-->Schauplatz Libanon
Bombenkrater statt Druckmaschinen
In Südbeirut hat der Krieg auch eine Verlagslandschaft zerstört
Im Süden Beiruts befand sich nicht nur eine Hochburg des Hizbullah, sondern auch eine Vielfalt schiitischer Verlage. Die Bombardements während des Krieges im Sommer 2006 haben zahlreiche dieser Unternehmen vernichtet, so dass manche dahinter eine gezielte Kampagne vermuten.
Wenn man in Südbeirut von der Hadi-Nasrallah- Strasse in die Raghib-Harb-Strasse einbog, konnte man mit etwas Glück den Buchverlag Dar al-Mahajja al-Baida entdecken. Aus einem unscheinbaren Eingangsraum führte eine steile Treppe in den eigentlichen Verkaufsraum. Dort standen dicht an dicht gereiht Dutzende Regale, bis zur Decke gefüllt mit rund 350 000 Büchern. Neben den 800 selbst edierten hatte der Verlag 70 000 verschiedene Titel im Sortiment, die sein Besitzer, Hajj Ahmad al-Khurasa, über Jahre hinweg durch Tausch und Kauf auf arabischen Buchmessen zusammengetragen hatte. Hajj Ahmad besass das vielfältigste Buchsortiment der Gegend, und sein Geschäft war ein Insidertipp auch für westliche Islamwissenschafter.
Im selben Stockwerk lag das Presse- und Informationsbüro des Hizbullah, in dem sich gewöhnlich westliche Journalisten die Klinke in die Hand gaben. Im Sommer 2006 bombardierte die israelische Luftwaffe das mehrstöckige Gebäude und zerstörte es bis in die Grundfesten. Von den Büchern blieb nichts übrig. Auch der Lagerraum des Verlags im Kellergeschoss eines anderen Gebäudes (das keine Hizbullah-Einrichtung beherbergte) wurde bombardiert, und mehr als eineinhalb Millionen Bände verbrannten. Hajj Ahmad glaubt daher, dass sein und die vielen anderen zerstörten schiitischen Verlage ein beabsichtigtes Ziel der israelischen Angriffe gewesen seien. Denn die Bücher prägten das religiöse Bewusstsein, das die Stärke und Unbesiegbarkeit der «Partei Gottes» ausmache.
Ein Zentrum des Verlagswesens
Harat Hraik gilt als Hochburg des Hizbullah. In diesem Viertel lagen die politische Schaltzentrale, die meisten Büros und zivilen Einrichtungen der Organisation, viele in auch von anderen Einwohnern genutzten Wohn- und Geschäftshäusern. Insgesamt wurden hier 260 mehrstöckige Häuserblocks mit 5500 Wohneinheiten völlig zerstört, weitere 17 000 Wohnungen partiell.
Harat Hraik war aber auch das Zentrum schiitischer religiöser Verlage. Rund dreissig von ihnen wurden schwer getroffen oder komplett zerstört. Der Schaden allein in diesem Wirtschaftssegment beträgt 30-50 Millionen Dollar. Die enormen Zerstörungen des 33-tägigen Kriegs überstiegen hier alle Erfahrungen von sechzehn Jahren Bürgerkrieg, in dem kein einziger Buchverlag zerstört worden war.
Libanon hat die weltweit höchste Dichte an Verlagen, insgesamt 650 Stück, darunter rein kommerzielle und politisch radikale, säkulare und religiöse, christliche und islamische Verlage. Das Land bietet mit seiner politischen und ökonomischen Freizügigkeit und technologischen Modernität einen idealen Standort für Printmedien. In den preisgünstigeren südlichen Vororten Beiruts, der Dahiya, engagierten sich vorwiegend religiöse Schiiten im Verlagswesen. Hier hatte sich aus Landmigranten und Kriegsflüchtlingen eine zunehmend homogene schiitische Bevölkerung herangebildet. Der aus Iran kommende Geistliche Imam Musa as-Sadr mobilisierte hier in den 1960er Jahren das «schiitische Erwachen» der sozioökonomisch unterprivilegierten Migranten. Durch die «Islamische Revolution» in Iran von 1979 gewannen die zuvor politisch und sozial marginalisierten libanesischen Schiiten zusätzlich an Selbstbewusstsein und präsentierten ihre spezifischen religiösen Lehren nun offensiver.
In den 1980er Jahren trat der Hizbullah auf, dessen Ideologie grossen Wert auf eine islamische Bildung legte, die über eine blosse Imitation des Überlieferten hinausging. Als Widerstandsbewegung gegen die israelische Invasion von 1982 gegründet, kämpfte er gegen die israelische Okkupation des Südens. Er bestimmte zunehmend das soziale Leben und das religiös-kulturelle Klima in der Dahiya. Den Prozess der religiösen Neudefinition und gemeinschaftlichen Selbstfindung beförderten die Verlage, indem sie die dazugehörigen Bücher publizierten. Neben religiösen Quellentexten und Schulbüchern waren dies islamistische Traktate zu zeitgenössischen Fragen, von Kindererziehung, Ehe und Gesundheit bis hin zu islamischen Vorstellungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Das Spektrum dieser schiitisch-islamistischen Verlage war durchaus heterogen. Neben einigen dem Hizbullah und der iranischen Staatstheologie nahestehenden existierten viele heterodoxe und unabhängige Unternehmen. Sie publizierten Bücher, die im Irak, in Saudiarabien, Bahrain und anderen arabischen Staaten teilweise verboten waren. Viele arabische Schiiten kamen als politische Flüchtlinge nach Beirut. Oppositionelle Bewegungen unterhielten hier ihre Büros und druckten Bücher, die sie unter Exilanten verteilten und in ihre Heimatländer schmuggelten.
Dieser Mikrokosmos schiitischer Verlage wurde im Krieg vom vergangenen Sommer schwer getroffen. Mit Vakuumbomben wurden viele der meist achtstöckigen Wohn- und Geschäftshäuser bis in die Kellergeschosse hinab zertrümmert. In einigen befanden sich Einrichtungen des Hizbullah, aber die meisten hatten keinerlei militärische Bedeutung für die Partei.
Der Verleger Muhammad Fuladkar steht vor einem Krater, der bis ins dritte Kellergeschoss hinabreicht. Dort liegen die Reste von ehemals sechzehn Druckmaschinen deutschen Fabrikats - zerstört wie der gesamte Fuhrpark, Büros, Bindemaschinen, Druckfolien, Computer und 5 Millionen Bücher. «Jeder, der in Libanon lebt, muss einen Preis bezahlen für den Widerstand. Mein Verlag, Dar Ihya' at-Turath, bezahlte seinen Preis mit der Zerstörung.» Auf 12-15 Millionen Dollar schätzt er den Schaden. Von ehemals 70 Mitarbeitern kann er nur noch 5 bezahlen, die bei den Aufräumarbeiten helfen. Obwohl er mehr verdienen würde, wenn er sein Kapital auf der Bank Zinsen tragen liesse, steckt er es in den Wiederaufbau seines Verlages.
Es traf aber nicht nur schiitische Verlage, auch zwei sunnitische wurden zerstört, das Dar Ibn Hazm und Mu'assasat ar-Risala. Selbst das Deutsche Orientinstitut Beirut hat seinen Bestand an älteren noch lieferbaren Büchern verloren, da das Lager seines Händlers ausbrannte.
Schlag gegen die Kultur?
Farhan Salih ist ein säkularer Verleger, der ein anderes Segment der weltanschaulichen Vielfalt in diesem Viertel verkörpert. Er hatte Glück im Unglück, weil sein Geschäft keinen direkten Treffer abbekam. Dennoch sind die Schäden in seinem Büro und Buchladen enorm. Die Druckwelle einer im Nachbarhaus eingeschlagenen Bombe hatte eine Mauer in seinen Laden gedrückt und zahlreiche Bücher auf die Strasse geschleudert. Tausende Bücher im Laden musste er wegwerfen, weil sie von Schutt und feinem Staub, der das ganze Viertel wochenlang überzog, unbrauchbar gemacht wurden. Am meisten aber schmerzt ihn der Verlust eines Grossteils seines Fotoarchivs, das er über Jahrzehnte für seine Kulturzeitschrift al-Hadatha zusammengetragen hatte. Auch Luqman Salim und Monika Borgmann, die in ihrem Kultur- und Dokumentationszentrum Umam Dokumente, Filme und Tonbänder mit Interviews sammeln, haben einiges verloren.
Solche Quellen sind unwiederbringliche Schätze in einer Gesellschaft, die in ihrer geschäftigen Schnelllebigkeit ohnehin Gefahr läuft, die eigene Geschichte zu vergessen und ihre pluralistische kulturelle Identität zu verlieren. «Warum haben sie diese Gebäude bombardiert?», fragt sich Muhammad Hasan Irani, Vorsitzender des libanesischen Verlegerverbandes, und vermutet: «Wenn man jemanden treffen will, schlägt man als Erstes seine Kultur. Man löscht seine Kultur aus, um leichter eindringen zu können. Und ich glaube, das taten sie.»
Stephan Rosiny
Quelle: Schweiz. Wochenend-Zeitung.
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