R.Deutsch
04.12.2005, 17:31 |
Unfinished Bussines - ein fruchtbarer GedankeThread gesperrt |
-->
Leider ist die interessante Diskussion schon wieder im digitalen Nirwana versunken:-)
Will mal versuchen, noch einen Gedanken nachzutragen.
Wenn ich meine Ziege gegen 10 HĂŒhner tausche, ist das GeschĂ€ft abgeschlossen (finished).
Wenn ich meine Ziege gegen eine Unze Gold tausche, sieht das auch nach âabgeschlossenâ (finished) aus. Die Ware Ziege wurde gegen die Ware Gold getauscht, niemand ist mehr etwas schuldig. In Wahrheit will ich aber nicht Gold sondern HĂŒhner. Der eigentliche Leistungsaustausch (Ziege gegen HĂŒhner) ist noch offen. Der Vorgang ist in dem Zwischentauschmitttel Gold geparkt, und kann als Wert in Zeit und Raum ĂŒbertragen werden zum eigentlichen HĂŒhnerverkĂ€ufer, der das Gold dann seinerseits wieder zur SchlieĂung eines unfinished bussines verwendet. Man kann also auch die Zahlung mit Gold als unfinished bussines bezeichnen.
Gold ist quasi Versprechen auf Gegenleistung (HĂŒhner) und Pfand in Einem, wĂ€hrend beim Kredit das Leistungsversprechen mit einem getrennten, zusĂ€tzlichen Pfand unterlegt werden muss.
Die ĂbergĂ€nge sind also fliesend. Man muss nicht unbedingt ein privates Zwischentauschmittel leugnen, oder den Austausch gegen Warengeld als unproduktiv, (weil"finished") bezeichnen um allein staatliches Kreditgeld zu rechtfertigen:-)
GruĂ
R.Deutsch
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- Elli -
04.12.2005, 17:46
@ R.Deutsch
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Re: @R.Deutsch |
-->>
>Leider ist die interessante Diskussion schon wieder im digitalen Nirwana versunken:-)
>Will mal versuchen, noch einen Gedanken nachzutragen.
Schade, dass du einen neuen Thread aufmachst, der geht ganz bestimmt verloren, wĂ€hrend der ursprĂŒngliche in der Popeye-Sammlung zu finden ist.
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R.Deutsch
04.12.2005, 18:09
@ - Elli -
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Re: Na ja - das ist mein Schicksal... |
-->dass meine tollen Gedanken verloren gehen:-)
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- Elli -
04.12.2005, 18:12
@ R.Deutsch
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Re: Na ja - muss es aber nicht.... |
-->>dass meine tollen Gedanken verloren gehen:-)
... wenn du im ursprĂŒnglichen Thread bleibst ;-)
AuĂerdem: Was hat schon dauerhaft Bestand....?
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R.Deutsch
04.12.2005, 18:21
@ - Elli -
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Re: Was hat schon dauerhaft Bestand....? |
-->das ist auch ein Teil der Magie bei BullionArt:-)
Silber, - vielleicht der Inkas, schlĂŒpft jetzt wieder in eine neue Kunstform, um in 20 Jahren vielleicht etwas ganz Anderem zu dienen. Zeit und Ewigkeit, gekettet aneinander in einer vorlĂ€ufigen Skulptur.
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Dimi
05.12.2005, 10:13
@ R.Deutsch
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Re: Unfinished Bussines - ein fruchtbarer Gedanke - Schmarrn |
-->>Gold ist quasi Versprechen auf Gegenleistung (HĂŒhner) und Pfand in Einem,
Gold ist kein Pfand, fĂŒr solche VorgĂ€nge gibt es keinen Beleg. Gold ist ein hinreichend gut verĂ€uĂerlicher Wertspeicher, der zum Wertspeichern nachgefragt wird und deshalb im Wert ĂŒber seinem ursprĂŒnglichen Wert liegt ("Geld"). LaĂ Dir doch von den frĂŒhen Debitisten Vaughan und Macleod nicht die Sinne vernebeln ;-)
GruĂ, Dimi
<ul> ~ Pfandtheorie der Geldentstehung</ul>
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weissgarnix
05.12.2005, 10:43
@ R.Deutsch
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Re: Unfinished Bussines - ein fruchtbarer Gedanke |
-->Reinhard,
die Frage, die mir im Kopf rumgeht (und mit der ich einige Zeit lang versucht habe, dottores Thesen zu knacken): was bringt mich auf die Idee, einen"Zwischenspeicher" als solchen zu akzeptieren?
kleines Gedankenspielerchen: du und ich wandern durch die groĂe weite Weide, vor ca. 5000 Jahren. Du bist ein echtes Ass im Fallenstellen, und erlegst jeden Tag mindest 2 Karnickel. Ich habe davon keine Ahnung, weiss aber, wie man aus Steinen schöne scharfe Klingen basteln kann (die du wiederum brauchst, um Ăste fĂŒr deine Fallen zu bearbeiten). Ich habe Hunger.
Ich komme zu dir und sage"du, Reini, hier hast wieder 2 Klingen, ich hĂ€tte gern ein Karnickel von dir, weil ich habe Hunger"... du sagst:"tut mir leid, aber ich konnte die letzten 2 tage nicht jagen, weil ich mir den fuss verstaucht habe. ich brauche meine ĂŒbrigen karnickel selbst, um bis dahin zu ĂŒberleben, wo ich wieder jagen kann. aber deine beiden Klingen, die wĂŒrde ich dafĂŒr schon gerne haben, weil meine alten gingen letztens zu Bruch..."
was mache ich jetzt? gebe ich dir die Klingen, vielleicht gegen einen"Zwischenspeicher"? ich brauche aber keinen"Zwischenspeicher", ich habe Hunger...
der Zwischenspeicher nutzt mir deshalb doch ausschliesslich nur dann was, wenn ich damit sofort zum NĂ€chsten marschieren kann, der vielleicht noch ĂŒbrige Karnickel hat, und den deal dort durchziehe. und zwar pronto, weil mein Magen knurrt zunehmend lauter... der braucht vielleicht zwar keine neuen Klingen, aber vielleicht braucht er genau das Zeug, dass mir der Reini gerade fĂŒr meine beiden gegeben hat. und wenn nicht der, dann vielleicht der ĂŒbernĂ€chste, usw.
ergo, kann der Zwischenspeicher in Wirklichkeit kein Zwischenspeicher sein, sondern muss primĂ€r als Transaktionsmedium geeignet sein. und zwar idealerweise sofort und unmittelbar. das"Zwischenspeichern" nutzt da keinem was, das ist im Grunde auch gar nicht gewollt. was bedeutet, dass in dem Moment, wo ich dir meine 2 Klingen gebe (und es dauert, bis die gefertigt sind, ergo kann ich kein Risiko eingehen, weil sonst verhungere ich), ich sicher sein können muss, dass - egal was du mir dafĂŒr anbietest - irgendjemand so scharf drauf ist, dass er mir dafĂŒr dann von seinen Karnickeln welche abgibt (oder von seinen Fischen, Vögeln, FrĂŒchten, etc).
Frage an Radio Eriwan: welches Medium ist in bzw. kurz nach der Stunde Null so fungibel, dass man sich drauf einlassen könnte, es von irgendjemand anstatt dessen zu nehmen, was man zum Ăberleben braucht, weil man sicher sein kann, dass man sich damit einige Augenblicke spĂ€ter selbiges von jemand anders besorgen kann. Was kann das sein, und wo kommt es her?
Antwort (eine mögliche, nota bene, aber ernsthaft, mir fĂ€llt keine zweite Ă€hnlich plausible ein): es muss etwas sein, was qua deklaration durch eine höhere Instanz (dem Clan-Oberen, Dorfpriester, FĂŒrsten, König, etc) dazu gemacht wurde. und zwar allgemeingĂŒltig. das kann Gold sein, oder Speerspitzen, oder Perlenketten, oder Vieh, oder Frauen, oder LedersĂ€ckchen mit Silbernuggets oder was weiss ich. es ist im Grunde völlig egal, weil es nicht qua ursprung sondern per ordre de mufti zu seiner Eigenschaft als Transaktionsmittel kommt.
mir fÀllt echt nix besseres ein, und dottores Herleitung scheint mir zunehmend genial. gerade wenn man sich urzeitliche"Transaktionen" als Frage von Tod oder Leben vorstellt (und mal Raub und Totschlag ausklammert) dann kommt man unweigerlich zum Schluss, dass die Tauschtheorie nur Kokolores sein kann.
>
>Leider ist die interessante Diskussion schon wieder im digitalen Nirwana versunken:-)
>Will mal versuchen, noch einen Gedanken nachzutragen.
>Wenn ich meine Ziege gegen 10 HĂŒhner tausche, ist das GeschĂ€ft abgeschlossen (finished).
>Wenn ich meine Ziege gegen eine Unze Gold tausche, sieht das auch nach âabgeschlossenâ (finished) aus. Die Ware Ziege wurde gegen die Ware Gold getauscht, niemand ist mehr etwas schuldig. In Wahrheit will ich aber nicht Gold sondern HĂŒhner. Der eigentliche Leistungsaustausch (Ziege gegen HĂŒhner) ist noch offen. Der Vorgang ist in dem Zwischentauschmitttel Gold geparkt, und kann als Wert in Zeit und Raum ĂŒbertragen werden zum eigentlichen HĂŒhnerverkĂ€ufer, der das Gold dann seinerseits wieder zur SchlieĂung eines unfinished bussines verwendet. Man kann also auch die Zahlung mit Gold als unfinished bussines bezeichnen.
>Gold ist quasi Versprechen auf Gegenleistung (HĂŒhner) und Pfand in Einem, wĂ€hrend beim Kredit das Leistungsversprechen mit einem getrennten, zusĂ€tzlichen Pfand unterlegt werden muss.
>Die ĂbergĂ€nge sind also fliesend. Man muss nicht unbedingt ein privates Zwischentauschmittel leugnen, oder den Austausch gegen Warengeld als unproduktiv, (weil"finished") bezeichnen um allein staatliches Kreditgeld zu rechtfertigen:-)
>GruĂ
>R.Deutsch
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Popeye
05.12.2005, 11:19
@ Dimi
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Re: Unfinished Bussines - ein fruchtbarer Gedanke - Schmarrn |
-->Hallo, @Dimi,
Dein hartes Urteil in Ehren, aber so ganz ĂŒberzeugen kannst Du (mich) nicht.
Wenn ReziprozitĂ€t die ökonomischen Warenströme der Gruppe/des Stammes fĂŒr viele tausend Jahre richtig umschreibt, dann ist die offene Forderung/offene Verbindlichkeit des Einzelnen die Norm und möglicherweise eben auch das âmost saleable goodâ.
Es ist eben nicht vornehmlich Gold oder Edelmetall, dass ethnographisch als dominantes Tausch-Medium in Erscheinung tritt. Es ist vielmehr am hĂ€ufigsten Tand (aus unserer heutigen Sicht wertloses Zeug) oder NĂŒtzliches, das als Statussymbol ökonomische Potenz signalisiert (s. Opitz, 2000).
âSchuldverhĂ€ltnisseâ entstehen nicht erst mit der Geburt des âHandelsâ und das erste Problem, das es auf dem Wege zum âGeldâ zu lösen galt, war nicht die Erfindung des Geldes, sondern die Dokumentation der offenen Verbindlichkeiten/Forderungen (unfinished business) - jedenfalls wenn und soweit es alles mit ReziprozitĂ€t und Tausch begann.
GrĂŒĂe
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Dimi
05.12.2005, 12:46
@ weissgarnix
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Re: Unfinished Bussines - ein fruchtbarer Gedanke |
-->Hallo weissgarnix,
im Kontext der Geldentstehung spielt Nahrung bei frĂŒhen Völkern keine groĂe Rolle (sondern um SĂŒhnezahlungen, Brautgelder etc.). Es geht also auch nicht darum, daĂ man sofort zahlen können muĂ.
>Frage an Radio Eriwan: welches Medium ist in bzw. kurz nach der Stunde Null so fungibel, dass man sich drauf einlassen könnte, es von irgendjemand anstatt dessen zu nehmen, was man zum Ăberleben braucht, weil man sicher sein kann, dass man sich damit einige Augenblicke spĂ€ter selbiges von jemand anders besorgen kann. Was kann das sein, und wo kommt es her?
Meist Schmuck (bzw. Schmuckmaterial). Schmuck war sehr wertvoll. Muscheln, ZĂ€hne, Federn, Silber etc.
GruĂ, Dimi
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Dimi
05.12.2005, 13:08
@ Popeye
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Re: Unfinished Bussines - ein fruchtbarer Gedanke - gefÀlliger: Nicht ganz rich |
-->tig
Hallo Popeye,
>Dein hartes Urteil in Ehren, aber so ganz ĂŒberzeugen kannst Du (mich) nicht.
>Wenn ReziprozitĂ€t die ökonomischen Warenströme der Gruppe/des Stammes fĂŒr viele tausend Jahre richtig umschreibt, dann ist die offene Forderung/offene Verbindlichkeit des Einzelnen die Norm und möglicherweise eben auch das âmost saleable goodâ.
Bei frĂŒhen Völkern gibt es eine Vielzahl an Transaktionsformen (Teilen, totales Tauschen, Tauschen, Leihen, Schenken-Gegenschenken etc.). Wir mĂŒssen schauen, wofĂŒr die ("spĂ€teren") Gelder (z.B. Muscheln) verwendet wurden, und das war z.B. der Brautkauf, also kein Leih-Vorgang.
>Es ist eben nicht vornehmlich Gold oder Edelmetall, dass ethnographisch als dominantes Tausch-Medium in Erscheinung tritt. Es ist vielmehr am hĂ€ufigsten Tand (aus unserer heutigen Sicht wertloses Zeug) oder NĂŒtzliches, das als Statussymbol ökonomische Potenz signalisiert (s. Opitz, 2000).
Bei Silber und Gold versagt die ethnographische Vorgehensweise mangels Zeitreisen. Wir mĂŒssen mit anderen GĂŒtern - die eben kein Tand sind - vorlieb nehmen. Wir können aber den SchluĂ Muschel -> Silber wagen, denn alle Berichte aus der frĂŒhen Zeit sind im Einklang mit heutigen völkerkundlichen Beobachtungen.
>âSchuldverhĂ€ltnisseâ entstehen nicht erst mit der Geburt des âHandelsâ
Klar
>und das erste Problem, das es auf dem Wege zum âGeldâ zu lösen galt, war nicht die Erfindung des Geldes, sondern die Dokumentation der offenen Verbindlichkeiten/Forderungen (unfinished business) - jedenfalls wenn und soweit es alles mit ReziprozitĂ€t und Tausch begann.
Einfache LeihverhĂ€ltnisse funktionieren mittels sozialer Regeln meist recht gut ohne Dokumentation. Wenn dennoch das Gegengeschenk zu oft ausbleibt, gibt es Streit, Strafe, oder kĂŒnftig nichts mehr. Soweit Dokumentationen vorhanden, etwa ĂŒber Kerbhölzer, tragen sie nicht zur Geldentstehung bei (bzw. historisch erst spĂ€ter).
GruĂ, Dimi
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dottore
05.12.2005, 15:56
@ Dimi
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Re:"Soziale Regeln" schon vor 10.000 Jahren verschwunden? |
-->Hi Dimi,
>Bei frĂŒhen Völkern gibt es eine Vielzahl an Transaktionsformen (Teilen, totales Tauschen, Tauschen, Leihen, Schenken-Gegenschenken etc.). Wir mĂŒssen schauen, wofĂŒr die ("spĂ€teren") Gelder (z.B. Muscheln) verwendet wurden, und das war z.B. der Brautkauf, also kein Leih-Vorgang.
Welche Muscheln konkret? Nach Eisenberg (1981), Burgess (1985), Hofrichter 1991 u.a. haben wir:
- Cypraeidae (46 Arten, > 200 Untergattungen)
- Ovulidae (6 Arten, > 100 Untergattungen)
- Triviidae (2 Arten, > 75 Untergattungen).
Nach den SchĂ€tzungen reichen die Seltenheiten von VC (very common bis 50 Mio StĂŒck) bis ExR (extremely rare), bei denen in toto ĂŒberhaupt nur ca. 250 Exx. angenommen werden. Die Preise reichen heute von peanuts bis hoch hinauf in den 5-stelligen Bereich. Dass die Kauris jemals"stabilen Kurs" gehabt hĂ€tten, stimmt nicht, worauf schon im Posting "Muschelgeld" ausfĂŒhrlich hingewiesen wurde.
Es sei dabei an den schönen Satz von R.L. Stevenson erinnert: "It is perhaps a more fortunate destiny to have a taste for collecting shells than to be born a millionaire."
Von einem Braut"kauf" zu sprechen, halte ich fĂŒr gelinde gesagt unscharf, da es etwas voraussetzt, was bewiesen werden soll. Es war ein Tauschvorgang, also Zug um Zug, was beim Kauf, der eine Kaufschuld schafft (in Höhe des Ausgepreisten nicht der Fall ist. Der Brauttausch ist unbestritten, aber mehr als ein Tausch ist dabei nicht herausgekommen. Der Brautvater wird sich ĂŒberdies mĂ€chtig geĂ€rgert haben, wenn zusĂ€tzliche Kauris erschienen. Auf die maximale Tagesleistung 1 Taucher = 12.000 StĂŒck war schon hingewiesen worden.
>Bei Silber und Gold versagt die ethnographische Vorgehensweise mangels Zeitreisen.
Da beides nicht vergeht - wozu Zeitreisen? Wo finden sich Gold und Silber bei irgendeinem Stamm in situ? (Wir reden nicht von den bekannten VorgĂ€ngen im Nahen und Mittleren Osten inkl. Ăgypten und den Praekolumbianern, z.T. auch in China usw., die sich aus Hierarchisierung innerhalb von StĂ€mmen bzw. Stamm-unterwirft-Stamm ergeben haben).
>Wir mĂŒssen mit anderen GĂŒtern - die eben kein Tand sind - vorlieb nehmen. Wir können aber den SchluĂ Muschel -> Silber wagen, denn alle Berichte aus der frĂŒhen Zeit sind im Einklang mit heutigen völkerkundlichen Beobachtungen.
Erstens dienten die ersten"monetĂ€ren" Muscheln, nach aller Litertaur ex Malediven (siehe Posting) Abgabenzwecken Richtung Ceylon. Zweitens ist Silber standardisiert, was die Muscheln - auĂer eben den"monetae" - nicht waren.
>>âSchuldverhĂ€ltnisseâ entstehen nicht erst mit der Geburt des âHandelsâ
>Klar
Ja, SchuldverhÀltnisse ex nihilo, also Abgaben-SchuldverhÀltnisse.
>>und das erste Problem, das es auf dem Wege zum âGeldâ zu lösen galt, war nicht die Erfindung des Geldes, sondern die Dokumentation der offenen Verbindlichkeiten/Forderungen (unfinished business) - jedenfalls wenn und soweit es alles mit ReziprozitĂ€t und Tausch begann.
>Einfache LeihverhÀltnisse funktionieren mittels sozialer Regeln meist recht gut ohne Dokumentation.
Wurden Muscheln verliehen? Oder gar beliehen?
>Wenn dennoch das Gegengeschenk
"Gegengeschenk", nachdem ein"LeihverhĂ€ltnis" entstanden war? Nit möööchlich. Ich gebe meinen Leihwagen zurĂŒck und höre:"Danke fĂŒr das Geschenk!"
>zu oft ausbleibt, gibt es Streit, Strafe, oder kĂŒnftig nichts mehr. Soweit Dokumentationen vorhanden, etwa ĂŒber Kerbhölzer, tragen sie nicht zur Geldentstehung bei (bzw. historisch erst spĂ€ter).
Kerbhölzer hatten VorlÀufer in anderer Gestalt, und zwar als Àlteste bekannte, die Mesopot-token (Schmandt-Besserat) und die Caral-khipus.
Oder was ist das anderes als ein Kerbholz (nur aus Ton)?
[img][/img]
Susa, ca. 3100 BC, heute Louvre. Es gibt also Dokumentation genug. Gegenstand der Susa-Doku: Getreide.
Der Witz: Du widersprichst den simplen Fakten. Auf der einen Seite"soziale Regeln", auf der anderen Seite haben wir die Àltesten Token datiert auf 8000 BC.
Galten vor 10.000 Jahren keine sozialen Regeln?
Oder hatten die in Mesopot (wir sind die direkten Erben notabene und nicht die der Trobriand-Insulaner!) keine HĂ€nde zum Handschlag?
GruĂ!
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moneymind
06.12.2005, 03:24
@ Popeye
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Re: ReziprozitÀt=unfinished exchange, fulfilled contract=finished business |
-->Hi Popeye,
Du schreibst:
"Wenn ReziprozitĂ€t die ökonomischen Warenströme der Gruppe/des Stammes fĂŒr viele tausend Jahre richtig umschreibt, dann ist die offene Forderung/offene Verbindlichkeit des Einzelnen die Norm..."
Genau.
Wenn wir uns fĂŒr die Entstehung der bĂŒrgerlichen Gesellschaft interessieren, ist die Hauptfrage nicht die Frage nach der Entstehung von sozialen Verpflichtungen, Zwang und Macht - die existieren schon vorher, wie Du sagst.
Sondern die Frage: wie konnte FREIHEIT von solchen Verpflichtungen entstehen ("Privatautonomie" - gegenseitige Verpflichtungen, freiwillig eingegangen, und bindend nur bis zur ErfĂŒllung anstelle permanent bestehender, unauflöslicher Verpflichtungen gegenĂŒber Stammesgenossen oder einem Feudalherrn).
Die UNABHĂNGIGKEIT der Privatindividuen voneinander stellt die historische Ausnahme und das Besondere an der"bĂŒrgerlichen Gesellschaft" dar, deren Ursprung zu erklĂ€ren wĂ€re --- nicht wie auch immer geartete Verpflichtungen, die immer bestehen und sich auch zwischen den"unabhĂ€ngigen Privatpersonen" wieder entwickeln und dort dann die Form des"Vertrags" annehmen.
Marx hat diese Problemstellung erkannt, aber die Lösung verpaĂt. Ich kann hier aus ZeitgrĂŒnden nicht umfassend dokumentieren, daher nur ein paar kurze Zitate (alle Texte online unter http://www.mlwerke.de/me/default.htm ).
Marx konzentriert sich bei seiner Beschreibung dieser Fragestellung auf die"Ware" und ihren"Fetischcharakter" (Kapital 1, Erstes Kapitel:"Die Ware"):
"GebrauchsgegenstĂ€nde werden ĂŒberhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhĂ€ngig betriebner Privatarbeiten sind." (MEW 23, 88).
Dies setzt die Abwesenheit von"ReziprozitÀt" voraus, die Marx unter dem Titel"unmittelbar vergesellschaftete Arbeit" beschreibt:
"FĂŒr die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter Arbeit brauchen wir nicht zurĂŒckzugehn zu der naturwĂŒchsigen Form derselben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker begegnet. Ein nĂ€herliegendes Beispiel bildet die lĂ€ndlich patriarchalische Industrie einer Bauernfamilie, die fĂŒr den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand, KleidungsstĂŒcke usw. produziert. Diese verschiednen Dinge treten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenĂŒber, aber nicht sich selbst wechselseitig als Waren. Die verschiednen Arbeiten, welche diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Schneiderei usw. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwĂŒchsige Teilung der Arbeit besitzt so gut wie die Warenproduktion. Geschlechts- und Altersunterschiede wie die mit dem Wechsel der Jahreszeit wechselnden Naturbedingungen der Arbeit regeln ihre Verteilung unter die Familie und die Arbeitszeit der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeitdauer gemeĂne Verausgabung der individuellen ArbeitskrĂ€fte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil die individuellen ArbeitskrĂ€fte von Haus aus nur als Organe der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken." (MEW 23, 92)
In den"Grundrissen zur Kritik der politischen Ă-konomie" schreibt er:
"Je tiefer wir in der Geschichte zurĂŒckgehen, je mehr erscheint das Individuum, daher auch das produzierende Individuum, als unselbstĂ€ndig, einem gröĂren Ganzen angehörig... erst in dem 18. Jahrhundert, in der"bĂŒrgerlichen Gesellschaft", treten die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen usammenhangs dem Einzelnen als bloĂes Mittel fĂŒr seine Privatzwecke entgegen, als Ă€uĂerliche Notwendigkeit" (Grundrisse, S. 6)
Die Frage, wie es nun - beginnend mit den Gemeinweisen, in denen es keine"unabhÀngigen Privatarbeiten" gibt, sondern nur die"ReziprozitÀt" stÀndig bestehender, unauflöslicher gegenseitiger Verpflichtungen der Stammesmitglieder - historisch zu den"unabÀngigen Privatpersonen" kommen konnte, beantwortet Marx im Kapitel 2"Der Austauschprozess", wie folgt:
"Der Warenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im auswĂ€rtigen, werden sie auch rĂŒckschlagend im innern Gemeinleben zu Waren. Ihr quantitatives AustauschverhĂ€ltnis ist zunĂ€chst ganz zufĂ€llig. Austausch- <103> bar sind sie durch den Willensakt ihrer Besitzer, sie wechselseitig zu verĂ€uĂern. Indes setzt sich das BedĂŒrfnis fĂŒr fremde GebrauchsgegenstĂ€nde allmĂ€hlich fest. Die bestĂ€ndige Wiederholung des Austausches macht ihn zu einem regelmĂ€Ăigen gesellschaftlichen ProzeĂ. Im Laufe der Zeit muĂ daher wenigstens ein Teil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf des Austausches produziert werden. Von diesem Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der NĂŒtzlichkeit der Dinge fĂŒr den unmittelbaren Bedarf und ihrer NĂŒtzlichkeit zum Austausch. Ihr Gebrauchswert scheidet sich von ihrem Tauschwerte. Andrerseits wird das quantitative VerhĂ€ltnis, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst abhĂ€ngig. Die Gewohnheit fixiert sie als WertgröĂen." (MEW 23, 102f)
Diese ErklĂ€rung mĂŒndet dann auch bei Marx in die bekannte LehrbucherklĂ€rung des Geldes aus dem Tausch. Marx sieht immerhin, daĂ er auch die"Privatautonomie" erklĂ€ren muĂ, da er diese nicht voraussetzen kann. Er erkennt sie als historischen Sonderfall und"ReziprozitĂ€t" als historischen"Normalfall" (siehe dazu auch die"Grundrisse zur Kritik der polit. Ă-konomie, Einleitung). Seine ErklĂ€rung der Privatautonomie, daĂ das Geld dann in die"Gemeinwesen" einsickere und die solidarischen Stammesmitglieder nach und nach auch zu voneinander unabhĂ€ngigen"Privatpersonen" mache, woraufhin diese dann das bĂŒrgerliche Recht erfinden, ist nicht nur besonders ĂŒberzeugend, sondern - soweit ich sehe - auch nirgends historisch belegt.
Heinsohn hat begriffen, daĂ die Frage nach der historischen Herkunft der"UnabhĂ€ngigkeit" und"Freiheit" (von traditionalen"reziproken" Solidarverpflichtungen) der"Privatpersonen" einen SchlĂŒssel fĂŒr die Entstehung von"Privateigentum" und"Geld" liefern könnte und in"Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft" (Kapitel 1) ein Szenario angeboten, das eine Möglichkeit bietet, die historische Erst-Entstehung dieser"UnabhĂ€ngigkeit" historisch verstĂ€ndlich zu machen. Schon 1979 schreibt er in dem Diskussionspapier:"Das Marxsche Scheitern bei der ErklĂ€rung des modernen Kapitalismus...":
"In unserer vorhergehenden Arbeit"Der Ursprung des Geldes und die Entstehung von Geldwirtschaften" haben wir gezeigt, daĂ der Wandel von Natural- zu Geldwirtschaften immer dann erfolgt, wenn"Geld" als Mittel der Existenzsicherung unbedingt erforderlich wird; das bedeutet, daĂ andere Formen der Existenzsicherung zerstört worden sein mĂŒssen." (S. 1, Hervorhebung von mir)
Das Heinsohnsche Szenario fĂŒr die Antike (Athen) in"Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft" lĂ€Ăt sich in etwa so zusammenfassen:
Revolution gegen Feudalherren unter historischen SonderumstĂ€nden, Umfunktionierung des ehemals feudalen Staatsapparats in einen Eigentumssicherungsstaat, der die UnabhĂ€ngkeit der EigentĂŒmer untereinander sichert und - angesichts der Abwesenheit der ĂŒberkommenen traditionalen Verpflichtungen (ReziprozitĂ€t) - die Einhaltungen eingegangener Verpflichtungen garantiert und notfalls vollstreckt. DafĂŒr ist auch die durch Dritte nachvollziehbare Dokumentation von Vertragsinhalten nötig.
VerstĂ€ndlich wird der Gedankengang vielleicht erst so richtig auf der Basis der Marxschen HintergrundĂŒberlegungen, die Heinsohns Ausgangspunkt bildeten (er war ein 68er mit der damals an der FU Berlin ĂŒblichen/obligatorischen"Kapital-Schulung"). Besonders interessant vielleicht MarxÂŽ MethodenĂŒberlegungen in den"Grundrissen der Kritik der Polit. Ă-konomie" (=Rohentwurf des"Kapital"), Einleitung (S. 3-31).
Dort findet sich auch MarxÂŽ ansatzweise Einsicht in die Unterscheidung der Bedeutung von Besitz und Eigentum, die allerdings nur kurz in einem Satz auftaucht.
Zwar hat die Ethnologie seit Marx Fortschritte gemacht. Das unabhĂ€ngige Denken in groĂen ZusammenhĂ€ngen, orientiert an sinnvollen Fragestellungen, ist aber deswegen noch immer nicht sonderlich verbreitet, im (fĂŒr mich) unertrĂ€glichen akademischen sozialwissenschaftlichen Laber- und Wichtigtuerbetrieb schon gar nicht, und hier kann man meiner Meinung nach von Marx - auch wenn er im Endeffekt voll danebenlag - immerm noch eine Menge lernen. Die Theoriearchitektur -"Doppelcharakter" sĂ€mtlicher ökonomischer Begriffe - ist nur ein Beispiel dafĂŒr (z.B. Doppelcharakter der Ware: Gebrauchswert vs. in Geld ausgedrĂŒckter"Tauschwert" etc.).
Falls das obige ansatzweise einleuchtet oder interessant / bedenkenswert klingen sollte: am besten direkt bei Heinsohn nachlesen und selber weiterdenken. Ich kann bei Bedarf das entsprechende Kapitel aus PPG (notfalls auch das komplette Buch und einige Àltere H/S-papers) kopieren und schicken. Es lohnt sich meiner Meinung nach, die Entwicklung der Heinsohnschen Gedanken auf dem Hintergrund von Marx auch anhand von Àlteren papers nachzuvollziehen; hier sind viele GedankengÀnge auch wesentlich klarer dargestellt als in dem sprachlich ziemlich verhunzten"Eigentum, Zins und Geld".
Die Installation von"Eigentum" als"Machtzession von oben" (dottore-szenario) bleibt aus meiner Sicht plausibel fĂŒr Nachahmergesellschaften - nachholende"Modernisierung" von oben also, wie in PreuĂen mit Stein/Hardenberg etc.
BĂŒrgerliches Vertragsrecht kann man aus dieser Sicht als den Versuch verstehen, trotz zunehmender gesellschaftlicher Verflechtungen (Arbeitsteilung) die"Autonomie" der"Privatindividuen" möglichst weit zu erhalten, indem beispielsweise VertrĂ€ge formell freiwillig geschlossen werden und die"Privatindividuen" nach ErfĂŒllung wieder in die"Freiheit" = gegenseitige Verpflichtungslosigkeit entlassen werden. ReziprozitĂ€t basiert dagegen gerade auf unauflöslichen, bestĂ€ndig bestehenden Verpflichtungen.
Diese permanenten reziproken Verpflichtungen fĂŒhren in der Tat zu"unfinished exchanges" (nicht businesses).
Ein bĂŒrgerlich-rechtlicher Vertrag dagegen ist nach ErfĂŒllung ein"finished business" - aus der Sicht der Vertragspartner (und aus deren Sicht natĂŒrlich auch"exchange")!
Da aber eine Zahlung eine Zession einer noch nicht fĂ€lligen, in money of account denominierten Schuld darstellt, ist in jeder Zahlung (Ergebnis: business zwischen den Vertragspartnern finished) auch ein"unfinished business" beteiligt: nĂ€mlich die Schuld des Dritten, die zu Zahlungszwecken vom Schuldner an den GlĂ€ubiger weitergereicht wird (Zahlung = GlĂ€ubigerwechsel). Ich denke, daĂ dottore dies meint, wenn er im Zusammenhang mit vollstreckbaren Geld-Schulden zwischen privaten EigentĂŒmern von"unfinished businesses" redet.
Insofern hĂ€ttet ihr beide recht, aber die Fragestellung nach der historischen Herkunft der"UnabhĂ€ngigkeit" der"Privatpersonen" ĂŒbersehen.
Bin mir nicht sicher, ob das hier nicht schon mal diskutiert wurde, da ich kein permanenter Mitleser bin - vielleicht war ja aber der ein oder andere neue oder interessante Aspekt dabei.
GruĂ
moneymind
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Popeye
06.12.2005, 10:26
@ moneymind
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Re: ReziprozitÀt=unfinished exchange, fulfilled contract=finished business |
-->Hallo, @mm,
Dank fĂŒr Deinen ausfĂŒhrlichen Beitrag.
Leider finde ich mich in dem von Dir gezeichneten Bild nicht zurecht.
Schon in der aufgeworfenen Fragestellung kann ich nicht folgen:
"Sondern die Frage: wie konnte FREIHEIT von solchen Verpflichtungen entstehen ("Privatautonomie" - gegenseitige Verpflichtungen, freiwillig eingegangen, und bindend nur bis zur ErfĂŒllung anstelle permanent bestehender, unauflöslicher Verpflichtungen gegenĂŒber Stammesgenossen oder einem Feudalherrn)."
Dazu Folgendes aus meiner Sicht:
Soweit ich sehen kann, sind wir uns einig, dass ReziprozitĂ€t ein zwangsbewehrtes SchuldverhĂ€ltnis war. Bei âĂberschuldungâ drohte Ausschluss aus der Gemeinschaft - mit wahrscheinlichen fatalen Folgen. TatsĂ€chlich war ReziprozitĂ€t wahrscheinlich das erste debitistische System, das fĂŒr viele tausend Jahre funktionierte. Es funktionierte, weil jeder Beteiligte seine âoffenen Forderungenâ und âoffenen Verbindlichkeitenâ mehr oder weniger genau im Kopf âverbuchtâ hatte.
Irgendwann und aus GrĂŒnden, die hier keine Rolle spielen sollen, ist dieses System zusammengebrochen und machte Platz fĂŒr redistributive Systeme, die wir praktisch noch heute haben. Alle (oder beinahe alle) schulden (mehr oder weniger groĂe Teile ihres Arbeitsertrages) an eine zentrale Instanz, die wiederum nach irgendwelchen ânĂŒtzlichenâ Kriterien verteilt werden. Es ist die normende Kraft dieser zentralen Instanz auf den materiellen Inhalt der SchuldvertrĂ€ge, die in meinen Augen den entscheidenden Durchbruch hinsichtlich der âUniversalitĂ€tâ eines allgemeinen Tauschmittels zustande bringt.
Wie immer also redistributive Syteme in die Welt kamen, durch Waffengewalt oder andere AblĂ€ufe, sie sind nicht der Ursprung zwangsbewehrter SchuldverhĂ€ltnisse, schlimmer - sie fĂŒhrten nicht zur Freiheit von Verpflichtungen (wie auch?), vielmehr wurde nur der GlĂ€ubiger getauscht und perpetuiert. Wechselnde SchuldverhĂ€ltnisse im Kontext der ReziprozitĂ€t wichen also einem einseitigen DauerschuldverhĂ€ltnis (gegenĂŒber der zentralen Instanz) mit der Entstehung redistributiver Syteme. Allerdings blieb das reziproke System im Familienkreis noch lange in Takt und wurde erst durch den modernen Wohlfahrtsstaat durch die Individualisierung & Legalisierung von VersorgungsansprĂŒchen (an die zentrale Instanz) praktisch völlig ausgehöhlt.
So viel zu meinem âBildâ der Entwicklung dessen was Du wohl bĂŒrgerliche Gesellschaft nennst. âDie UNABHĂNGIGKEIT der Privatindividuen voneinanderâŠâ, die Du siehst, halte ich fĂŒr eine ChimĂ€re. Ein Blick auf moderne Staatshaushalte und deren gewaltige Umverteilungsmasse (historisch zunĂ€chst fĂŒr die Eliten, spĂ€ter [siehe J. R. Commons] fĂŒr immer gröĂere Bevölkerungsteile), sollte deutlich machen was ich meine. Der verbleibende Rest des âexchangesâ (= equal exchange zwischen Individuen) nimmt, wie Du sagst, tatsĂ€chlich âdann die Form des"Vertrags" an. Was wiederum nur denkbar ist, weil diese âexchangesâ unter dem Dach der Staatsgewalt zwangsbewehrt sind.
Der Aussage von Marx: "Der Warenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im auswĂ€rtigen, werden sie auch rĂŒckschlagend im innern Gemeinleben zu Waren.â, kann man als Beobachtung zustimmen, nicht aber als ErklĂ€rung der Ursachen fĂŒr diese Entwicklung - dies gilt auch fĂŒr das gesamte Zitat, denn Die bestĂ€ndige Wiederholung des Austausches macht ihn zu einem regelmĂ€Ăigen gesellschaftlichen ProzeĂ. Im Laufe der Zeit muĂ daher wenigstens ein Teil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf des Austausches produziert werden. ist eine leere ErklĂ€rungshĂŒlse was die Ursachen dieses Prozesses betrifft.
Hier ist (fĂŒr mich) @dottores Modell erklĂ€rungstĂŒchtiger.
Einen richtigen Kern scheint mir Dein Heinsohn-Zitat zu haben: "In unserer vorhergehenden Arbeit"Der Ursprung des Geldes und die Entstehung von Geldwirtschaften" haben wir gezeigt, daĂ der Wandel von Natural- zu Geldwirtschaften immer dann erfolgt, wenn"Geld" als Mittel der Existenzsicherung unbedingt erforderlich wird; das bedeutet, daĂ andere Formen der Existenzsicherung zerstört worden sein mĂŒssen."
Allerdings waren die ersten redistributiven Systeme eben keine Geldwirtschaften, sondern naturale Umverteilungssysteme. DarĂŒber hinaus haben diverse redistributive Systeme den Wandel zur Geldwirtschaft nie vollzogen. Eine ZwangslĂ€ufigkeit fĂŒr diese Metamorphose scheint mir deshalb nicht zu bestehen, wohl aber eine Tendenz, die aber möglicherweise (auch) andere Ursachen hat als bei Heinsohn skizziert.
Danke fĂŒr Dein freundliches Literaturangebot. H/S ist hier wohl bekannt und prĂ€sent.
Insgesamt vermag ich Deinem Gedanken der "UnabhĂ€ngigkeit" der"Privatpersonen" keine zusĂ€tzlichen Erkenntnisse abzugewinnen, zumindest nicht im Kontext der Entstehung von Geld & Eigentum. Man muss ja nicht gleich das die Ideen von Murphy/Nagel, in The Myth of Ownershisp, 2002, umarmen, aber die (de jure) Entstehung beider PhĂ€nomene ohne Staat oder zentrale Instanz fĂ€llt mir schwer. Hinsichtlich der Entstehung der âbĂŒrgerlichen Gesellschaftâ ist fĂŒr mich der Abschnitt âTransactionsâ bei J.R. Commons (Legal FoundationsâŠ) immer noch das erklĂ€rungstĂŒchtigste Modell - auch im Vergleich zu Marx.
GrĂŒĂe & Dank
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dottore
06.12.2005, 15:43
@ Popeye
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Re: ReziprozitÀt vs. Abgabe |
-->Hi,
Danke @allen fĂŒr die BeitrĂ€ge.
Da nun beides unbestritten ist - ReziprozitĂ€t und Abgabe - soll doch der entscheidende Unterschied nicht ĂŒbersehen werden:
ReziprozitĂ€t setzt an bei einer"irgendwann" und aus welchen GrĂŒnden auch immer erbrachten Erst-Leistung (Erst-Gabe usw.) einem anderen gegenĂŒber. Wird diese nicht ver-golten (gelt, gelten) kann der andere (beim Potlatsch z.B. anderer Stamm, andere Insel beim Kula-Ring) sanktioniert werden, muss aber nicht, auch wenn die Sanktionierung als"SozialphĂ€nomen" in vielen Varianten auftreten kann und nachgewiesen ist.
Abgaben dagegen erfolgen ohne Erst-Leistung. Sie schaffen eine Schuld ex nihilo. Dieser"ReziprozitÀts"-(Leistungserbringungs-)Zwang lÀsst sich nur aufrecht erhalten, indem der Abfordernde die Abgabe mit Hilfe irgendeines Schnickschnacks legitimiert.
Dazu muss er - im Gegensatz zu ReziprozitĂ€tssystemen - sein Vorgehen begrĂŒnden. Das geschieht zunĂ€chst ebenfalls in vielfacher Form, z.B."Ich kann/weiĂ was, das andere nicht können/wissen" (inkl. Medizin-Kenntnisse, man denke an Schamanen oder die"Heiler"-Darstellungen der Olmeken am Tempelfries von Oaxaca, an die Zapoteken, oder an RauschzustĂ€nde, vgl. John Marco Allegros Interpretation des"Heiligen Pilzes" im NT, usw. oder auch an Schmiede wie Dschinghis-Khan, an Kopf- und Körperdeformationen, usw.). Dann kommt das Priesterkönigtum, das"Gottesgnadentum", schlieĂlich landen wir beim"modernen Staat", der als ReziprozitĂ€t einen ganzen Bauchladen vor sich hertrĂ€gt. Und frech behauptet: ER sei der Erst-Geber (Sicherheit usw.), was er jedoch niemals sein kann (Vorfinanzierungsproblem, das Murphy/Nagel-Theorem, usw.).
ReziprozitĂ€ts-Systeme enden in sich selbst, haben sie doch letztlich von vorneherein"natĂŒrliche Grenzen" (Bevölkerung, Herstellungsmöglichkeiten von Erst-Leistungen, Transport usw.).
Der"Druck", den sie ausĂŒben, ist eindeutig beschrĂ€nkt, zumal auch niemand gezwungen ist, mit einer Erst-Leistung (Gabe usw.) einem anderen gegenĂŒber zu beginnen.
Abgaben-Systeme dagegen lassen sich auch ĂŒber das jeweils Leistungsmögliche hinaus steigern, was schlieĂlich zur bekannten VerselbstĂ€ndigung der"monetĂ€ren" (= letztlich auf Abgaben/Leistungen in der Zukunft zielenden) SphĂ€re fĂŒhrt, in der wir uns gerade eingerichtet haben - die komplette Virtualisierung von"Sach"-Verhalten, alias der GĂŒter-SphĂ€re.
Der"Druck", den sie ausĂŒben, ist - da ebenfalls realwirtschaftlich begrenzt - zwar aufgrund der schĂ€rferen Sanktionen (Waffeneinsatz, wenn auch nur angedrohter, Termin, der bei ReziprozitĂ€tssystemen als prĂ€zis gesetztes Datum fehlt, usw.) generell stĂ€rker (weshalb sich Abgabensysteme gegen ReziprozitĂ€tssysteme durchgesetzt haben). Aber er tobt sich schlieĂlich nur noch in der virtuellen SphĂ€re aus (Derivate usw.) und kann - vgl. moral hazard, ZB als"lender (von was wohl, wenn nicht des Abgabengutes?) of last resort", usw. - ziemlich lange gehalten werden (Prolongationen usw.). Endet aber logischerweise auch, da am Ende die Frage nicht nach dem"Guthaben", sondern nach dem Gut Haben gestellt wird.
Ideologien setzen genau bei der Dichothomie der beiden Systeme an.
Die Gold-Freaks wollen, das erst etwas produziert wird, die Freigeldler geben neuerdings"Gutscheine" auf bereits Produziertes aus, die"Zinsgegner" wollen ein unumgÀngliches Derivat des Abgabensystems"verbieten", Àhnlich die"Schuldenstreicher".
Die Marxisten wollen die Verteilung des Produzierten direkt, ohne dass es"Marktumwege" einschlÀgt und somit ein Teil der Markterlöse ("Mehrwert") dem"eigentlichen" Produzenten (der"Arbeitskraft") vorenthalten bleibt.
Die Neo-Cons und Neo-Liberalen möchten, dass die Produktion maximiert wird (nicht zuletzt, um wiederum die Abgabensummen zu erhöhen, weshalb sie auch nicht an"Arbeit fĂŒr alle", sondern an besteuerbarer Arbeit interessiert sind) und lassen sich dafĂŒr alle möglichen incentives einfallen (Keynesianer, Monetaristen, die irrwitzige Vorstellung von einem"natĂŒrlichen Wachstumspfad", den es bloĂ wieder zu erreichen gilt, damit"alles gut" wird, Subventionisten,"Bildungsinvestitions"-Anbeter). Und dergleichen mehr.
Hilft alles nichts. An der RĂŒckkehr zur einfachen Subsistenzwirtschaft, die vor ReziprozitĂ€ts- und Abgabensystemen existiert hat (jeder nur fĂŒr sich, obendrein in kleinstmöglichen EntitĂ€ten) fĂŒhrt kein Weg vorbei.
Nur leider kennt niemand die LĂ€nge des Weges, ja noch nicht einmal weiĂ jemand, ab wann er und wo er beginnt. Und das ist auch gut so.
GruĂ!
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Dimi
06.12.2005, 21:20
@ dottore
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Re:"Soziale Regeln" vor 10.000 Jahren und heute |
-->Hallo Dottore,
>>Bei frĂŒhen Völkern gibt es eine Vielzahl an Transaktionsformen (Teilen, totales Tauschen, Tauschen, Leihen, Schenken-Gegenschenken etc.). Wir mĂŒssen schauen, wofĂŒr die ("spĂ€teren") Gelder (z.B. Muscheln) verwendet wurden, und das war z.B. der Brautkauf, also kein Leih-Vorgang.
[...]
>Von einem Braut"kauf" zu sprechen, halte ich fĂŒr gelinde gesagt unscharf, da es etwas voraussetzt, was bewiesen werden soll. Es war ein Tauschvorgang,
Der Brautkauf wird auch dann nicht zu einem Leih-Vorgang - das war meine Aussage - wenn man ihn Brauttausch nennt.
>>Bei Silber und Gold versagt die ethnographische Vorgehensweise mangels Zeitreisen.
>Da beides nicht vergeht - wozu Zeitreisen? Wo finden sich Gold und Silber bei irgendeinem Stamm in situ?
Eben deshalb benötigte man Zeitreisen.
Mein Satz bezog sich auf Popeyes"Es ist eben nicht vornehmlich Gold oder Edelmetall, dass ethnographisch als dominantes Tausch-Medium in Erscheinung tritt."
>>>âSchuldverhĂ€ltnisseâ entstehen nicht erst mit der Geburt des âHandelsâ
>>Klar
>Ja, SchuldverhÀltnisse ex nihilo, also Abgaben-SchuldverhÀltnisse.
Ich sprach nicht von"Abgaben-SchuldverhÀltnissen."
>>Wenn dennoch das Gegengeschenk
>"Gegengeschenk", nachdem ein"LeihverhĂ€ltnis" entstanden war? Nit möööchlich. Ich gebe meinen Leihwagen zurĂŒck und höre:"Danke fĂŒr das Geschenk!"
In vielen Kulturen ist es ĂŒblich, erst zu geben ("schenken").
>Der Witz: Du widersprichst den simplen Fakten.
Wenn es stimmte, wÀre es kein Witz.
Die Machttheorie wĂŒrde im ĂŒbrigen nicht richtiger, wenn ich ihr, aus welchem Grunde auch immer, nicht mehr widersprĂ€che.
>Auf der einen Seite"soziale Regeln", auf der anderen Seite haben wir die Àltesten Token datiert auf 8000 BC.
Soziale Regeln werden nicht immer eingehalten (deswegen schrieb ich"meist"). Das ist heute so, und...
>Galten vor 10.000 Jahren keine sozialen Regeln?
....das war wohl auch vor 10000 Jahren schon so.
GruĂ, Dimi
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dottore
07.12.2005, 15:36
@ Dimi
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Re:"Soziale Regeln" vs. Blankwaffenregelungen |
-->Hi Dimi,
>Der Brautkauf wird auch dann nicht zu einem Leih-Vorgang - das war meine Aussage - wenn man ihn Brauttausch nennt.
Schon klar. Nur schafft der Kauf einen Schuldner, eben den, der den Kaufpreis schuldet, also ein"unfinished business", da der VerkĂ€ufer an das, was er wirklich haben will (oder bereits selber schuldet) erst kommen kann, nachdem er die Kaufsumme erhalten hat und darĂŒber verfĂŒgen kann. Beim Tausch ("finished business") bekomme ich das, was ich will, sofort (Zug um Zug). Deshalb Kauf ungleich Tausch.
>>>Bei Silber und Gold versagt die ethnographische Vorgehensweise mangels Zeitreisen.
>>Da beides nicht vergeht - wozu Zeitreisen? Wo finden sich Gold und Silber bei irgendeinem Stamm in situ?
>Eben deshalb benötigte man Zeitreisen.
Wie bitte? Dann sind sÀmtliche AusgrÀber auf Zeitreise und demnach gar nicht sichtbar? Scherz lass' nach.
>Mein Satz bezog sich auf Popeyes"Es ist eben nicht vornehmlich Gold oder Edelmetall, dass ethnographisch als dominantes Tausch-Medium in Erscheinung tritt."
Schon klar. Warum finden wir ein ethnographisch dominantes Tausch-Medium Gold und Silber nicht? Warum tritt es in Herrschafts-, Feudal- und Abgabensystemen dagegen so massiert auf? Und das"oben" (Praekolumbianer ĂŒber Ashanti und Indien bis China) und nicht als Tausch-Medium von Hinz & Kunz im Stamm?
>>>>âSchuldverhĂ€ltnisseâ entstehen nicht erst mit der Geburt des âHandelsâ
>>>Klar
>>Ja, SchuldverhÀltnisse ex nihilo, also Abgaben-SchuldverhÀltnisse.
>Ich sprach nicht von"Abgaben-SchuldverhÀltnissen."
Auch recht. Was schaffen denn nun Abgaben, die vor dem Leistungs- und/oder Liefertermin inkl. Sanktion bei NichterfĂŒllung festgelegt werden?
>>>Wenn dennoch das Gegengeschenk
>>"Gegengeschenk", nachdem ein"LeihverhĂ€ltnis" entstanden war? Nit möööchlich. Ich gebe meinen Leihwagen zurĂŒck und höre:"Danke fĂŒr das Geschenk!"
>In vielen Kulturen ist es ĂŒblich, erst zu geben ("schenken").
Fraglos, siehe das Posting"ReziprozitĂ€t vs. Abgaben" dazu. Frage: Warum haben es diese Gabe-Kulturen nicht geschafft, die Abgabe-Kulturen zu ĂŒberrunden, warum lief es umgekehrt? Das allein ist die Frage um die es geht.
(...)
>>Auf der einen Seite"soziale Regeln", auf der anderen Seite haben wir die Àltesten Token datiert auf 8000 BC.
>Soziale Regeln werden nicht immer eingehalten (deswegen schrieb ich"meist"). Das ist heute so, und...
>>Galten vor 10.000 Jahren keine sozialen Regeln?
>....das war wohl auch vor 10000 Jahren schon so.
Sehr schön. Dann haben die"sozialen Regeln" also nicht ausgereicht und bedurften dringend der Blankwaffen-Unterlegung?
Dass es in der Tat so war und auch nicht anders ging, belegt u.a. diese schöne Arbeit:
Der KurfĂŒrst trug den ehrenvollen Beinamen "Eisenzahn". Eisen zwingt tatsĂ€chlich ganz gewaltig! Und das immer, nicht bloĂ meist. Man muss sich halt nur trauen und die Blankwaffe auch ziehen, usw.... Geht bei MonetĂ€rbetrĂŒgern (kenntlich am hĂŒbschen Gewand mit weiĂem KrĂ€gelchen, den Hut, als PrĂ€dikat, dass da jemand ganz Besonderes ĂŒber die Klinge hoppeln musste, bitte nicht ĂŒbersehen) ĂŒbrigens auch so:
[img][/img]
Die gesamte Staatsmachtsgeschichte ist voller interessanter Belege dazu.
Mal sind die Belege halt so, mal anders.
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moneymind
08.12.2005, 00:02
@ Popeye
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Hallo Popeye,
schönen Dank fĂŒr Deine Antwort. Du kannst meinem Beitrag nicht folgen - sicherlich auch deswegen, weil ich meinen Gedankengang weder ausfĂŒhrlich noch strukturiert genug darlegen konnte (es war spĂ€tnachts, und ich habe wenig Zeit).
Ich kann in diesem Posting wegen Zeitmangel auch nur kurz versuchen, einige Punkte zu klĂ€ren und weiterfĂŒhrende Fragestellungen aufwerfen - und zwar wohl in erster Linie fĂŒr mich selbst, da Du in dem von mir angesprochenen Punkt der"Privatautonomie" und der"bĂŒrgerlichen Freiheiten" offensichtlich alles wesentliche fĂŒr geklĂ€rt erachtest: fĂŒr dich ist die"Privatautonomie" ja (mit Hinweis auf Murphy/Nagel) lediglich eine ChimĂ€re. Ich kann leider dieser pauschalen EinschĂ€tzung auch nach teilweiser Zurkenntnisnahme der interessanten hier 2002 zu Murphy/Nagel gelaufenen Diskussion - danke fĂŒr den Hinweis darauf - weder unter systematischen noch historischen Gesichtspunkten zustimmen.
Einigen könnten wir uns darauf, daĂ der"Staat" das"ĂŒbergreifende Moment" auch der Geldwirtschaft darstellt, innerhalb dessen die"Privatautonomie" ein (wahrscheinlich historisch vorĂŒbergehendes) SonderphĂ€nomen darstellt (hatte ich auch in Posting # 325698 ausgefĂŒhrt).
Daher hatte ich ja - im Anschluà an Deine Einsicht, daà auch ReziprozitÀt ein System von Verpflichtungen mit"Schuld-Charakter" darstellt - meine These formuliert: das eigentliche historische RÀtsel besteht nicht in der Frage nach der Entstehung von Abgaben oder Geld aus einer vermeintlich vorher bestendenden"Freiheit", sondern in der historischen Erst-Entstehung von Eigentum, Privatautonomie und Privatrecht inclusive zivilem Schuldrecht (s.a. 326606, Zustimmung von dottore in 326761).
Denn die sind historisch die AusnahmefÀlle.
DaĂ solche"Freiheit" aber sogar in der Form der Freiheit von Abgaben an den Staat historisch existiert hat, zeigen folgende Zitate:
"It was in Greece that there emerged, for the first time in history, the
phenomenon of citizenship with its fusion of rights and obligations. It ist
in ancient Greece, too, that we find the earliest evidence of agriculture
pursued largely by indepenent, landowning farmers, forerunners of the
English yeomanry... ever since the days of Solon, these independent farmers
were considered freemen (eleutheroi), exempt from the duty of paying tribute
or providing service to the aristocrats. The labored for themselves, and
this economic independence became a hallmark of freedom." (R. Pipes,
Property and Freedom, p. 99f).
Pipes zitiert darauf noch den Historiker Victor Davis Hanson ("The other
Greeks", New York 1995, S. 3):
"The rise of independent farmers who owned and worked without encumbrance
their small plots at the end of the Greek Darkt Ages (c. 750 b.c.e.) was an
entirely new phenomenon in history..." (zit.n. Pipes, Property and
Freedom, p. 101)
Pipes kommentiert:
"If we add to this information the fact that Athenian citizens were not
taxed (!), considering taxation a hallmark of lower status, the correlation
between landownership, citizenship, and democratic participation is
striking." (Pipes, a.a.O., 101).
Der hier gewohnheitsmĂ€Ăg vorgetragene Hinweis, daĂ Eigentum einen Staat
voraussetzt, der"finanziert" werden muĂ und daher Steuern erheben muĂ, die
ein Zwangselement ins System einfĂŒhren, ist selbstverstĂ€ndlich richtig - das
bestreite ich gar nicht. Ebenso richtig ist, daà das PhÀnomen des
"Schuldendrucks", resultierend aus zu einem konkreten Termin fÀlligen, und
vollstreckbaren, nur formell (nicht real)"frei" vereinbarten
Kontraktschulden ein Zwangsmoment darstellt, ohne das die Dynamik einer
eigentumsbasierten Geldwirtschaft nicht denkbar wÀre. Auch das bestreite ich
nicht.
Was ich allerdings bestreite, ist, daà damit das PhÀnomen"Freiheit"
als solches pauschal erledigt wÀre und als ChimÀre abgetan werden könnte.
Die"Privatautonomie" stellt natĂŒrlich keine absolute Freiheit im Sinne einer völligen Freiheit von jeglichen Verpflichtungen dar. SelbstverstĂ€ndlich bestehen immer Steuerschulden, und selbstverstĂ€ndlich ist - sobald arbeitsteilig gewirtschaftet wird - das Eingehen von vertraglichen Verpflichtungen gegenĂŒber anderen eine Unausweichlichkeit, und aus diesen erwĂ€chst zweifellos insgesamt (vermittelt ĂŒber Geldknappheit und Marktkonkurrenz) fĂŒr die Mehrheit der BĂŒrger ein"Schuldendruck" und ein"Zwang zur Mehrarbeit", der in traditionalen (Solidar- und Abgaben-) Gesellschaften so nicht existiert.
Eine"ChimĂ€re" kann ich in den bĂŒrgerlichen Freiheiten aber deswegen nicht nicht erkennen.
Denn sie bieten ja trotz allen von mir unbestrittenen ZwĂ€ngen auch Wahlmöglichkeiten, die in traditionalen Gesellschaften so nicht existieren: die freie Wahl der jeweiligen konkreten Vertragspartner (als Folge der in den beiden anderen Gesellschaftstypen fehlenden Vertragsfreiheit) ist eine davon und, die ist unverzichtbare Bedingung fĂŒr die Umsetzung von Innovationen (vgl. 340260); die Möglichkeit des freien Wechselns der Vertragspartner (z.B. bei mangelhafter Leistung) ebenfalls (z.B. Lieferantenwechsel). Der Leibeigene dient immer demselben Feudalherrn, das Stammesmitglied ist immer seinen Verwandten verpflichtet; ein Freier kann sich seine Kunden in dem Bereich suchen, in dem er seine stĂ€rktsten FĂ€higkeiten sieht.
Da Du aber"Freiheit" und"Privatautonomie" generell als"ChimĂ€ren" zu betrachten scheinst, kĂ€men wir in dieser Debatte wohl nur mittels einer Diskussion des"Freiheits"-Begriffs weiter, in der wir uns auf inhaltlich konkrete Definitionen verschiedener Arten von"Freiheit" einigen. Eine Diskussion dieses Begriffs in seiner abstrakten Form wĂ€re von vorneherein zu MiĂverstĂ€ndnisssen und ideologischen Argumentationen verurteilt.
Ich habe anderswo (326606) geĂ€uĂert, daĂ ich mir die Entstehung dieses PhĂ€nomens nur in Form eine Revolution"von unten", GEGEN einen vorgĂ€ngig bestehenden Feudalstaat, vorstellen kann (ganz wie auch von Heinsohn vermutet, der - entgegen Deiner Ăberzeugung - nicht von einer vor einem Staat existierenden Geldwirtschaft ausgeht).
Ich darf auch dottore zitieren, der dazu folgendes angemerkt hat:
(moneymind): FĂŒr eine Erstentstehung der Grundprinzipien bĂŒrgerlichen Rechts erscheint mir aber nach wie vor eine âRevolution von untenâ plausibler.
(dottore): Von unten: Ja. Revolution muss nicht sein, die Angst davor genĂŒgt.(Quelle: 326761).
Wie sich das mit der Machttheorie der Eigentums-Erstentstehung als"kalkulierte Machtzession von oben" vertragen soll, hĂ€tte ich nach wie vor gern gewuĂt.
Du schreibst, daĂ Du Deine Vorstellung der Entstehung von Eigentum, Vertragsfreiheit und Schuldrecht von J.R. Commons beziehst.
Frage: behandelt Commons die erstmalige Entstehung dieser PhÀnomene in der Antike, oder lediglich ihre Renaissance in der Moderne?
Falls fĂŒr die Antike, welche Hypothese zur historisch erstmaligen Entstehung von Eigentum + privatem Schuldrecht bietet er an?
GruĂ
moneymind
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moneymind
08.12.2005, 00:44
@ moneymind
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? - Nachtrag |
-->Kurzer Nachtrag:
dottore erklÀrt die Eigentumsentstehung als erzwungene Macht-Zession so:
"Da der Zwang der menschlichen Natur zuwider lĂ€uft, kann er sich ökonomisch (Waffen-, Geld-, Abgabenmonopole sind ökonomische GröĂen, da sie ökonomische Auswirkungen haben) nur halten, solange er in Teilen zediert werden kann, woraufhin dann Sub-Zwingherrn erscheinen, die als Grundherrn, GrundeigentĂŒmer, Kapitalisten,"Reiche" usw. breite AngriffsflĂ€chen bieten. Lassen sich keine neuen Zwingherrn mehr finden oder konstruieren, die ihren Zwang mit Hilfe der Staatsmacht ausĂŒben (siehe heute die"zivilisierte" Form der Besicherung und Exekution von Eigentum und VertrĂ€gen durch die Staatsmacht usw.), schlendert die gesamte Veranstaltung ihrem Ende entgegen." (238987)
Dies ist eine logische Argumentation, keine historische. Sie basiert auf der PrĂ€misse, daĂ"Zwang der menschlichen Natur zuwider lĂ€uft". Diese PrĂ€misse ist schon innerhalb der Machttheorie selbst widersprĂŒchlich und unhaltbar, da - wie Du, popeye, ja ganz richtig festgestellt hast, auch stammesgesellschaftliche ReziprozitĂ€t auf Zwang basiert.
Da"Zwang" so eine die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch konstante GröĂe darstellt, entpuppt sich dottores PrĂ€misse ĂŒber die"menschliche Natur" als empirisch nicht gestĂŒtzter Glaubenssatz, als pures Wunschdenken - ein Wunschdenken, das der von dottore ja kritisierten Naturrechtsideologie sehr Ă€hnelt.
Ich finde nicht ganz uninteressant, daĂ dottore solches Wunschdenken an zentraler Stelle fĂŒr seine Argumentation benötigt und dafĂŒr sogar seiner eigenen Theorie widerspricht:
Die Empirie legt doch eher die umgekehrte Annahme nahe, daà Zwang zur menschlichen Natur gehört, da kein Gesellschaftssystem ohne sie ausgekommen ist.
Dies könnte ein interessantes Licht auf die logische Struktur der impliziten PrÀmissen (GlaubenssÀtze!) der Machttheorie werfen, die aber wohl erst noch auszuleuchten wÀre.
Und es scheint mir wiederum meine These zu bestÀtigen: Freiheit ist der historische Ausnahmefall, und das eigentliche Explanandum.
GruĂ
moneymind
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Holmes
08.12.2005, 01:21
@ moneymind
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Re: Zwang = natĂŒrlich? |
-->Hi moneymind,
vielen Danke erstmal fĂŒr Dein ausfĂŒhrliches Posting. Mit dem Zwangssystem und dem zwangslĂ€ufigen Scheitern-MĂŒssen bin ich auch noch nicht ganz durch. Aber ich sehe in der jetzigen Replik noch einige SchwĂ€chen.
>Dies ist eine logische Argumentation, keine historische. Sie basiert auf der PrĂ€misse, daĂ"Zwang der menschlichen Natur zuwider lĂ€uft". Diese PrĂ€misse ist schon innerhalb der Machttheorie selbst widersprĂŒchlich und unhaltbar, da - wie Du, popeye, ja ganz richtig festgestellt hast, auch stammesgesellschaftliche ReziprozitĂ€t auf Zwang basiert.
Ist es der Zwang der einsetzt, wenn einer nicht mehr"mitspielt" oder der Zwang, ohne das man mitspielen wollte?
Im Posting ReziprozitĂ€t vs. Abgabe hat dottore das sehr schön differeziert. Zwang ist leisten mĂŒssen, ohne dass man irgendwann darin eingewilligt hat. Das Einhalten des gegebenen Wortes ist ein selbstauferlegter Zwang, der ist nicht gemeint. Auch wenn die Gruppe den ortbruch sanktioniert, ist das zwar ein Zwang, dieser war jedoch vorher als Sanktionn klar, bevor man eingewilligt hat.
ZWANG im Sinne der Machttheorie ist das Schuldigsein, ohne sich schuldig gemacht zu haben. Und dieser Trick (siehe auch"UrsĂŒnde" etc.) ist schon sehr alt...
>Da"Zwang" so eine die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch konstante GröĂe darstellt, entpuppt sich dottores PrĂ€misse ĂŒber die"menschliche Natur" als empirisch nicht gestĂŒtzter Glaubenssatz, als pures Wunschdenken - ein Wunschdenken, das der von dottore ja kritisierten Naturrechtsideologie sehr Ă€hnelt.
Ich weiss nicht, wie die Aborigines oder andere Urvölker leben, aber die BuschmÀnner etc., kennen solche Strukturen meines Wissens nicht. Die sind noch wirklich egalitÀr aufgebaut, siehe Jared Diamond: Arm und Reich
>Die Empirie legt doch eher die umgekehrte Annahme nahe, daà Zwang zur menschlichen Natur gehört, da kein Gesellschaftssystem ohne sie ausgekommen ist.
Wie wahr: kein"Gesellschaftssystem". Zivilisierte Welt, Hochkultur etc. = Abgabensystem, das ist der Punkt.
Bei Diamond findet sich auch eine plausible BegrĂŒndung fĂŒr die Verbreitung der Machtsysteme: sie sind effektiver, weil sie sich eine Berufsarmee leisten können. Bei der Kolonialisierung von Neu-Guinea (bin mir ĂŒber die exakte Insel nicht sicher, schau noch mal nach), haben sich die Einbegorenen recht gut geschlagen, konnten gegen die britischen Profis aber nicht lange durchhalten, weil sie zusĂ€tzlich ja auch noch als ArbeitskrĂ€fte zu Hause gebraucht wurden. Das Abgabensystem, welches damit"Söldner" finanzieren kann, wird einen solchen Krieg gewinnen und sich deswegen auch ausbreiten. Eine fatale Wechselwirkung, die fĂŒr Abgabensysteme und"Arbeitsteilung" spricht...
>Dies könnte ein interessantes Licht auf die logische Struktur der impliziten PrÀmissen (GlaubenssÀtze!) der Machttheorie werfen, die aber wohl erst noch auszuleuchten wÀre.
Ich kann jetzt nur fĂŒr mich sprechen: bisher war ich immer davon ĂŒberzeugt, dass Demokratie etc. was ganz Tolles ist und nur ein paar kleine Fehlerchen hat. Aber mit der Zeit bin ich zur Auffassung gekommen, dass die Machttheorie einfach alles viel schlĂŒssiger und logischer erklĂ€rt als irgendetwas anderes. Man möchte es nicht glauben, weil es nicht sehr schmeichelnd ist, aber wir sind die direkten Nachkommen eines selbstsĂŒchtigen Systems, welches nur den Selbsterhalt im Auge hat und aufgrund seiner inneren Struktur anderen Systemen dermassen ĂŒberlegen ist, dass es sich ausbreiten wird, bis nichts mehr da ist, wo es noch hin kann. Das"Staatssystem" ist mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet, alle Staaten funkionieren nach demselben Prinzip. Alle Menschen sind StaatsbĂŒrger, eine andere Lebensform gibt es nicht mehr. DAS ist aber erst seit so, seit auch die letzten Urvölker entrechtet wurden und deren Land nicht mehr ihnen gehört. Die Ausbreitung ist zu Ende, es gibt keine neuen Schuldner mehr. Jetzt wird man sehen, was passiert. Rom ist auch gescheitert, als es sich nicht mehr ausbreitete.
>Und es scheint mir wiederum meine These zu bestÀtigen: Freiheit ist der historische Ausnahmefall, und das eigentliche Explanandum.
Nun schau Dir an, wie lange es schon Menschen gibt und wie lange es Abgabensysteme gibt. Die meiste Zeit waren die Menschen ohne solche Zwangssysteme. Wie lange das jetzige existiert, werden wir noch sehen, es war schon oft davor, sich selbst zu zerstören (z.B. Kuba-Krise und Atomwaffeneinsatz). Was ist die Ausnahme?:-)
Beste GrĂŒsse,
Holmes
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Popeye
08.12.2005, 09:14
@ moneymind
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Hallo, @mm, Danke, auch fĂŒr die kritischen AnsĂ€tze.
Man kann sich dem Thema âPrivatautonomieâ und âFreiheitâ auf zwei Wegen nĂ€hern. Gewappnet mit den Gedanken der AufklĂ€rung oder belastet mit den ĂŒberlieferten AblĂ€ufen der Geschichte. Die resultierenden Welt- und Menschenbilder spiegeln in beiden FĂ€llen diese unterschiedlichen Ausgangspositionen wieder.
Meine Bemerkung -"Privatautonomie" sei eine ChimÀre - hat somit auch eine eindeutige Ausgangsposition, auf die Du ja auch hinreichend deutlich mit dem Finger gezeigt hast.
Man kann natĂŒrlich auch ganz anderes an das Thema herangehen - so wie die von Dir zitierten Autoren Pipes und Hanson mit den schönen DeckengemĂ€lden ĂŒber das klassische Griechenland vom kleinen Bauern, der in Freiheit auf seiner Scholle ackert. Ob nun aus Unkenntnis oder anderen Motiven: das Bild, das Pipes dort zeichnet ist grotten-falsch. Die hehreren Errungenschaften der griechischen Demokratie basierten auf einer Sklavenwirtschaft. Wie anderswo in der Geschichte auch basiert die Freiheit (Autonomie) der Wenigen auf der Unfreiheit der Vielen. Und wenn es mal fĂŒr einige Jahrzehnte etwas anders aussah (Solon-Reformen), hat sich der alte Zustand schnell wieder eingependelt.
Eine"ChimĂ€re" kann ich in den bĂŒrgerlichen Freiheiten aber deswegen nicht nicht erkennen.
Ich wĂŒnschte, ich könnte Dir uneingeschrĂ€nkt beipflichten. Wie einige andere in diesem Forum (nicht zuletzt @dottore) komme ich aus dem libertĂ€ren Lager - Du musst mich also von dieser Wunschvorstellung nicht ĂŒberzeugen. @dottore scheint die Situation als ausweglos zu betrachten. Viele andere noch nicht, nicht zuletzt, weil die Gedanken der AufklĂ€rung ja zweifelsfrei etwas bewegt haben.
Derzeit scheitern wir mit dem Fortschritt zu mehr Freiheit und Autonomie, weil wir uns vorgaukeln, der Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit lieĂe sich schon irgendwie durch einen wundersamen Trick lösen. Wir versuchen uns durchzuwurschteln, aber es wird nicht funktionieren. Statt vieler Worte darf ich auf das Buch von Wolfgang Kersting, Kritik der Gleichheit, 2002, verweisen.
Deswegen glaube ich auch, dass Revolutionen letztendlich nichts, auĂer dem Austausch von Machtsystemen bringen werden - jedenfalls solange wir uns nicht fĂŒr âFreiheit vor Gleichheitâ entschieden haben.
J. R. Commons diskutiert das Thema vor dem Hintergrund der englischen Geschichte (beginnend bei 1066). Ich hÀtte den Text schon lÀngst mal hier reingestellt, scheitere aber (nach dem Scan) an der nachtrÀglichen Formatierung einiger kleiner primitiver Tabellen.
Beste GrĂŒĂe & Dank!
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R.Deutsch
08.12.2005, 09:30
@ Popeye
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Re: Privatautonomie - einfach machen |
-->es gibt nichts Gutes - es sei denn man tut es:-)
<ul> ~ Privatautonomie</ul>
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Diogenes
08.12.2005, 13:30
@ Popeye
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Hi popeye,
>Derzeit scheitern wir mit dem Fortschritt zu mehr Freiheit und Autonomie, weil wir uns vorgaukeln, der Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit lieĂe sich schon irgendwie durch einen wundersamen Trick lösen.
Jeder hat das Recht auf Leib und Leben und auf Eigentum. Da ergibt sich kein Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit.
Der Fehler besteht darin, fĂŒr alle die gleichen Ergebnisse ihres Handelns herbeifĂŒhren zu wollen. Da freie Individuen unterschiedlich handeln und deswegen unterschiedliche Ergebnisse erzielen - man erntet, was man sĂ€t. Will man nun fĂŒr alle gleiche Resultate garantieren, muĂ man diese GesetzmĂ€Ăigkeit aushebeln, womit dann die Freiheit unter die RĂ€der kommt.
>Wir versuchen uns durchzuwurschteln, aber es wird nicht funktionieren.
...weil man die Freiheit zugunsten gleicher Ergebnisse fĂŒr alle opfert. Das kann nur schief gehen, weil man jeglichen Anreiz zu Leistung untergrĂ€bt und die Verantwortlichkeit des Einzelnen fĂŒr seine Taten - sich selber und anderen gegenĂŒber - zerstört. Das ruiniert unfehlbar jegliche Vernunft und MoralitĂ€t. Der wirtschaftliche/finanzielle Ruin ist nur das Ă€uĂerlich sichtbare Ergebnis des geistigen Zerfalls.
>Deswegen glaube ich auch, dass Revolutionen letztendlich nichts, auĂer dem Austausch von Machtsystemen bringen werden - jedenfalls solange wir uns nicht fĂŒr âFreiheit vor Gleichheitâ entschieden haben.
Revolutionen fangen im geistigen an. Erst wenn die Alternative zum Bestehenden klar ist, kann eine"Revolution" statt finden, sonst bleibt es eine Revolte. Der Mensch muĂ sich selber an die Kandare nehmen, dann kommt das richtige"Herrschaftssystem" wie nebenbei von selber herbei.
GruĂ
Diogenes
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dottore
08.12.2005, 14:30
@ moneymind
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Re: Die PhÀnomene"Zwang" und"Fremdzwang" |
-->Hi moneymind,
Dank fĂŒr Dein Posting; es hilft zur KlĂ€rung der Positionen.
Vorweg: Den Ausdruck"Zwang" hatte ich immer als Fremd-Zwang, insonderheit Abgaben-Zwang (wobei die Abgaben an auĂerhalb der ursprĂŒnglichen Gesellschaft zu leisten sind) verstanden und gedeutet (dies auch des öfteren klargestellt). Es geht also nicht eigentlich darum, den Zwang zu erklĂ€ren, sondern die"Fremden". Und es geht darum, womit gezwungen wird.
Familien und StĂ€mme sind in der Regel untereinander nicht fremd, so dass dort stattfindende arbeitsteilige Produktionen nicht erzwungen sind. Der Vater fordert also die Mutter nicht mit der Waffe in der Hand auf, zu kochen. Wir hören nichts von MĂŒtter-AufstĂ€nden und selbst in Stammesgesellschaften sind AufstĂ€nde der Stammesmitglieder gegen ihren HĂ€uptling kaum anzutreffen.
Das ist bei Fremd-Herrschern, die sich nicht-familiÀres oder Nicht-Stammes-Personal einfangen und in alle möglichen Formen der AbhÀngigkeit zwingen, anders. An die daraus resultierenden zahlreichen Sklavenrevolten und AbhÀngigen-Revolten unterjochter"Untertanen" sei erinnert.
Was sehr wohl auftritt, sind Herrscher-Wechsel, die von Familienmitgliedern (also innerhalb derselben,"gleichrangigen" kinship) durchgezogen werden, wie in oikos-Ă-konomien (besonders ausgeprĂ€gt:"Tyrannis" mit Brudermord etc.) und ĂŒberhaupt sehr vielen Herrschaftsformen, die sich daraus entwickelt haben (man denke an die griechischen Dramen, die solche VorgĂ€nge schildern oder die zahlreichen spĂ€teren"Erbfolgekriege").
HĂ€uptlings-Wechsel kommen durchaus vor, z.B. wurden keltische"AnfĂŒhrer" ausgewechselt, schon wenn sie bloĂ verwundet waren. Dieses PhĂ€nomen der Abdankung (1918; selbst der Liechtensteiner stand jĂŒngst kurz davor) ist bis in die Gegenwart bekannt, modern auch"RĂŒcktritt" (nach etwelchen"Skandalen" usw.) genannt. Wir kennen solche PhĂ€nomene auch in aktuellen, die Bevölkerung"re-prĂ€sentierenden" (die PrĂ€senz des Volkes fehlt) Demokratien (Niedersachsen-MP Glogowksi) oder auch erzwungene, wie bei Nixon.
Selbst bei scheinbar"homogenen" Gebilden ("Staatsvolk" mit vermeintlich freien und gleichen BĂŒrgern) versucht die herrschende Kaste (politische Parteien) an frĂŒhere Gesellschaftsformen zu appellieren, um wieder den schönen alten"Gemeinsinn" herzustellen, man spricht schlieĂlich nicht umsonst von einer"Entfremdung" oder gar"Kluft" zwischen"Politik" (herrschende Kaste) und"Bevölkerung", die es wieder"zu ĂŒberwinden" gilt.
Das Ganze hat auch mit den jeweiligen GröĂenordnungen zu tun, wobei mit wachsender GröĂe automatisch Hierarchien entstehen, sich also diese"Dehnung" der ursprĂŒnglichen"kleinen" kinship immer deutlicher abzeichnet und darob die Appelle immer lauter anschwellen ("DU bist Deutschland","Fragt nicht, was Euer Land fĂŒr euch tun kann, sondern, was ihr fĂŒr euer Land tun könnt", usw.), wobei auch noch ReziprozitĂ€ten vorgetĂ€uscht werden ("Schau mal, was ich, dein lieber Staat alles fĂŒr dich tue" und:"Deshalb ist es doch okay, dass wir wieder mal die Steuern erhöhen").
TatsĂ€chlich haben wir, was auch die Geschichte schon in der Antike zeigt, zunĂ€chst Fremd-Abgaben (@Popeye hatte schon auf die Sklaven verwiesen, der attische Staatshaushalt bestand zu 50 % aus Fremd-Abgaben), die vom und an den attischen Seebund unter Leitung Athens zu leisten waren (Rom, die kinship der ursprĂŒnglichen"cives Romani", lebte von ausgeplĂŒnderten Provinzen, deren Einwohner"Fremde" waren, vgl. u.a. Demandt dazu, usw.).
Sobald diese aus Fremd-Zwang resultierenden GĂŒter und Leistungen internalisiert werden (mĂŒssen, da keine Expansionen mehr möglich oder finanzierbar sind), zerreiĂt das die ursprĂŒngliche Gesamt-kinship, die sich nunmehr aufteilt in Eigen-Herrscher und Eigen-Beherrschte, sich also"in sich ver-fremdet".
Dadurch entsteht dann der internalisierte Zwang. Der lĂ€sst sich ebensowenig aufrecht erhalten wie der bisherige externaliserte, bei dem eben tribut-pflichtige Gebiete "abfallen" oder abgefallen waren, eigene"Staaten" grĂŒndeten (vgl. USA, und den Rest der ursprĂŒnglichen KolonialbestĂ€nde), usw.
Jetzt beginnt die Bevölkerung von ihrer Herrschafts-Clique ("politische Klasse") abzufallen, die"Politikverdrossenheit" wÀchst, in Wahlen geht es immer mehr im Zick-Zack-Kurs (von einem Extrem ins andere, siehe als Beispiel Frankreich, Italien, Spanien). Dies umso stÀrker, je weniger mit Prolongationen (also vertagten Intern-Steuererhebungen) gearbeitet werden kann.
Man stelle sich nur vor, Japan oder die USA wĂŒrden ihre Budgets ausgleichen. In Japan wĂ€ren die mit diesem Trick noch operierenden Koizumis schlagartig weggefegt, was in den USA kĂ€me sei der Phantasie ĂŒberlassen. In der Euro-Zone wĂŒrde ein durchgehendes Einhalten der Maastricht-Kriterien (egal, ob auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite operierend) die jeweils"Regierenden" in gröĂte Nöte bringen. Die Bevölkerung wĂŒrde solchen Kurs bei den nĂ€chstbesten Wahlen"abstrafen".
>dottore erklÀrt die Eigentumsentstehung als erzwungene Macht-Zession so:
>"Da der Zwang der menschlichen Natur zuwider lĂ€uft, kann er sich ökonomisch (Waffen-, Geld-, Abgabenmonopole sind ökonomische GröĂen, da sie ökonomische Auswirkungen haben) nur halten, solange er in Teilen zediert werden kann, woraufhin dann Sub-Zwingherrn erscheinen, die als Grundherrn, GrundeigentĂŒmer, Kapitalisten,"Reiche" usw. breite AngriffsflĂ€chen bieten. Lassen sich keine neuen Zwingherrn mehr finden oder konstruieren, die ihren Zwang mit Hilfe der Staatsmacht ausĂŒben (siehe heute die"zivilisierte" Form der Besicherung und Exekution von Eigentum und VertrĂ€gen durch die Staatsmacht usw.), schlendert die gesamte Veranstaltung ihrem Ende entgegen." (238987)
>Dies ist eine logische Argumentation, keine historische.
Durchaus historisch abgeleitet, man denke an die Kette der Macht-Zessionen, die sich von William anfangend durch die englische Geschichte zieht, bis der Herrscher (Cromwell nicht vergessen) schlieĂlich den ganzen Staat und damit auch die Besteuerungsmöglichkeiten zedierte - die berĂŒhmte Trennung von Krone und Staat zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Ăber die schottischen Steuern verfĂŒgte nicht mehr die Krone, sondern das Parlament.
Die noch amtierenden"Könige" haben keinerlei Abgabenerhebungsbefugnisse mehr, sie mĂŒssen sich mit ihren"Zivillisten" begnĂŒgen, die - welch Treppenwitz! - inzwischen obendrein der allgemeinen Besteuerung unterliegen. Solche Machtzessionen zum Machterhalt sind ĂŒberall beobachtbar (wobei die Macht schlieĂlich nur noch Titular-Charakter hat, gelegentlich darf auch noch ins"politische GeschĂ€ft" eingegriffen werden, vgl. Belgien, Holland und sogar aktuell das Vorgehen Köhlers bei der Entlassung von StaatssekretĂ€ren).
Darauf, dass sich der Prozess der Privilegierungen (auf Byzanz und selbst Bayern mit seinen"Freyheiten" - klaren Machtzessionen - seit"GrĂŒnder" Otto) aus mehr oder minder tagesaktuellen GrĂŒnden war schon hingewiesen worden. Was fehlt, und ebenfalls schon diskutiert worden war: Die Zession der (Abgabenerhebungs-)Macht an die Bevölkerung selbst.
Der ökonomisch wichtigste Ausfluss der Herrschaft und ihr eigentliches Macht-Attribut, eben das Abgabenmonopol, ist bei der"politischen Klasse" hĂ€ngen geblieben. Immerhin steht der Zugang zu dieser Klasse weit offen, was erklĂ€rt, dass wir es zuweilen mit nachgerade abenteuerlichen"Besetzungen" oberster Positionen darin zu tun haben und sog."reine Berufspolitiker" (der erste in Deutschland war Johannes Rau) zu bestaunen sind, die - da wirtschafts- und markt-unerfahren - die Ansicht pflegen,"politisches" Handeln sei ex ante allem anderen ĂŒberlegen und mĂŒsse demnach auch maximiert werden (Gesetzesflut).
>Sie basiert auf der PrĂ€misse, daĂ"Zwang der menschlichen Natur zuwider lĂ€uft". Diese PrĂ€misse ist schon innerhalb der Machttheorie selbst widersprĂŒchlich und unhaltbar, da - wie Du, popeye, ja ganz richtig festgestellt hast, auch stammesgesellschaftliche ReziprozitĂ€t auf Zwang basiert.
Bitte oben"Zwang" durch"Fremd-Zwang" (also auĂerhalb etwaiger kinship-Relationen) ersetzen. Zur ReziprozitĂ€t hatte ich bereits geschrieben: Sie setzt eine Erst-Leistung voraus, die erbracht werden kann oder nicht ("Gabe" usw.), die angenommen werden kann oder nicht und die erwidert werden kann oder nicht. Sie ist (in MaĂen) terminfrei.
Sie ist historisch auch nicht durchgĂ€ngig oder weltweit zu beobachten und ist auf jeden Fall in ihrem Zwangs-Charakter der mit Hilfe von Waffen und Termin operierenden coercive power unterlegen, weshalb sich letztere so gut wie weltflĂ€chendeckend durchgesetzt hat ("Staaten" haben"StĂ€mme" ĂŒberwunden, ausgerottet, usw., zu dem Papua-Beispiel von @Holmes sei gern auch das der Herero zugefĂŒgt, viele andere kommen dazu, der ganze amerikanische Kontinent, die SachsenschlĂ€chterei Karls des GroĂen, die Unterwerfung der Tschetschenen, Sibiriaken usw. durch die Zaren und ihre Nachfolger, der Aborigenes, Hawaiis, Schwarzafrikas, usw., usw.).
>Da"Zwang" so eine die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch konstante GröĂe darstellt, entpuppt sich dottores PrĂ€misse ĂŒber die"menschliche Natur" als empirisch nicht gestĂŒtzter Glaubenssatz, als pures Wunschdenken - ein Wunschdenken, das der von dottore ja kritisierten Naturrechtsideologie sehr Ă€hnelt.
"Zwang"-Meidung ist sicher ein Bestandteil der menschlichen Natur. Selbst Ludwig von Mises spricht vom"Arbeitsleid". Und wer möchte schon gern leiden? Je ausgeprĂ€gter der Zwang - und am ausgeprĂ€gtesten ist der kinship-freie Fremd-Zwang - desto stĂ€rker der Wille, diesem auszuweichen oder ihn zu unterlaufen. Das kann man bei den StĂ€dten sehen, ich erinnere an die groĂe GrĂŒnderwelle um 1200 in Deutschland ("Stadtluft macht frei" - wobei"Freiheit" eben Fremdzwangs-Befreiung bedeutet, die der Landbesitzer aufgrund seines Unter-Eigentums an bewohnbarer und nutzbarer FlĂ€che ausĂŒbte, das Stadt-PhĂ€nomen ist eben auch eine Antwort auf Fremdzwangs-Erscheinungen).
Es fĂŒhrt aber auch zu all den lang und breit schon diskutierten Erscheinungen wie"Handel" (um von"Fremden" erzwungene GĂŒter gĂŒnstiger bei anderen Fremden zu beschaffen), dabei die"AufschwĂŒnge" des Handels z.B. im Imperium Romanum (auf den betreffenden Aufsatz hatte @Popeye hingewiesen) sowie den"ProduktivitĂ€tsfortschritt" (mehr EffektivitĂ€t beim GĂŒtererstellen, die direkt oder indirekt - z.B. ĂŒber MonetĂ€r-Systeme - die Abgabenlast minderten).
>Ich finde nicht ganz uninteressant, daĂ dottore solches Wunschdenken an zentraler Stelle fĂŒr seine Argumentation benötigt und dafĂŒr sogar seiner eigenen Theorie widerspricht:
Hier geht es nicht um"Wunschdenken", zumal ich keinerlei Ideologie oder gar Lösungsversuche anzubieten habe (Lösungen wĂ€ren"wĂŒnschbar"), sondern um die Frage, ob ich mich von Fremden (auĂerhalb der von mir noch akzeptierten und auch ĂŒberschaubaren, man denke an Dunbar's Number u.Ă€., SphĂ€re) zu Leistungen an diese zwingen lasse (notfalls lassen möchte) oder nicht."Völker", die Tribute freiwillig also"ungezwungen" zahlten, kenne ich nicht und Steuerzahler, die von sich aus freudig zum Finanzamt eilen, um möglichst im Voraus und möglichst viel zu zahlen, sind mir auch noch nicht begegnet.
>Die Empirie legt doch eher die umgekehrte Annahme nahe, daà Zwang zur menschlichen Natur gehört, da kein Gesellschaftssystem ohne sie ausgekommen ist.
Das Fremde zwingen oder zu zwingen versuchen, gehört sicherlich dazu, es hĂ€tte sonst niemals entsprechende Eroberungen oder Unterwerfungen gegeben. Das mag sogar gen-bedingt sein (eine MutmaĂung, die hier schon diskutiert wurde). Auf jeden Fall ist es fĂŒr den Zwingenden ökonomischer, andere jene Leistung erbringen zu lassen, die man sonst selbst erbringen mĂŒsste. Ebenso gehört - bei den Fremd-Gezwungenen - dazu, zu versuchen, diesem Zwang auszuweichen.
Bei kinship-internem Zwang darf angenommen werden, dass er in kleinen EntitĂ€ten durchaus kein Problem dargestellt hat (vielleicht Widerwillen - wer trĂ€gt schon gern den MĂŒlleimer runter?). Auch gibt und gab es"Gesellschaften", die sich jedenfalls"ungezwungen" oder"zwanglos" durchs Leben (Urschuld-BewĂ€ltigung inklusive) geschlagen haben. Bis heute beharren noch viele StĂ€mme (@Dimi hatte einige parat), Dorfgemeinschaften, usw. darauf, so zu leben wie ihre Vorfahren auch.
>Dies könnte ein interessantes Licht auf die logische Struktur der impliziten PrÀmissen (GlaubenssÀtze!) der Machttheorie werfen, die aber wohl erst noch auszuleuchten wÀre.
Andere als die mitgeteilten"PrÀmissen" habe ich leider (noch?) nicht zu bieten.
>Und es scheint mir wiederum meine These zu bestÀtigen: Freiheit ist der historische Ausnahmefall, und das eigentliche Explanandum.
Freiheit ex Machtzession ("Privilegia") ist nicht schwer zu entrĂ€tseln. Auch scheint unbestritten, dass es Erst- und FrĂŒhformen der Freiheit gegeben hat, schon allein aufgrund der winzigen Besiedlungsdichte. Niemand wĂŒrde einen Trapper oder Inuit im hohen Norden Kanadas als"unfrei" bezeichnen. Inzwischen aber sind die Menschen mehr geworden und enger"zusammengerĂŒckt" - Ursache und Folge des Eintritts des Fremdmacht-PhĂ€nomens in die Geschichte.
Nochmals Danke fĂŒr das Posting, die Diskussion kann ich leider erst in einigen Tagen fortsetzen + GruĂ!
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Tarantoga
08.12.2005, 16:02
@ Diogenes
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Re: Eigentum und Freiheit |
-->>Jeder hat das Recht auf Leib und Leben und auf Eigentum. Da ergibt sich kein Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit.
Hallo Diogenes,
diesen Satz kann ich unmöglich so stehen lassen. Stell dir einfach mal vor, der Prozess der Kapitalakkumulation ist noch ein wenig fortgeschritten, so dass aller Boden inklusive seiner Rohstoffe und daraus folgender Rechte jemandes Eigentum ist. Vielleicht spitzen wir es noch etwas weiter zu und nehmen an, es gĂ€be auch nur eine handvoll EigentĂŒmer all dessen. Monopoly eben. Nun kommt der kleine Diogenes auf die Welt und ist Ă€rgerlicherweise keinem der EigentĂŒmer zuzuordnen. Der EigentĂŒmer hat aber das Recht, den gröĂer werdenden Diogenes ohne weiteres von seinem Eigentum auszuschlieĂen. Dies wĂŒrde im Zweifel jeglichen Platz auf diesem Planeten einschlieĂen. Wenn sich nun nicht durch durch staatliche Besteuerung ergeben wĂŒrde, dass die EigentĂŒmer wirtschaften mĂŒssten und dafĂŒr auch auf die Mitarbeit von Leuten wie dem Herrn Diogenes angewiesen wĂ€ren, dann wĂ€re dir eine rechtmĂ€Ăige Existenz auf diesem Planeten nur mit der ganz und gar freiwilligen Duldung der EigentĂŒmer möglich. Wo ist da deine Freiheit?
Das Eigentumsrecht ist nur und ausschlieĂlich gegen den Staat ein Freiheitsrecht, gegen ca. 6 Mrd. Menschen ist jedes Eigentumsrecht fast ausschlieĂlich ein Unfreiheitsrecht. Das"fast" ergibt sich im Falle unserer Verfassung nur aus der Verpflichtung zum Gebrauch zum Wohle der Allgemeinheit und dem entsprechenden niedriger gesetzlichen Regelungen. Der Entwurf der europĂ€ischen Verfassung kannte diese EinschrĂ€nkung schon nichtmehr, weswegen man den Franzosen fĂŒr ihre Verteidigung der Freiheit in Europa schon wieder dankbar sein muss.
Es gibt einen Konflikt zwischen Eigentum und Freiheit, der in meinen Augen sogar sehr offensichtlich ist. Die zukunftsweisende Lösung dieses Konfliktes kann nur dergestalt erfolgen, dass der Freiheit zum Sieg verholfen wird, wie immer dies fĂŒr das Eigentumsrecht sinnvoller weise aussehen mag.
GrĂŒĂe
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Diogenes
08.12.2005, 17:27
@ Tarantoga
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Re: Eigentum und Freiheit |
-->>>Jeder hat das Recht auf Leib und Leben und auf Eigentum. Da ergibt sich kein Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit.
Hallo Tarantoga,
>diesen Satz kann ich unmöglich so stehen lassen.
Schaun mer mal. ;-)
>Stell dir einfach mal vor, der Prozess der Kapitalakkumulation ist noch ein wenig fortgeschritten, so dass aller Boden inklusive seiner Rohstoffe und daraus folgender Rechte jemandes Eigentum ist.
Das wird zwangslÀufig der Fall sein. Alles gehört irgend jemanden.
>Diogenes auf die Welt und ist Ă€rgerlicherweise keinem der EigentĂŒmer zuzuordnen.
Nun, ich kam nackt und mittellos auf die Welt, so wie alle anderen.
>Der EigentĂŒmer hat aber das Recht, den gröĂer werdenden Diogenes ohne weiteres von seinem Eigentum auszuschlieĂen.
Klar, das ist Teil des Eigentumsrechts. Nur hindert das niemanden daran, sich Eigentum zu erwerben. Auch wurdest nicht als EigentĂŒmer geboren, kannst aber inzwischen sicher das eine oder andere dein eigen nennen - hoffe ich jedenfalls fĂŒr dich.
>Dies wĂŒrde im Zweifel jeglichen Platz auf diesem Planeten einschlieĂen. Wenn sich nun nicht durch durch staatliche Besteuerung ergeben wĂŒrde, dass die EigentĂŒmer wirtschaften mĂŒssten....
Ich nehme mal an, daĂ die ĂŒberwiegende Mehrzahl fĂŒr die eigene Tasche wirtschaftet und nicht um Steuern zu bezahlen - das ist nur ein unbequemes"Nebenprodukt".
>...und dafĂŒr auch auf die Mitarbeit von Leuten wie dem Herrn Diogenes angewiesen wĂ€ren, dann wĂ€re dir eine rechtmĂ€Ăige Existenz auf diesem Planeten nur mit der ganz und gar freiwilligen Duldung der EigentĂŒmer möglich.
Ich denke nicht, daĂ irgend jemand auf mich angewiesen ist, die Welt hat sich gedreht bevor ich da war und sie wird sich weiter drehen, wenn ich nicht mehr bin. Solange ich allerdings lebe habe ich natĂŒrlich die Möglichkeit, die eine oder andere Transaktion zu tĂ€tigen, im gegenseitigen Einvernehmen.
>Wo ist da deine Freiheit?
Meine Freiheit besteht darin, (im Rahmen meiner Möglichkeiten) wĂ€hlen zu können. DafĂŒr brauche ich nicht EigentĂŒmer irgendwelcher Dinge sein.
>Das Eigentumsrecht ist nur und ausschlieĂlich gegen den Staat ein Freiheitsrecht, gegen ca. 6 Mrd. Menschen ist jedes Eigentumsrecht fast ausschlieĂlich ein Unfreiheitsrecht.
Eigentum basiert auf dem AusschluĂprinzip. Das gilt fĂŒr das Eigentum eines jeden der 6 Mrd. Worauf du wahrscheinlich hinauswillst ist, daĂ nicht alle 6 Mrd. gleich viel haben. Diese Forderung wĂ€re die Forderung nach gleichen Ergebnissen, was die Zerstörung der Freiheit bedeutet (sieh mein vorheriges Posting).
>Das"fast" ergibt sich im Falle unserer Verfassung nur aus der Verpflichtung zum Gebrauch zum Wohle der Allgemeinheit und dem entsprechenden niedriger gesetzlichen Regelungen.
Und wer bestimmt was"zum Wohle der Allgemeinheit" sein soll? Die"Volksvertreter"? Nach welchen MaĂstĂ€ben? Wo bleibt da die Freiheit des Einzelnen?
Da setze ich doch lieber auf die Transaktionen, die ein jeder freiwillig macht.
>Der Entwurf der europĂ€ischen Verfassung kannte diese EinschrĂ€nkung schon nichtmehr, weswegen man den Franzosen fĂŒr ihre Verteidigung der Freiheit in Europa schon wieder dankbar sein muss.
Also wenn der Mist nicht mehr drinnen steht, ist das ein Fortschritt - auf dem papier wenigstens.
>Es gibt einen Konflikt zwischen Eigentum und Freiheit, der in meinen Augen sogar sehr offensichtlich ist.
Eigentum und Freiheit stehen nicht in Konflikt im Gegenteil: Eigentum ist die Voraussetzung fĂŒr Freiheit. Es gibt nur einen Konflikt zwischen der Freiheit des einzelnen und dem Gleiche-Ergebnisse-fĂŒr-jeden-haben-wollen.
>Die zukunftsweisende Lösung dieses Konfliktes kann nur dergestalt erfolgen, dass der Freiheit zum Sieg verholfen wird, wie immer dies fĂŒr das Eigentumsrecht sinnvoller weise aussehen mag.
Soll diese angebliche"Freiheit" durch den Sozialismus oder den Kommunismus siegen? Darauf lÀuft ein derartiges Unterfangen nÀmlich hin.
GruĂ
Diogenes
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VictorX
08.12.2005, 17:33
@ dottore
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Immer wieder ein Genuss. Bitte mehr dieser Dialoge. (o.Text) |
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Tarantoga
08.12.2005, 18:08
@ Diogenes
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Re: Eigentum und Freiheit |
-->Hallo Diogenes
Ich erlaube mir mal das hier auf den Knackpunkt zu reduzieren:
>Klar, das ist Teil des Eigentumsrechts. Nur hindert das niemanden daran, sich Eigentum zu erwerben. Auch wurdest nicht als EigentĂŒmer geboren, kannst aber inzwischen sicher das eine oder andere dein eigen nennen - hoffe ich jedenfalls fĂŒr dich.
Das man Eigentum erwerben kann ist nicht Folge des Eigentums. Eigentumserwerb ist nur möglich, wenn es entweder"Neues" in Besitz zu nehmen gibt (was ich in meinem Gedankenspiel mal ausgeschlossen hatte) oder durch Erwerb von einem bisherigen EigentĂŒmer.
Nun ist es so, dass weder aus dem Eigentumsrecht noch aus den Dingen an sich ein Zwang des EigentĂŒmers folgt, sein Eigentum jemals herzugeben. An sich muss kein EigentĂŒmer jemals etwas hergeben oder zu wirtschaften anfangen. Auch das ist Teil der Eigentumsfreiheit des einen EigentĂŒmers. Damit entfĂ€llt aber dann meine und Deine Möglichkeit etwas zu erwerben.
Dass diese Situation heute nicht gegeben ist, folgt - wie dottore so schön und schlĂŒssig dargelegt hat - daraus, dass Besteuerung den EigentĂŒmer dazu zwingt zu wirtschaften und dadurch sein Eigentum in begrenztem Umfang in Umlauf zu halten. Tut er es nicht, so nimmt es ihm der Staat durch Zwangsvollstreckung wegen Steuerschulden wieder weg. Dies gilt nach heutigem Steuerrecht nichtmal uneingeschrĂ€nkt, aber immerhin ausreichend, um die Dinge ein wenig in Bewegung zu halten.
WĂŒrde jedoch die Besteuerung (Unfreiheit) durch den Staat entfallen, nichts wĂŒrde die EigentumsverhĂ€ltnisse mehr verĂ€ndern und Du und ich hĂ€tten gar nichts zu erwerben. (Anm.: Das ist alles natĂŒrlich rein theoretisch, ohne Staat gĂ€be es kein Eigentum und wo ein Staat ist, da muss er sich zwingend irgendjemandes Eigentum zu seinem Unterhalt bedienen.)
Ich kann also schlussfolgern, dass dort wo es Unfreiheit durch Eigentum gibt auch Unfreiheit durch Steuern erforderlich ist, um zumindest minimale Freiheit der Eigentumslosen zu ermöglichen.
Da der Staat mit dem Eigentum von"unten nach oben" umverteilt muss er fĂŒr eine stabile Gesellschaft auch in die Gegenrichtung umverteilen. Der europĂ€ische Sozialstaat ist sicher kein Zufall der Geschichte, sondern ein recht logisches (Zwischen-) Ergebnis, welches leider so seine SchwĂ€chen hat. Deswegen mĂŒsste man beide Umverteilungen zurĂŒckfĂŒhren..
GrĂŒĂe
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MikeFFM
08.12.2005, 19:56
@ dottore
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Dank @dottore fĂŒr dieses klasse Posting! |
-->Wie immer klasse geschrieben, gut verstÀndlich und alles auf den Punkt gebracht.
Danke!
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Popeye
08.12.2005, 20:11
@ Tarantoga
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Re: Eigentum und Freiheit |
-->Zu diesen schönen AusfĂŒhrung folgende Fragen:
Lassen wir mal bitte den Staat die Umverteilungswirkung von Steuern auĂen vor (- die ist ja auch âgewillkĂŒrtâ.)
Gibt es ein Recht auf Eigentum (auĂer dem an Deiner Person)?
Und wenn es dieses Recht auf Eigentum gÀbe (und Du hÀttest kein Vertrauen in den Markt und Deine Arbeitskraft) wie sollte diesem Recht Geltung verschafft werden?
GrĂŒĂe
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Holmes
08.12.2005, 20:38
@ Popeye
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Re: Recht auf Eigentum |
-->>Gibt es ein Recht auf Eigentum (auĂer dem an Deiner Person)?
Woher soll das kommen? Habe Tiere Rechte? Haben Urvölker Rechte?
Es ist wie immer: der StĂ€rkere"gewĂ€hrt" das Recht. Was nĂŒtzt ein Kriegsverbrecher-Gerichtshof, wenn die Supermacht sich nicht dran hĂ€lt?
Recht muss man durchsetzen können, mit Zwang, sonst hat man nix davon.
Also: das Recht auf Eigentum gibt's nicht einfach so, sondern ist ein Anspruch gegen die Machtstruktur, den sie auch wieder wegnehmen kann, siehe GG:
Artikel 14
[Eigentum; Erbrecht; Enteignung]
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewÀhrleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulÀssig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaà der EntschÀdigung regelt. Die EntschÀdigung ist unter gerechter AbwÀgung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der EntschÀdigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
=> Recht auf Eigentum kann (wenn man eine Ausrede findet, um jemanden zu enteignen) durchaus ganz einfach (durch Gesetz = einfache Mehrheit im Bundestag und Bundesrat) entzogen werden. Wohle der Allgemeinheit? Wenn da man die"Abwehr der Störung eines gesamtwirtschaftaftlichen Gleichgewichts" nicht schon genug ist...
>Und wenn es dieses Recht auf Eigentum gÀbe (und Du hÀttest kein Vertrauen in den Markt und Deine Arbeitskraft) wie sollte diesem Recht Geltung verschafft werden?
Wenn man keine Machtmittel hat? Gar nicht..siehe dottores"SchmÀhbriefe".
Beste GrĂŒsse,
Holmes
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Popeye
08.12.2005, 21:09
@ Holmes
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Re: Recht auf Eigentum |
-->...damit ist das moralische Problem nicht weg - obwohl Du so tust.
Oder, anders ausgedrĂŒckt, wenn das Recht des StĂ€rkeren gilt, mĂŒssen wir uns ĂŒber Moral keine Gedanken mehr machen?
GrĂŒĂe
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Holmes
08.12.2005, 21:41
@ Popeye
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Re: Recht auf Eigentum |
-->>...damit ist das moralische Problem nicht weg - obwohl Du so tust.
>Oder, anders ausgedrĂŒckt, wenn das Recht des StĂ€rkeren gilt, mĂŒssen wir uns ĂŒber Moral keine Gedanken mehr machen?
"Wir" können uns ĂŒber viel Gedanken machen. Ich weiss nur nicht, ob es was nĂŒtzt, wenn die"da oben" durchdrehen. Der Ablauf ist doch immer so, dass im Zweifelsfall die Moral als letztes berĂŒcksichtigt wird. Wo ist denn die Moral bei der Machtfrage?
Die ganze Terror-Chose ist doch superpraktisch, weil man zur Terrorabwehr alles legitimieren kann (und wird). Alles wird quasi als Notwehr deklariert und damit ist es nicht mehr angreifbar. Der Sieger bestimmt die Regeln, siehe die BombennĂ€chte der Alliierten oder Hiroshima etc. Wenn die Amis verloren hĂ€tten, wĂ€ren sie vor das Kriegsgericht gekommen. Und selbst wenn mal was vor ein Gericht kommt, sind es nur die Kleinen, die dran glauben mĂŒssen. Die"Machthalter" wissen sich schon zu schĂŒtzen. Inwieweit ist DAS nicht das Recht des StĂ€rkeren?
Wie gesagt: wir können uns viel Gedanken machen, aber DIE kratzt das ĂŒberhaupt nicht und sie verfahren weiter, als ob nichts gewesen wĂ€re. Das PhĂ€nomen des"moral hazard" ist allgegenwĂ€rtig.
Beste GrĂŒsse,
Holmes
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Popeye
08.12.2005, 21:51
@ Holmes
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Re: Recht auf Eigentum |
-->Lieber @Holmes, das klingt jetzt sehr pathetisch, soll es aber nicht: You make a difference.... und wenn Du aufhörst das zu glauben erst dann - will you never make a difference!
GrĂŒĂe
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Tarantoga
08.12.2005, 23:02
@ Popeye
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Re: Eigentum und Freiheit |
-->Hallo Popeye!
Das sind schöne Fragen, die die Diskussion in die richtigen Bahnen lenken können.
>Gibt es ein Recht auf Eigentum (auĂer dem an Deiner Person)?
In unserer Rechtsordnung in begrenztem MaĂe schon. Es gibt z.B. sozialrechtliche AnsprĂŒche gegen den Staat, die sicherstellen, dass zumindest an Kleidung etc. das nötige als Eigentum des Betroffenen vorhanden ist. DarĂŒber hinaus gibt es gewisse Eigentumsrechte, die nicht entzogen werden können (unpfĂ€ndbare Sachen z.B.), was allerdings voraussetzt, dass sie bereits zuvor erworben wurden.
Nach dem gefragt, was meiner Meinung nach gut und sinnvoll wĂ€re, taucht in Deiner Fragestellung das Problem einer exakten Definition von Eigentum auf. Die kann und möchte ich auf die Schnelle hier nicht liefern, da sie nicht der Kern des Problems ist. Stattdessen möchte ich von so etwas wie anerkannter VerfĂŒgungsgewalt sprechen. Dazu bin ich der Ansicht, dass solche anerkannte VerfĂŒgungsgewalt ĂŒber eine begrenzte Menge an Dingen notwendige Voraussetzung persönlicher Entfaltung in Freiheit ist. Das Problem mit dem Eigentum besteht darin, dass es als absolut-generelles Recht nicht berĂŒcksichtigt, wie nah oder fern das einzelne Eigentum diesem auch individuell verschiedenen berechtigtem BedĂŒrfnis nach Mitteln der Freiheitsentfaltung steht. DarĂŒber hinaus berĂŒcksichtigt es ebenfalls nicht, was der EigentĂŒmer mit seinem Recht anfĂ€ngt. FĂŒr letzteres gibt es in einem leider unmöglich zu fassenden Rahmen auch gute GrĂŒnde, denn wer weiĂ schon, fĂŒr was bestimmtes EigentĂŒmerverhalten spĂ€ter einmal gut sein mag.
Letztlich besteht der Problemkreis Eigentum und Freiheit aus einem gelĂ€ufigen juristischen Problem im Bereich der verfassungsmĂ€Ăigen Freiheitsrechte: Die Rechte des Einen mĂŒssen an einer bestimmten Stelle ihre Grenze in den gleichen oder anderen Rechten eines anderen finden. Im Verfassungsrecht bedient man sich dabei des Mittels der praktischen Konkordanz. Dabei ist ein Ausgleich zwischen beiden Rechten zu suchen, der die Kernbereiche beider Rechte unberĂŒhrt lĂ€sst. Sieht man es als Kernbereich des Eigentums, nur die menschlichen GrundbedĂŒrfnisse erfĂŒllt zu sehen, so wird unsere Rechtsordnung dem mittels der genannten Sozialvorschriften sozusagen als Hilfskonstruktion gerecht.
Dazu stellt sich die Frage, ob diese Hilfskonstruktion gut ist. Ich habe daran Zweifel, da sie die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe beinhaltet. Besser wÀre es eine Regelung zu finden, die den so definierten Kernbereich allein unter Privaten erhÀlt.
Desweiteren möchte ich die genannte Auffassung des Kernbereichs in Frage stellen. MĂŒĂte man - auch im Sinne des ökonomischen Wohls der Gesellschaft - nicht auch ĂŒber die Befriedigung der GrundbedĂŒrfnisse hinausgehende Rechte, namentlich eine Art von Kapital, dass zumindest minimale eigenstĂ€ndige WirtschaftstĂ€tigkeit ermöglicht, zum Kernbereich rechnen? WĂ€re es nicht sogar so, dass es gut wĂ€re, hier groĂzĂŒgig zu sein, also eine durchaus relevante Menge an GĂŒtern der Arbeitsteilung insofern zu entziehen, als sie dem Einzelnen jedenfalls ohne seinen Willen nicht vorenthalten werden können? Wenn die Voraussetzung unternehmerischen Handelns die Entfaltung persönlicher Freiheit hin zum Schaffen ist, sollte man dann nicht jedem Einzelnen schon aus GrĂŒnden der SystemstabilitĂ€t einen gewissen"Vorrat" an solchem Potential erhalten?
Dem wird das Eigentumsrecht wie wir es praktizieren jedenfalls nicht gerecht und allein diesbezĂŒglich wende ich mich dagegen.
Allerdings bin ich fĂŒr eine Neuauffassung der anerkannten VerfĂŒgungsgewalt auch noch zu keinem idealen Schluss gelangt. Es erscheint mir dafĂŒr aber notwendig, am absolut-generellen Charakter des Eigentums zu rĂŒtteln. Vielleicht ist so etwas wie ein mehrstufiges Eigentumsrecht erforderlich, das von einem absolut-generell zu schĂŒtzenden Kernbereich bis hin zu einem an der Sache orientiertem Einzelfallrecht in der Mitte zwischen den einzelnen Freiheitspositionen reichen muss.
>Und wenn es dieses Recht auf Eigentum gÀbe (und Du hÀttest kein Vertrauen in den Markt und Deine Arbeitskraft) wie sollte diesem Recht Geltung verschafft werden?
Wenn ich die Frage richtig verstehe, dann ist sie mit meiner Antwort zur ersten Frage eigentlich schon beantwortet. Dieses Recht (bei dem Dein Einwurf in der Klammer eigentlich keine Rolle spielt - ich komme ĂŒbrigens mit dem Markt und meiner Arbeitskraft ganz gut zurecht, keine Sorge ;-) ) sollte dadurch verwirklicht werden, dass das Recht der vorhandenen EigentĂŒmer eine Grenze am Kernbereich der Rechte der NichteigentĂŒmer findet. Dies kann den Verlust der Eigentumsposition bedeuten.
Die Konkretisierung dieser sehr abstrakten Gedanken ist schwierig. Ich will das mit einem konkreten Beispiel versuchen. In SĂŒdamerika gibt es zur Zeit eine Bewegung der sogannten Arbeiterselbstverwaltung. In einer gröĂeren Zahl von FĂ€llen haben dort Arbeiter von zuvor aus ökonomischen GrĂŒnden geschlossenen BetriebsstĂ€tten ihre ArbeitsplĂ€tze besetzt und die Produktion in Eigenverantwortung unter einer Art Enteignung der bisherigen Kapitalhalter wieder aufgenommen. Dies nach den von mir aus der Ferne gefunden Information teils recht erfolgreich. Ich halte dies fĂŒr zukunftsweisend. Wenn Unternehmen Standorte schlieĂen, um an anderen Standorten die RentabilitĂ€t zu erhalten, so ist dies eigentlich ein Missbrauch ihrer ökonomischen Freiheitsposition gegenĂŒber ihren Angestellten. Es wĂ€re daher durchaus zu rechtfertigen, ihr Eigentumsrecht deshalb als verwirkt anzusehen, so dass es auf die Angestellten als davon Betroffene ĂŒbergehen könnte. Ăhnliches könnte man fĂŒr den Fall der Insolvenz sehen. Dann könnte man durchaus in ErwĂ€gung ziehen, sowohl die bisherigen EigentĂŒmer, als auch die Kreditgeber zu beschneiden und den tatsĂ€chlich TĂ€tigen einen Chance geben, es besser zu machen.
NatĂŒrlich ist mir bewusst, dass so die globale Kapitalrendite auf Null fallen muss. Das ist sicherlich der Weg in einen echten Kommunismus, in dem nichtmehr Rendite das Steuerungselement der Wirtschaft sein kann. Aber warum nicht andere finden? Meiner Ăberzeugung nach ist individuelle Schaffensfreiheit die Grundlage erfolgreichen Wirtschaftens. Wenn diese wĂ€chst, wird das FrĂŒchte tragen...
Mit herzlichem Dank fĂŒr die anregenden Fragen,
Tarantoga
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Popeye
09.12.2005, 07:01
@ Tarantoga
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Re: Eigentum und Freiheit - Praktische Konkordanz |
-->Hallo, @Tarantoga,
offenbar bist Du juristisch vorbelastet?
Danke fĂŒr die langen AusfĂŒhrungen. Ohne diesen Ausdruck je in Deinem Beitrag zu benutzen hast Du Dich bei Deiner Antwort offenbar von Gedanken der"sozialen Gerechtigkeit" - wie Du sie empfindest - leiten lassen. Dabei kommt man ziemlich schnell ins Schleudern.
Das geht den Juristen ja auch so. Praktische Konkordanz (jetzt bin ich boshaft) ist ja keine âRechtsprechungâ sondern subjektive Einzelfall-WillkĂŒr, die nur entstehen kann, weil der Gesetzgeber es versĂ€umt hat (es vielleicht auch gar nicht kann) die PrioritĂ€ten oder die Rangfolge von RechtsgĂŒtern festzulegen.
Ăhnlich ist es beim Eigentum. Die Relativierung des Eigentums (also des Rechts auf Eigentum) - Holmes hatte z.B. Artikel 14 (3) angefĂŒhrt - verstöĂt schon gegen eines der primitivsten ökonomischen Verteilungsgesetze - das sog Pareto-Optimum.
AuĂerdem muss man sich bei jeder Relativierung des Eigentums darĂŒber klar werden, ob man Ausgangs- oder Ergebniskorrekturen will. M.a.W. willst Du, dass Eigentumsrechte zu Gunsten einer Ausgangs-/Start-Situation oder einer Endsituation (Ergebnis) relativiert werden. Und letztlich muss man natĂŒrlich bedenken, dass der Prozess der Relativierung selbst (z. B. bei Enteigungen) hĂ€ufig subjektive Elemente enthĂ€lt, die weder an Gerechtigkeit noch Wohlfahrt ausgerichtet sind.
Vor ziemlich langer Zeit haben wir in diesem Forum mal versucht das Thema Eigentum, Einkommensverteilung und Fragen, die damit zusammenhĂ€ngen in den Griff zu bekommen und dabei Timothy P. Roth zu Hilfe geholt. Es ist immer noch eines der besten BĂŒcher zu diesem Thema: Timothy Roth, The Ethics and the Economics of Minimalist Government, 2002, - also, wenn Du mal Lust hast schau rein. Aber auch das gestern zitierte Buch von Wolgang Kersting (Kritik der Gleichheit) ist empfehlenswert.
GrĂŒĂe & Dank!
P.S. Dein Satz:"Besser wÀre es eine Regelung zu finden, die den so definierten Kernbereich allein unter Privaten erhÀlt." findet uneingeschrÀnkten Beifall - aber wie?
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CRASH_GURU
09.12.2005, 07:34
@ Popeye
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Re: Eigentum und Freiheit - Praktische Konkordanz |
-->>Hallo, @Tarantoga,
>offenbar bist Du juristisch vorbelastet?
>Danke fĂŒr die langen AusfĂŒhrungen. Ohne diesen Ausdruck je in Deinem Beitrag zu benutzen hast Du Dich bei Deiner Antwort offenbar von Gedanken der"sozialen Gerechtigkeit" - wie Du sie empfindest - leiten lassen. Dabei kommt man ziemlich schnell ins Schleudern.
>Das geht den Juristen ja auch so. Praktische Konkordanz (jetzt bin ich boshaft) ist ja keine âRechtsprechungâ sondern subjektive Einzelfall-WillkĂŒr, die nur entstehen kann, weil der Gesetzgeber es versĂ€umt hat (es vielleicht auch gar nicht kann) die PrioritĂ€ten oder die Rangfolge von RechtsgĂŒtern festzulegen.
>Ăhnlich ist es beim Eigentum. Die Relativierung des Eigentums (also des Rechts auf Eigentum) - Holmes hatte z.B. Artikel 14 (3) angefĂŒhrt - verstöĂt schon gegen eines der primitivsten ökonomischen Verteilungsgesetze - das sog Pareto-Optimum.
>AuĂerdem muss man sich bei jeder Relativierung des Eigentums darĂŒber klar werden, ob man Ausgangs- oder Ergebniskorrekturen will. M.a.W. willst Du, dass Eigentumsrechte zu Gunsten einer Ausgangs-/Start-Situation oder einer Endsituation (Ergebnis) relativiert werden. Und letztlich muss man natĂŒrlich bedenken, dass der Prozess der Relativierung selbst (z. B. bei Enteigungen) hĂ€ufig subjektive Elemente enthĂ€lt, die weder an Gerechtigkeit noch Wohlfahrt ausgerichtet sind.
>Vor ziemlich langer Zeit haben wir in diesem Forum mal versucht das Thema Eigentum, Einkommensverteilung und Fragen, die damit zusammenhĂ€ngen in den Griff zu bekommen und dabei Timothy P. Roth zu Hilfe geholt. Es ist immer noch eines der besten BĂŒcher zu diesem Thema: Timothy Roth, The Ethics and the Economics of Minimalist Government, 2002, - also, wenn Du mal Lust hast schau rein. Aber auch das gestern zitierte Buch von Wolgang Kersting (Kritik der Gleichheit) ist empfehlenswert.
>GrĂŒĂe & Dank!
>P.S. Dein Satz:"Besser wÀre es eine Regelung zu finden, die den so definierten Kernbereich allein unter Privaten erhÀlt." findet uneingeschrÀnkten Beifall - aber wie?
âFreedom is the Freedom to say two plus two make four. If that is Granted, all else follows."
George Orwell [img][/img]
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Tarantoga
09.12.2005, 08:08
@ Popeye
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Ordnung ohne Staat |
-->Hallo Popeye
Ich bin juristisch vorbelastet und ich habe festgestellt, dass die Juristerei insbesondere in Fragen, die verfassungsmĂ€Ăige Rechte berĂŒhren, ĂŒber ein ausgezeichnetes und vielleicht auch einzigartiges Instrumentarium verfĂŒgt, um die dahinter liegenden gesellschaftlichen und vielleicht auch wirtschaftlichen Fragen sachlich und klar zu behandeln. Auch im Denken erreicht man die Spitze eben nur auf den Schultern zahlloser VorgĂ€nger. Im Bereich der Juristerei gibt es von ebendiesen einfach sehr viele. Das Ăbel an der Juristerei sind allein die Gesetze ;-).
Geht es mir um soziale Gerechtigkeit? Nunja, ich halte diesen Begriff fĂŒr zu miss- und verbraucht, als dass ich ihn vor mir her tragen möchte. Aber er spielt wohl eine Rolle. Ich denke, dass eine Gesellschaft die nicht in der Lage ist, eine gewisse soziale Gerechtigkeit herzustellen ĂŒber kurz oder lang zerbrechen muss.
Aber gehen wir das mal anders an: Was wenn es mir nur darum geht, eine Ordnung der Dinge zu entwickeln, die keines Staates und keines bewaffneten Zwangs zu ihrer Aufrechterhaltung bedarf? Meiner Ansicht nach mĂŒĂte eine solche Ordnung soziale Gerechtigkeit beinhalten, weil sie nur dann ohne Zwang akzeptiert werden kann.
>P.S. Dein Satz:"Besser wÀre es eine Regelung zu finden, die den so definierten Kernbereich allein unter Privaten erhÀlt." findet uneingeschrÀnkten Beifall - aber wie?
Das z.B. geht meiner Ansicht nach nur durch eine Relativierung des Eigentums, also einer Neuregelung. Dabei muss man aufhören in Kategorien von Enteignung und herkömmlichen ökonomischen Verteilungsgesetzen zu denken. HÀlt man daran fest, so wird ist das Problem unlösbar. Mit der Konsequenz sowohl mangelnder sozialer Gerechtigkeit, als auch schwerer Wirtschaftskrisen, als auch der Notwendigkeit eines Staates, der sowohl die Eigentumsordnung als auch soziale Mindeststandards mittels Zwang durchsetzt.
Ich hatte die Diskussion um Roth seinerzeit hier im Forum verfolgt, aber das ist inzwischen zu lange her. Ich werde versuchen Deiner Anregung nachzugehen und das nocheinmal nachzulesen. Danke fĂŒr den Hinweis!
GrĂŒĂe
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Holmes
09.12.2005, 11:46
@ Popeye
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Re: Flut, DĂ€mme und Machtmonopole |
-->>Lieber @Holmes, das klingt jetzt sehr pathetisch, soll es aber nicht: You make a difference.... und wenn Du aufhörst das zu glauben erst dann - will you never make a difference!
Lieber @Popeye,
ich bin völlig mit Dir ĂŒberein, dass mein Dasein und was ich tue oder unterlasse einen Unterschied macht. Aber ich sehe auch, dass ein Betonblock am Strand noch kein Damm gegen die Flut ist und selbst ein Damm muss lĂŒckenlos sein, damit das Wasser nicht durchkommt. Eine schwache Stelle und alles ist ĂŒberschwemmt. Das PhĂ€nomen der Macht und UnterdrĂŒckung ist die Flut. Es ist ein RiesenstĂŒck Arbeit, den Sumpf trockenzulegen und zu verhindern, dass wieder alles ĂŒberschwemmt wird. Wir arbeiten ja dran und sind auch in der Erkenntnis weiter gekommen als zuvor. Aber wir haben noch nicht einmal einen Plan fĂŒr die Trockenlegung geschweige fĂŒr den Damm. Jeder schippt gerade mit seinem Eimerchen vor der eigenen TĂŒr rum (und nicht mal das). Aber das strukturelle Problem ist noch gar nicht angegangen: wie verhindern wir die MiĂbrauchsflut (MachtmiĂbrauch, Korruption,...)?
Und ich befĂŒrchte, dass es wirklich ein GröĂenproblem ist. Mit der GröĂe der Organisation einer sozialen Einheit steigt der Hierarchisierungsgrad und damit die MachtfĂŒlle bestimmter Positionen. Wenn man die Monopol-These weiterspinnt (Monopole sind schlecht, weil ohne Konkurrenz die Preise höher und die QualitĂ€t schlechter wird), dann ist an der Spitze einer Organisation dieses Problem am gröĂten. Zynischerweise kann man jetzt mal an die SpitzengehĂ€lter von Managern denken, deren Firmen es eigentlich nicht so gut geht.
Dazu gibt es noch diverse PhĂ€nomene, die eine fatale SchwĂ€chen von Hierarchien und ihrere Mitglieder darstellen (Parkinson, Peter, Vilar). Der Vorteil solcher Organisationsformen besteht denn auch nicht (unbedingt) darin, dass sie gröĂeren Nutzen bringen, sondern dass sie mĂ€chtiger als kleinere Konkurrenten sind (Preis-Dumping, Korruption, Drohen mit ArbeitsplĂ€tzen) und damit umso schneller in eine marktbeherrschende Stellung kommen können.
GÀbe es keine Kartell- und Anti-Trust-Gesetze, wÀren wir schon lÀngst in einer neuen Form von Sklaverei angekommen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Beste GrĂŒĂe,
Holmes
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moneymind
10.12.2005, 18:26
@ Popeye
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Hi Popeye,
muĂ mich etwas kurz fassen.
Du schreibst:
Ob nun aus Unkenntnis oder anderen Motiven: das Bild, das Pipes dort zeichnet ist grotten-falsch. Die hehreren Errungenschaften der griechischen Demokratie basierten auf einer Sklavenwirtschaft. Wie anderswo in der Geschichte auch basiert die Freiheit (Autonomie) der Wenigen auf der Unfreiheit der Vielen. Und wenn es mal fĂŒr einige Jahrzehnte etwas anders aussah (Solon-Reformen), hat sich der alte Zustand schnell wieder eingependelt.
Mit der Sklavenwirtschaft hast Du natĂŒrlich recht, aber die bestreitet doch auch Pipes nicht. DaĂ er auf ökonomische Analysen gleich ganz verzichtet und von einem abstrakt aufklĂ€rerischen, liberalen Standpunkt an die Sache rangeht, auch da hast Du natĂŒrlich recht. Die Frage, wie sinnvoll eine Eigentumswirtschaft ist, stellt sich aber doch nicht nur prinzipiell, sondern auch im konkreten historischen Kontext: als Frage, ob es nicht aufs ganze gesehen fĂŒr eine ganze Reihe sogenannter EntwicklungslĂ€nder sinnvoll sein könnte, Reformen in Richtung auf eine Eigentumswirtschaft einzuleiten (einige GrĂŒnde, warum das sinnvoll sein könnte, hier).
Daà das keine"Patentlösung" darstellt, die auch alle von mir doch völlig unbestrittenen internen Probleme der Eigentumswirtschaft löst, ist geschenkt. Aber muà man immer nur prinzipiell argumentieren? (im D der Dichter und Denker anscheinend schon).
Deswegen glaube ich auch, dass Revolutionen letztendlich nichts, auĂer dem Austausch von Machtsystemen bringen werden - jedenfalls solange wir uns nicht fĂŒr âFreiheit vor Gleichheitâ entschieden haben.
Nun,"letztendlich" vielleicht schon. Aber mittelfristig fĂŒr ein heutiges Entwicklungsland vielleicht: empowerment der Armen von unten, ArbeitsplĂ€tze, ein höheres Wohlstandsniveau und sinkende Geburtenraten, vermutlich mit der Wirkung: weniger Terror (siehe GrĂŒnde-Link oben und meine Antwort an bernor zum Thema Bangladesh). DaĂ das natĂŒrlich nur temporĂ€r so sein wird und auch da die fĂŒr Eigentumswirtschaften typischen Probleme irgendwann durchschlagen werden, ist völlig klar (sieht man ja an anderen ModernisierungsnachzĂŒglern wie Japan oder SĂŒdkorea) - aber sollte man es deswegen von vorneherein bleibenlassen?
Sorry, aber mir erscheint ein solches rein prinzipiell angelegtes Denken etwas unpragmatisch und wirklichkeitsfern.
GruĂ
moneymind
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moneymind
10.12.2005, 18:37
@ dottore
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Re:"Zwang","Fremdzwang", menschliche Natur + Freiheit |
-->Hi dottore,
schönen Dank fĂŒr Deine klĂ€rende Antwort.
So, wie Du Deine Sicht der Dinge jetzt beschreibst, macht mein Argument natĂŒrlich keinen Sinn mehr.
Wenn ich Dich recht verstehe, hast Du Dich damit 1) von der Vorstellung verabschiedet, daĂ die von Dir so benannte âUrschuldâ und stammesgesellschaftliche Solidarbeziehungen zu beklagende ZwĂ€nge darstellen wĂŒrden und siehst sie als âder menschlichen Natur entsprechendâ als akzeptabel an. Nur noch Fremdzwang wĂ€re nunmehr als âder menschlichen Natur widersprechendâ kritikabel.
Und 2) verortest Du âFreiheitâ jetzt nur noch - ganz wie der Marxismus - in den"vorstaatlichen" Stammesgesellschaften; danach erblickst Du aber - quasi in einer abgewandelten Neuauflage der marxistischen Geschichtsvorstellung - nur noch Macht und UnterdrĂŒckung (Marxismus: Geschichte von KlassenkĂ€mpfen).
Allerdings mit dem Unterschied, daĂ Du im Gegensatz zum Marxismus auch fĂŒr die Zukunft schwarz siehst: wĂ€hrend Marx sich da eine Renaissance der âUrgesellschaftâ auf âhöherem Niveauâ vorstellte, siehst Du nach dem âZerfallsprozess der Machtâ, die durch eine immer weitere Zession ihrer Macht diese immer weiter einschrĂ€nkt, die eine hobbessche Anarchie eines Kampfes eines jeden gegen einen jeden, und irgendwann dann vielleicht einmal eine RĂŒckkehr zu einer Subsistenzwirtschaft (mit der âmenschlichen Naturâ entsprechender Freiheit).
Ich sehe immer mehr Parallelen zum Marxismus.
Erlaube mir doch die Frage: wenn Du von all diesen gesellschaftlichen Existenzformen die der stammesgesellschaftlichen Subsistenzwirtschaft als die der menschlichen Natur am ehesten gerecht werdende ansiehst... warum ziehst Du dann schon seit Jahrzehnten ein Leben in unseren Breiten vor und lebst nicht als Trapper in Alaska, unter Eskimos in der Arktis oder unter Aborigines im australischen Busch?
GruĂ
moneymind
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moneymind
10.12.2005, 18:46
@ Holmes
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Re: Flut, DĂ€mme und Machtmonopole |
-->Hi Holmes,
auf popeyes Ratschlag,
You make a difference.... und wenn Du aufhörst das zu glauben erst dann - will you never make a difference!
antwortest Du:
ich bin völlig mit Dir ĂŒberein, dass mein Dasein und was ich tue oder unterlasse einen Unterschied macht. Aber ich sehe auch, dass ein Betonblock am Strand noch kein Damm gegen die Flut ist und selbst ein Damm muss lĂŒckenlos sein, damit das Wasser nicht durchkommt. Eine schwache Stelle und alles ist ĂŒberschwemmt. Das PhĂ€nomen der Macht und UnterdrĂŒckung ist die Flut..."
Du verwendest fĂŒr Deine Beschreibung des MachtphĂ€nomens hier eine Flutmetapher, die ein GefĂŒhl von Ohnmacht und HandlungsunfĂ€higkeit zum Ausdruck bringt.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, daà man das so sehen kann und daà eine solche Sicht nach lÀngerer BeschÀftigung mit der Machttheorie realistisch und zwingend erscheint - und daà da dann eine Tendenz zu Resignation, Demoralisierung und Zynismus sehr naheliegt. Ging mir selber bei meiner BeschÀftigung damit ganz Àhnlich.
Ich möchte mich aber popeye anschlieĂen: wenn Du aufhörst, zu glauben, daĂ sich irgendetwas bedeutendes Ă€ndern lĂ€Ăt, wirst auch Du in der Sackgasse des Untergangsfetischismus landen, in der schon viele debitisten und Machttheoretiker herumlungern. Ich finde, es wĂ€re schade um einen hellen Kopf wie dich - und hielte es fĂŒr eine unnötige Verschwendung von intellektuellen FĂ€higkeiten und denkerischer Energie.
Ich möchte dich deswegen zusÀtzlich zu dem was, popeye geschrieben hat, an etwas sehr einfaches erinnern: auch Machttheorie und debitismus sind - genauso wie Deine Flutmetapher von oben - nicht Beschreibungen, sondern Modelle der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Modelle unterscheiden sich von der Wirklichkeit in Ă€hnlicher Weise wie eine Landkarte sich von dem Territorium unterscheidet, das sie modellhaft abbildet. Die meisten Aspekte des Territoriums sind in der Landkarte ĂŒberhaupt nicht verzeichnet, sie sind einfach ausgelassen worden. Andere Aspekte werden verzerrt dargestellt - beispielsweise wird die GröĂe des Gebiets in der Landkarte nicht 1:1 wiedergegeben, sondern verzerrt - allerdings proportional verzerrt, daher entsteht eine sinnvolle Ăhnlichkeitsrelation zwischen Wirklichkeit und Karte/Modell.
Und Modelle werden von Menschen gemacht, indem diese Menschen Begriffsentscheidungen treffen - d.h. sich entscheiden, auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit zu schauen und dafĂŒr andere zu ignorieren. Und zwar, um damit bestimmte (nicht notwendigerweise bewuĂte) Ziele zu erreichen.
Da nun Machttheorie und debitismus sich dafĂŒr entscheiden, die von Dir beklagten PhĂ€nomene als ebenso unausweichlich zu beschreiben wie die von Dir oben beschriebene"Flut" und alle Menschen als ebenso ohnmĂ€chtig und handlungsunfĂ€hig wie den von Dir oben beschriebenen Betonblock, lassen sie zwangslĂ€ufig jeglichen Versuch einer Gegenstrategie als hoffnungslos naiv erscheinen und fĂŒhren letztlich in eine existentialistische bis nihilistische Haltung der Hoffnungslosigkeit hinein: ist es nicht ironisch, daĂ daraus eine Machttheorie resultiert, die vollkommene Machtlosigkeit suggeriert?
Schau Dir nur das posting von bernor zum Grameen-Projekt in Bangladesh an, und meine Antwort darauf. Siehst Du nicht, wie er sogar ganz offensichtliche theoretische Inkonsequenz in Kauf nimmt, um seine allgemeine Untergangstheorie aufrechterhalten zu können?
Ich meine zu beobachten, daĂ die generelle Haltung vieler Debitisten so aussieht --- und daĂ sie sich damit behelfen,"Theorie als Selbstzweck" zu betreiben, sich also ĂŒber diverse BĂŒcher in der Vergangenheit in vermeintlich allerwichtigste Forschungen zu vergraben und in der Zukunft lediglich UntergĂ€nge, Ăberflutungen und Ă€hnliches erblicken, aber kein auf ein sinnvolles Ziel gerichtetes konstruktives Handeln mehr. Das einzige konstruktive Ziel, ihnen dabei bleibt, ist die Konstruktion einer immer wasserdichteren Theorie des ânotwendigen Untergangsâ.
Und ich wiederhole nochmal, diese Hoffnungslosigkeit ist eine Folge bestimmter Begriffsentscheidungen und eines bestimmten Blickwinkels, der auf bestimmten Zielen (und einem Verzicht auf andere Ziele) und auf der Ausblendung ganzer Wirklichkeitsbereiche beruht: nĂ€mlich all jener Bereiche, in denen es sehr wohl Möglichkeiten zu erfolgreichem konstruktivem Handeln gibt. DaĂ die Theoriekonstrukteure ihr Modell als"die Wirklichkeit" oder als"das bessere Modell der Wirklichkeit" hinstellen und"nĂŒchterne Analyse" als ihr einziges Ziel angeben oder benennen können, Ă€ndert nichts daran, daĂ dieses Modell so angelegt und konstruiert ist, daĂ es in HandlungsunfĂ€hgkeit und Ohnmacht hineinfĂŒhrt: eine Ideologie des Untergangs.
Ganz unabhĂ€ngig davon, wie realistisch dieses Modell wirklich ist: in jedem Fall stĂŒtzt dieses Modell wohl die von dottore als"wider die menschliche Natur" beklagte Macht mehr als daĂ sie ihr entgegenwirken wĂŒrde, da es die Suche nach FreirĂ€umen, in denen konstruktives Handeln sehr wohl möglich wĂ€re, gar nicht mehr zulĂ€Ăt (von Alternativen gar nicht zu reden).
Und, mal Hand aufs Herz: ist nicht die Einsicht, daĂ auch Gesellschaftsformen in Analogie zu Einzelorganismen vermutlich irgendwann mal das zeitliche segnen werden, nicht letztlich trivial, und ist es nicht unsinnig, sich nur deswegen, weil man sowieso irgendwann sterben muĂ, sich jeden Tag seines Lebens mit dem Tod zu beschĂ€ftigen? Und machen nicht diverse Machttheoretiker im Prinzip so etwas Ă€hnliches?
Mein Eindruck ist aber manchmal schon, daĂ sich hinter dieser Resignation in manchen FĂ€llen doch auch eine recht bequeme Haltung verbirgt, die sich selbst darin gefĂ€llt, nur noch den Untergang zu analysieren, die Suche nach MöglichkeitsrĂ€umen fĂŒr konstruktives Handeln aber dafĂŒr völlig zu vernachlĂ€ssigen. Ich finde eine solche Haltung schlicht inakzeptabel.
Es bleibt natĂŒrlich jedem selbst ĂŒberlassen, ob er sich in die daraus resultierende Haltung einer (nicht immer zugegebenen, aber meist deutlich durchklingenden) Resignation hineinhypnotisieren lassen will oder nicht.
Machttheorie und debitismus erklĂ€ren sicherlich eine ganze Reihe wirtschaftlicher PhĂ€nomene einfacher, eleganter und schlĂŒssiger als bisher dominierende Wi-Theorien. Das Problem ist der damit verbundene Untergangsfetischismus, bei dem ich mich manchmal frage, ob er vielleicht nicht allein auf Ergebnissen der theoretischen Analyse beruht, sondern möglicherweise auch auf ungenannten (und vielleicht auch unbewuĂten) vortheoretischen Annahmen und Erkenntniszielen, die die Wahrnehmung wĂ€hrend des Theoriebildungsprozess selektiv steuern und dann zu solchen scheinbar zwangslĂ€ufigen Ergebnissen fĂŒhren.
Ich finde es sogar unverantwortlich, eine solche Sicht der Dinge weiterzuverbreiten, ohne Alternativen und Handlungsstrategien mitzuliefern. Denn man verbreitet so lediglich Hoffnungslosigkeit, und die ist nicht nur psychisch, sondern auch physisch Ă€uĂerst ungesund. Man schadet damit meiner Meinung nach nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen.
Was wir dagegen brauchen wĂŒrden, das wĂ€re eine konstruktive Wende der Machttheorie und des debitismus, die - ohne hinter analytische Einsichten zurĂŒckzufallen - eine zukunftszugewandte und trotz allem optimistische Haltung beinhaltet und so die analytischen Einsichten als Orientierung fĂŒr prĂ€zises zielgerichtetes Handeln nutzen kann, statt die"Theorie-JĂŒnger" zu machtlosen Zuschauern und zynischen Untergangskommentatoren zu erziehen.
Wie genau das gehen könnte, ist sicher zunĂ€chst mal eine offene Frage. Aber solange das Ziel nicht formuliert ist, kann man nicht darauf hinarbeiten; und dann dĂŒrfte es auch weiterhin beim gehabten Untergangsfetischismus + (wegen der Ăberzeugung von der eigenen Machtlosigkeit) passiver Zuschauerhaltung bleiben, die eben nicht das zwangslĂ€ufige Ergebnis der Wirklichkeit, sondern das zwangslĂ€ufige Ergebnis eines auf bestimmte Weise strukturierten Modells dieser Wirklichkeit sind.
Andere, die das wohl in mancher Hinsicht Ă€hnlich gesehen haben wie ich, wie Gundel oder silvereagle haben sich offensichtlich weitgehend aus dem Forum zurĂŒckgezogen.
DaĂ in diesem Forum die FĂ€higkeiten zu einer âkonstruktiven Wende von Machttheorie und debitismusâ vorhanden wĂ€ren, glaube ich durchaus. Der Wille aber scheint zu fehlen - hier wirken offensichtlich hartnĂ€ckige Glaubenssysteme.
Ich werde mich damit aus dieser Diskussion jetzt wieder zurĂŒckziehen. Ich habe wenig Zeit, und meine beruflichen und familiĂ€ren Verpflichtungen haben einfach PrioritĂ€t. Ich kann es mir nicht leisten, Zeit und Energie in eine Diskussion zu investieren, bei der am Ende fast jedes threads nichts anderes herauskommt als Vorstellungen vom Machtlosigkeit (wie deine Flutmetapher von oben) und letztendliches Nichtstun - bzw. SelbstbeschrĂ€nkungen der Diskussionsteilnehmer auf die stĂ€ndige BestĂ€tigung und Untermauerung der Untergangsthese. Ich werde mir wohl DiskussionszusammenhĂ€nge suchen mĂŒssen, deren Teilnehmer noch Bereitschaft zu konstruktivem und positiv zukunftsorientiertem Denken mitbringen und entsprechende Anstrengungen unternehmen.
GruĂ
moneymind
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Popeye
11.12.2005, 13:08
@ moneymind
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Sorry, aber mir erscheint ein solches rein prinzipiell angelegtes Denken etwas unpragmatisch und wirklichkeitsfern.
Hallo, @mm,
prinzipiell richtig. Praktisches Handeln zÀhlt; aber auch konzeptloses?
âEmpowerment von untenâ ist sehr erfolgreich - aber ohne rechtsstaatliches Konzept und Fundament - sinnlos. Beispiel:
In meiner beruflichen TĂ€tigkeit war ich (vor wenigen Jahren) mit der Betreuung und Finanzierung eines Micro-Credit-Projektes (was ist ein Mikrokredit) in einem europĂ€ischen Entwicklungsland befasst. Operativ zunĂ€chst sehr erfolgreich. Als die regionale âMafiaâ Wind davon bekam und begriff wie es funktionierte, begann sie bei den Kreditnehmern abzukassieren (Schutzgeld). Da rechtsstaatlicher Schutz oder privater Schutz nicht zu organisieren war, brach das Micro-Credit-Projekt zusammen.
Deine rhetorische Frage: âAber muĂ man immer nur prinzipiell argumentieren?â , ist deshalb falsch gestellt. Es gibt vielmehr Prinzipien ohne die eine EigentĂŒmergesellschaft nicht entstehen kann. Und solange diese Prinzipien keine permanente GĂŒltigkeit erlangt haben ist jedes âRumfummeln an der Basisâ via empowerment-programs sinnlos. Unsere Entwicklungshilfepolitik hat dieses Problem viel zu spĂ€t erkannt. Rechtstaatlich gesicherte Freiheit (Deine Privatautonomie) ist nicht irgendeine abstrakte Sprechblase, die irgendwo in einem Gesetz steht, sondern sie ist das praktische Prinzip und das praktische Fundament jeder EigentĂŒmergesellschaft.
Deine Frage âob es nicht aufs ganze gesehen fĂŒr eine ganze Reihe so genannter EntwicklungslĂ€nder sinnvoll sein könnte, Reformen in Richtung auf eine Eigentumswirtschaft einzuleitenâŠâ kann ich (fĂŒr mich) mit einem klaren Nein beantworten, wenn Rechtstaatlichkeit nicht gewĂ€hrleistet ist. Diese Art von Programmen und Reformen sind verschwendete MĂŒhe, die letztlich nur bestehende MachtverhĂ€ltnisse zementieren helfen. Unter dem völkerrechtlichen Schutz des Prinzips der âNichteinmischung in Innere Angelegenheitenâ haben es die korrupten Machthaber vieler EntwicklungslĂ€nder immer wieder verstanden Entwicklungshilfegelder von Gutmenschen locker zu machen - zur âVerbesserung der LebensqualitĂ€t der Bevölkerungâ zum âAusgleich kolonialer Ungerechtigkeitâ - mit welchem Effekt?
Rechstaatliche Freiheit ist nicht so ein Ding von dem"ein bisschen" genĂŒgt, um eine EigentĂŒmergesellschaft funktionieren zu lassen. Ganz im Gegenteil und ganz pragmatisch: Niemand will es sehen und niemand lamentiert laut: Die EinschrĂ€nkungen der rechtstaatlichen Freiheiten im Gefolge von 9/11 in praktisch allen zivilisierten LĂ€ndern sind - in den âfalschen HĂ€ndenâ - hinreichend, um aus jeder dieser Demokratien einen Polizeistaat zu machen. Leider stellt sich das immer es zu spĂ€t heraus, welche HĂ€nde ârichtigâ und welche HĂ€nde âfalschâ waren. Deshalb kann man in Sachen ârechtsstaatlicher Freiheitâ gar nicht prinzipiell genug denken.
Richtig praktizierte"rechtstaatliche Freiheit" ist auch die einzige und letzte physische Barriere gegen den MachtmiĂbrauch des Staates selbst. Wenn alle aufstehen und sich zur Wehr setzen (aktiv oder passiv) endet nĂ€mlich auch @dottores Machttheorie sehr schnell.
Grau ist nicht alle Theorie!
GrĂŒĂe
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Holmes
11.12.2005, 20:30
@ moneymind
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Re: Flut, DĂ€mme und Machtmonopole und konstruktive Machttheorie |
-->Lieber moneymind,
vielen Dank fĂŒr das exzellente Posting. Du hast da einige Dinge sehr grĂŒndlich und treffend analysiert, alle Achtung!
Ich bin eigentlich noch recht neu im Thema, wenn ich mich auch in fanatischer Weise eingelesen habe. Es begann ungefÀhr vor zwei Jahren, als ich mich angesichts sinkender Mittel in der Forschung fragte: Wo ist das Geld?
Davor war ich (wegen fehlender wirtschaftlicher Ausbildung und Interesse) recht naiv in Bezug auf das Finanzgeschehen und hatte keine Ahnung von Zentralbanken, GZ und Debitismus. Es begann eine abenteurliche Odysee, die mit dem Buch"Wie Reichtum Armut schafft" (Karl G. Zinn) und"Eine Billion Dollar" (Eschenbach) begann, ĂŒber Freigeld und Debitismus fĂŒhrte und noch lĂ€ngst nicht zu Ende ist.
NatĂŒrlich ist mein Ziel die Beantwortung der Frage:"Wie kann man es besser machen?" und ich wĂŒsste gerne eine Antwort.
Ich arbeite in einem technischen Umfeld und da ist man gewohnt, Systeme zunĂ€chst zu analysieren und ihre Funktionsweise zu verstehen, bevor man daran"herumfummelt". Bevor man ein System verĂ€ndert, sollte man es verstanden haben, sonst ist die Fehlerwahrscheinlichkeit sehr hoch. Beim einer Maschine ist das vielleicht nur ein wenig teuer, bei einem Sozialsystem können die Folgen fĂŒrchterlich sein.
Ok, also analysieren wir und schauen, wo der Fehler steckt. Nun, die bisherige Analyse (Machttheorie) zeigt, dass das System seinen Zweck (Machterhalt fĂŒr die Herrschenden) perfekt erfĂŒllt. Es gibt keinen Fehler, sondern nur unerwĂŒnschte Nebenwirkungen. Und es bricht nach gewisser Zeit zusammen, nun denn, nichts ist fĂŒr die Ewigkeit...
Du hast recht, dass einen diese Einsicht etwas zynisch und untergangsbezogen macht. Sicher dauert dieser Zustand auch nicht ewig an:-) Der Mensch ist sicher auch ein hoffnungsgetriebendes Wesen und die Einsicht, dass eigentlich alles keinen Sinn hat, kann man auch nicht lange ertragen. Vielleicht ist ein Weg dazu, eben die Sache mit Humor zu nehmen und die Machtstrukturn zu verhöhnen. Ihr Glaube an die Unzerstörbarkeit ist ebenso falsch wie ihre Behauptung, unbedingt notwendig zu sein.
Eine weitere Möglichkeit ist die Konzentration auf das lokale Geschehen."Liebe Deinen NĂ€chsten" ist sicher ein Weg, um mit den Menschen, die in erster Linie wichtig sind, klarzukommen und ein angenehmes Leben zu fĂŒhren.
Die Tendenz, die Dinge im Grossen anzugehen und das"Grundproblem" zu lösen, ist nach meinem GefĂŒhl gescheitert. Alle Urvölker sind von den Machtstrukturen der Alten und Neuen Welt zermalmt worden, es war kein fairer Kampf. Eine offene Konfrontation ist aussichtsslos (obwohl RĂŒdiger Nehberg fĂŒr die Yanomami-Indianer tatsĂ€chlich was erreichen konnte). Wie aber dann? Welche andere Form könnte entwickelt werden und wie verhindert man, dass sie vom Staatssystem ĂŒbernommen wird?
Vielleicht hilft ein Blick in die Science Fiction-Literatur, was dort an alternativen Gemeinschaftssystemen angedacht wird. Habe ich bisher wenig Erfahrung, denke aber, dass es spannend sein könnte.
Ich wĂŒrde mich freuen, wenn wir auch ĂŒber konstruktive Machttheorie nachdenken könnten, wer weiss, was dabei rauskommt? Ich denke nicht, dass man ganz machtlos ist, aber dass die bisherigen Strukturen extrem mĂ€chtig sind und die Transformation keine leichte Sache wird. Wie gesagt, ein einzelner Block macht nicht viel aus, sondern es muss ein guter Plan her. Hast Du Ideen dafĂŒr?
Beste GrĂŒsse,
Holmes
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CRASH_GURU
12.12.2005, 08:40
@ Popeye
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->>Sorry, aber mir erscheint ein solches rein prinzipiell angelegtes Denken etwas unpragmatisch und wirklichkeitsfern.
>Hallo, @mm,
>prinzipiell richtig. Praktisches Handeln zÀhlt; aber auch konzeptloses?
>âEmpowerment von untenâ ist sehr erfolgreich - aber ohne rechtsstaatliches Konzept und Fundament - sinnlos. Beispiel:
>In meiner beruflichen TĂ€tigkeit war ich (vor wenigen Jahren) mit der Betreuung und Finanzierung eines Micro-Credit-Projektes (was ist ein Mikrokredit) in einem europĂ€ischen Entwicklungsland befasst. Operativ zunĂ€chst sehr erfolgreich. Als die regionale âMafiaâ Wind davon bekam und begriff wie es funktionierte, begann sie bei den Kreditnehmern abzukassieren (Schutzgeld). Da rechtsstaatlicher Schutz oder privater Schutz nicht zu organisieren war, brach das Micro-Credit-Projekt zusammen.
>Deine rhetorische Frage: âAber muĂ man immer nur prinzipiell argumentieren?â , ist deshalb falsch gestellt. Es gibt vielmehr Prinzipien ohne die eine EigentĂŒmergesellschaft nicht entstehen kann. Und solange diese Prinzipien keine permanente GĂŒltigkeit erlangt haben ist jedes âRumfummeln an der Basisâ via empowerment-programs sinnlos. Unsere Entwicklungshilfepolitik hat dieses Problem viel zu spĂ€t erkannt. Rechtstaatlich gesicherte Freiheit (Deine Privatautonomie) ist nicht irgendeine abstrakte Sprechblase, die irgendwo in einem Gesetz steht, sondern sie ist das praktische Prinzip und das praktische Fundament jeder EigentĂŒmergesellschaft.
>Deine Frage âob es nicht aufs ganze gesehen fĂŒr eine ganze Reihe so genannter EntwicklungslĂ€nder sinnvoll sein könnte, Reformen in Richtung auf eine Eigentumswirtschaft einzuleitenâŠâ kann ich (fĂŒr mich) mit einem klaren Nein beantworten, wenn Rechtstaatlichkeit nicht gewĂ€hrleistet ist. Diese Art von Programmen und Reformen sind verschwendete MĂŒhe, die letztlich nur bestehende MachtverhĂ€ltnisse zementieren helfen. Unter dem völkerrechtlichen Schutz des Prinzips der âNichteinmischung in Innere Angelegenheitenâ haben es die korrupten Machthaber vieler EntwicklungslĂ€nder immer wieder verstanden Entwicklungshilfegelder von Gutmenschen locker zu machen - zur âVerbesserung der LebensqualitĂ€t der Bevölkerungâ zum âAusgleich kolonialer Ungerechtigkeitâ - mit welchem Effekt?
>Rechstaatliche Freiheit ist nicht so ein Ding von dem"ein bisschen" genĂŒgt, um eine EigentĂŒmergesellschaft funktionieren zu lassen. Ganz im Gegenteil und ganz pragmatisch: Niemand will es sehen und niemand lamentiert laut: Die EinschrĂ€nkungen der rechtstaatlichen Freiheiten im Gefolge von 9/11 in praktisch allen zivilisierten LĂ€ndern sind - in den âfalschen HĂ€ndenâ - hinreichend, um aus jeder dieser Demokratien einen Polizeistaat zu machen. Leider stellt sich das immer es zu spĂ€t heraus, welche HĂ€nde ârichtigâ und welche HĂ€nde âfalschâ waren. Deshalb kann man in Sachen ârechtsstaatlicher Freiheitâ gar nicht prinzipiell genug denken.
>Richtig praktizierte"rechtstaatliche Freiheit" ist auch die einzige und letzte physische Barriere gegen den MachtmiĂbrauch des Staates selbst. Wenn alle aufstehen und sich zur Wehr setzen (aktiv oder passiv) endet nĂ€mlich auch @dottores Machttheorie sehr schnell.
>Grau ist nicht alle Theorie!
>GrĂŒĂe
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moneymind
12.12.2005, 12:16
@ CRASH_GURU
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Re: Privatautonomie = ChimÀre? |
-->Thread geht hier weiter:
<ul> ~ Entwicklung und Rechtsstaat</ul>
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fridolin
13.12.2005, 20:02
@ moneymind
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Nachbemerkung |
-->Mein Eindruck ist aber manchmal schon, daĂ sich hinter dieser Resignation in manchen FĂ€llen doch auch eine recht bequeme Haltung verbirgt, die sich selbst darin gefĂ€llt, nur noch den Untergang zu analysieren, die Suche nach MöglichkeitsrĂ€umen fĂŒr konstruktives Handeln aber dafĂŒr völlig zu vernachlĂ€ssigen. Ich finde eine solche Haltung schlicht inakzeptabel.
>Es bleibt natĂŒrlich jedem selbst ĂŒberlassen, ob er sich in die daraus resultierende Haltung einer (nicht immer zugegebenen, aber meist deutlich durchklingenden) Resignation hineinhypnotisieren lassen will oder nicht.
>Machttheorie und debitismus erklĂ€ren sicherlich eine ganze Reihe wirtschaftlicher PhĂ€nomene einfacher, eleganter und schlĂŒssiger als bisher dominierende Wi-Theorien. Das Problem ist der damit verbundene Untergangsfetischismus, bei dem ich mich manchmal frage, ob er vielleicht nicht allein auf Ergebnissen der theoretischen Analyse beruht, sondern möglicherweise auch auf ungenannten (und vielleicht auch unbewuĂten) vortheoretischen Annahmen und Erkenntniszielen, die die Wahrnehmung wĂ€hrend des Theoriebildungsprozess selektiv steuern und dann zu solchen scheinbar zwangslĂ€ufigen Ergebnissen fĂŒhren.
>Ich finde es sogar unverantwortlich, eine solche Sicht der Dinge weiterzuverbreiten, ohne Alternativen und Handlungsstrategien mitzuliefern. Denn man verbreitet so lediglich Hoffnungslosigkeit, und die ist nicht nur psychisch, sondern auch physisch Ă€uĂerst ungesund. Man schadet damit meiner Meinung nach nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen.
>Was wir dagegen brauchen wĂŒrden, das wĂ€re eine konstruktive Wende der Machttheorie und des debitismus, die - ohne hinter analytische Einsichten zurĂŒckzufallen - eine zukunftszugewandte und trotz allem optimistische Haltung beinhaltet und so die analytischen Einsichten als Orientierung fĂŒr prĂ€zises zielgerichtetes Handeln nutzen kann, statt die"Theorie-JĂŒnger" zu machtlosen Zuschauern und zynischen Untergangskommentatoren zu erziehen.
<font color=#0000FF>Leider komme ich erst jetzt auf diesen Thread. Es sei mir nachgesehen, wenn ich hier noch eine Bemerkung anfĂŒge.
Die ganze Diskussion um die debitistische Theorienbildung erinnert mich manchmal an die Fabel von den drei Fröschen:
Drei Frösche hĂŒpften fröhlich durch die Landschaft. In einem Moment der Unaufmerksamkeit plumpsten sie in eine teilweise mit Milch gefĂŒllte Kanne. Da die WĂ€nde so hoch waren, konnten sie nicht mehr herausspringen und drohten ĂŒber kurz oder lang zu ertrinken.
Der erste Frosch sagte sich:"Ach, das wird schon irgendwie gutgehen, wie in der Vergangenheit auch immer", tat nicht weiter, und ertrank.
Der zweite Frosch sagte sich:"Die Lage ist hoffnungslos, da kann man sowieso nichts mehr machen", tat ebenfalls nichts, und ertrank auch.
Der dritte Frosch dachte nicht lange nach, sondern strampelte heftig mit den Beinen, um irgendwie herauszukommen. Nach einiger Zeit hatte sich die Milch dadurch erst in Sahne und dann in feste Butter verwandelt. Der Frosch sprang heraus und war gerettet.
Vielleicht können wir ja daraus was lernen.
Schöne GrĂŒĂe.
</font>
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Dimi
19.12.2005, 10:48
@ dottore
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Re:"Soziale Regeln" vs. Blankwaffenregelungen |
-->Hallo Dottore,
>>>>Bei Silber und Gold versagt die ethnographische Vorgehensweise mangels Zeitreisen.
>>>Da beides nicht vergeht - wozu Zeitreisen? Wo finden sich Gold und Silber bei irgendeinem Stamm in situ?
>>Eben deshalb benötigte man Zeitreisen.
>Wie bitte? Dann sind sÀmtliche AusgrÀber auf Zeitreise und demnach gar nicht sichtbar? Scherz lass' nach.
AusgrÀber betreiben keine Ethnograhie. -"Liebes Skelett, sag' mir mal Deinen Namen!" ;-) -
>>Mein Satz bezog sich auf Popeyes"Es ist eben nicht vornehmlich Gold oder Edelmetall, dass ethnographisch als dominantes Tausch-Medium in Erscheinung tritt."
>Schon klar. Warum finden wir ein ethnographisch dominantes Tausch-Medium Gold und Silber nicht? Warum tritt es in Herrschafts-, Feudal- und Abgabensystemen dagegen so massiert auf? Und das"oben" (Praekolumbianer ĂŒber Ashanti und Indien bis China) und nicht als Tausch-Medium von Hinz & Kunz im Stamm?
Silber beispielsweise wird nicht nur"oben" getauscht (etwa Birma).
FĂŒr Alltagstransaktionen ist es ansonsten zu wertvoll.
Weshalb in manchen Gebieten kein OberflĂ€chensilber von den dortigen Bewohnern gefunden wurde, ist mir nicht bekannt. Ich weiĂ z.B. auf Papua von Muscheln, ZĂ€hnen, Feuersteinen und dergleichen. Mit geografischen oder kulturellen Besonderheiten wird eine Geldentstehungstheorie freilich umgehen mĂŒssen.
>>In vielen Kulturen ist es ĂŒblich, erst zu geben ("schenken").
>Fraglos, siehe das Posting"ReziprozitĂ€t vs. Abgaben" dazu. Frage: Warum haben es diese Gabe-Kulturen nicht geschafft, die Abgabe-Kulturen zu ĂŒberrunden, warum lief es umgekehrt? Das allein ist die Frage um die es geht.
Die Gabe hat den Nachteil des Angewiesenseins auf die Gegengabe. Bei gröĂeren Gesellschaften etwa kommt es leicht zum Streit. Aus negativen Erfahrungen lernt man schnell. Der unmittelbare Tausch löst das Problem.
...
>Mal sind die Belege halt so, mal anders.
FĂŒr das Vorhandensein von Macht gibt es genĂŒgend Belege.
Wirklich reizvoll ist freilich die These, daĂ man Allmacht nur bekommt, wenn man alle Macht abgibt. Aber das betrifft andere Ebenen.
GruĂ, Dimi
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