Werte Leserinnen und Leser, Forumsstöberer, Mitlästerer und Optimisten,
neulich lief ich auf dem Weg zur Bank an einem Straßenmusikanten vorbei, unverkennbar südländischer? Herkunft, und bis zu meinem Rückweg in die Tiefgarage hatte ich Zeit, ein wenig über diesen Mann nachzudenken.
Er stand da, freundlich alle Passanten grüßend, weder aufdringlich noch aggressiv, und spielte nicht mal schlecht ein paar unterhaltende Klassiker.
ich warf ihm ein 5 Frankenstück in den Hut und er freute sich sichtlich.
Nachdem ein jeder von uns sich in so einer Lage finden kann, wäre jeder froh, man würde ihm die schwierige Lebenslage etwas erleichtern.
Er bat"konkludent", aber passiv und unaufdringlich, um eine Mildtätigkeit, die ich ihm gerne gewährte, und andere ebenfalls.
Ein paar Wochen vorher erzählte mir ein Bekannter, er sei zuhause von einer"Angehörigen einer nichtseßhaften Minderheit" durch Bettelei vor der Haustür belästigt worden, und er bot ihr daraufhin zu Essen an - nein, sie wolle Geld, und nur dieses. Kein Käs, kein Brot.
Als er ablehnte, beschimpfte sie ihn und fluchte drohend.
Nachher stellte sich heraus, daß offenbar eine ganze Gruppe solcher Bettelnder aus Niederösterreich anreiste, denn ihr Kleinbus hatte ein dortiges Kennzeichen.
Dies verdeutlichte mir, wie sehr es auf die Gesinnung ankommt, ob von Forderungen und Erwartungen, Rechten und Mißbrauch von Mitgefühl die Rede ist, oder von dem Zauberwort"Bitte" in einer sichtbaren Notlage, die nicht mißbraucht wird.
Aber das ist noch nicht alles.
Ich gehe davon aus, daß von einem Straßenmusikant durchaus ein Stundeneinkommen von 20-40 Franken erreichbar ist, wenn ich meine Beobachtungen hochrechne.
Natürlich muß er irgendwas können, ein Pappschild reicht nicht.
Aber er plagt sich nicht sonderlich.
Eine Umzugsabrechnung neulich zeigte mir, daß ein Umzugshelfer mit 38 - 45 DEM pro Stunde abgerechnet wird, wobei dem Helfer 10 - 12 Mark netto pro Stunde verbleiben.
Es ist die Plage im Schweiße des Angesichts, Klaviertransport, Tresorschleppen, nachts durch die Gegend holpern und früh wieder ausladen und aufbauen.
Ein Knochenjob sonder Gleichen.
Die redliche Mühe des Umzugshelfers wird im Vergleich zu den mildtätigen Gaben völlig entwertet, und dies erinnert mich an meine Konfirmation (ja, damals war ich noch Mitglied, ja, das bin ich auch heute noch, aber, also, ich war damals noch konfessionsgebunden ;-), das wollt ich sagen), und aus mir unerfindlichen Gründen erwählte mich unser Ortspfarrer als den reichen Weinbergsbesitzer für das Konfirmationsspiel.
Obwohl ich mich in diese Rolle gut einverdenken konnte, war mir doch schon in Kindertagen ein Traminer weniger willkommen als ein Riesling, und der Bacchus von der Scheurebe gut zu unterscheiden, so hatte ich irgendwas an mir, das mich in diese Rolle zwang. Eine Fahne wars aber sicher nicht.
Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und spielte das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, als reicher Weinbergsbesitzer (obwohl es korrekterweise Eigentümer heißen müßte, aber mit Zivilrecht hat die Bibel nicht viel am Hut):
die ersten begannen morgens und kriegten abends den vollen Tageslohn.
die mittags dazugekommenen schafften nur halb und kriegten abends trotzdem den vollen Tageslohn.
Die eine Stunde vor Feierabend gekommenen mußten kaum was tun, kriegten aber wieder den vollen Tageslohn.
Und auf die saueren Fragen wurde die Vollarbeiter auf die Moral von der GeCHicht gestubst: das ist halt Nächstenliebe.
SO ist es löblich.
Es stünde dem reichen Fettsack, äh, dem Weinbergbesitzer, also, diesem reaktionären Ausbeuterschwein (nein, Baldur, das hat der Pfarrer so nicht gesagt - ja, aber gemeint - ja, und deshalb bist Du ausgetreten aus dem Klerikerverein - jawollja, deswegen - )
ja frei, freigiebig mehr zu geben, als er müsse.
Jeder kann sich die Frage beantworten, wie es morgen in der Welt aussähe, würde man nach diesen Maßstäben handeln.
Leistungsgerechtigkeit vs. Mildtätigkeit.
Ich denke, wir haben hier ein Kernproblem angestochen, wonach es beides braucht, geben soll, da jeder aufgerufen ist, mitzuhelfen, daß alle in Freiden gut auskommen können.
jeder von uns kann morgen in einer hilfsbedürftigen Lage sein und wird sich freuen, wenn ihm Mildtätigkeit zuteil wird.
Gleichzeitig ist es eine Verhöhnung der hart arbeitenden, wenn ohne Anstrengung höhere Verdienste, nein, sagen wir besser: Almosen, zu erzielen sind.
Da stimmt etwas nicht.
Wir unterhalten uns hier schon lange über dieses Thema, aber selten wird man damit konfrontiert.
Für die Umzugshelfer gabs pro Mann einen Hunderter Trinkgeld, aber auf die Stunden bezogen war das nur ein Fünfer pro Stunde. Gut, immerhin freiwillig 50% Aufschlag zum Arbeitslohn, und für die ganze Mannschaft wars ein namhafter Betrag, aber dennoch irgendwie daneben im Vergleich zum Fünfer im Vorbeigehen im Hut des Akkordeonisten.
Auch von den Maßstäben haben wir oft hier gehört.
Geforderte 45 Mark auf die Hand für leichte Hilfstätigkeit, 30 Mark für Putz&Wischdienst, ist das die logische Konsequenz der Wiederherstellung der Verhältnisse?
Oder ist es eher die Beschneidung der selbstgesetzten Zielvorstellungen, die unter einem Jahreseinkommen von, sagen wir, 150.000 Mark, jede Tätigkeit als geringwertig und unterbezahlt erscheinen lassen, so daß man wieder froh sein wird, überhaupt irgendwetwas hereinzukriegen, um davon abends Nahrungsmittel zu kaufen und für die Miete zu sparen?
Ich denke, letztere Variante ist die wahrscheinlichere.
Wer ein hohes Einkommen hat, kann sich glücklich schätzen, aber sollte nicht erwarten, einen Erbhof gepachtet zu haben.
Und wer sich absichern möchte, sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, daß auch 80 Mark Tagesnettolohn erst erzielt werden müssen.
Getreu der Stimme aus dem Chaos, die davon sprach, es könne immer noch schlimmer kommen.........
Jede bezahlte Tätigkeit muß von einem anderen
1) nachgefragt werden
2) weil sie ihm MEHR einbringt, als er für die Hilfe zahlen muß
3) und er muß dafür überhaupt Hilfe brauchen
4) und sie sich selbst leisten können/wollen.
Viele ältere Pflegebedürftige bräuchten eine Haushaltshilfe, können sie aber nicht zahlen, oder sind auf illegale Beschäftigung angewiesen.
Wer von Zielvorstellungen ausgeht, was man haben möchte, muß sich auch mal fragen, ob die eigene Tätigkeit übberhaupt den Lohn wert ist, ob man diesen Lohn hierfür selbst an einen Dritten zahlen würde und / oder könnte.
Nehmen wir einmal einen Maklerlohn, der so um 6% (3 vom VK + 3 vom Käufer) liegt, und bei einem Anwesen von einer Million Wert immerhin das JAhreseinkommen eines Arbeitsnehmers ausmacht, ohne finanzielles Risiko am Objekt selbst.
Das beißt mich was.
Und so denke ich mir, daß es wieder zu einer neuen Bescheidenheit kommen wird, oder, besser gesagt, kommen muß.
Und die Zeiten des teuren Verkaufs von seichtem Blah-Blah, nehmen wir einmal den unvermeidlichen Guido Knopp und seinesgleichen, die noch heute vom 18436sten Aufguß unserer Vergangenheit (nein, nicht unserer eigenen, nicht mal das) gar nicht schlecht leben, oder denken wir an Misdä dausendbrozennd, oder an der Markus-minus-Frick-dot.de, werden uns in Erinnerung bleiben, damit wir mal unseren Enkeln was zu erzählen haben, wie absurd damals die Situation war in Absurdistan.
Beste Grüße an einem lauen Samstagabend von Baldur, Eurem Ketzer
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