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 vwd Kommentar/Viel Lärm um (fragwürdige) Wachstumsvergleiche
 
 Von vwd Finanzkorrespondent Hans Hutter
 
 Frankfurt (vwd) - Wer heute starr auf Märkte und Medien blickt, hat den
 Eindruck, das Ansehen Deutschlands in Europa und der Welt hängt davon ab, ob
 das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2001 eine Eins oder eine Zwei
 vor dem Komma haben wird, ob der IWF mit der Prognose 1,9 Prozent oder die
 Wirtschaftsforschungsinstitute mit bisher 2,1 Prozent richtig liegen.
 Erstens sind Prognosen nur Schätzungen mit Annahmen: Ob die Exportmärkte in
 den USA boomen oder einbrechen, ob Ã-lexportstaaten über den Ã-lpreis deutsche
 Kaufkraft absaugen oder nicht. Zweitens sind auch endgültigen BIP-Daten mit
 Bedacht zu werten, zumal im internationalen Wettbewerbsvergleich.
 
 Fragezeichen hat die Deutsche Bundesbank schon im August 2000 hinter den
 unreflektierten Vergleich des US- und des deutschen Wirtschaftswachstums
 gesetzt, und nun im Mai-Monatsbericht unterstrichen. Die Fragezeichen sind
 klein und beseitigen nicht den Wachstumsrückstand Deutschlands zu den USA in
 der zweiten Hälfte der 90er Jahre von durchschnittlich 2-3/4 Prozentpunkten,
 auch wenn man nun jene 0,4 Prozentpunkte für unterschiedliche Messmethoden
 im EDV-Bereich abzieht, die man nun zu sehen glaubt. Nachdem inzwischen
 schon Frankreich ähnlich wie die USA misst, will es nun auch Deutschland
 tun.
 
 Aber die Zweifel melden sich, ob die amerikanische"hedonische
 Preismessung bei EDV-Gütern" und das dortige Deflationierungskonzept die
 Fortschritte der"New Economy" in den USA und den Rückstand in Deutschland
 und Europa aufzeigen kann. Das ist die spannende Frage auch im Streit um das
 Wachtumspotenzial in den USA und im Euroland, auch aus der Sicht von Fed-
 und EZB-Geldpolitik."Hedonismus" war bei den alten Griechen die"Lehre vom
 Streben nach Sinneslust", demnach will die"hedonische Preismessung" die
 Qualitätsänderung - konkret auf dem EDV-Sektor, aber auch bei Automobilen
 und Bekleidung (Mode?) - quantifizieren.
 
 Es verwundert nicht, dass die Franzosen in der Statistik schon lange im
 Lager der"Hedoniker" sind, also ähnlich wie die Amerikaner die Änderung von
 EDV-Qualität messen, während die sachlichen Deutschen an alten Methoden
 länger festhalten. Wenn aber das deutsche Wirtschaftswachstum - aktuell und
 beklagt Schlusslicht im Euroland - aus diesem Grunde auch unterzeichnet ist
 zum Frankreich-BIP (methodische Differenz aber wohl nur 0,1 Prozentpunkt),
 dann wird daraus keine deutsch-amerikanische Frage, sondern eine für die EU
 und das Euroland: Wo bleibt Eurostat?
 
 Hedoniker im Euroland vereinigt Euch! Es ist ja möglich, dass nicht nur
 der EDV-Sektor den BIP-Vergleich verzerrt, möglicherweise gibt es auch in
 anderen Sektoren (Gesundheitswesen) Statistik-Löcher. Und das ist ja kein
 akademisches Spiel, das mit dem alten Studentenspruch abgetan werden kann:
 "Lüge, Notlüge, Statistik". Es geht um Verzerrungen von zentralen geld- und
 wirtschaftspolitischen Benchmarks wie inflationsfreies Wachstumspotenzial
 und die zu quantifizierende Preisstabilität. Hier muss Amerika nach dem
 Wachstumsrausch der 90er Jahre jetzt in der Ernüchterung den Beweis bringen,
 wie dauerhaft die Produktivitätssteigerung dank der New Economy ist und
 wieviel nun dem nach unten schwankenden Zyklus zum Opfer fällt.
 vwd/22.5.2001/hu/cv
 
 
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