Der Dow-Jones-Index ist erstmals seit vielen Monaten wieder über 11 000 Punkte gestiegen
Wall Street setzt auf bessere Zeiten
Von GERTRUD HUSSLA
Es scheint, als hätten Fondsmanager, Händler und Privatanleger noch eine Nacht zum Nachdenken gebraucht. Auf die fünfte Zinssenkung der US-Zentralbank seit Anfang Januar hatte die Wall Street zunächst kaum reagiert. Am nächsten Tag dann kam die Rally. Der Dow-Jones-Index der 30 wichtigsten Industriewerte schaffte es in rasantem Tempo über die psychologisch wichtige Grenze von 11 000 Punkten. Es fehlt nur noch wenig, bis er wieder sein Rekordhoch vom Januar 2000 erreicht hat. Auch der technologielastige Sammelindex der Nasdaq wurde mitgerissen, allerdings hat er noch nicht einmal die Hälfte seines Allzeithochs erreicht. Das alles bei kräftigen Umsätzen.
Die Riesen-Zinsschritte der Zentralbank, verbunden mit den jüngsten Konjunkturdaten, haben offenbar für einen Stimmungsumschwung gesorgt. „Das Schlimmste ist vorüber“, glauben viele Investoren jetzt. Das Szenario hat sich geändert, befanden sie. Auch wenn die Reaktion übertrieben gewesen sein mag - vieles spricht dafür, dass die US-Aktien nach der monatelangen Seitwärtsbewegung im Trend endlich nach oben gehen.
Die Zinssenkungen dürften sich mit etwa einem Jahr Verspätung auf die US-Konjunktur auswirken. Damit könnten auch die Gewinnzahlen der Unternehmen nach ein oder zwei weiteren schlechten Quartalen wieder besser aussehen. Die Aktienkurse nehmen solche Entwicklungen um mehrere Monate vorweg. Offenbar haben Investoren entschieden, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, einzusteigen und an den erwarteten Kursverbesserungen teilzuhaben.
Dabei sei allerdings vor allzu hoch gesteckten Erwartungen gewarnt. Entlassungswellen und schlechter werdende Arbeitsmarktdaten könnten die US-Verbraucher zwingen, sich bei ihren Konsumausgaben zurückzuhalten. Die Unternehmen zeigen weiterhin wenig Interesse zu investieren, was vor allem den High-Tech-Sektor lähmt. Die Zeiten hoher Produktivitätssteigerungen sind vorbei. Die Energiepreise halten sich auf hohem Niveau, ein Kostenfaktor für Unternehmen wie Privathaushalte. Der von Zentralbankchef Alan Greenspan angestoßene Konjunkturaufschwung könnte sich daher verspäten und schwächer ausfallen als erhofft.
Andererseits unterstützen die geplanten Steuererleichterungen die Aktionen der Zentralbank. Die mäßigen Preissteigerungen dämpfen Ängste, dass die Notenbank mit ihren Zinsschritten übertrieben hat und es zu einem Inflationsschub kommt.
Für Anleger gibt es zwar keinen Grund zur Euphorie. Doch unter dem Strich könnte es sich wieder lohnen zu investieren. Aktien, die nicht zu teuer sind und solide Fundamentaldaten vorweisen, dürften eine angemessene Rendite erwirtschaften. „Angemessen“ bedeutet dabei um die zehn Prozent, nicht 20, 30 oder 50 Prozent wie zu Zeiten des Tech-Booms. Auch bei Festverzinslichen sind Kursverbesserungen zu erwarten.
Allerdings muss sich der Investor auf weitere, nervenaufreibende Kursschwankungen gefasst machen. Die nächste Saison der Quartalsergebnisse kommt bestimmt. Davor geben die Unternehmen ihre Gewinnwarnungen ab. Weitere Kurseinbrüche, vor allem im Technologiesektor, sind programmiert.
Unter dem Strich sprechen viele Zeichen dafür: Es lohnt sich wieder, Werte nach ihrer bisherigen Gewinn- und Kursentwicklung abzuklopfen, ausgewählt in verschiedene Sektoren zu investieren und auch einen angemessenen Anteil an Festverzinslichen zu halten. Das ist ein wenig Arbeit. Und man braucht auch mal eine Nacht, um darüber zu schlafen.
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