Es ist nur ein paar Jahrzehnte her, da war Amerika ein Garant für Demokratie und
Menschenrechte. Auch heute weisen die USA der Menschheit noch den Weg - es ist
der Weg ins Verderben. Heuchelei, Arroganz und Korruption bestimmen das
Gebaren der Herrschenden und das Alltagsleben der Bürger; Amerika taumelt,
bockt und keilt wie Frankensteins Monster, blind für die Zerstörung, die es bewirkt.
Oft laufe ich am Kapitol und am Weißen Haus vorbei, den Monumenten unseres
einst so großen Staatswesens, und ich kann mir nicht helfen: Ich empfinde Trauer
und Bestürzung beim Gedanken an das, was aus meinem Land geworden ist.
Das klingt jetzt erst mal überraschend, ich weiß. Sind die USA nicht die einzig
verbliebene Supermacht, die Verkörperung von Demokratie und Freiheit, die
mächtigste Nation in der Geschichte der Menschheit? Nun, auch der Fall der
Sowjetunion begann, als sie sich auf dem Gipfel ihrer Macht sah, und die
momentane Stimmung in den USA erinnert mich frappierend an die Ära Breschnew.
Die Parallelen sind jedenfalls augenfällig: eine riesige Armee, die auf der ganzen
Welt ihre Muskeln spielen lässt. Eine lahmende Wirtschaft. Willkürliche
Hinrichtungen. Vollbeschäftigung, gleichzeitig ein grauenhaftes Dienstleis-
tungsniveau. Eine Elite, die das Gemeinwesen plündert. Entmündigte,
gleichgeschaltete Bürger. Verachtung für die Umwelt. Und ein Herrscher, der die
Macht per Staatsstreich an sich gerissen hat. Einen großen Unterschied zwischen
der Sowjetunion und den USA gibt es jedoch: Das rote Imperium brach zusammen,
weil es arm war. Das US-Imperium könnte wegen seines Reichtums untergehen.
Liebe Europäer, Sie haben kaum eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, an
denen mein Land zu Grunde geht. Todesstrafe, ethnische Spannungen, seichte
Mainstream-Kultur? Kinderkram! Für den Niedergang sind ganz andere
Problemfelder verantwortlich:
> die Politik ist zum Bestandteil der Entertainment-Industrie geworden; > niedrige und hohe Einkommen klaffen immer weiter auseinander; > die Eliten sind weitgehend korrupt > und in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es eine Tendenz zur
Abschottung von der Wirklichkeit.
Lassen Sie mich erklären, wie es so weit kommen konnte.
Die Verschränkung von Politik und Entertainment begann in den Fünfzigern, mit dem
Aufkommen des Fernsehens. Vorher übten die Regierenden ihr Amt in relativer
Abgeschiedenheit aus, nun waren sie Medienstars, die sich auf dem Bildschirm
darstellen können mussten. John F. Kennedy war der erste Meister dieser neuen
Rolle. Er hat politische Substanz durch Glamour und staatsmännisches Gehabe
ersetzt - und ist noch heute einer der beliebtesten Präsidenten, obwohl seine
Leistungen eher dürftig waren. Seitdem hat jeder US-Politiker seinem Beispiel
nach- geeifert. Da kann es kaum verwundern, dass die erfolgreiche TV-Serie West
Wing im Weißen Haus spielt: Politik ist Entertainment und Entertainment ist Politik.
Spätestens seit dem Fall des Präsidentschaftskandidaten Gary Hart 1987 ist
Washington zu einem Starkarussell geworden, in dem es nicht um die Lösung der
Probleme des Landes geht, sondern um Geld und Glamour, Gier und Sex. Hart
wurde zusammen mit dem Playmate Donna Rice in verfänglicher Pose auf einer
Yacht fotografiert; das Bild erschien auf den Titelseiten großer Zeitungen, worauf
Hart seine Kandidatur zurückzog. Auch die vermeintlich seriöse Presse berichtet
seitdem über Poli-tiker wie über Filmstars - stets auf der Suche nach verdächtigen
Details aus ihrem Privatleben. Die Entwicklung kulminierte im Lewinsky-Skandal,
der Washington eineinhalb Jahre lähmte, lange Jahre, in der zur besten Sendezeit
so lachhafte Details wie Lewinskys Lieblingsfilme vermeldet wurden.
Ein zweiter Aufguss der Lewinsky-Affäre ist der Fall der Praktikantin Chandra Levy,
die eine Affäre mit dem demokratischen Kongress-Hinterbänkler Gary Condit hatte
und seit Mai verschwunden ist. Hat Condit Levy beseitigen lassen? Hat er sie selbst
ermordet? War sie vielleicht von ihm schwanger? Während in Bonn über den
Klimaschutz verhandelt wird und der Nahe Osten brennt, lässt sich Washington von
solchen Fragen beherrschen. Vor einigen Tagen war ich zufällig bei Baskin
Robbins, einer Eisdiele in der Nähe meiner Wohnung in Washington, als ein
CBS-Reporter hereingestürzt kam und die Angestellten fragte, ob sie Levy gesehen
hätten. Wie sich herausstellte, wohnte auch sie in der Nachbarschaft; kurz vor ihrem
Verschwinden war sie auf der Website des Ladens gewesen."Stellt euch darauf
ein", sagte der Reporter, als er ging,"dass die anderen Sender auch bald hier sein
werden."
So wird eine Sensation nach der anderen konstruiert, wäh- rend von den wahren
Skandalen der amerikanischen Politik keine Rede mehr ist, zum Beispiel vom
Auseinanderklaffen des Lohn- niveaus. Es begann in den siebziger Jahren, als die
Löhne stagnierten und die Preise stiegen: Damals wurden die unteren
Einkommensschichten von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Reagans
Steuersenkungen machten alles nur noch schlimmer und George W. Bush brachte
diese Entwicklung zu ihrem vorläufigen Höhepunkt: Die reichsten zehn Prozent der
Bevölkerung streichen fast neunzig Prozent seiner Steuersenkung von 1,3 Billionen
Dollar ein.
So hat Bush den gesamten Haushaltsüberschuss der Clinton-Jahre verjubelt und
soziale Programme für die Zukunft unmöglich gemacht - das Geld ist einfach nicht
mehr da. Bushs Steuersenkung war eine Verhöhnung der vielen Millionen
Amerikaner in sozialen Schwierigkeiten, zum Beispiel der 26,5 Millionen ohne
Krankenversicherung. Aber in der Verhöhnung des Volkes sind Bush und seine
Mannschaft Meister: Als sich der Vizepräsident und Multimillionär Dick Cheney
kürzlich einer Herzoperation unterzog, wurde allgemein vermerkt, dass er eine
Behandlung erhalten hatte, die sich ein Durchschnittsamerikaner niemals leisten
könnte - und Bush verkündete fröhlich, Amerikaner mit Herz-problemen sollten sich
ein Beispiel an Cheney nehmen, weil er die Sache so tapfer durchstehe. Kurz nach
seiner Genesung hat Cheney noch einen draufgesetzt, als er er versuchte, der
Staatskasse seine private Stromrechnung unterzuschieben.
Korruption ist in der amerikanischen Elite weit verbreitet. Die beiden großen
Parteien hängen zu hundert Prozent von Spenden ab, der Präsident ist nichts weiter
als der oberste Spendensammler. Bush musste sein Wahlkampfversprechen
zurücknehmen, den CO2-Ausstoß zu mindern, weil er sonst Ärger mit seinen
Geldgebern bekommen hätte. Schließlich haben Ã-l- und Gaskonzerne seine
Kampagne mit zehn Millionen Dollar unterstützt. Bei den Demokraten geht es
natürlich genauso zu. Clintons Begnadigung des mit Haftbefehl gesuchten
Millionärs Marc Rich - nach gewaltigen Wahlkampfspenden von dessen Frau - war
nur der Anfang. Clinton hat Lincolns Schlafzimmer im Weißen Haus an besonders
großzügige Spender vermietet und während seiner Präsidentschaft unaufhörlich
den Klingelbeutel geschwenkt. Auch Senatoren und Kongressabgeordnete werden
von den Konzernen massiv unter Druck gesetzt. Die Folge: Politiker sind Marionetten
geworden.
Nicht, dass sie das stören würde. Hauptsache, die Kasse stimmt. Es ist eine
Nomenklatura entstanden, die sich am System mästet und auch nach dem
Ausscheiden aus dem Staatsdienst von ihren Verbindungen profitiert. Henry
Kissinger zum Beispiel, der jährlich Millionen damit verdient, dass er
amerikanischen Unternehmen mit seinen einzigartigen Kontakten behilflich ist.
Kissinger und Co. haben in den vergangenen Jahrzehnten mehr als alle anderen
das Hohe Lied der Globalisierung gesungen - Außen- politiker, die sich in
Lobbyisten verwandelt haben, weil es ihren finanziellen Interessen dient.
Doch die Weltwirtschaft lahmt, und der Abschwung in den USA übertrifft die
schlimmsten Erwartungen. Kaum ist eine ausländische Schuldenkrise
überstanden, bricht woanders die nächs-te aus. Dass Steuer- und Zinssenkungen
ohne Wirkung bleiben, ist deutliches Anzeichen einer Wirtschaftskrise, genau wie
die Stagnation in Asien und Europa. Mit einem unfähigen Präsi- denten wie George
W. Bush an der Spitze könnte diese Depression länger dauern, als manch einer
vermutet. Denn Bush würde eine Krise nicht mal erkennen, wenn sie ihm ins
Gesicht fliegt.
Aber was, wenn die Katastrophe ausbleibt? Ungehemmtes Wachstum könnte sich
noch fataler auf die USA auswirken als ein kräftiger Konjunktureinbruch. Das Land
erstickt an seiner Prosperität. Häuser werden gebaut, Autos in Rekordzahlen
verkauft, der Müll türmt sich hoch wie die Rocky Mountains und die Vorstädte fressen
sich weiter und weiter ins Land hinein.
Auch in den Köpfen der Menschen fordert der Reichtum seinen Tribut, hat er doch
einige besonders heuchlerische, widerwär- tige Erscheinungen hervorgebracht,
jene Gestalten, für die der konservative Journalist David Brooks den Namen
"bourgeoise Bohemiens" ("Bobos") geprägt hat. Gemeint sind all die wohl-
habenden Amerikaner, die beides wollen: Umweltschutz predigen und
spritschluckende Geländewagen fahren, Wasser sparen und 15000 Dollar für eine
Duschecke aus Schiefer ausgeben, den Naturgenuss preisen und den eigenen
Garten mit Kunstrasen und Kunstfelsen aufpeppen, weil echter Rasen leider
manchmal gemäht werden muss.
Diese Bobos wohnen am liebsten in so genannten Gated Communities,
eingezäunten Wohnsiedlungen, von Privatpolizisten bewacht, der Ã-ffentlichkeit nicht
zugänglich. Hinter den Mauern wird dann die Wirklichkeit simuliert, das Heimkino
mit Surroundboxen und Subwoofern aufgerüstet, sodass mitten im Wohnzimmer die
Wellen plätschern und die Vögel zwitschern. Das alles, um die Begegnung mit dem
echten Leben zu vermeiden und sich so weit wie möglich aus der Gesellschaft
zurückzuziehen, in eine gut ausgepolsterte, nur gelegentlich von normalen Sterb-
lichen gestörte Scheinwelt.
Viele glauben, die USA seien eine egalitäre Gesellschaft, doch das Gegenteil ist
richtig: Es herrscht ein brutaler Klassenkampf, ausgefochten wird er über soziale
Codes. Ein ungeheuerliches Beispiel für die Arroganz der Oberschicht ereignete
sich im Juni in den Hamptons, dem bevorzugten Urlaubsgebiet der reichen New
Yorker. Lizzie Grubman, die dreißigjährige Tochter des mächtigs-ten
Showbiz-Anwalts des Landes, fing auf dem Parkplatz eines Lokals einen Streit
darüber an, wo sie ihren Kombi parken könne. Als sie ein Angestellter bat, nicht die
Feuerwehrzufahrt zu blockieren, sagte sie angeblich:"Fick dich, du Prolet. Hol sofort
deinen Vorgesetzten." Dann legte sie den Rückwärtsgang ein und mähte auf einer
zehn Meter langen Fahrt 16 Menschen um.
Bushs Pläne für eine Nationale Raketenabwehr sind das außenpolitische Pendant
zum Rückzug ins Private: Wieder einmal isolieren sich die USA vom Rest der Welt.
Ob es um das Verbot von Landminen geht, den Internationalen Gerichtshof, die
Weltklimakonferenz - Amerika geht mit Hochmut über diese Initia- tiven hinweg. Das
größte Problem aber ist möglicherweise, dass Bushs Desinteresse an der
Außenpolitik ein Ausdruck der öffentlichen Meinung ist. Globale Erwärmung? Wen
interessiert das schon? Viel wichtiger ist die Frage, welche Wasserhähne in die
neue Küche kommen. Je schlimmer alles wird, desto mehr geben sich die
Amerikaner dem Konsum hin, suhlen sich in ihrer intellektuellen und moralischen
Liederlichkeit.
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>Es ist nur ein paar Jahrzehnte her, da war Amerika ein Garant für Demokratie und
>Menschenrechte. Auch heute weisen die USA der Menschheit noch den Weg - es ist
>der Weg ins Verderben. Heuchelei, Arroganz und Korruption bestimmen das
>Gebaren der Herrschenden und das Alltagsleben der Bürger; Amerika taumelt,
>bockt und keilt wie Frankensteins Monster, blind für die Zerstörung, die es bewirkt.
>Oft laufe ich am Kapitol und am Weißen Haus vorbei, den Monumenten unseres
>einst so großen Staatswesens, und ich kann mir nicht helfen: Ich empfinde Trauer
>und Bestürzung beim Gedanken an das, was aus meinem Land geworden ist.
>Das klingt jetzt erst mal überraschend, ich weiß. Sind die USA nicht die einzig
>verbliebene Supermacht, die Verkörperung von Demokratie und Freiheit, die
>mächtigste Nation in der Geschichte der Menschheit? Nun, auch der Fall der
>Sowjetunion begann, als sie sich auf dem Gipfel ihrer Macht sah, und die
>momentane Stimmung in den USA erinnert mich frappierend an die Ära Breschnew.
>Die Parallelen sind jedenfalls augenfällig: eine riesige Armee, die auf der ganzen
>Welt ihre Muskeln spielen lässt. Eine lahmende Wirtschaft. Willkürliche
>Hinrichtungen. Vollbeschäftigung, gleichzeitig ein grauenhaftes Dienstleis-
>tungsniveau. Eine Elite, die das Gemeinwesen plündert. Entmündigte,
>gleichgeschaltete Bürger. Verachtung für die Umwelt. Und ein Herrscher, der die
>Macht per Staatsstreich an sich gerissen hat. Einen großen Unterschied zwischen
>der Sowjetunion und den USA gibt es jedoch: Das rote Imperium brach zusammen,
>weil es arm war. Das US-Imperium könnte wegen seines Reichtums untergehen.
>Liebe Europäer, Sie haben kaum eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, an
>denen mein Land zu Grunde geht. Todesstrafe, ethnische Spannungen, seichte
>Mainstream-Kultur? Kinderkram! Für den Niedergang sind ganz andere
>Problemfelder verantwortlich:
>> die Politik ist zum Bestandteil der Entertainment-Industrie geworden;
>> niedrige und hohe Einkommen klaffen immer weiter auseinander;
>> die Eliten sind weitgehend korrupt
>> und in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es eine Tendenz zur
>Abschottung von der Wirklichkeit.
>Lassen Sie mich erklären, wie es so weit kommen konnte.
>Die Verschränkung von Politik und Entertainment begann in den Fünfzigern, mit dem
>Aufkommen des Fernsehens. Vorher übten die Regierenden ihr Amt in relativer
>Abgeschiedenheit aus, nun waren sie Medienstars, die sich auf dem Bildschirm
>darstellen können mussten. John F. Kennedy war der erste Meister dieser neuen
>Rolle. Er hat politische Substanz durch Glamour und staatsmännisches Gehabe
>ersetzt - und ist noch heute einer der beliebtesten Präsidenten, obwohl seine
>Leistungen eher dürftig waren. Seitdem hat jeder US-Politiker seinem Beispiel
>nach- geeifert. Da kann es kaum verwundern, dass die erfolgreiche TV-Serie West
>Wing im Weißen Haus spielt: Politik ist Entertainment und Entertainment ist Politik.
>Spätestens seit dem Fall des Präsidentschaftskandidaten Gary Hart 1987 ist
>Washington zu einem Starkarussell geworden, in dem es nicht um die Lösung der
>Probleme des Landes geht, sondern um Geld und Glamour, Gier und Sex. Hart
>wurde zusammen mit dem Playmate Donna Rice in verfänglicher Pose auf einer
>Yacht fotografiert; das Bild erschien auf den Titelseiten großer Zeitungen, worauf
>Hart seine Kandidatur zurückzog. Auch die vermeintlich seriöse Presse berichtet
>seitdem über Poli-tiker wie über Filmstars - stets auf der Suche nach verdächtigen
>Details aus ihrem Privatleben. Die Entwicklung kulminierte im Lewinsky-Skandal,
>der Washington eineinhalb Jahre lähmte, lange Jahre, in der zur besten Sendezeit
>so lachhafte Details wie Lewinskys Lieblingsfilme vermeldet wurden.
>Ein zweiter Aufguss der Lewinsky-Affäre ist der Fall der Praktikantin Chandra Levy,
>die eine Affäre mit dem demokratischen Kongress-Hinterbänkler Gary Condit hatte
>und seit Mai verschwunden ist. Hat Condit Levy beseitigen lassen? Hat er sie selbst
>ermordet? War sie vielleicht von ihm schwanger? Während in Bonn über den
>Klimaschutz verhandelt wird und der Nahe Osten brennt, lässt sich Washington von
>solchen Fragen beherrschen. Vor einigen Tagen war ich zufällig bei Baskin
>Robbins, einer Eisdiele in der Nähe meiner Wohnung in Washington, als ein
>CBS-Reporter hereingestürzt kam und die Angestellten fragte, ob sie Levy gesehen
>hätten. Wie sich herausstellte, wohnte auch sie in der Nachbarschaft; kurz vor ihrem
>Verschwinden war sie auf der Website des Ladens gewesen."Stellt euch darauf
>ein", sagte der Reporter, als er ging,"dass die anderen Sender auch bald hier sein
>werden."
>So wird eine Sensation nach der anderen konstruiert, wäh- rend von den wahren
>Skandalen der amerikanischen Politik keine Rede mehr ist, zum Beispiel vom
>Auseinanderklaffen des Lohn- niveaus. Es begann in den siebziger Jahren, als die
>Löhne stagnierten und die Preise stiegen: Damals wurden die unteren
>Einkommensschichten von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Reagans
>Steuersenkungen machten alles nur noch schlimmer und George W. Bush brachte
>diese Entwicklung zu ihrem vorläufigen Höhepunkt: Die reichsten zehn Prozent der
>Bevölkerung streichen fast neunzig Prozent seiner Steuersenkung von 1,3 Billionen
>Dollar ein.
>So hat Bush den gesamten Haushaltsüberschuss der Clinton-Jahre verjubelt und
>soziale Programme für die Zukunft unmöglich gemacht - das Geld ist einfach nicht
>mehr da. Bushs Steuersenkung war eine Verhöhnung der vielen Millionen
>Amerikaner in sozialen Schwierigkeiten, zum Beispiel der 26,5 Millionen ohne
>Krankenversicherung. Aber in der Verhöhnung des Volkes sind Bush und seine
>Mannschaft Meister: Als sich der Vizepräsident und Multimillionär Dick Cheney
>kürzlich einer Herzoperation unterzog, wurde allgemein vermerkt, dass er eine
>Behandlung erhalten hatte, die sich ein Durchschnittsamerikaner niemals leisten
>könnte - und Bush verkündete fröhlich, Amerikaner mit Herz-problemen sollten sich
>ein Beispiel an Cheney nehmen, weil er die Sache so tapfer durchstehe. Kurz nach
>seiner Genesung hat Cheney noch einen draufgesetzt, als er er versuchte, der
>Staatskasse seine private Stromrechnung unterzuschieben.
>Korruption ist in der amerikanischen Elite weit verbreitet. Die beiden großen
>Parteien hängen zu hundert Prozent von Spenden ab, der Präsident ist nichts weiter
>als der oberste Spendensammler. Bush musste sein Wahlkampfversprechen
>zurücknehmen, den CO2-Ausstoß zu mindern, weil er sonst Ärger mit seinen
>Geldgebern bekommen hätte. Schließlich haben Ã-l- und Gaskonzerne seine
>Kampagne mit zehn Millionen Dollar unterstützt. Bei den Demokraten geht es
>natürlich genauso zu. Clintons Begnadigung des mit Haftbefehl gesuchten
>Millionärs Marc Rich - nach gewaltigen Wahlkampfspenden von dessen Frau - war
>nur der Anfang. Clinton hat Lincolns Schlafzimmer im Weißen Haus an besonders
>großzügige Spender vermietet und während seiner Präsidentschaft unaufhörlich
>den Klingelbeutel geschwenkt. Auch Senatoren und Kongressabgeordnete werden
>von den Konzernen massiv unter Druck gesetzt. Die Folge: Politiker sind Marionetten
>geworden.
>Nicht, dass sie das stören würde. Hauptsache, die Kasse stimmt. Es ist eine
>Nomenklatura entstanden, die sich am System mästet und auch nach dem
>Ausscheiden aus dem Staatsdienst von ihren Verbindungen profitiert. Henry
>Kissinger zum Beispiel, der jährlich Millionen damit verdient, dass er
>amerikanischen Unternehmen mit seinen einzigartigen Kontakten behilflich ist.
>Kissinger und Co. haben in den vergangenen Jahrzehnten mehr als alle anderen
>das Hohe Lied der Globalisierung gesungen - Außen- politiker, die sich in
>Lobbyisten verwandelt haben, weil es ihren finanziellen Interessen dient.
>Doch die Weltwirtschaft lahmt, und der Abschwung in den USA übertrifft die
>schlimmsten Erwartungen. Kaum ist eine ausländische Schuldenkrise
>überstanden, bricht woanders die nächs-te aus. Dass Steuer- und Zinssenkungen
>ohne Wirkung bleiben, ist deutliches Anzeichen einer Wirtschaftskrise, genau wie
>die Stagnation in Asien und Europa. Mit einem unfähigen Präsi- denten wie George
>W. Bush an der Spitze könnte diese Depression länger dauern, als manch einer
>vermutet. Denn Bush würde eine Krise nicht mal erkennen, wenn sie ihm ins
>Gesicht fliegt.
>Aber was, wenn die Katastrophe ausbleibt? Ungehemmtes Wachstum könnte sich
>noch fataler auf die USA auswirken als ein kräftiger Konjunktureinbruch. Das Land
>erstickt an seiner Prosperität. Häuser werden gebaut, Autos in Rekordzahlen
>verkauft, der Müll türmt sich hoch wie die Rocky Mountains und die Vorstädte fressen
>sich weiter und weiter ins Land hinein.
>Auch in den Köpfen der Menschen fordert der Reichtum seinen Tribut, hat er doch
>einige besonders heuchlerische, widerwär- tige Erscheinungen hervorgebracht,
>jene Gestalten, für die der konservative Journalist David Brooks den Namen
>"bourgeoise Bohemiens" ("Bobos") geprägt hat. Gemeint sind all die wohl-
>habenden Amerikaner, die beides wollen: Umweltschutz predigen und
>spritschluckende Geländewagen fahren, Wasser sparen und 15000 Dollar für eine
>Duschecke aus Schiefer ausgeben, den Naturgenuss preisen und den eigenen
>Garten mit Kunstrasen und Kunstfelsen aufpeppen, weil echter Rasen leider
>manchmal gemäht werden muss.
>Diese Bobos wohnen am liebsten in so genannten Gated Communities,
>eingezäunten Wohnsiedlungen, von Privatpolizisten bewacht, der Ã-ffentlichkeit nicht
>zugänglich. Hinter den Mauern wird dann die Wirklichkeit simuliert, das Heimkino
>mit Surroundboxen und Subwoofern aufgerüstet, sodass mitten im Wohnzimmer die
>Wellen plätschern und die Vögel zwitschern. Das alles, um die Begegnung mit dem
>echten Leben zu vermeiden und sich so weit wie möglich aus der Gesellschaft
>zurückzuziehen, in eine gut ausgepolsterte, nur gelegentlich von normalen Sterb-
>lichen gestörte Scheinwelt.
>Viele glauben, die USA seien eine egalitäre Gesellschaft, doch das Gegenteil ist
>richtig: Es herrscht ein brutaler Klassenkampf, ausgefochten wird er über soziale
>Codes. Ein ungeheuerliches Beispiel für die Arroganz der Oberschicht ereignete
>sich im Juni in den Hamptons, dem bevorzugten Urlaubsgebiet der reichen New
>Yorker. Lizzie Grubman, die dreißigjährige Tochter des mächtigs-ten
>Showbiz-Anwalts des Landes, fing auf dem Parkplatz eines Lokals einen Streit
>darüber an, wo sie ihren Kombi parken könne. Als sie ein Angestellter bat, nicht die
>Feuerwehrzufahrt zu blockieren, sagte sie angeblich:"Fick dich, du Prolet. Hol sofort
>deinen Vorgesetzten." Dann legte sie den Rückwärtsgang ein und mähte auf einer
>zehn Meter langen Fahrt 16 Menschen um.
>Bushs Pläne für eine Nationale Raketenabwehr sind das außenpolitische Pendant
>zum Rückzug ins Private: Wieder einmal isolieren sich die USA vom Rest der Welt.
>Ob es um das Verbot von Landminen geht, den Internationalen Gerichtshof, die
>Weltklimakonferenz - Amerika geht mit Hochmut über diese Initia- tiven hinweg. Das
>größte Problem aber ist möglicherweise, dass Bushs Desinteresse an der
>Außenpolitik ein Ausdruck der öffentlichen Meinung ist. Globale Erwärmung? Wen
>interessiert das schon? Viel wichtiger ist die Frage, welche Wasserhähne in die
>neue Küche kommen. Je schlimmer alles wird, desto mehr geben sich die
>Amerikaner dem Konsum hin, suhlen sich in ihrer intellektuellen und moralischen
>Liederlichkeit.
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Wenn Abraham Lincoln die heutigen Prinzen des Geld- und Konzernadels in Amerika erleben würde, er würde sich im Grabe herumdrehen. Wenn man seine berühmteste Rede hört, muss man sich fragen, wie es denn überhaupt soweit kommen konnte:
Die Rede von Gettysburg
Am 19. November hielt Lincoln in Gettysburg vor 150.000 Menschen die wahrscheinlich berühmteste Rede in der Geschichte der Vereinigten Staaten:
"Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter einen neuen Staat, aus Freiheit geboren und dem Gedanken geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun sind wir in einen grossen Bruderkrieg verstrickt, der erweisen wird, ob dieser Staat auf Dauer bestehen kann. Wir sind auf einem grossen Schlachtfeld dieses Krieges. Wir sind hier, um einen Teil dieses Schlachtfeldes jenen als letzte Ruhestätte zu weihen, die ihr Leben gaben, auf dass der Staat lebe. Doch in einem tiefen Sinn können wir diese Erde nicht segnen, und wir können sie nicht heiligen. Doch die tapferen Männer, Lebende und Tote, die hier kämpften, haben sie geweiht, weit mehr als unsere schwachen Kräfte es vermögen, so wie wir es auch nicht vermögen, ihren Ruhm zu schmälern. Die Welt wird niemals vergessen, was jene Männer hier vollbrachten. Uns, den Lebenden, ziemt es vielmehr, uns dem unvollendetem Werk zu weihen, das jene, die hier kämpften, so edelmütig voranbrachten. An uns ist es, uns der grossen Aufgabe zu widmen, die noch vor uns liegt; mögen wir von diesen ehrwürdigen Toten lernen, uns mit noch grösserer Hingabe der Sache zu verschreiben, für die sie alles gegeben haben; mögen wir den hehren Vorsatz fassen, dass diese Toten nicht umsonst gestorben sein sollen; möge die Nation mit Gottes Hilfe eine Wiedergeburt der Freiheit erleben, auf dass die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk nicht untergehe auf dieser Erde."
ABER Lincoln sage auch:
You cannot fool all the People all the Time!
Und deshalb wird es vielleicht bald mal einigen Unberufenen dort an den teuren Armanikragen gehen!
Gruss
tofir
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