Die Stunde der Patrioten 
 
 Von Markus Deggerich  
 
 Tiefe Gräben verlaufen in Deutschland zwischen den Beschwörern der 
 bedingunslosen Bündnistreue und den Mahnern vor einer Gewalteskalation. Die 
 Politik gebiert einen neuen Patriotismus, Rhetorik ersetzt Strategie, Gefühl dominiert 
 den Verstand.  
  
 Berlin - Des Kanzlers kräftige Hand schlug auf den 
 Tisch. Es könne nicht sein, forderte Gerhard Schröder 
 vor der SPD-Fraktion, dass die Verbündeten Amerikas 
 jetzt nach dem Motto handelten:"Wasch mir den Pelz, 
 aber mach mich nicht nass." Das Werben des 
 Regierungschefs im eigenen zuletzt wackligen Laden 
 für die Zustimmung zum"Nato-Bündnisfall" war 
 erfolgreich: Die SPD-Bundestagsfraktion wird einen 
 Bundeswehreinsatz zur Unterstützung der USA nach 
 Einschätzung ihres Außenpolitikers Hans-Ulrich Klose 
 konsequent mittragen. Der Vorsitzende des 
 Auswärtigen Ausschusses des Bundestages sagte am 
 Sonntag, anders als bei der Abstimmung über den 
 Militäreinsatz in Mazedonien werde es diesmal nur sehr 
 wenige Nein-Stimmen geben.  
 
 
  
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 Die Rhetorik wirkt. Maximal drei überzeugte Pazifisten gibt es nach Ansicht Kloses noch in 
 der SPD-Fraktion. Die Terrorangriffe auf die USA hätten die Situation völlig geändert. 
 Zweifel seien nicht erlaubt. Wer nicht mitmachen wolle, so Klose, müsse sich spätestens im 
 Falle eines Anschlags in Deutschland fragen, ob er sich richtig verhalten habe.  
 
 So erpresst Moral den Verstand. In der deutschen 
 Innenpolitik schlägt die Stunde der großen Worte und 
 der Patrioten. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz 
 (CDU) bot der Regierung am Sonntag eine"nationale 
 Allianz der Entschlossenheit" an und brachte dabei 
 auch die Beteiligung an massiven Militärschlägen der 
 Bundeswehr ins Gespräch. Auch CSU-Chef Edmund 
 Stoiber kennt keinen Parteien mehr:"Die Union ist zur 
 Teilhabe bereit." Und CSU-Landesgruppenchef Michael 
 Glos steht stramm im vorauseilenden Gehorsam zur 
 Regierung:"Wenn es zu einem militärischen Einsatz 
 der Bundeswehr kommen sollte, und es dafür keine 
 rot-grüne Mehrheit gibt, kann Kanzler Schröder auf die 
 Unterstützung der Union setzen". Selbst die PDS entdeckt ihr Herz für die Nato, Gregor 
 Gysi, im Kosovo-Krieg noch schärfster Kritiker der Allianz, ist nun für"begrenzte 
 militärische Aktionen."  
 
 Bündnisfall als Sündenfall?  
 
 Ein Nachdenken über den Bündnisfall kommt fast einem Sündenfall gleich. Noch ist völlig offen 
 in welcher Weise die USA auf den Terror reagieren werden, welche Rolle die Bundeswehr und 
 Deutschland dabei spielen sollen und welche Folgen das weltweit haben wird. Aber angesichts 
 der Monstrosität der Tat vom 11. September gilt schon das Nachdenken über den richtigen 
 Weg als unstatthaft:"Wir sollen, was immer wir selbst tun oder lassen, Amerika für seinen 
 Vergeltungsschlag einen Blankoscheck ausstellen", schrieb die"Frankfurter Allgemeine" am 
 Wochenende.  
 
 Die Größe des Ereignisses polarisiert, als gebe es nur noch 
 blutgierige Falken und naive Friedenstauben. Zwischentöne sind 
 verboten. Wer über die Ursachen und Folgen des Terrorismus 
 und seiner Bekämpfung nachdenken will, dem wird die Fähigkeit 
 zu Trauern abgesprochen, der ist herz- und pietätlos und 
 vermutlich auch ein Vaterlandsverräter.  
 
 Gefühl oder Verstand  
 
 György Konrad, Präsident der Akademie der Künste in Berlin, 
 machte am Wochenende in der Hauptstadt auf einer 
 Podiumsdiskussion seinem Unbehagen über eine akademische 
 Form der Diskussion Luft und forderte mehr Mitgefühl. Bei der 
 Kamikaze-Aktion vom Dienstag seien"ganz normale Menschen 
 wie wir" gestorben. Wenn man wenige Tage nach einem solchen 
 Unglück"nur diskursive Formen findet, stimmt etwas nicht mit 
 den Menschen."  
 
 Es gibt die Angst vor einer 
 Eskalationsspirale: Nach 
 der Kampfansage des 
 US-Präsidenten George W. 
 Bush an den Terrorismus 
 haben Bundespräsident 
 Johannes Rau und 
 Außenminister Joschka 
 Fischer vor überzogenen 
 Vergeltungsschlägen 
 gewarnt."Man darf am 
 Ende mit den Reaktionen 
 nicht mehr Instabilität 
 schaffen, als dies davor der 
 Fall war", mahnte Fischer 
 am Sonntag. Bush hatte am 
 Tag zuvor den Attentätern mit drastischen Worten Vergeltung angedroht:"Wir werden die 
 Täter ausfindig machen, ihre Löcher ausräuchern, sie jagen und zur Verantwortung 
 ziehen."  
 
 Johannes Rau:"Mit zivilen Mitteln reagieren"  
 
 Das deutsche Staatsoberhaupt ging dagegen am Wochenende als erster führender Politiker 
 grundsätzlich zu Vergeltungsschlägen auf Distanz. Der Terror in den USA stelle einen Angriff 
 auf die Zivilisation dar:"Und darum müssen wir mit zivilen Mitteln agieren". Ob er damit in 
 der eigenen Partei noch Gehör findet, ist fraglich. Ein Nachdenken über die 
 Verhältnismäßigkeit von Mitteln und ihre Folgen wird zum Tabu, wenn nur noch große 
 Worte, Gesten und Gefühle regieren.  
 
 Raus Parteifreund, Innenminister Otto Schily, gab am Wochenende die Richtung vor: Er will 
 im Kampf gegen den internationalen Terrorismus"alle polizeilichen und militärischen Mittel 
 der freiheitlichen Demokratie" einsetzen. In einer Ansprache bei der Verleihung des 
 internationalen Menschenrechtspreises am Sonntag in Nürnberg sagte der SPD-Politiker, 
 Deutschland schulde den USA"eine Solidarität, die nicht bei Worten stehen bleiben wird". 
 Die Deutschen schuldeten den Amerikanern"den größten Dank, den ein Volk schulden kann". 
 
 Im Bundesfinanzministerium wird nach 
 Informationen der Wochenzeitung"Die Zeit" 
 darüber nachgedacht, dafür die Neuverschuldung 
 über die bisherige Planung hinaus zu erhöhen, um 
 nach den Terroranschlägen zusätzliche Ausgaben 
 für diese innere und äußere Sicherheit zu 
 finanzieren. Die Bundesminister für Verteidigung 
 und Inneres, Rudolf Scharping und Schily, hätten 
 bereits Kontakt mit Mitgliedern des 
 Haushaltsausschusses im Bundestag wegen 
 möglicher Konsequenzen für den Bundeshaushalt 
 aufgenommen.  
 
 
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