Spartakus
20.07.2007, 09:18 |
Re: nur ganz kurz Thread gesperrt |
-->Hallo Taktiker,
Also wenn ich die Wahl hätte zwischen der"Küste der Sonne" und dem"Kulturmoloch" Berlin, würde ich keine Sekunde zögern nach Spanien zu emigrieren. Aber ich teile durchaus einige Deiner Einwände und mein persönlicher Kompromiss ist München. Sicherlich bietet Berlin viel, (fast) jedes Leben ist möglich, der alte Spruch von Friedrich dem II ("In meinem Staat soll ein jeder nach seiner Facon selig werden.") paßt auch heute noch. Eine Karriere wie z.B. die von Wladimir Kaminer, den ich noch aus seiner Zeit als staatenloser Asylant kenne der mal eine Geschichte vorlesen möchte, ist so schlicht nur in Berlin denkbar. Wo sonst könnte man auch sein Gesicht tätowieren lassen, auf Heroin umsteigen und als Bisexuelle Domina seine Gelüste ausleben? In Berlin würde man damit zumindest nicht auffallen. Wer Alternativkultur wie die Luft zum Atmen braucht, der ist in Berlin sehr gut aufgehoben und ansonsten sowieso jeder zwischen 20-30.
Aber sonst?
Machen wir uns nichts vor, der Ur-Berliner ist ein übler Prolet, egal ob West oder Ost. Das wahre Gesicht Berlins findet man in Hellersdorf oder Tempelhof. Biedere Spießer mit rauher Schale, aber tolerantem Kern. Der Busfahrer der wegfährt, wenn er sieht das man zu rennen anfängt, die Bäckereifachverkäuferin, die einen anschnauzt, weil man mit einem 20'er bezahlen will. Die meisten Bezirke sind unerträglich und das nichts mit Medienkampangnen à la Rütli zu tun, sondern weil die Verhältnisse tatsächlich grauenhaft sind. Reinickendorf hat den Charme von Wanne-Eickel, Tempelhof kann mit Braunschweig konkurrieren und Hellersdorf unterscheidet sich nicht von Hoyerswerda. Neukölln oder Wedding sind raue Pflaster die sich mit ihrem"Ghetto-Style" in nichts von ihren Vorbildern aus den Banlieues oder der US-Unterschichtkultur unterscheiden, einzig der deutsche Sozialstaat verhindert da weitere Exzesse.
Berlin ist keine homogene Stadt, es ist ein Konglomerat verschiedener Städte mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften, ähnlich dem Ruhrpott. Es ist groß genug, dass jeder seine Nische finden kann, aber ob diese Nische nun wirklich das Nonplusultra an Lebensqualität darstellt, wage ich zu bezweifeln. Mit bestimmten Dingen ist man immer konfrontiert, sei es dem Elend, der Verwahrlosung oder den Gescheiterten, die in Berlin imho mindestens 10% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Und mit Gescheitert meine ich die tatsächlich kaputten Lebensgeschichten, die nur noch von Alkohol oder Drogen zusammengehalten werden. Wieso auch nicht, denn echte Perpektiven gibt es nicht.
Wirtschaftlich hat Berlin mehr Ähnlichkeit mit Warschau, als mit dem Standard der z.B. in süddeutschen Großstädten herrscht. Für Berliner Löhne würde keiner meiner Münchner Bekannten aus dem Bett steigen. Sicherlich ist das Leben günstiger, aber wenn man gar keinen Job findet, ist auch günstig zu teuer. Von meinen hart arbeitenden Berliner Freunden, hat keiner was von der großartigen Kultur, dafür ist schlicht keine Zeit. Dafür aber viele Ärgernisse, die sich eben aus der Trashkultur ergeben.
Betrachten wir einmal die Natur in und um Berlin und vergleichen sie mit z.B. München. In Berlin gibt es ein paar nette Parks. Ich liebe den Viktoriapark, obwohl mich da mal ein paar Türken auf dem Weg ins Golgatha mit einer Pistole überfallen haben, aber mir haben die Jungs sogar fast Leid getan. Das Geld reichte nur für eine Gaspistole und für die"Beute" von 80€ riskieren sie mindestens 5 Jahre. Einfach arme Schweine. Aber ich wollte ja auf die Natur kommen, also der Viktoriapark ist nett, Tiergarten ist schön (auch ohne Loveparade) und Treptower Park sowie Volkspark Friedrichshain haben nette Ecken. Zwar alles mit Massen von Menschen überfüllt, aber durchaus schön. Die Wannseeecke hat viele schöne Plätze, ist aber auch schon wieder weiter raus, ansonsten bleiben die vielfältigen und unzähligen brandenburger Seen. Leider mit Stechmücken verseucht. Also ich würde jedenfalls nicht ohne Autan auf die Idee kommen, da einen Grillabend zu verbringen.
Das war es.
Ok, mit 2-3h Autofahrt ist man im Harz oder der Ostsee. Aber für einen Tagesausflug ist das schon zu weit.
Wie sieht es in München aus?
Wenn ich Natur brauche, bin ich in 20Min. am Starnberger See, am Ammersee oder fahre gleich an den Chiemsee. Auch der Walchensee oder Tegernsee ist traumhaft. Innerhalb einer Stunde stehe ich auf einem 2.000m hohen Berg und genieße die Aussicht. Städtische Parks, die durchweg schöner als ihre berliner Pendants sind, interessieren mich da gar nicht, wobei die Isar-Auen durchaus ihren Reiz haben.
Der Qualitätsunterschied ist imho noch größer als der Unterschied zwischen dem FCB und Hertha BSC ;). Und der besondere Bonus, wo selbst alle meersüchtigen neidisch werden, der Winter. Der Winter in Berlin ist schlicht die Hölle, kenne niemanden der das genießt. In Bayern ist das anders, die Berge werden erst im Winter so richtig schön. Bei -10°C eine Klamm oder einen Berg hochmarschieren, unbezahlbar schön. Dazu Menschen die dauerhaft und von Natur aus freundlich sind, immer und andauernd, für einen Exil-Berliner total verstörend.
Mehr als einmal war ich schon in der Versuchung direkt nach Ã-sterreich oder in die Schweiz zu emigrieren, für mich Nahe des Paradieses, was eben wie bei Dir, nicht aus Sonne und Strand besteht. Dennoch würde ich gerne auch Dein Bild über Südspanien erweitern. Ich habe zwar nur einige Monate an der Algarve gelebt, aber das ist ja praktisch nebenan. Ich bin keineswegs ein Sonnenfreak, im Gegenteil, ich reagiere allergisch auf zu viel davon, aber der ständige Sonnenschein macht einfach gute Laune. Es ist praktisch unmöglich bei 12h Sonne am Tag depressiv zu werden.
Und ja, 330 Sonnentage im Jahr sind unbezahlbar, selbst wenn man nicht darauf steht. Es hat den Charakter von Dauerurlaub, selbst wenn man eher ein Schattentyp ist, wie ich. Mein Ex-Schwiegervater hatte eine Villa auf den Kanaren, er lebt das halbe Jahr dort. Ich dachte auch immer, dass einem das irgendwann auf die Nerven geht. Praktische Erfahrung lehrt mich das Gegenteil, optimales Klima, bleibt optimales Klima, egal wie lange man da herumlungert.
Und Kulturell würde ich mal umdenken, Andalusien bietet Sevilla, Málaga, Cádiz, Córdoba, etcpp. Innerhalb von vielleicht 2 Autostunden sollte man ein Angebot finden, was Berlin in nichts nachsteht. Im Gegenteil, meiner Erfahrung nach sind vergleichbare Events im Ausland grundsätzlich interessanter, schon allein deshalb, weil sie eben im Ausland sind. Historisch betrachtet, ist Berlin da ohnehin eher Entwicklungsland. Ich stehe z.B. auf alte Kirchen. In Andalusien wäre ich auf Jahre beschäftigt sie zu besuchen.
So, ich habe fertig. Viel länger als ich wollte, aber es macht ja auch Spaß Urlaub zu verplempern.
Liebe Grüße
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Spartakus
20.07.2007, 09:20
@ Spartakus
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Sorry, sollte eigentlich hier hin: |
-->http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/384735.htm
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Taktiker
20.07.2007, 10:59
@ Spartakus
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Re: nur ganz kurz |
-->Hi Spartakus,
Du hast noch einiges in Deinen Aufzählungen vergessen. Z.B. den gesamten Südosten mit den riesigen Waldgebieten um den Müggelsee. Nicht zuletzt wimmelt es nur so von idyllischen Parks, kleinen Seen und verträumten Plätzen mitten in der Stadt. Und die meisten Straßen bieten -außer im Winter- unglaublich viel Grün. Well, daran mangelt es nun wirklich nicht.
Und was Kultur angeht, muß man das halt individuell betrachten: Nicht jeder steht auf Opern, klassisches oder experimentelles Theater, pp. Meine Frau und ich finden es jedenfalls herrlich, dass wir unter 3 Opernhäusern wählen können und mit Gorki oder Deutschem Theater auch sehr renommierte und spielstarke Bühnen plus Ensembles haben. Obwohl wir weniger auf das abgedrehte"moderne" Theater stehen, gibts selbst da beachtliche Aufführungen. Und bei leichter Muse, Variete, Kabarett und Satire gibts immer ein riesiges Programm. Und schließlich kommt noch das ganze Event-Programm dazu mit den aufwändigen, vornehmlich sicher für Touris konzipierten Programmen, Musicalmüll wie derzeit rund um den Potsdamer Platz. Abgerundet alles durch endlose supergeile Strandbars, Barmeilen, Special Events, Konzerte, Paraden, Feste, hammergeile Openair-Locations, und und und. Es ist einfach genial! Ich jedenfalls würde eingehen ohne diese Möglichkeiten.
Was Armut, Prolls, Kriminalität etc angeht: Mein Gott, Ihr lest zuviel Zeitung! Logo kommen solche Meldungen wie"Supermarkt ausgeraubt" immer spektakulär rüber. Aber es ist ja wohl ein bisschen komplexer, oder?! Genauso gibts auch oberschnöselige Ã-rtchen und Leute, wirklich nicht zu knapp. Ist einfach eine Frage, wo und wie man sich bewegt. Im Vergleich zu anderen Großstädten wie Paris, London, Lissabon ist Berlin kriminalitätsmäßig doch ein friedliches Rentnerdörfchen. Nicht im Ansatz vergleichbar, was dort abgeht. Mir ist noch nie was passiert. Man kann nachts ohne weiteres U-Bahn fahren, Züge sind rappelvoll, wo ist das Problem? Tja, was Dir da am Golgatha passiert ist... tut mir leid für Dich. Aber dort rund um den Kreuzberg hängt in den Sommernächten ja immer eine sehr vielfältige Boheme herum...
Anyway, alles Geschmackssache. Jedenfalls gibts doch ein paar Kategorien mehr als das Wetter, welches mir im übrigen über die letzte Woche schon wayyy too warm war. Von mir aus kanns am Sonntag ruhig regnen, *Schmuddelwetter*, LOL
München kenne ich von unzähligen Kurzbesuchen. Hatte vor Jahren auch mal eine Liebe dort. Schöne Stadt. Als Genießer liebe ich natürlich alles rund um den Viktualienmarkt *G* Aber ehrlich, es wird Dich nicht überraschen: mir fehlt die gewisse nötige Morbidität dort. Auch die Leute, nee, das ist so gar nicht nach meinem Geschmack. Zuwenig Kreatives, Originelles im Sinne von"Schau her, das ist mein Werk. Das gabs so noch nie und nirgendwo", zuviel"Ich auch!", Abgekupfere, Uniformität, Makellos-Blütenweiß-Ästhetik.
ok, jedenfalls ein schönes Wochenende...!
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Spartakus
20.07.2007, 12:04
@ Taktiker
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Re: nur ganz kurz |
-->Über die Qualitäten von Berlin hast Du Dich, habe ich mich, imho genug geäußert. Aber die Frage die sich mir stellt, siehst Du auch die Schattenseiten?
Und ich gehöre sicher nicht zu den"Zeitungslesern", mir ist Propaganda suspekt und ich *bin* Berliner. Wenn ich einen Mißstand kritisiere, dann ausschließlich aus eigener Erfahrung.
Aber ich habe das Gefühl Du liest so oder so nicht zu, also was würden da weitere Argumente bringen?
Imho das Beste was Berlin in den letzten Jahren hervorgebracht hat, war Judith Holofernes. Ich habe sie mal in Offenbach gesehen und mich spontan verliebt. Solange Berlin solche Blüten hervorbringt, ist noch nicht alles verloren. Aber diese Lobhuddelei zur Stadt ist doch kindisch.
Für mich stellt sich ehrlich gesagt die Frage nach Deinem Alter, es würde mich doch sehr überraschen wenn Du >30 bist. Nichts für ungut, dass ist keineswegs wertend gemeint.
LG
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Taktiker
20.07.2007, 12:36
@ Spartakus
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Re: nur ganz kurz |
-->>Imho das Beste was Berlin in den letzten Jahren hervorgebracht hat, war Judith Holofernes.
Ich glaube, die ist auch nur zugewandert. Fand sie auch mal ganz süß, aber so eine Bombe ist sie nun auch nicht mehr. Die Silbermond-Schnecke ist besser.
Aber bitte, das mit Holofernes ist doch ein völlig realitätsfernes Statement:"Das beste, was...in den letzten Jahren..."
Halllooo???! Hier gibts jedes Jahr einen Haufen neuer Bands, Maler, Musiker, Modefritzen, und und und. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass Du Dich irgendwo eingegraben hast?! Hier wird weltmeisterlich gebaut, ge- und begründet. Ständig neue Sachen, Events, Leute. Gehst Du in Theater, Opern, Varietes? NIRGENDWO sonst findest Du soviel Kreatives, Interessantes, Abgedrehtes.
>Für mich stellt sich ehrlich gesagt die Frage nach Deinem Alter... wundern, wenn über 30...
Und damit ist die Diskussion für mich auch beendet. Solchen Käse muß ich mir ja nun nicht geben. Entschuldigung für meine Begeisterungsfähigkeit? Kommt mir mit dem großartigen kulturellen Leben von Malaga und Cordoba und fällt sonst nur Judith Holofernes ein...naja... Womöglich ist die Kulmination der irdischen Glückseligkeit doch ein Sonnenfrühstück auf Ellis Terrasse, mit dem betörenden Blick über endlose Ferienhausdächer, Betonwände und Satellitenschüsseln.
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- Elli -
20.07.2007, 13:54
@ Taktiker
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Re: Diskussion beendet |
-->>Und damit ist die Diskussion für mich auch beendet.
Richtig so. Wehe, jemand widerspricht.
>mit dem betörenden Blick über endlose Ferienhausdächer, Betonwände und Satellitenschüsseln.
Zitat:"Mein Gott, Ihr lest zuviel Zeitung!"
Gruß aus der Wüste
Noch ´n Zitat:"Und damit ist die Diskussion für mich auch beendet."
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manolo
20.07.2007, 15:42
@ - Elli -
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Re: Diskussion beendet |
-->>>Und damit ist die Diskussion für mich auch beendet.
>Richtig so. Wehe, jemand widerspricht.
>>mit dem betörenden Blick über endlose Ferienhausdächer, Betonwände und Satellitenschüsseln.
>Zitat:"Mein Gott, Ihr lest zuviel Zeitung!"
>Gruß aus der Wüste
>Noch ´n Zitat:"Und damit ist die Diskussion für mich auch beendet."
guten Tag,
schade, ich hätte noch einen für den stänkernden Ossi mit seiner subtilen Nachhol-Gier gehabt
man
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Taktiker
20.07.2007, 17:17
@ manolo
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Ich brenne darauf |
-->>schade, ich hätte noch einen für den stänkernden Ossi mit seiner subtilen Nachhol-Gier gehabt
Müdes Einfaltsprovinzei, dann schreib doch mal einfach. Was soll man auch sonst mit seiner Zeit anfangen in einer solchen Einöde? Ich bin übers Wochenende sowieso offline, denn solange genieße ich hier pralles Leben.
Tschö mit Ã-, in die staubige Pampa.
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Dieter
21.07.2007, 14:18
@ Spartakus
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ein ganz anderer Aspekt hierzu: |
-->Hallo,
bei der Diskussion Spanien, Deutschland ist eine Sache noch nie so richtig angesprochen worden, nämlich wie man eine der Hauptbedürfnisse des menschl. Körpers besser befriedigen kann - nämlich Bewegung und körperliche Arbeit.
Mir geht es jedenfalls so, daß ich mich ausgesprochen gerne bewege, sofern ich eine Nützlichkeit oder Befriedigung darin erkenne. Für mich scheiden so Sachen wie Laufen, Joggen, Fitnessstudio wegen Langweiligkeit kategorisch aus. Also am besten sind Ballsportarten jeglicher Art - aber auch körperliche Arbeit, die extrem befriedigend sein kann. In Deutschland kann man derartige Dinge mind. 11 Monate im Jahr machen aber in Südeuropa? Eigentlich auch, wenn man morgens um 4 Uhr aufsteht. Wer aber gerne länger schläft (so wie ich) hat keine Chance, nur während der Wintermonate ist man doch in Südeuropa in der Lage auch mal 6-10 Stunden am Stück körperlich ranzuklotzen.
Was meinen die Handwerker unter den Spaniern hier im Forum dazu?
Gruß Dieter
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