Lieber Boardteilnehmer und -Leser,
heute brachte ich mir aus dem Antiquariat einen Band ueber die wilden 20er mit. Zu Ostern habe ich euch allen einen Abschnitt daraus in HTML vorbereitet. Wie ich finde sehr informativ und lehrreich, fuer den Fall, dass es mal wieder aehnlich kommen sollte. Die Bilder brauchen ein bisschen Ladezeit.
Gruss, obelix
<FONT SIZE=6><P ALIGN="CENTER">Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P ALIGN="CENTER">(aus:"Die Goldenen Zwanziger Jahre, das fesselnde Panorama einer entfesselten Zeit" von Hermann Behr, 1964, Hammerich und Lesser Hamburg)</P>
</FONT><FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">Die Inflation verzehrt Vermögen und Sparguthaben des deutschen Folkes. Der Lohn für harte Arbeit zerrinnt in Nichts. Die Menschen suchen ihr Heil an der Börse. In Lotterie- und Tabakläden, selbst auf der Straße werden Aktien gehandelt:</P>
<P ALIGN="CENTER">Die Existenz wird zum Glücksspiel. Die Inflation zerschmettert auch die Moral des Volkes. Es wird von Tanzwut gepackt. Zweideutige Schlager sind populär. Industrielle aber machen aus Papier Gold.</P>
<P ALIGN="CENTER">Hugo Stinnes baut sein Industrie-Imperium zu gewaltiger Größe aus.</P>
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Der Mann sah verdächtig aus. Die Beamten des Sicherheitsdienstes, von denen die Villa und ihre nähere Umgebung bewacht wurden, beobachteten ihn schon eine ganze Weile, wie er im abendlichen Park umherstreunte. Er hatte einen getragenen Mantel an und trug einen runden, steifen Hut. Sein Gesicht war bleich, gelblich und schien von Haß erfüllt. Wie um das abstoßende Bild zu vervollkommnen, trug er auch noch einen kohlschwarzen Bart.</P>
Ein Attentäter? Ein Meuchelmörder? Man mußte ihn festnehmen, bevor er Unheil anrichtete. Und so geschah es. Das verdächtige Individuum wurde zur Wache gebracht. Man nahm seine Personalien auf. Doch kurze Zeit später wurde der Mann unter Entschuldigungen freigelassen. Es war Hugo Stinnes, einer der reichsten Männer der Welt.</P>
<P ALIGN="CENTER"><IMG SRC=" http://home.t-online.de/home/dfbosche/stinnes1/Stinnes2.gif" WIDTH=304 HEIGHT=669></P>
Der Vorfall ereignete sich im Juli 1920 in dem bei Lüttich gelegenen vornehmen belgischen Badeort Spa. In Spa hatte sich zwei Jahre zuvor noch das deutsche Große Hauptquartier unter Hindenburg und Ludendorff befunden. In derselben Villa Fraineuse, in deren Park Stinnes versehentlich festgenommen wurde, hatte Kaiser Wilhelm II. gewohnt.</P>
Nicht zufällig war Spa in jenem Sommer 1920 zum Ort des ersten Zusammentreffens bestimmt worden, das seit Friedensschluß zwischen Vertretern der Sieger des ersten Weltkrieges und des unterlegenen Deutschlands stattfand. Wo Dutschland einmal mächtig war, sollte es ohnmächtig sein, wo seine Generale einst befohlen hatten, sollte es nunmehr Befehle entgegennehmen.</P>
Hugo Stinnes war einer der deutschen Delegierten. Der >König der Ruhr< war als Sachverständiger in Kohlenfragen zur Konferenz nach Spa mitgenommen worden, besser, er hatte auf Grund seiner Macht und seines Einflusses seine Mitnahme erzwungen.</P>
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Der Teufel in Person</P>
Am 10. Juli 1920 trug er sein Gutachten vor. Er sprach, wie immer, leise. Das hatte seinen besonderen Grund. In seiner Geburts- und Heimatstadt Mülheim sind, des feuchten Klimas wegen, Halsentzündungen häufig. In Stinnes' Jugend wurden sie von den Ärzten durch Ausbrennen bekämpft. Als Folge trug er im Hals Narben davon, die bei langem oder auch nur lautem Sprechen Schmerzen verursachten. Doch so leise er auch sprach, seine Worte waren nicht zu überhören.</P>
»Ich spreche stehend«, so sagte er damals in Spa, »damit ich meinen Zuhörern ins Auge sehen kann.«</P>
Stinnes protestierte gegen die Höhe der alliierten Kohlenforde- rungen an Deutschland. Er sprach vom >Wahnsinn der Sieger<, gab sich schroff, unnachgiebig, unversöhnlich. Die alliierten Delegierten wurden blaß vor überraschung und Ärger. Der belgische Außenminister Hymans meinte: »Wie würde es uns ergangen sein, wenn ein solcher Mann als Sieger über uns triumphiert hätte! «</P>
Fassungslos bemerkte der französische Regierungschef Millerand in der Sitzungspause zu seinem Geaeralsekretär: »MonDieu! C'est le diable en personne!« - Der Teufel in Person! Traf das zu? Charakterisierte das einen Mann, der im ersten Drittel der zwanziger Jahre in Deutschland so mächtig war wie keiner?</P>
Für sein >mannhaftes<, wenn auch nutzloses Auftreten damals 1920 in Spa erhielt Hugo Stinnes viel Beifall in der deutschen Offentlichkeit. Er wurde zu einem nationalen Heros. Doch später, 1923, auf dem Höhepunkt der Inflation, als die Mark ins Bodenlose abglitt, die Masse des Volkes immer ärmer und verzweifelter, Stinnes hingegen immer reicher und mächtiger wurde, verfluchten ihn dieselben Leute, die ihn in den Himmel gehoben hauen.</P>
»Halb Prophet, halb gerissener Geschäftsmann, undurchsichtig für Freund und Feind und daher unheimlich«, nannte ihn der Schriftsteller und Diplomat Harry Graf Kessler. Hugo Stinnes war kein Selfmademan im eigentlichen Sinne. Seine Familie hatte ihm eine Startrampe bieten können, von der er sich zu jener märchenhaften, dämonischen Höhe aufzuschwingen vermochte, wie sie bis heute auf der Welt einzigartig geblieben ist.</P>
Die Stinnes waren ursprünglich Rheinschiffer gewesen. Dem Schleppgeschäft wurde der Kohlenhandel hinzugefügt.</P>
1878 übernahm der Vater von Hugo Stinnes die Leitung der Firma, starb aber schon neun Jahre später, als der Sohn gerade siebzehn geworden war.</P>
Seine Witwe, als geborene Coupienne französischer Abstammung und in Mülheim >Löwen-Stinnes< genannt, weil am Eingang ihres Hauses zwei steinerne Löwen Wache hielten, blieb zu einem Fünftel an der Firma beteiligt. 1892 ließ sie sich jedoch ihren Anteil ausbezahlen, um es ihrem Sohn zu ermöglichen, sich selbständig zu machen.</P>
Mit 50 000 Mark Stammkapital gründete der junge Stinnes im folgenden Jahr in Mülheim die Firma Hugo Stinnes GmbH. In einem kleinen Kontor fing Hugo Stinnes an. Als einundzwanzig Jahre später der erste Weltkrieg ausbrach, besaß er Niederlassungen in fast aller Herren Ländern mit Tausenden von Angestellten. Seine Firma betrieb hauptsächlich Kohleförderung, Kohleaufbereitung, Brikettfabrikation, Handel mit Koh-</P>
len und Briketts, aber auch mit Eisen, Porzellan und Farben. Sechs Seedampfer, über 30 Rhein-, sechs Elbkähne liefen für Hugo Stinnes. Sein Vermögen betrug bereits damals rund 40 Millionen Goldmark. Das Kapital, das er kontrollierte, war mindestens zehnmal so hoch. Von den Großen des Ruhrreviers, Krupp, Thyssen, Haniel, Kirdorf, war er mit vierundvierzig Jahren der jüngste und - bedeutendste.</P>
Nicht nur seine Direktoren, auch Minister zitterten vor ihm. »Wie ein phönizischer Hafenkapitän schwankt er breitspurig durch die Betriebe; es ist ein schwerer, zeitloser Gang. Auf dein Assyrerschädel sitzt der ins Gesicht gezogene steife Hut, darunter die ausdruckslosen Augen und der schwarze Bart, der wie Kohle glänzt.« So schilderte ihn der populärhistorische Schriftsteller Joachim von Kürenberg.</P>
Schon damals vernachlässigte Hugo Stinnes seine Kleidung. Rock und Mantel hingen auf ihm, als seien sie von der Stange gekauft. Im Winter begnügte sich der Millionär mit einem einfachen, schlechtsitzenden Paletot.</P>
Mit dem Krieg von 1914 kamen, wie eine Springflut, die Kriegsgewinne. Stinnes führte gewaltige Heereslieferungen aus, in Kohle, in Eisen, in Stahl. Im besetzten Belgien und Frankreich stürzte er sich auf die Bodenschätze. Seiner Oberzeugung nach war Deutschland auf den Krieg nicht vorbereitet gewesen, da kaum Vorräte an Salpeter vorhanden waren, ohne den keine Munition hergestellt werden kann. Um so eifriger sorgte er für Rohstoffe. Sein wirtschaftlicher Einfluß dehnte sich dabei auf immer neue Industriezweige aus. Die Gewinne schwollen immer mehr an. Und schon beeinflußte er auch die Politik.</P>
Stinnes - die >Spinne<</P>
»Am 9. November 1918«, schreibt Joachim von Kürenberg, »verläßt Stinnes das feurige Kriegsroß, um den Schimmel der Revolution zu besteigen.« Er machte Konzessionen. Er zahlte seinen Arbeitern höhere Löhne, vergaß aber auch nicht, den Kohlenpreis zu erhöhen.</P>
Gleichwohl schleppte ihn der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat im Dezember 1919 nach Berlin, weil er Landesverrat begangen haben sollte. Stinnes habe mit dem Feind über dessen Einmarsch in das Ruhrgebiet verhandelt. Die Untersuchung ergab jedoch nichts Belastendes.</P>
Wieder freigelassen, trat er aus den Kulissen der Politik, hinter denen er bis dahin vorzugsweise gewirkt hatte, hervor. Er wurde 1920 Reichstagsabgeordneter der rechtsstehenden, monarchistischen Deutschen Volkspartei, deren Wahlkampf er zum größten Teil finanzierte. Noch im selben Jahr gab er sein spektakuläres Debüt in Spa.</P>
Währenddessen dehnte sich sein Imperium immer weiter aus. Der Publizist Erich Dombrowski verglich ihn in seinem 1920 erschienenen Buch >Köpfe der Gegenwart< mit einer Spinne, »die, nachdem sie einmal erfolgreich feine und feinste Fäden gesponnen, sich weiter und weiter tastet und über Tiefen, über Höhen, über Gründe und Schlüchte, über Kuppen und Gipfel ihr zitterndzartes Neu zu immer ferneren Ufern wirft«.</P>
An die Stelle der Kriegsgewinne waren gewaltige Valutagewinne aus dem Kohle-Export getreten. Riesenziffern als Entschädigung für seine im Ausland liquidierten Unternehmungen kamen hinzu, so daß 1921 das Vermögen des nunmehr Einundfünfzigjährigen bereits auf rund eine Milliarde geschätzt wurde. Im gleichen Maß, wie die Mark damals fiel, wuchs Hugo Stinnes' wirtschaftliche Macht.</P>
Noch hielt sich die Mark leidlich über Wasser. Im Januar des Jahres 1921 notierte der Dollar >nur< rund 74,50 Mark. In diesem Januar, am 29., stellte der Oberste Rat der Siegerstaaten in Paris einen Zahlungsplan für die von Deutschland zu leistenden Reparationen auf. Danach war, wenn auch auf 42 Jahre verteilt, die ungeheure Summe von 226 Milliarden Goldmark zu zahlen.</P>
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Weg mit dem Geld</P>
Als die Reparationszahlungen nach dem Pariser Plan anfielen, fiel die Mark in einem einzigen Jahr mehr als vorher in drei Jahren. Bereits im Dezember 1921 waren 190 Mark für einen Dollar aufzuwenden. Ein Jahr später, im Dezember 1922, waren es schon 7650 Mark.</P>
Mit der französisch-belgischen Besetzung des Ruhrgebiets. und der Ausrufung des passiven deutschen Widerstandes, der Unsummen verschlang, begann Anfang 1923 die letzte Phase der Markentwertung. »Die Mark«, so charakterisierte der Schriftsteller Max Krell jenen Zeitraum, »rutschte, fiel, überstürzte sich, verlor sich im Bodenlosen. Die Inflation machte aus dem Geld einen Unsinn. Wer etwas davon in die Tasche bekam, stopfte es am Vormittag in irgendeine Geschäftskasse, um etwas zu erstehen, das er nicht brauchte, der Kaufmann stürzte mit dem Papier in ein anderes Geschäft, nur fort damit, es war, als ob die Geldzettel giftig oder feurig waren...«</P>
Bis ein Uhr rnittags täglich mußte das Geld ausgegeben sein, denn wenn um eins die neuen New Yorker Kurse herauskamen, konnte es bereits seinen Wert verloren haben. Dem trugen manche Firmen dadurch Rechnung, daß sie ihre Angestellten täglich entlohnten. Ein >Index< wurde eingeführt, mit dem die Preise, dem Dollar-Kurs entsprechend, multipliziert wurden. Es wurde zur Redensart, auf die Frage: »Wie geht's?« zu antworten: »Danke, mies mal Index! «</P>
Städte, Fabriken, Handelsunternehmen druckten eigenes Geld, >Notgeld< genannt. Ihm war vielfach der Wert einer bestimmten Menge eines bestimmten Produkts zugrunde gelegt. So gab es Roggennotgeld in Ostpreußen. und Hannover, Zuckernotgeld in Pommern und Kohlennotgeld in Schlesien. Wegen Mangels an Kupfer wurde Geld aus Aluminium oder Porzellan hergestellt.</P>
Eine illustrierte Zeitschrift kostete am 8. Juli 1923 1500 Mark, drei Monate später 200 000 Mark und vier Monate später 50 Milliarden.</P>
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Briefmarken wurden ohne Ziffern gedruckt. Der Schalterbeamte schrieb den jeweiligen Tageswert der Frankatur darauf, heute 150 Millionen, morgen 170 Millionen und so fort. Häufig wurden auch Geldscheine an die Briefe angeklammert.</P>
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Die Kinder spielten auf der Straße >Inflation<:</P>
Eins, zwei, drei, vier, fünf Millionen, meine Mutter die kauft Bohnen, zehn Milliarden kost' das Pfund, und ohne Speck, du bist weg.</P>
Der Zwang, sich etwas >nebenher< zu verdienen, da man ja mit seinem Lohn, der schon Stunden später zu nichts zerronnen sein konnte, nicht auskam, trieb viele zur Börse. Zu spekulieren war die >große Masche<. An den Stammtischen, beim Friseur, im Autobus, in der Vorortbahn wurden die neuesten Tips besprochen, und wer einen Bankdirektor oder auch nur einen Banklehrling kannte, hatte alle Welt zum Freund. Selbst Liebespaare unterbrachen ihre Zärtlichkeiten, um sich das Neueste von der Börse mitzuteilen.</P>
Die Banken waren von Spekulations-Aufträgen bald so überlastet und ihre Räumlichkeiten so überfüllt, daß sich in Lotterie- und Tabakläden, in Kaffeehäusern und sogar auf der Straße >wilde Märkte< bildeten. Die Witzfigur jener Zeit des Totentanzes der Mark war >Portokassen-Alfred<, der erfolgreiche jugendliche Börsen-Spekulant. Im >Canotier<, dem steifen, ovalen Strohhut, den die amerikanischen Filmkomiker Buster Keaton und Harold Lloyd zur Mode gemacht hatten, konnte man ihn auf Abbildungen neben seiner aufgedonnerten >Braut< zum Rennen fahren sehen.</P>
Es wird berichtet, daß von der 28köpfigen Abschluß-Klasse einer Mittelschule von damals 25 Schüler zur Bank, also zum >Jobbern<, wollten.</P>
Die Existenz wurde zum Glücksspiel. Im gleichen Maß wie die Vermögen und die Sparguthaben schwanden auch die sittlichen Werte dahin..Das Motto einer ganzen Generation lautete: »Man lebt ja nur so kurze Zeit und ist so lange tot.«</P>
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Nie waren die Schlager so zweideutig wie in jenem Inflationsjahr 1923. An der Spitze der Popularität stand das >Bananenlied<:</P>
Ausgerechnet Bananen verlangt sie von mir.</P>
Es folgte das >Katzenlied< mit dem Text:</P>
Eine Miezekatze hat se</P>
Aus Angora mitgebracht,</P>
Und die hat se, hat se</P>
Mir gezeigt die ganze Nacht.</P>
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Niemand fand etwas bei einem Kehrreim wie etwa diesem:</P>
Ich möchte einmal, ich möchte zweimal,</P>
Ich möchte dreimal in einer Tour</P>
Mit dir, du Kleine, so ganz alleine...</P>
Kennzeichnend für die Gesamtsituation einer vom Tanz der Nullen aus dem Gleichgewicht gebrachten Zeit war der vielgesungene Kölner Karnevalsschlager:</P>
Wir versaufen unser Ohma ihr klein Häuschen und die erste und die zweite Hypothek.</P>
Der Präsident der holländischen Staatsbank gab damals seinen Eindruck von den Zuständen in Deutschland in Form einer Anekdote wieder. »Als der Teufel einmal gefragt wurde«, so sagte er, »wie man ein Land am gründlichsten ruiniere, gab er den Rat: >Zerstöre seine Währung!<«</P>
Mächtiger als Vanderbilt und Rockefeller</P>
Wie ein Fels in der Papierflut stand allein der Sachwertbesitzer. Und wer verfügte über mehr Sachwerte als Hugo Stinnes? »Einen Klingsor« nannte ihn Graf Keßler, »für den auf dem steinigen Boden deutscher Wirtschaftstrümmer Zaubergarten wachsen, einen Cagliostro einen Alchimisten, der aus Papier für sich Gold macht.«</P>
Viele Industrielle verstanden es damals, aus Papier Gold zu machen. Sie liehen von der Reichsbank Goldmark, erweiterten damit ihre Betriebe und zahlten die erhaltenen Kredite in schlechter Papiermark zurück. Unbestrittener Meister bei diesem Verfahren war jedoch Stinnes.</P>
Kein Vanderbilt, kein Rockefeller hat je so viel wirtschaftliche Macht in seiner Hand vereinigt. Kurz vor seinem unerwartet frühen Tod, der ihn im April 1924, erst vierundfünfzigjährig, nach einer Gallenoperation ereilte bestand sein Reich aus 1535 Unternehmen mit 3000 Fabriken. Darunter waren 80 Kohlenbergwerke und 55 Hüttenund Walzwerke. Stinnes war Herr über 600 000 Arbeiter.</P>
Ohne Stinnes war eine Stabilisierung der Mark nur schwer möglich. Schon 1922 legte der Wirtschaftssachverständige Professor Bonn dem damaligen Reichskanzler Wirth dringend nahe, die Währung zu festigen. Er erhielt zur Antwort: »Ich werde es versuchen, aber Sie müssen vorher Hugo Stinnes überreden.«</P>
Doch Stinnes ließ sich Zeit. Er hatte es nicht eilig, die Inflation zu beenden. Ihm schwebte ein gewaltiges Ziel vor: die Wiederherstellung der Macht des Kaiserreiches, doch nicht auf militärischem, sondern auf wirtschaftlichem Gebiet. Die verlorene militärische Vormachtstellung Deutschlands auf dem europäischen Kontinent sollte durch eine industrielle Vorherrschaft ersetzt werden. Als der nach links neigende Reichskanzler Wirth, den Stinnes nur den >Schulmeister< nannte, nicht bereit war, ihm auf dem Weg zu diesem Ziel zu folgen, betrieb Stinnes dessen Ersetzung durch den konservativen Schiffahrtsunternehmer Cuno.</P>
Doch das Volk drängte. Es verlangte immer ungestümer die Beendigung der untragbaren Verhältnisse. Hungerkrawalle in Berlin, in Breslau, in Frankfurt am Main taten ihr übriges, daß, unter Stresemann, dem Nachfolger Cunos als Reichskanzler, die Ärzte ans Krankenbett der anscheinend hoffnungslos dahinsiechenden Mark gerufen wurden. Unter ihnen ragten hervor: der frühere kaiserliche Finanzminister Dr. Helfferich, der sozialdemokratische Finanzminister Dr. Hilferding, Ernährungsminister Dr. Luther und der Direktor der Darmstädter und Nationalbank, Dr. Hjalmar Schacht.</P>
Am 15. November 1923 - ein Dollar entsprach 4,2 Billionen Mark - wurde mit der Ausgabe der Rentenmark begonnen. Fortan kostete ein Dollar nur noch 4,20 Mark.</P>
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Der Stinnes-Konzern hat in seiner letzten gewaltigen Aufblähung das Ende der Inflation nicht lange überlebt. Die Stinnes-Söhne mußten einen großen Teil des Konzerns veräußern.</P>
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