Alles sinnlos fremdsprachliche unterstrichen:
P I N K S L I P I N B E R L I N
Gipfel der Nachmacher
Von Erich Albrecht
Internet-Boom, IT-Massenentlassungen, pfiffige Jobbörsen:
Deutschland hinkt einfach immer hinterher - wie die erste
deutsche "Pink Slip Party" in Berlin belegte. Der angebliche
"Networking"-Event geriet zum schalen Aufguss - und zur
werbewirksamen Bühne für die Veranstalter.
Dass das hier nicht wirklich sein kann,
wovon der Fahrgast erzählt, merkt der
Taxifahrer sofort: Veranstaltungen der
Dot.com-Industrie gibt's in Berlin-Mitte
oder in einer stillgelegten Backfabrik in
Prenzlauer Berg, aber bestimmt nicht in
Köpenick. Der Fahrer sieht gar nicht erst
die blitzenden 3er-BMW und mittelgroßen
Mercedes-Limousinen zwischen den
zerfallenden Gebäuden der
Reinbeckhallen, auch die Vans diverser
Fernsehsender übersieht er. Denn nur
eins fesselt seine Aufmerksamkeit: die in
der Sonne leidenschaftlich laut leuchtenden Lettern(ok, gab es im MA auch hier), die da
verkünden: Pink Slip Party. Offenbar was ganz Verdrecktes, etwas,
wofür man sich schämen sollte.
"Hiermit etwas zu provozieren, war durchaus gewollt", bestätigt
Frank Lichtenberg, Deutschland-Importeur der >u>Pink Slip Partys[/u],
hauptamtlich CEO von snacker.de und nebenher auch Leiter des
Arbeitskreises Start-ups im Eco-Verband.
Eine riesengroße Party sollte es werden, mit Tombola für "Pink
Slipper", Lounge-Musik, mit einem"pinken" Teppich, der eigens für die
erwarteten 640 Jobsuchenden ausgerollt wurde, Terminals zum
Personalien eingeben - und als Redner Alex Vieux, auf der A-List von
"Time digital europe" auf Position 15.
Im Networking und Vermitteln ist Vieux ein alter Hase. Schon Mitte
der Achtziger frühstückte er regelmäßig mit dem CEO von 3com,
telefonierte mit Bill Gates. Und er kam auch, zwar spät, aber er kam
und predigte wie ein echter Wahl-Kalifornier:"Als ich mich letzte
Woche mit Steve Jobs unterhielt, da fiel mir ein: Dieser Mann hier hat
uns den Apple beschert! Dann musste er gehen, und dann kam er
zurück und hat Apple neu erfunden. Genau das wird mit dem
Internet-Business geschehen. Daher mein Rat: Never give up[/b]!"
Alles nur [u]Show
Wen der Mann meint mit seinen aufmunternden Worten, wird nicht
recht klar. Wie gut Networking funktionieren kann, wissen jedenfalls
die Kollegen des Frankfurters Lichtenberg: Die Snacks stellt
snacker.de, den wahrlich abseitigen Veranstaltungsort fand die
Frankfurter Firma X-cite. X-cite hat Kontakte bei"32.000 Top
Locations", so das Faltblatt, das auf den mit rosa PVC bezogenen
Stehtischen ausliegt. Befremdend für die Vertreter der"Dot.com
today, dot.gone tomorrow"-Fraktion: X-cite verfügt außerdem über
eine Datenbank mit"5500 Promotern & Hostessen". Sollen das die
Alternativen sein? Oder etwa das Model-Pärchen, das vor der
Pressemeute posiert?
Statt konkreter Stellenangebote für Java-Programmierer, Controler
oder XML-Architekten liegen auf den Stehtischen Tattoos und
Mousepads von snacker, Einladungen des Eco-Forums und Werbung
von connexx, den Reinbeckhallen, der Career Company sowie
www.I-find-you-very-attractive.com. Nur die Frankfurter von
ProfessionPark, auch ein Partner, waren in Berlin nicht zu sehen.
Als Mitveranstalter in Berlin dabei ist wiederum die Offenbacher
Zeitarbeitsfirma dis-ag.de. Die für Marketing zuständige Carmen Metz
hat den ganzen Abend zu tun, führt ein Gespräch nach dem anderen.
"Etwas" PR soll ja auch für Partner und Sponsoren abfallen.
In den Gesprächen geht es dann nicht nur um Stellenvermittlung,
sondern - wie in den allermeisten gefilmten, fotografierten und
aufgenommenen Interviews des Abends - um die Internetbranche an
sich - und wie den Kindern der Internet-Revolution geholfen werden
soll.
Wo bleiben die Arbeitslosen?
In den USA kamen nach den Optionsscheinen die rosafarbenen
Entlassungspapiere (genannt"pink slips", seit man sie bei Ford in der
Lohntüte mit dem letzten Gehalt gleich mit austeilte) und dann die
legendären Partys. Die Idee schwappte über den Atlantik und damit
auch der Hype und das Interesse der Medien, doch auf der Straße
steht keiner, jedenfalls nicht in Köpenick. Die Tanzfläche bleibt leer.
Die Vertreter der diversen Berliner Tageszeitungen stürzen sich auf
jeden, der irgendwie arbeitslos aussieht. Reuters, Sat.1, Vox, n-tv
und TV-B filmen und inszenieren, was wie Vorstellungsgespräche der
lockeren Economy aussehen könnte.
Was fehlte, wonach alle Kameramänner und Fotografen suchten, das
blieben die Jobsuchenden. Ist denn hier keiner so verzweifelt und
fertig wie die Programmierer in Palo Alto, die nicht im Netz des
Sozialstaats aufgefangen werden, die außer Zeit und Naivität auch
das Ersparte der Eltern in den Sand gesetzt haben (denn zu den 100
Milliarden Dollar, die die Risikokapitalisten jährlich in Start-ups
investierten, kamen ja um die 500 Milliarden Dollar von privaten
Anlegern)?
Auch die Massen an Trockeneisnebel im Partyraum konnten es nicht
verschleiern: Die pink beleuchtete Tanzfläche blieb so belebt wie ein
Mittwochabend in... - Gütersloh; einer Stadt übrigens, in der Lycos
und Bertelsmann weit über 100 Mitarbeiter suchen, so die Vertreterin
eines weiteren Co-Veranstalters, Ursula Triller von worldwidejobs.de.,
dem Slogan nach"Der große europäische Karriereleiter".
Apropos X-cite: Deren Kontakte zu Hostessen verhalfen dem
Non-Event noch zum großen Lacher - als sich nämlich um 23 Uhr,
Stunden nach Start, die Tanzfläche endlich mit Leben zu füllen
begann. Mit zwei sich sehr professionell bewegenden Schönheiten.
Deren Gelenkigkeit sorgte für etwas Bewegung, zur echten
Warehouse-Party wurde die Veranstaltung dadurch noch lange nicht.
Und so wurde die erste deutsche Pink Slip Party zu einem
Networking-Event für eine uralte Branche. Schreiber mit Notizbüchern
und Fotografen mit Analogkameras fachsimpelten über ihre
Auftraggeber, Net-Business, E-Business - und den nächsten
Taxistand, der in Köpenick zwischen Kneipen mit Namen wie
"Wilhelmine" und"Hollywood" eben doch nicht so leicht zu
organisieren ist wie ein ausgeklinkter Abend in Manhattans Rebar.
Ja, ja, es ist eine Seuche geworden. Haben wir im Forum ja auch schon gelegentlich diskutiert. Es hängt auch von jedem selber mit ab, sich diesem Diktat nicht unterzuordnen und im Sinne der Sprachpflege auf andere einzuwirken. Eine gelegentliche E-Mailan N-TV schadet auch nicht.
J.
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