Zurück auf den Boden der Realität
Erinnern Sie sich an meine Kolumne von Anfang Januar dieses Jahres « Pawlows Anhänger im Salami-Crash »? Jetzt hat der britische « Economist » am 24. Februar das Thema aufgegriffen und folgerte: «Pawlow hätte eigentlich mit Wall Street Bullen arbeiten sollen » ; Inzwischen sind aber diese Bullen stark abgemagert von dem ständigen Rennen nach Schnäppchen nach Kurseinbrüchen der Nasdaq oder des Neuen Marktes und dem Nichtvorhandensein von Futter im Trog (Kurserholungen). Auch von den Marketing Angestellten der grossen Banken und Broker, die noch immer den Titel Finanzanalysten tragen, kommt keine psychologische Unterstützung. Anfang Dezember letzten Jahres schätzten die Analysten die Gewinne im ersten Quartal 2001 des Standard & Poors 500 noch um 10,5% höher als im ersten Quartal 2000 (Quelle: First Call). Nun sehen dieselben Analysten die Gewinne 5% tiefer. Im Technologiesektor fällt der Sinneswandel noch drastischer aus: Zuerst +15,2% Gewinnwachstum und jetzt -18,5% Gewinnrückgang. Wie so ein paar volkswirtschaftliche Daten aus Analysten Finanzwendehälse machen können. Ich bin einmal gespannt, wie Rüdiger Irving Dornbusch demnächst den Einbruch in der amerikanischen Wirtschaft erklären wird. Noch Mitte Dezember letzten Jahres beschimpfte er die Europäer: « Die Angst vor einer Rezession ist typisch europäisch - aber unbegründet. Streichen Sie deshalb das Wort Rezession einfach aus Ihrem Sprachschatz. Es wird sie in den USA nicht mehr geben. Die US-Wirtschaft strotzt vor Kraft. » (Interview vom 10.12. in Euro). Inzwischen hat auch bei der Dresdner Bank ein Sinneswandel stattgefunden. Ihr Chef-Stratege Albert Edwards stellt in einer neuen Studie der Dresdner Kleinwort Wasserstein lakonisch fest: « Der Kurseinbruch des amerikanischen Nasdaq-100-Index war nur der Apéritif. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass das neue Paradigma an den Aktienmärkten aus den Kursen beseitigt wird. » Jetzt nachdem die grösste Börse der Welt, der Nasdaq Composite und der Nemax 60% bzw. 80% an Wert verloren haben, kommt eine internationale Grossbank, die im letzten Jahr noch durch eine massive Werbung zur Abschaffung des Sparkontos auf sich aufmerksam machte, plötzlich zu der Einsicht, « dass der lange Konjunkturaufschwung in den USA eine Luftblase hat entstehen lassen, die dem amerikanischen Aktienmarkt eine Bewertung gebe, als wäre er ein reiner Wachstumsmarkt, wo er doch in Wirklichkeit ein zyklischer Markt sei. Die Realität beginne erst zu dämmern. Die zweite Phase der Kurseinbusse habe erst begonnen. »
Ich glaube, die Kurskorrektur an der Nasdaq und den Neuen Märkten nähert sich dem Ende. Gleichzeitig wird es noch erhebliche Kurskorrekturen an den traditionellen Märkten (NYSE, Eurostoxx) geben, und ich halte es nicht für ausgeschlossen, den Dow Jones bei 8.000 und den Dax bei 5.000 zu sehen, bevor ein neuer Bullmarkt entsteht. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, es wird nur eine langsame Erholung geben, die einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Dafür gibt es drei fundamentale Gründe:
1. Die Gefahr einer Stagflation, auf die ich bereits im November letzten Jahres in einem Artikel hingewiesen habe (« Das Schreckgespenst der Stagflation geht um », Börse Online vom 2.11.2000), ist real und kann 8 bis 10 Jahre dauern. Ich habe eine derartige Situation im meinem Beruf miterleben müssen (1966 bis 1981), und ich erinnere mich, dass am Ende dieser Periode in der Vermögensberatung der Banken und Broker eher Seelsorger und Psychologen gebraucht wurden als Analysten oder Fondsmanager. Inzwischen haben auch grosse Zeitungen dieses Thema aufgegriffen, und die FAZ schrieb Ende Februar « Das Gespenst der Stagflation geht wieder um »: « Offenbar ist es um den Zustand der amerikanischen Wirtschaft schlechter bestellt, als selbst Pessimisten angenommen haben. Von der Vorstellung, einige Zinssenkungen reichten aus, um die Konjunktur rasch wieder auf Kurs zu bringen, wird man sich verabschieden müssen. » Auch die Financial Times Deutschland äussert sich ähnlich besorgt: « Stagflation - also stagnierende Wirtschaft und gleichzeitige Beschleunigung der Inflation - ist nun einmal die schlimmste Konstellation ; denn sie erschwert die Konjunkturankurbelung. »
2. Die Überbewertung der Aktien allgemein. Ich habe öfters auf das Buch Robert J. Shillers « Irrational Exuberance » (dieses Buch muß man einfach lesen!) hingewiesen, der fast mathematisch nachweisen konnte, dass die heutige Bewertung der Aktien weit über den historischem Durchschnitt liegt, und die inzwischen eingetretenen Wertverluste von über 4.500 Milliarden Dollar die Bewertung noch nicht auf ein normales Mass zurückgeführt haben. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erwähnen, dass der Dow Jones Index in seinen 103 Jahren (1896 - 1999) Existenz im Durchschnitt um 5,6% pro Jahr zulegte. In den letzten 50 Jahren waren es 8,4%, in den letzten 20 Jahren 14% und sogar 20% p.a. für die letzten 5 Jahre 1994 bis 1999. Um auf den Durchschnittswert der letzten 50 Jahre (+8,4% p.a.) zurückzugelangen, müsste der Dow Jones in den nächsten 15 Jahren per saldo unverändert bleiben.
3. Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass der Börsenboom der 90er Jahre lediglich die ökonomische Konsequenz der geburtenstarken Jahrgänge (Babyboom der 50er und 60er Jahre) war, die in den 80er und 90er Jahren erwerbstätig wurden und jetzt im besten Einkommensalter sind, um für ihre Altersvorsorge zu sparen, nach dem Motto: Je mehr junge Menschen arbeiten und Geld verdienen, desto höher ist die Nachfrage nach Finanzanlagen zur Alterssicherung. Und da man statistisch nachweisen kann, dass auf lange Sicht (100 Jahre) Aktien die beste Anlage sind, stieg die Nachfrage nach Aktien. In den nächsten Jahren aber wird der Anteil der 55- bis 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung steigen und die Betroffenen werden weniger sparen, bzw. Aktien kaufen. Wir werden uns sogar in Zukunft mehr damit beschäftigen müssen, an wen die in Rente gehenden Baby-Boomer ihre Aktien verkaufen können, um ihren Lebensstandard zu finanzieren.
Meine bisher sehr konservative Anlagepolitik (20 bis 30% Aktien, 50 bis 60% Anleihen, 20% Cash) ändere ich insofern, als ich beginne den Anleiheanteil langsam zurückzufahren und den Cash in Opportunitäten bei Aktien anzulegen. Schauen Sie dabei besonders auf die Qualität der Gesellschaften und auf die Dividendenrendite. Paradebeispiel Phillip Morris, die ich im vergangenen Jahr oft empfohlen habe, als sie noch eine Dividendenrendite von 8%(!) und eine P/E von unter 10 hatte. Die meisten Anleger entdecken den Sinn einer Aktienrendite und einer KGV wieder neu. Es wiederholt sich vieles im Leben - auch an der Börse.
Roland Leuschel, 05.03.2001
Quelle: http://www.boerse.de
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