. As the Greek communities coalesced into poleis so mercenary service appeared more frequently.
The autocrats, often called tyrants, who emerged at the head of these new states in the seventh and sixth centuries BCE used hired soldiers to establish and defend their regimes. Peisistratus used the money he minted from silver mines in Thrace to hire mercenaries to seize power at Athens in 546 BCE (Aristotle, AthenaiĂŽn Politeia, 15.1-3). Mercenaries were associated strongly with autocracy and tyranny in antiquity (e.g. Aristotle, Politics, 1311a)....!"
Da reimt sich eine Menge gut zusammen.
Dank + GruĂ!
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