Die Furcht vor dem Börsenkrach
Es sei wirklich ein Wunder, daß Amerika nach dem Krieg von einer wirtschaftlichen Katastrophe des Ausmaßes von 1929 verschont geblieben sei, schrieb der Nationalökonom John Kenneth Galbraith Anfang der sechziger Jahre in seinem Buch „The Great Crash 1929". Einen Grund sah er darin, daß sich die „bitteren Erfahrungen" tief ins nationale Bewußtsein eingeprägt hätten.
Vierzig Jahre später wissen wir, daß solche Prägungen mit der Zeit verblassen. An den Börsen wird wie eh und je spekuliert, werden Gewinne und Verluste gemacht. Wenn die „Massenflucht aus der Wirklich-keit" (Galbraith) heute auch realistische-ren Marktbeurteilungen gewichen ist, nicht zuletzt dank besserer Informations-möglichkeiten - die Gier nach schnellem Reichtum ist geblieben. Man kann es auch positiv wenden: Wirtschaftliche und techni-sche Zukunftsphantasien werden immer wieder Gegenstände finden, an denen sie sich entzünden, zum Beispiel an den mitun-ter grandiosen (oder abenteuerlichen) Vi-sionen der Matadore des Neuen Markts. Chancen und Risiken liegen dicht beieinan-der. Wiederholt sind (kleinere) Spekulati-onsblasen geplatzt.
Dennoch hat sich das zerstörerische Ge-schehen von 1929 weder an den Börsen noch in den Volkswirtschaften der großen Industrieländer wiederholt. In den Jahren 1987,1990 und 1998 haben sich die Aktien-kurse nach erheblichen Kursverlusten je-weils wieder erholt und sind nach einer Ver-schnaufpause über die alten Höchststände hinausgewachsen. Der Index der amerikani-schen Industrieproduktion kam in den Bais-seperioden mit einer mäßigen Delle davon, so auch am Ende des vergangenen Jahres nach dem sukzessiven Kursrutsch, der im März am Neuen Markt begonnen hatte.
1929 indes war der Index binnen vier Mo-naten um 8 Prozent (Galbraith), nach ande-ren Quellen sogar um 20 Prozent zurückge-gangen und hatte die Einzelhandelspreise mit nach unten gerissen. Dies alles schon vor den senkrechten Kursstürzen vom 24. Oktober. Insofern ist die Frage, wo der Ur-sprung der Börsenkrise lag - in der Über-spekulation oder in handfesten realwirt-schaftlichen Abbrüchen -, nicht ganz unbe-rechtigt. Am Ende griff eins ins andere.
Heutzutage stürzt in Amerika der indu-strielle Produktionsindex in Baisseperi-oden der Börse nicht mehr nach unten, und schon gar nicht lotrecht, sondern er büßt (gesamtindustriell) allenfalls an Wachstum ein. Nur zyklisch empfindliche Teilindizes wie der Automobil- oder der Wohnungs-bau fahren die Kurven deutlicher aus. Ein gesamtwirtschaftlicher Wachstumsverlust von zwei Punkten gilt dann schon als „harte Landung", an die sich sogleich allerlei Re-zessionsorakel knüpfen. Nach einigen Mo-naten weichen diese wieder hoffnungsvolle-ren Voraussagen. Der große Crash ist, zur allgemeinen Überraschung, ausgeblieben.
Die Ursachen des Börsenkrachs von 1929 waren vielschichtig. Begonnen hatte al-les mit dem Rausch der goldenen zwanzi-ger Jahre, in denen sich ungeahnte Perspek-tiven eröffneten. Stichworte sind das Fließ-band, die Massenproduktion von Autos, der Beginn des Flugzeug-Zeitalters, Rund-funk, Tonfilm - lauter zukunftsträchtige Entwicklungen. Kräftige Produktivitätsstei-gerungen bei zurückbleibenden Löhnen hielten die Preise in den Vereinigten Staa-ten stabil, beförderten das Wachstum und minderten die Arbeitslosigkeit. Steuerermä-ßigungen und eine liberale Handelspolitik unterbauten den Prosperitätsschub, der breite Schichten erfaßte. Ein goldenes Zeit-alter schien angebrochen. Die Börsen boomten, die Anleger hielten mit.
In Zeiten des Booms gebar Wall Street die unheilvollen Investmenttrusts
Aber der Boom hatte auch seine Schat-tenseiten. Wall Street gebar eines der un-heilvollsten Finanzierungsinstrumente, die es je gegeben hat: die Investmenttrusts. Sie haben mit den heutigen Investmentfonds nur gemein, daß sie Gelder von Anlegern einsammelten und diese in Aktien anleg-ten. Aber die damaligen Trusts nahmen zu-sätzlich Fremdkapital mit Hilfe von festver-zinslichen Papieren auf, verschachtelten sich unter- und übereinander zu schwer durchschaubaren, pyramidenförmigen Ge-bilden, erreichten 1929 immerhin die Bör-senzulassung und wurden bis zu 50 Prozent über ihrem Inventarwert gehandelt.
Vermittels des sogenannten Leverage-Effekts, der Hebelwirkung des (an der Vermö-gensmehrung durch Kursanstieg nicht betei-ligten) Leihkapitals auf die Kurse des (weit-aus kleineren) Aktienkapitals der Trusts, wurden die Notierungen und damit das vir-tuelle Vermögen in immer luftigere Höhen getrieben. Im Extremfall bewegte ein Aus-gangskapital von 500 Dollar am Ende (und an der Spitze der Pyramide) ein Trust-Ver-mögen von einer Milliarde Dollar. Die Sa-che hatte den Haken, daß Pyramide und Hebel bei fallenden Kursen ihre multiplizie-rende Wirkung auch in umgekehrter Rich-tung entfalteten. Das war eine der schmerz-haften Lektionen des 24. Oktober 1929.
Wie immer in solchen fiebrigen Situatio-nen gab es dubiose Neugründungen von Aktiengesellschaften, die außer einer Ge-schäftsidee nichts vorzuweisen hatten. Sie reüssierten dennoch an der Börse, vor al-lem 1929, als das Aktienangebot im Boom immer knapper und teurer wurde. Solche windigen Offerten, technisch nur raffinier-ter verbrämt, werden dem zeitgenössischen Leser nicht unbekannt vorkommen.
Und es gab Wertpapierkredite für Anle-ger (Margin loans), vermittelt von Maklern (Brokern) gegen Verpfändung der ange-kauften Aktien, mit unterschiedlichen Bar-einschüssen und Nachschußpflicht, falls das Pfandvermögen sich durch Kurseinbrüche nachhaltig vermindern sollte. Die Margin loans erreichten am Ende des Booms ein Volumen von 8,5 Milliarden Dollar, rund 10 Prozent der Kapitalisierung am damali-gen amerikanischen Aktienmarkt. Im Som-mer 1929, als das Börsenkarussell sich im-mer schneller drehte, stiegen sie um 400 Millionen Dollar monatlich. Zur Verstär-kung des Börsenkrachs trugen die Margins auf naheliegende Weise bei: Die Broker ver-langten Nachschüsse, und wenn diese nicht erbracht werden konnten, wurden die Ak-tiendepots anteilig zwangsweise liquidiert und verkauft. Das geschah nach dem 24. Oktober in immer neuen Wellen, den Kurs-einbrüchen folgend und diese verstärkend.
Das sind die wichtigsten Faktoren, die den Boom der zwanziger Jahre unterhiel-ten. An ihnen lassen sich freilich auch die Unterschiede verdeutlichen, die die heutige Lage von der damaligen trennen. Auch im vergangenen Jahrzehnt hat es in Amerika ein stetig steigendes Volumen von Wertpa-pierkrediten vom Typ der Margin loans ge-geben. Es erreichte Ende März 2000, auf dem Gipfel des jüngsten Booms, einen Höchststand von 278 Milliarden Dollar. Doch das waren nicht 10 Prozent, sondern 1,7 Prozent der Marktkapitalisierung von 16 Billionen Dollar in New York. Bis Ende November wurden die Maklerkredite auf 219 Milliarden Dollar zurückgeführt, zwei-fellos zum Teil durch Zwangsverkäufe von verpfändeten Aktien (oder Fonds). Es gab zwei charakteristische Abwärtsschübe von je 10 Prozent des Volumens im April und im Oktober/November 2000. Aber darüber ist der Aktienmarkt nicht zusammengebro-chen, ebensowenig wie 1998 nach dem Kurseinbruch im Juli, als die Margin loans von August bis Oktober um 15 Prozent zu-rückgingen; danach stiegen sie wieder.
Hier ist die Gelegenheit, auch mit einer anderen Legende aufzuräumen. Die Schul-den des amerikanischen Durchschnitts-haushalts mögen hoch sein; immerhin be-ansprucht der Schuldendienst im Mittel heute fast 14 Prozent der verfügbaren Ein-kommen. Aber die Suggestion, daß dahin-ter vor allem die Wertpapierkredite für Spe-kulationen stecken, geht fehl. Diese mach-ten Mitte vergangenen Jahres 17 Prozent der Konsumentenkredite aus. Der Konsu-mentenkredit schlägt aber in der Schulden-bilanz amerikanischer Haushalte nur mit 30 Prozent zu Buche; 70 Prozent der Ver-schuldung betreffen Haus- und Grundbe-sitz in Gestalt von Hypotheken. Der Anteil der Wertpapierkredite beläuft sich dem-nach im Durchschnitt auf 5 Prozent des ge-samten Schuldenbudgets. Unter anderem deshalb halten sich die Börsenfolgen von Margin calls (Anrufe von Maklern wegen eines Nachschusses) heute in den Grenzen, die im November 2000 zu besichtigen wa-ren. Im übrigen haben die Leute nicht nur mehr Schulden, sondern auch größere Ver-mögen - vor allem jene, die Aktien halten.
Der Krach von 1929 war kein ephemeres Ereignis von kurzer Dauer. Er war ein lan-ger Prozeß von elementarer Zerstörungs-kraft, der sich über fast drei Jahre hinzog, die Kurse im Durchschnitt auf 10 Prozent der einstigen Hochstände drückte, eine Depression auslöste, die Wirtschaft verwü-stete, das Bruttosozialprodukt'bis 1932 um ein Drittel schrumpfen ließ. 85 000 Unter-nehmen und jedes fünfte Kreditinstitut ko-stete er die Existenz. Am Ende waren acht Millionen Sparkonten vernichtet, weil es keinen Einlegerschutz gab.
Warum verlaufen Börsenkrisen heute ganz anders? Eingefleischte Börsianer würden als wichtigsten Grund vielleicht ei-nen Namen nennen: Alan Greenspan. In der Tat hat die souveräne Art, in der der amerikanische Notenbankpräsident sein Amt ausübt, viel Vertrauen geschaffen. Das ist die wohl wichtigste Voraussetzung für einen Börsenverlauf, der zwar nicht im-mer geradlinig und störungsfrei sein kann, die unvermeidlichen Wendungen und Ab-stürze aber in zuträglichen Grenzen hält.
Wie Greenspan die amerikanische Zins- und Liquiditätspolitik in den Baissen von 1987 und 1998 (und auch jüngst wieder) ge-steuert hat, wie er die Kreditinstitute im entscheidenden Moment „geflutet" und da-mit Kreditklemmen vorgebeugt hat - ob-wohl aus Gründen der Preisstabilität viel-leicht anderes angezeigt gewesen wäre -, das hat die Überzeugung gestärkt, daß Bör-senkrisen kein Weltuntergang mehr sind. Ausgezahlt hat sich das Vertrauen im Pro-speritätsschub, den die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahrzehnt erlebt haben.
Noch 1987 hatten die großen Aktien-fonds diesseits und jenseits des Atlantiks im Gefolge des Kurseinbruchs im Okto-ber mit starken Mittelabzügen der Anle-ger zu kämpfen; das hielt in Amerika bis März 1989 an. Die Tabelle über die Netto-
Zuflüsse bei amerikanischen Aktienfonds in den vergangenen drei Jahren zeigt für 1998 und für das von Kursrückgängen be-sonders betroffene Jahr 2000 ein ganz an-deres Bild. Der Schrecksekunde vom Juli 1998 folgt im August zwar ein Nettoabzug, aber schon im September wendet sich der Saldo ins Positive. Zu beachten ist der star-ke Zufluß bei den Geldmarktfonds im Au-gust. Er dürfte bedeuten, daß die Anleger die Bühne nicht verlassen, sondern ein In-termezzo in angenehm liquider Umge-bung absolvieren.
Im abgelaufenen Jahr blieben die Zu-flußsalden bei den Aktienfonds nach den Kurseinbrüchen vom März bis zum De-zember durchweg positiv - mit Beträgen, die sich mit den Vorjahresmonaten abso-lut messen konnten, diese bis September sogar Monat für Monat übertrafen. In Deutschland sieht die Bilanz beider Jahre bei den Aktienfonds genauso aus. Geplün-dert worden sind im vergangenen Jahr überall die Rentenfonds (wegen der erwar-teten Kursrückgänge bei steigenden Zin-sen), aber nicht die Aktienfonds. Profi-tiert haben in den Schwächeperioden ge-nerell die Geldmarktfonds - mutmaßlich als Parkstationen für die Zeit bis zum nächsten Börsenfrühling.
Die Gelassenheit der Anleger geht nicht allein auf Greenspans Konto
Diese bemerkenswerte Gelassenheit der Anleger allein auf das Konto von Alan Greenspan zu buchen wäre verfehlt. Die Bedingungen, unter denen die Börsen auf beiden Seiten des Atlantiks heute arbeiten, unterscheiden sich grundlegend von denen des Jahres 1929. Das gilt für die staatliche Aufsicht ebenso wie für den Anleger-schutz, für die Einlagensicherung der Bank-kunden wie für die Transparenz des gesam-ten Börsengeschehens. Der letzte Punkt be-trifft unter anderem die prompte Kursinfor-mation, die am 24. Oktober 1929 völlig zu-sammenbrach und die Panik der Anleger steigerte - mit schlimmen Folgen für die Höhe der anschließenden Verkaufswogen.
Zu Beginn der Kurseinbrüche von 1987 war die Kursübermittlung in New York wie-der in Rückstand geraten, wenn auch nur kurz und ohne eine Panik wie 1929 hervor-zurufen. Daraus hat man eiligst Konsequen-zen gezogen und die Systeme verbessert.
Zur verbesserten Transparenz gehören heute nicht nur die Berichtspflichten der Aktiengesellschaften und die Vorschriften über Börsenprospekte mit ihren inhaltli-chen Vorgaben, sondern auch die unzähli-gen offenen, jedermann zugänglichen Pu-blikationen über das Börsengeschehen, die Verfassung der Märkte und die Befind-lichkeit von Einzelunternehmen aus der Fe-der von Journalisten und Analysten. In Deutschland haben überdies die Gerichte eingegriffen und die Anforderungen an den Wahrheitsgehalt der Kundenberatung bei Finanz- und Kreditinstituten verschärft.
Das alles schafft mehr Vertrauen. Die Aufzählung stabilisierender Faktoren am Aktienmarkt wäre jedoch unvollständig, wenn nicht auch der Rolle der Pensions- -und Investmentfonds gedacht würde, de-nen auf den Märkten - vor allem der Verei-nigten Staaten - seit Jahren wachsendes Ge-wicht zukommt. In den vergangenen Jahr-zehnten sind sie aus kleinen Anfängen zu großen Finanzunternehmen aufgestiegen und halten heute, zusammen mit Versiche-rungen und Banken, rund die Hälfte des amerikanischen Aktienmarkts in Händen. Ende 1999 standen von den 16 Billionen Dollar Marktkapital an Aktien nicht weni-ger als 25,1 Prozent im Besitz von (privaten und staatlichen) Pensionsfonds, 8,2 Prozent lagen bei Versicherungen und Banken und immerhin 16,8 Prozent bei Investment-fonds. Die Direktanlage der Privathaushal-te in Aktien ist in Amerika in den vergange-nen fünfzig Jahren von 90 auf 40 Prozent ge-schrumpft - und im gleichen Umfang auch das Panikpotential in kritischen Phasen.
In Deutschland sieht nach Untersuchun-gen der Bundesbank die Eigentümerstruk-tur bei Aktien zur gleichen Zeit deutlich an-ders aus: Hier sind es die Unternehmen, die mit 30 Prozent den größten Anteil ha-ben, vor den Banken und Versicherungen mit 23 Prozent, den Privathaushalten mit 17,5 Prozent und den Pensions- und Invest-mentfonds mit zusammen nur 14 Prozent.
Der große Anteil der amerikanischen Pensions- und Investmentfonds am dorti-gen Aktienbesitz (mehr als 40 Prozent) si-chert ihnen Einfluß nicht nur auf die Märk-te, sondern auch auf die Geschäftspolitik der Unternehmen. Die Manager der gro-ßen Fonds waren und sind es, die das Den-ken in den Kategorien des „Shareholder value", des Unternehmenswertes und der Er-tragskraft, vorangetrieben haben. Daß sie ihre Macht gegenüber den Vorständen aus-spielen, speziell informiert und gehätschelt werden wollen, gehört zum festen Bestand der Berichte und zum klagenden Tenor der Betroffenen. Da die Aktionäre im Kalkül der Vorstände über Jahrzehnte (ausgenom-men die Großaktionäre) nur eine milde be-lächelte Rolle gespielt haben, hält sich das Mitleid mit den angeblich so Bedrängten in Grenzen. Nicht alles, was behauptet wird, ist zum Nennwert zu nehmen. Die Macht selbst der Großen in der neuen „Finanzin-dustrie" relativiert sich ein wenig mit der wachsenden Zahl von Fonds und der Zu-nahme des Wettbewerbs unter ihnen. Aber Macht ist unzweifelhaft vorhanden.
In Baisseperioden tragen die Fonds zur Beruhigung der Märkte bei
Hier interessiert vor allem, daß die gro-ßen amerikanischen Pensionsfonds - priva-te wie staatliche - rund zwei Drittel ihres Gesamtvermögens in Aktien und Aktien-fonds halten und nur kleinere Anteile zwi-schen 14 Prozent (private) und 24 Prozent (staatliche) in Rententiteln. Die Aktienquo-te hatte 1994 noch bei 50 Prozent gelegen;
der Zuwachs ist auch auf die starken Kurs-gewinne in der Zwischenzeit zurückzufüh-ren, die das Gewicht der Aktien im Vermö-gensbestand vergrößert haben.
Wie auch immer: Welcher Vermögens- -oder gar Pensionsfondsverwalter (Alterssi-cherung!) hätte hierzulande den Mut, zwei Drittel seines Portefeuilles in Aktien anzu-legen? Das ist Amerika, wie es in seiner Ri-sikobereitschaft leibt und lebt. Die beiden Pensionsfondsgruppen verwalteten Mitte vergangenen Jahres ein Gesamtvermögen von nicht weniger als 8 Billionen Dollar, das entspricht dem mehr als Vierfachen des deutschen Bruttoinlandsprodukts 2000. Der gesamte Altersversorgungsmarkt in den Vereinigten Staaten wird gar auf 12 Bil-lionen Dollar geschätzt. Die Investment-fonds nehmen für sich in Anspruch, daran heute mit einem Drittel beteiligt zu sein (ge-speist auch aus den Pensionsfonds).
Es versteht sich von selbst, daß beide In-vestorengruppen nicht zur Panik neigen, auch wenn die Aktienkurse einmal stärker fallen. Im Gegenteil stellen sie mit ihrem hohen Marktgewicht einen ruhenden Pol im Auf und Ab des Börsengeschehens dar - im Gegensatz zu den unseligen Invest-menttrusts der zwanziger Jahre, die in der Krise vermöge ihrer dubiosen Struktur und Hebelmechanik mit doppelter Wucht ins Bodenlose stürzten und danach von der Bildfläche verschwanden, Hunderttausen-de geprellter Anleger zurücklassend. Stabilisierend wirken überdies die lau-fend eingehenden Beitragszahlungen bei den Pensionsfonds und - soweit Sparverträ-ge vorliegen - auch bei den Investment-fonds, die alsbald angelegt werden müssen. Die Fondsmanager verweisen zudem auf den steigenden Anteil von Erbvermögen, die häufig „einfach liegengelassen werden", wie immer die Marktlage beschaffen sei. Wenn vorsichtige Anleger, wie im vergange-nen Jahr verstärkt zu beobachten, in Schwä-cheperioden in Dachfonds umsteigen, dann bleiben die Gelder doch im System und ver-stärken die Baisse nicht zusätzlich.
Die Fonds schützen nicht davor, daß es zu Blasenbildungen am Aktienmarkt kom-men kann. Der Performancedruck im Wett-bewerb zwingt sie, Gelder auch dann noch in den Neuen Markt oder nach Südostasien zu pumpen, wenn absehbar ist, daß dort Überdruck herrscht. Allenfalls können sie ihre liquiden Positionen eine Zeitlang stär-ken, aber auch das hat seine Grenzen. Ro-land Leuschel, ein belgischer Fondsmana-ger der alten Schule, beschreibt das Dilem-ma: Der Anleger verzeihe am Ende jeden Crash, aber nie den vorbeugenden Aufbau von liquiden, renditearmen Positionen in ei-ner Hausseperiode, selbst wenn deren Bla-sencharakter mit Händen zu greifen sei. Da hat er wohl recht. Bei den großen Pensions-fonds allerdings dürfte dieser spezifische Performancedruck wegen des langfristigen Charakters der Anlagen geringer sein.
Das Fazit lautet gleichwohl, daß die Fonds mit ihrer Risikostreuung, ihrem Marktgewicht und ihrem inneren Behar-rungsvermögen auch in kritischen Zeiten zunächst zur Beruhigung der eigenen Anle-ger, die überdies immer erfahrener werden, im weiteren aber auch zur allgemeinen Be-ruhigung der Märkte zumindest in den Bais-sephasen beitragen, indem sie durchhalten. Je weiter die Altersversorgung auf privater Grundlage und mit Hilfe von Fonds fort-schreitet, desto stärker wird sich dieser Ef-fekt auch in Europa bemerkbar machen.
Gleichwohl sollte sich auch unter diesen günstigen Auspizien niemand ermutigt füh-len, blind in die Märkte einzusteigen und je-dem Boom nachzulaufen. Nur wer sein Ver-mögen angemessen streut, für ausreichen-de Anlagefristen und genügend Liquidität für die Wechselfälle des Lebens sorgt, kann die unvermeidlichen Abschwungsperioden der Märkte gelassen durchstehen. Auch eine Rezession ist nie auszuschließen.
Auszuschließen ist nur, daß die Rezessi-on zur Depression mutiert und in eine wirt-schaftliche Katastrophe wie 1929 mündet. Solche Schreckensszenarien verhindern zu können, darf die Nationalökonomie heute für sich in Anspruch nehmen, und die Poli-tik würde das notwendige Instrumentarium gegebenenfalls auch anwenden. Daß die Katastrophe von 1929/33 sich in sieben Jahr-zehnten nicht wiederholt hat, war durchaus kein Wunder, wie Galbraith einst meinte. Es war die Folge von vielen grundlegenden Veränderungen im Datenkranz von Institu-tionen, Gesetzen, Regelmechanismen und Transparenzgeboten. Die Welt hat sich wirt-schaftlich zivilisiert, auch wenn die Sehn-sucht nach dem schnellen Reichtum mäch-tig geblieben ist - oder richtiger vielleicht:
weil sie mächtig geblieben ist.
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