dottore
20.06.2001, 10:37 |
BILD, Seite 1:"Null-Wachstum! Regierung schlägt Alarm" - dazu: Thread gesperrt |
WiMi Müller: "Im laufenden zweiten Quartal könnte sich ein Nullwachstum ergeben."
Warum schlägt die Regierung Alarm? Klingt irgendwie herzig. Denn wer sollte alarmiert werden? Die Regierung selbst? Die"Wirtschaft"? Aber wer darin konkret? Die"Notenbank" - aber was sollte sie tun? Selbst Aufträge vergeben (die Aufträge in der Wirtschaft fallen ganz besonders dramatisch)?
Jetzt soll (Vorschlag CDU, FDP, Grüne) die nächste Stufe der Steuerreform vorgezogen werden. Es sollen also die Steuersätze gesenkt werden, was eben erst der Fall war und offenbar nichts geholfen hat. Sonst hätte die Steuersenkung im ersten Quartal keinen Stillstand im zweiten bewirkt.
Dass Steuersenkungen ohnehin nichts helfen, hat eben erst Prof. Paul Krugman für die USA nachgewiesen, ich hatte sein neuestes Buch"Fuzzy Math" vor kurzem hier vorgestellt. In den USA war es um eine einmalige Steuersenkung gegangen (die von Herrn Bush).
Nun soll es in D - im Gegensatz zu den USA - eine Abfolge von Steuersatzenkungen geben. Dass dies in jedem Fall kontraproduktiv ist, liegt auf der Hand: Wer durch etwelche wirtschaftliche Tätigkeiten etwas zu verdienen hofft (und dann weniger ertragsabhängige Steuern bezahlt), wird diese Tätigkeiten nach hinten verlagern, also lieber vertagen, was mit Sicherheit nicht aus der Krise führt.
Dieser Negativ-Effekt wird sich noch verstärken, je mehr die Front der Fraktion"Steuersenkungen wie festgeschrieben" ins Wanken gerät.
Das ist wie bei Zinssenkungen, von denen angenommen wird, dass sie sich fortsetzen. Es ist günstiger zu warten, weil das die Kreditkosten senkt.
Aber selbst wenn und wie: Die Wirkungen (oder Nichtwirkungen) von Steuersatzsenkungen setzen in jedem Fall voraus, dass überhaupt Steuern anfallen. Diese können aber nur anfallen, nachdem BIP realisiert wurde.
Was uns zu alten Frage zurück bringt: Warum und womit wird BIP überhaupt realisiert? Das Anbieten von BIP allein kann es nicht sein. Es müssen also zusätzliche Kaufakte Statt finden. Das Stattfinden von zusätzlichen Kaufakten setzt sub summa immer das zusätzliche Kontrahieren der selben voraus.
Das sog."Geld" kann sich immer nur auf bereits produziertes BIP beziehen, da es aus der"Monetarisierung" von Kreditverhältnissen basiert, die ihrerseits erforderlich waren, um das BIP überhaupt zur Angebotsreife zu bringen.
Es geht also, wie immer, ausschließlich um die Frage, ob zusätzliche Kredite entstehen, die zuerst das zusätzliche BIP erstellen und dann - über den Faktorkosten-Effekt (Löhne werden zu Einkommen usw.) - wieder vom Markt nehmen.
Wann entstehen zusätzliche Kredite? In der modernen Wirtschaft immer nur, wenn die Teilnehmer am Wirtschaftsgeschehen erwarten (können), die Kredite mit späteren Einkommen (Erträgen) auch ablösen zu können.
Das wäre, bezogen auf die"vorgezogene Steuersenkung", eine Möglichkeit: Die Konsumenten beispielsweise könnten um eine Ausweitung ihrer Kreditrahmen nachsuchen, in der Hoffnung, diese Kredite mit Hilfe eines späteren höheren Nettoeinkommens abzulösen (wer 5000 netto erwartet statt der bisherigen 4800 könnte sich die 200, die er so"gewonnen" hat als zusätzliche Sicherheit anbieten).
Bei den Unternehmen in Form von Kapitalgesellschaften ist das bekanntlich nicht gegeben, da deren Steuersätze sich nicht verändern. Bei Dividendenbeziehern gilt in etwa das, was auch für Konsumenten gilt, allerdings stark abgeschwächt, da Dividendenbezieher in der Regel nicht um Konsumkredite nachsuchen. Abgesehen davon schnurren die Gewinne in fast allen Bereichen dramatisch zusammen.
Das Ganze sieht also ziemlich schlecht aus. Und je mehr sich die Vorstellung fest setzt, dass eine"Krise" herauf zieht, desto mehr wird die Bereitschaft zur Aufnahme zusätzlicher Kredite abnehmen, da ihre Bedienungs- und Rückzahlungsmöglichkeit negativer eingeschätzt wird.
Nun könnte der Staat in alter Manier mit Hilfe zusätzlicher Verschuldung das Ganze ins Positive zu wenden versuchen, indem die zunehmenden Staatsschulden die abnehmenden der Privatwirtschaft ersetzen.
Dazu müssten die neuen Staatsschulden erheblich über das hinausgehen, was derzeit geschieht (im wesentlichen das Hochbuchen der Zinsen auf die bereits vorhandene Staatsverschuldung). Dies würde einen totalen Paradigmenwechsel der bisherigen Finanzpolitik (= Sparen, sparen, sparen) bedeuten.
Eichel, der den Abschwung standhaft negiert (womit er sich natürlich lächerlich macht) und ihn weiterhin negieren muss, da er nicht von seiner"Sparpolitik" abgehen will oder kann, ist in einer denkbar misslichen Situation.
Selbst aber wenn er (oder sein alsbald erscheinender Nachfolger) diesen Paradigmenwechsel einleiten sollte, dürften sich die bekannten japanischen Effekte einstellen: Ein Konjunkturprogramm jagt das nächste - und wieder und wieder"geschieht" nichts.
Ich sehe die Brücke, von der wir so oft schon gesprochen haben, immer deutlicher (eigentlich schon zum Betreten nahe) und darf die Board-Teilnehmer bitten, sich sehr ernsthafte Gedanken über die Sicherung von Einkommen und Vermögen zu machen.
Dazu zählt vor allem das Vermeiden jeglicher Risiken, was das Vermögen anbetrifft. Und die Maximierung des auch in den nächsten (möglicherweise weltweit stark rezessiven) Jahren zu erwartenden Einkommens und zwar des verfügbaren Einkommens (was vor allem über Schuldenminimierung und Herunterschrauben bisheriger Ansprüche über die Aufstellung realistischer privater Haushaltpläne geschehen sollte).
Es tut mir wirklich leid, keine bessere Botschaft zu haben (und bitte, nicht den Boten mit der Botschaft zu verwechseln).
Vor allem bitte ich dringend, die Hoffnung auf etwaiges"kluges" Gegensteuern seitens der Politiker oder der Notenbankgewaltigen fahren zu lassen. Von ihnen ist in der sich abzeichnenden Lage nichts zu erwarten. Die Herrschaften (ich weiß es aus diversen Gesprächen) sind definitiv am Ende ihres Lateins!
Gruß + Good Luck!
d.
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Talleyrand
20.06.2001, 12:32
@ dottore
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Nehmen Sie uns bitte an die Hand... |
...Dottore, und diese Bitte ist für meine Verhältnisse stärkster Tobak.
Habe in meinem jungen Leben keine Autorität (bis auf jenen ur-ur-alten Herrn) v o l l anerkannt. Bei Ihnen mach ich jetzt aber die Ausnahme, ich habe fertig.
Ich weiss schon gar nicht mehr, was los ist (sein wird), denn klassische Muster können jetzt gar nicht mehr helfen. Deshalb bin ich zwar paradoxerweise ganz kurzfristig und nah-langfristig extrem positiv auf Edelmetalle gestimmt, mittelfristig (abweichend von der gängigen Lesart: 1 Jahr) aber negativ.
Denn was ist wahrscheinlich?
Senken die USA die Zinsen weiter (ich glaube, viel geht gar nicht mehr), dann wissen wir noch nicht mal:
a) werden sie via Kreditaufnahme überhaupt angenommen?
b) falls ja, wo landet das Geld?
Zu b): Umschuldung (!), Aktien (?), Festverzinsliche (!)
Zu den Bonds: was geschieht, wenn die erste d i c k e Konkurswelle kommt?
Könnte das nächste Al-Green-Stück nicht aber genau so gut eine Zinserhöhung sein? Die Welt würde aus allen Wolken fallen, aber die alten Rezepte sagen doch: bei Inflation erhöhe man die Zinsen.
Wenn das nun aber auch keine vor Furcht bibbernden Mitspieler z.Bsp. dazu veranlasst, sich als start-up-Unternehmer lächerlich und pleite zu machen? Warum sollte es auch? Dann geht es wieder heissa in die Bonds.... um dann festzustellen, daß die zu junk-bonds werden.
So oder so kann man also die"Geldmenge" (ich weiss, es gibt sowas nicht) nach unten bringen. Was allerdings viele Menschen leicht verstören bis ruinieren wird, ist das Tempo des kommenden Hin & Her.
Was Ihre Aufforderung betrifft, die Schotten dicht zu machen: ich habe mir schon seit einiger Zeit eine strikte Ausgabensperre verordnet, die ans Absurde grenzt. Auch habe ich es bislang aus vermeiden können, Debitor zu werden. Ein bischen cash ist auch dabei übriggeblieben. Einnahmen sind absolut gesichert bis Ende des Jahres. Ich nehme an, da habe ich im Schnitt etwas voraus. Ab Januar wird es dann für mich auf dem Arbeitsmarkt extrem spannend, weil nicht nur ich zu dieser Zeit wahrscheinlich einen leichten Adrenalin-Überschuss haben werde. Ich würde mich erheblich besser fühlen, wenn ich neben meinem bischen Gesparten, der Schuldenlosigkeit auch noch ein Wohneigentum hätte, wie schäbig auch immer, Hauptsache: mietfrei.
Die geschilderte Situation ist sicher, in der Rückschau, jedenfalls gemessen am Durschnitt der Bevölkerung, eine komfortable. Dennoch habe ich die Hosen gestrichen voll. Denn vorausschauend könnte sich das noch als zu wenig erweisen.
Die allgewaltigen Politiker, Notenbank-Leuten und sonstige"Experten" nehme ich heute noch weniger ernst, als ich sie vorher schon genommen habe.
Was mich jetzt schockiert, ist die von Ihnen lange, lange angekündigte, nun auch dem durschnittlichen Betrachter (also mir) offenbar werdende totale Unfähigkeit dieser Leute. Damit meine ich keine persönliche Unfähigkeit, sondern die tatsächliche, sich aus den Fakten ergebende Schlussfolgerung: egal, wie jetzt agiert wird, alles ist falsch und hilft maximal ein paar Wochen / Monate. Die Pendel-Zeiträume dürften sich dramatisch verkürzen.
Den Debitismus in seinem Lauf halten jetzt weder Ochs noch Esel auf!
(Und so schnell, wie es 89/90 abging, kann es heute auch wieder gehen...)
Resignierter Gruss, T.
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Josef
20.06.2001, 21:20
@ Talleyrand
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@Talley: NICHT resignieren, Leben in die Hand nehmen!! Wie sag' ich dir hier. |
Deinen Beruf kenne ich nicht. Wichtig aber ist, dass du irgendetwas kannst,
d.h.ausueben kannst, was andere dir nicht so schnell nachmachen koennen,
also eine besondere Faehigkeit entwickelst. Allerdings geht das nicht so schnell, aber wichtig ist, damit anzufangen. Am besten ist etwas, das moeglichst
vielen Leuten einen moeglichst grossen Nutzen bringt. Wenn es eine Faehig-
keit ist, die nicht veraltet, waere das noch besser. (Computertechnik ver-
altet schnell, Naturmedizin veraltet nicht, als Beispiele gedacht)
Zudem ist es wichtig, dass dir die gewaehlte Faehigkeit auch liegt oder
sogar Freude macht.
Wenn du willst, lass' dir von Juekue meine e-mail-Nummer geben indem du dich
auf dieses Posting beziehst und schick' mir dann eine e-mail.
Freundliche Gruesse
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Talleyrand
20.06.2001, 23:03
@ Josef
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Sowieso! |
Lieber Josef, vielen Dank für Deine freundlichen Zeilen!
Die Resignation ist nicht absolut, sondern relativ, sie betraf die nun so aus dem persönlichen Kontrollbereich entgleitende Gesamtlage. In stürmischen Zeiten wird man halt mitgeweht.:-)
Vielen Dank, ggf. werde ich auf Deinen freundlichen Vorschlag zurückkommen.
Gruss! T.
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