Salü zusammen:
Folgende ebenso witzigen wie originellen Zeilen, stammen einem fast sechzig jährigen Buch des legendären Autors B. Traven: (Quellenangabe am Schluss). Beschrieben wird der totale Wirtschaftszusammenbruch und dessen angeblich übernatürliche Ursache. Eine herrliche Persiflage auf die unsichtbare Hand.
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„.....Der Orkan war da. Es rasselte in der Börse von New York, dass man seine strahlende Freude daran haben konnte, wenn man keine Papiere besass und neutraler Beobachter war.
Das flog nur so wie Fetzen.
Die Fetzen des stolzen und bewunderten Wirtschaftssystems.
Es hagelte und dröhnte. Die Wände des Gebäudes dieses ehernen Systems erzitterten.
Die Telefonzellen der Broker, der Börsenagenten, krachten.
Dreissig Punkte rauf. Schnell verkauft. Aber ehe zugesagt ist, zwanzig Punkte runter und niemand kauft für dreissig runter. Vierzig Punkte runter. Vier Punkte rauf. Hoffnung. Einen Punkt rauf. Cable über den Erdglobus. Markt beginnt sich zu festigen. Vierzehn Punkte runter. Markt erneut flattrig.
Drei Schüsse in drei verschiedenen Zellen der Wall Street. Jede Zelle kostet viertausend Dollar Miete im Monat. Eine Mönchszelle ist ein Rittersaal dagegen.
Zwölf Punkte rauf. Drei runter. Sieben runter. Vier runter. Zwei rauf. Telefonmädchen bekommen Krämpfe. Telegrafisten werden irrsinnig.
In den Büros der Banken und in den winzigen Stübchen der Agenten rasen die weisen schmalen Streifen mit Todesurteilen und mit den Hoffnungsbelebungen aus den Mäulern der Privattelegraphen heraus mit unerfassbarer Schnelligkeit.
Für den Uneingeweihten sind jene Buchstaben ebenso schwer zu lösen wie alt ägyptische Hieroglyphen. Und die Männer, die herumstehen um die Ticker, lesen und lesen. Lesen, mit der rechten Hand den weissen Streifen zerrend, um ihn noch schneller heraus zu holen aus dem unermüdlich spukenden Maule, mit der linken Hand den Telefonhörer vor dem bebenden Mund gepresst, um Orders zu geben. Orders zu geben so schnell, wie das splitternde Hirn die Ziffern, Situationen, Aktien, die man an der Hand hat, zusammen reimen kann.
Hirne, Mäuler, Ohren, Münde, Buchstaben und zerrende Hände sind gejagt von Mächten, die hier nicht gesehen, nicht gefühlt, sondern nur empfunden werden.
Der schmale weisse Streifen sprudelt und zischt und flattert heran, entscheidet in einer Sekunde die Schicksale von Zehntausenden von fleissigen und willigen Arbeitern, deren menschliche Persönlichkeit, deren Individualität, hier aufgelöst ist und die nur noch den Wert von einigen Punkten rauf oder runter in Aktien haben. Und der Streifen entscheidet die Schicksale von hunderten moligen Bürgern, die Studienpläne ihrer Söhne, die Heiratspläne ihrer Töchter, die Behäbigkeit ihrer Alters.
Und der lange schmale weisse Streifen rennt und rennt und rennt über die Spulen. Getrieben, gejagt, gehetzt, gezerrt.
Nach dem Giganten und Pygmäen versucht haben, so rasch zu entscheiden wie die Ziffern heran stürmen, bäumt sich der Streifen tot und vergessen über Papierkorb hinweg, zu einem wirren Haufen aufknüllend. Niemand hat auch nur soviel Zeit, den Streifen einmal abzureissen. Er knüllt und bauscht und bäumt sich rastlos weiter auf.
Und endlich sieht der Knäuel aus wie ein Skelett mit tausend verschlungenen und vertwisteten langen dünnen Knöchelchen.
Der Leichnam finanzieller Gedanken.
Erdbeben in der Wall Street. Erbeben des Wirtschaftssystems.
Jeden Tag Selbstmorde von Männern, die gestern gross, mächtig, unangreifbar, unerschütterlich schienen und waren. Säulen einer Wirtschaft, die so gesund und kraftstrotzend in die Welt blickte, als müsste das Universum sich vor ihr verbeugen.
Niemand vermag die Katastrophe zu beherrschen. Sie wird grösser und grösser..
Was so mächtig und ehern erschien, dieses so wohlorganisiserte, scheinbar so klug durchdachte, so gefestigt sein sollende, Wirtschaftssystem kracht in allen seinen Fundamenten.
Bankenstürme beginnen. Die Sparer sind von Panik erfasst worden. In unendlich langen Reihen stehen sie schon vor Mitternacht von den Banken.....
Hinter all diesem Wirrwarr sitzt kein plötzliches Verschwinden eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die unwiederbringlich Werte vernichtet. Hinter all diesem Zusammenbrechen wirtschaftlicher Ordnung und wirtschaftlicher Sicherheit, die ständig bedroht wird von Aufwieglern, sitzt nichts anderes als die gestörte Einbildung derer, die etwas haben, die unsicher gewordene Hoffnung derer, die viel besitzen, und derer die wenig besitzen. Die Suggestion, die Einbildung: „Ich kann verlieren“ reisst dieses schöne, von Gott gewollte, von Gott begnadete, von Gott beschützte Wirtschaftssystem in Fetzen. Und dennoch sind alle Werte gleichgeblieben. Die Werte haben sich nicht geändert. Es ist ebensoviel Kohle auf Erden wie vorher. Es ist kein Cent vom Erdball heruntergefallen in das Weltall, aus dem er nicht mehr gefischt werden kann. Alle Häuser stehen noch da. Alle Wälder. Alle Wasserfälle. Alle Ozeane. Die Eisenbahnen und Schiffe sind alle noch unversehrt. Und hunderttausende gesunder und kräftigen Menschen sind willig, zu arbeiten und zu produzieren und den vorhandenen Reichtum der Erde zu mehren. Keine Ingenieur hat die Fähigkeit verloren, neue Maschinen zu konstruieren. Kein Kohlenschacht ist von einer Naturgewalt verschüttet worden. Die Sonne steht leuchtend und warm am Himmel wie immer. Es regnet wie immer. Das Getreide steht auf den Feldern und reift wie immer. Die Baumwollfelder stehen in Pracht. Nichts hat sich am vorhandenen Wert irdischen Reichtums geändert. Die Menschen, als Einheit gesehen, sind ebenso reich wie gestern. Und nur darum, und allein nur darum, weil sich der Besitz einzelner zu verändern und zu verschieben droht, darum bricht eine Katastrophe für die gesamte Menschheit herein. Eine Katastrophe gleich den Katastrophen vergangener Zeiten, wenn Hungersnöte in einem Erdstrich ausbrachen und man keinen Ausgleich mit jenen Erdstrichen schaffen konnte, die im Überfluss erstickten, weil Transportmittel und Telegraphen fehlen.
Ein Wirtschaftssystem, eine Wirtschaftsordnung, geschaffen von Menschen, die von sich selbst behaupten, Intelligenz zu besitzen. Menschen jedoch, die trotz aller ihrer so hochentwickelten Technik, die sie schufen, noch immer nicht die Primitivität völlig unzivilisierter Menschen überwunden haben, soweit ein durchdachtes und wohl geregeltes Wirtschaftssystem in Frage kommt.
Die Wirtschaftskrise, gefürchtet gleich einem Strafgericht des Himmels, und monatelang, oder eigentlich ständig, in prophetischer Weise mit drohendem Zeigefinger angekündigt von Kommunisten und Sozialisten, die behaupten, so etwas immer voraus zu wissen.
Wirtschaftskrisen haben für neunundneunzig Prozent der Menschen etwas Unheimliches an sich, etwas Mystisches. Denn neunundneunzig Prozent der Menschen, ob religiös oder irreligiös, sehen in einer Wirtschaftskrise die Zuchtrute einer übernatürlichen Gewalt..........“()
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Zitiert aus: „La Rosa Blanca“, B. Traven, 1942, Berner Unionsdruckerei.
Das Buch wird immer noch aufgelegt: Siehe hier
Grüsse an alle
Liated
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