In Japan kollabieren Verischerungskonzerne. Auch in Europa könnte es Zusammenbrüche geben / VON HERMANNUS PFEIFFER
Die über 100 Jahre alte japanische Lebensversicherung Tokyo KMutual Life Insurance machte im März Pleite. Es war nicht der erste Zusammenbruch einer japanischen Assekuranz: Im Herbst hatten bereits Kyoei Life und Chiyoda Mutual schlappgemacht. “Das ist ungefähr so, als wären der Gerling-Konzern und die Nürnberger Leben pleite”, notierte der Brancheninfodienst Deutsche Versicherungsbörse. Kann ein solcher Crash tatsächlich auch Unternehmen auf dem deutschen Markt treffen?
Die Versicherungslobby verneint das. In Deutschland sind Pleiten “unwahrscheinlich”, heisst es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Strenge Gesetze, die erhebliche Rücklagen vorschreiben, eine solide Aufsicht und hohe Kapitalreserven würden Konkurse verhindern. Vielleicht machen es sich die Versicherer mit ihrem Optimismus da etwas zu leicht.
Seit Ende der Neunziger Jahre zweifeln Experten an der Sicherheit mancher der über 1000 in- und ausländischen Versicherungsunternehmen, die sich auf dem deutschen Markt tummeln. Schon im Juni 1999 hatte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) vor “einer Erhöhung der Ruinwahrscheinlichkeit” gewarnt. Es folgte die Stiftung Warentest. Jetzt schlägt der Bund der Versicherten Alarm. “Ja, eine Pleite kann auch in Deutschland passieren”, fürchtet BdV-Sprecher Thorsten Rudnik.
Die Skepsis scheint begründet. Schliesslich erfolgt die Kontrolle der Versicherungstarife erst im Nachhinein. So können innovative Produkte fast beliebig kreiert werden - und zugleich wächst die Gefahr falscher Kalkulationen oder zu riskanter Kapitalanlagen. Die verschärfte Konkurrenz zwischen den Anbietern nimmt obendrein ruinöse Züge an: Viele Unternehmen haben im reinen Versicherungsgeschäft, vor allem beim Autoschutz, jahrelang deftige Verluste eingefahren. Auf 100 Mark, welche an Beiträgen für Sach- oder Unfallversicherung hereinkommen, entfallen 105 Mark für Schäden und Verwaltungskosten. Ungesund erscheint auch der Zahlenbericht 1999 / 2000 der privaten Krankenversicherer: Den eingezahlten Beiträgen von 39 Milliarden Mark stehen Aufwendungen für Leistungen und Rückstellungen von insgesamt 47 Milliarden Mark gegenüber - ein Loch von rund 8 Milliarden.
Lebensversicherungen kämpfen mit zwei weiteren Problemen: niedrigen Zinsen und turbulenten Börsen. Die Talfahrt der Aktienkurse hat seit März 2000 in den stillen Reserven der Unternehmen mehr als 70 Milliarden Mark aufgezehrt. Daher stehen die Hochrechnungen der Lebensversicherer, mit denen sie auf Kundenfang gehen, auf “wackligen Beinen”, schreibt die Assekurata Rating-Agentur in einer Studie. Einige Unternehmen müssten sich fragen, “ob ihre Beispielrechnungen noch realistisch sind”, sagt Reiner Will von Assekurata.
Selbst wenn diese Probleme nicht in einem Konkurs enden: Zumindest könnten sie auf die Leistungen für die Versicherten durchschlagen. Daher wird es immer wichtiger, wie ein Unternehmen mit Kapital ausgestattet ist. Denn Gewinne - und davon hängen brauchbare Versicherungsleistungen ab - werden von der Assekuranz fast nur noch durch Kapitalanlagen erzielt. Man lebt also vom Eingemachten.
In Deutschland wurden Pleiten durch Ăśbernahmen abgewendet
Schwächer bestückt sind oft jüngere Firmen, ausländische Assekuranzen und manch heimische Versicherer, die den Börsenboom in den späten Neunzigern verschlafen haben. Inzwischen knabbern viele Unternehmen an ihren stillen Reserven, um trotz Zinsflaute und Kurskrisen unter dem Strich eine Rendite von sieben oder acht Prozent sicherzustellen. So wird im Jahr 2020 mancher Lebensversicherer vielleicht froh sein, wenn er wenigstens die garantierte Mindestverzinsung von 3,25 Prozent für seine Kunden noch aufbringen kann.
Tatsächlich hat es in Deutschland schon Fastpleiten gegeben, eta bei der Kölner Postversicherung, OecoCapital Lebensversicherung und Herrscher Lebensversicherung. Solche Schieflagen wurden durch Übernahmen geregelt. “Wer sagt, dass es nicht auch einmal einen Grossen trifft?”, fragt BdV-Sprecher Rudnik - dann kann niemand den Giganten und seine Millionen Versicherten retten. Verbraucherschützer fordern eine Einlagensicherung, damit die Kunden geschützt sind. Ähnlich wie Banken zahlen Vresicherer dann in einen Fonds ein, der im Notfall alle Kundenforderungen begleicht.
Eine Einlagensicherung “wäre die schlechteste aller Welten”, wehrt sich dagegeen der Versicherungsverband GDV. Ein solcher Notfallfonds greife schliesslich erst, wenn das Unglück bereits passiert sei. Das jetzige System aus Gesetz und Aufsicht wirke dagegen “prophylaktisch” und motiviere Unternehmen zur Vorsorge, beschwört GDV-Sprecherin Gabriele Hoffmann.
Mittlerweile mischt auch die EU-Kommission im Krisenpoker mit. Im Februar stimmte das Europäische Parlament einer Richtlinie zu, die vorschreibt, dass bei der Pleite eines Unternehmens (mit Auslandsniederlassungen) dessen Heimatland das Konkursverfahren abwickelt. So können Europas Verbraucher im Krisenfall überall gleich behandelt werden. Erst im Oktober hatte die Kommission zwei Richtlinienvorschläge veröffentlicht, welche die Kapitalbasis der Versicherer ab 2002 stärken sollen, um “als Puffer für unvorhergesehene Ereignisse” zu dienen. Wenigstens die Kommissare wissen, dass Fälle wie in Japan langfristig auch in Europa möglich sind.
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