Robert Schrey
16.07.2000, 16:48 |
Langfristiger Dow-Chart Thread gesperrt |
Eines vorweg: die genauen Wendepunkte, Hoch- bzw. Tiefpunkte sind ziemlich zufällig, es steckt da keine Methode dahinter. Der Kursverlauf kommt dadurch zustande, dass an den Indexstand von heute die prozentualen Kursveränderungen von 29-55 (ungefähr) angehängt wurden, daher das realistisch anmutende Kursbild.
Wie ist es zu diesem Chart gekommen?
Das Thema"Lange Wellen" ist ziemlich neu für mich. Bis vor ungefähr zwei Jahren dachte ich nämlich noch, dass die Börse ein ewiges Steigen ist. Durch Zufall fiel mir letztes Jahr das Schumpeter-Buch"Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung - Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus" in die Hände. Als ich das Buch las, wurde mir recht schnell klar, dass die dort beschriebenen Mechanismen auf die heutige Zeit passen, wie die Faust aufs Auge.
Schumpeter beschreibt, wie, ausgehend vom Walrasianischen Gleichgewicht, durch eine Basisinnovation ein Investitions- und Kreditzyklus ausgelöst wird. Bei steigenden Preisen entfernt sich die Wirtschaft immer weiter von ihrem Gleichgewicht. Durch diese Störung wird anderen Unternehmern die Planungsgrundlage entzogen. Die Investitionen nehmen wieder ab, die Preise fallen wieder- es kommt zur Rezession. Die Theorie beruht ganz offensichtlich auf der Annahme, dass Innovationen schubweise auftreten und nicht etwa gleichverteilt über die Zeit. Schumpeter meint, dass dies niemand ernsthaft bezweifeln könne. Das wichtigste nochmal: Der Konjunkturzyklus wird einzig und allein von Innovationsschüben ausgelöst, von nichts sonst (insbesondere nicht von Geldpolitik- und Fiskalpolitik).
Die Aufgabe besteht also darin, herauszufinden, welche Basisinnovation den augenblicklich zu beobachtenden Zyklus ausgelöst hat. Es fällt nicht schwer, den"Mikroprozessor" als Verursacher zu identifizieren. Als kritische Komponente steckt er hinter den vielen Entwicklungen, die die Welt in den letzten Jahrzehnten weitergebracht haben. Sogar die jüngsten Durchbrüche in der Biotechnologie wären ohne leistungsfähigste Rechner nicht denkbar gewesen. Ich würde also den Beginn der jüngsten Innovationswelle auf ca. 1970 datieren.
In der 1938 erschienenen Schrift"Business Cycles" identifiziert Schumpeter drei verschiedene sich überlagernde Wellen: Kondratieffzyklus (55 Jahre), Juglarzyklus (11 J.), Kitchinzyklus (3 J). Diese Zählung hat Schumpeter aus einer Analyse aller Konjunkturzyklen seit 1790 in den Ländern Deutschland, USA, und England gewonnen. Jeweils in der Mitte des langen Zyklus kommt es zu dem Phänomen, das Sch als"Kondratieffdepression" bezeichnet. Sch selbst gibt hierfür die Umschreibung"abnormale Liquidation"- man kann sich also ungefär vorstellen, was da passiert. Technisch gesehen handelt es sich um das zeitliche Zusammenfallen der Abwärtsphase aller drei Zyklen. Nach meiner Interpretation war das zum letzten Mal etwa 1929-32 der Fall. Davor etwa um 1873 und 1820. Die zugehörigen Innovationen lassen sich unschwer identifizieren: Dampfmaschine, Eisenbahn, Verbrennungsmotor (irgendwie so).
Wer mitgerechnet hat, wird erkennen, dass wir"überfällig" sind. Wieso sind wir noch nicht in dieser abnormalen Liquidationsphase? Unschwer lassen sich die Krisen des letzten Jahrzehntes in das Bild einordnen (Japan, Ostblock, Mexiko, Südostasien, Russland). Solche Krisen entstehen nicht, wenn die Wirtschaften sich auf einem soliden Wachstumstrend befinden. Der Westen ist meines Erachtens verschont geblieben, weil die Regierungen und Notenbanken bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Geld nachgeholfen haben und dadurch das Unvermeidliche noch herausgzögern (Greenspan hat jetzt mehrfach angekündigt, dass das nicht mehr vorkommen wird). Zu einer Inflation ist es nicht gekommen, weil, trotz der Geldschwemme, der zugrunde liegende Preistrend seit mindestens zehn Jahren abwärts gerichtet ist.
Ein pikantes Detail zum Schluss: Der 29er Crash kam wenige Wochen nach der Wahl des Republikaners Hoover zum Präsidenten, der von dem Demokraten Coolidge den Bubble erbte.
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JüKü
16.07.2000, 17:18
@ Robert Schrey
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Re: Langfristiger Dow-Chart |
Danke für den Beitrag! Sehr interessant. Hoffentlich sehen wir Sie hier öfter!
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Ratzebutz
16.07.2000, 17:22
@ Robert Schrey
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Re: Langfristiger Dow-Chart |
>Eines vorweg: die genauen Wendepunkte, Hoch- bzw. Tiefpunkte sind ziemlich zufällig, es steckt da keine Methode dahinter. Der Kursverlauf kommt dadurch zustande, dass an den Indexstand von heute die prozentualen Kursveränderungen von 29-55 (ungefähr) angehängt wurden, daher das realistisch anmutende Kursbild.
>Wie ist es zu diesem Chart gekommen?
>Das Thema"Lange Wellen" ist ziemlich neu für mich. Bis vor ungefähr zwei Jahren dachte ich nämlich noch, dass die Börse ein ewiges Steigen ist. Durch Zufall fiel mir letztes Jahr das Schumpeter-Buch"Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung - Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus" in die Hände. Als ich das Buch las, wurde mir recht schnell klar, dass die dort beschriebenen Mechanismen auf die heutige Zeit passen, wie die Faust aufs Auge.
>Schumpeter beschreibt, wie, ausgehend vom Walrasianischen Gleichgewicht, durch eine Basisinnovation ein Investitions- und Kreditzyklus ausgelöst wird. Bei steigenden Preisen entfernt sich die Wirtschaft immer weiter von ihrem Gleichgewicht. Durch diese Störung wird anderen Unternehmern die Planungsgrundlage entzogen. Die Investitionen nehmen wieder ab, die Preise fallen wieder- es kommt zur Rezession. Die Theorie beruht ganz offensichtlich auf der Annahme, dass Innovationen schubweise auftreten und nicht etwa gleichverteilt über die Zeit. Schumpeter meint, dass dies niemand ernsthaft bezweifeln könne. Das wichtigste nochmal: Der Konjunkturzyklus wird einzig und allein von Innovationsschüben ausgelöst, von nichts sonst (insbesondere nicht von Geldpolitik- und Fiskalpolitik).
>Die Aufgabe besteht also darin, herauszufinden, welche Basisinnovation den augenblicklich zu beobachtenden Zyklus ausgelöst hat. Es fällt nicht schwer, den"Mikroprozessor" als Verursacher zu identifizieren. Als kritische Komponente steckt er hinter den vielen Entwicklungen, die die Welt in den letzten Jahrzehnten weitergebracht haben. Sogar die jüngsten Durchbrüche in der Biotechnologie wären ohne leistungsfähigste Rechner nicht denkbar gewesen. Ich würde also den Beginn der jüngsten Innovationswelle auf ca. 1970 datieren.
>In der 1938 erschienenen Schrift"Business Cycles" identifiziert Schumpeter drei verschiedene sich überlagernde Wellen: Kondratieffzyklus (55 Jahre), Juglarzyklus (11 J.), Kitchinzyklus (3 J). Diese Zählung hat Schumpeter aus einer Analyse aller Konjunkturzyklen seit 1790 in den Ländern Deutschland, USA, und England gewonnen. Jeweils in der Mitte des langen Zyklus kommt es zu dem Phänomen, das Sch als"Kondratieffdepression" bezeichnet. Sch selbst gibt hierfür die Umschreibung"abnormale Liquidation"- man kann sich also ungefär vorstellen, was da passiert. Technisch gesehen handelt es sich um das zeitliche Zusammenfallen der Abwärtsphase aller drei Zyklen. Nach meiner Interpretation war das zum letzten Mal etwa 1929-32 der Fall. Davor etwa um 1873 und 1820. Die zugehörigen Innovationen lassen sich unschwer identifizieren: Dampfmaschine, Eisenbahn, Verbrennungsmotor (irgendwie so).
>Wer mitgerechnet hat, wird erkennen, dass wir"überfällig" sind. Wieso sind wir noch nicht in dieser abnormalen Liquidationsphase? Unschwer lassen sich die Krisen des letzten Jahrzehntes in das Bild einordnen (Japan, Ostblock, Mexiko, Südostasien, Russland). Solche Krisen entstehen nicht, wenn die Wirtschaften sich auf einem soliden Wachstumstrend befinden. Der Westen ist meines Erachtens verschont geblieben, weil die Regierungen und Notenbanken bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Geld nachgeholfen haben und dadurch das Unvermeidliche noch herausgzögern (Greenspan hat jetzt mehrfach angekündigt, dass das nicht mehr vorkommen wird). Zu einer Inflation ist es nicht gekommen, weil, trotz der Geldschwemme, der zugrunde liegende Preistrend seit mindestens zehn Jahren abwärts gerichtet ist.
>Ein pikantes Detail zum Schluss: Der 29er Crash kam wenige Wochen nach der Wahl des Republikaners Hoover zum Präsidenten, der von dem Demokraten Coolidge den Bubble erbte.
Das paßt dazu:
http://www.prudendbear.com/credit.htm
<ul> ~ Schumi on Credit</ul>
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Sascha
16.07.2000, 17:30
@ Robert Schrey
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Interessanter Beitrag! |
Hallo Robert!
Interessanter Beitrag. Ich kann auch nur hoffen, das wir Sie (Dich) hier öfter im Forum sehen werden.
Sascha
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dottore
16.07.2000, 17:51
@ Robert Schrey
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Re: Langfristiger Dow-Chart |
Lieber Herr Schrey,
eine sehr gute Analyse. Schumpeter ist natürlich PFLICHTLEKTÜRE (das nebenbei an die Adresse von aaa, der ja Second-Hand, also etwas ältere Gedanken so flott ablehnt, wie wir lesen konnten). Übrigens einer der wenigen Ã-konomen, die das Kredit- (alias Schulden-)-Problem richtig erkannt hatte.
Es ist in der Tat so, dass wir eine Überlagerung der drei Zyklen haben, wobei der Kondratieff sozusagen die Grundströmung ist, der Juglar die aktuelle Großwetterlage und der Kitchin der TRIGGER des ganzen, wenn jeweils, sich nach unten gerichtet verstärken.
Der derzeitige Kondratieff ist diesmal extrem gestreckt, aber seine Dauer hatte K. schon nur"in etwa" angegeben, weil er in seinem bahnbrechenden Aufsatz über die"Langen Wellen der Konjunktur" (erschienen auf deutsch, ich glaube 1926) nur zwei lange Wellen ab ca. 1780 etwa materialmäßig zur Verfügung hatte. Der dritte Kondratieff hatte sein Low um 1934, evtl. auch erst - realwirtschaftlich - kurz vor WK II, weshalb einige Kondratieffianer, z.B. Don Hoppe schon nach dem 87er Crash geglaubt hatten, dass es jetzt 1988 so weit sei.
Seit 1934 sind fast 65 Jahre vergangen, seit 1939 erst 61. Und es ist noch nichts (oder bestenfalls a bisserl was) zu sehen. Ein 72-Jahres-Kondratieff sollte das Maximum sein (dann zugleich Tiefstpunkt, also 2008 (oder noch später). Dabei kann die Börse aber schon längst wieder nach oben gegangen sein - der berühmte"Vorlauf". Wie auch in den 30er Jahren zu sehen.
Auch der Juglar, vom gleichnamigen Clément J. in der 1830er und 40ern entdeckt, kann zwischen 9 und 12 Jahre dauern. Also das käme (1990 als Ausgangspunkt) auch in etwa hin. Der Kitchin ist m.E. schon aufs äußerste gestretcht (ab 1996).
Der entscheidende Punkt in Ihrer Analyse aber ist der Hinweis auf das"Hinauszögern" des"Unvermeidlichen". Jedes Hinauszögern macht das Unvermeidliche natürlich nur noch schlimmer - dazu die hier überall in vielen Texten geposteten bzw. von JüKü reingestellten Beiträge.
Das"pikante Detail" wird so pfeffrig wie progonstiziert. 1988 hättes es gut zu Reagans Abschied gepasst, aber es gab noch eine Ehrenrunde. Calvin Coolidge war übrigens Republikaner (folgte dem Republikaner Harding nach dessen Tod).
Und nach Hoover kam der"Weltverbesserer" Roosevelt (Staatsinterventionismus ohne Ende - statt Ausbuchen der Uneinbringlichkeiten - plus Goldaufwertung und Verbot für alle Amerikaner, Gold besitzen zu dürfen - und das im"freiesten Land der Welt").
Das Schönste an Geschichte ist, dass sie sich selbst noch viel besser kennt als wir alle zusammen. Und sich daher gnadenlos wiederholt.
Nochmals besten Dank!
d.
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