Hard Landing vs. Hard Diving
Es herrscht in diesen Tagen grosse Uneinigkeit darüber, ob eine V-förmige Erholung oder aber ein länger andauernder Abschwung unsere Zukunft prägen wird. Wir wollen an dieser Stelle einige rückblickende Gedanken verbinden mit den gegenwärtigen Fakten. Vielleicht gelingt es dadurch ein klareres Bild hinsichtlich zukünftig absehbarer Szenarien zu erhalten...
Erinnern wir uns an die Endphase des jüngsten - in seiner Ausprägung beispiellosen - Wirtschaftsbooms der Vereinigten Staaten. Die letzten Monate dieser ökonomischen Ausnahmeerscheinung wurden geprägt durch Skepsis hinsichtlich der Nachhaltigkeit des damals erlebten Produktivitätswachstums und schier unglaublicher Wirt-schaftsleistung. Man war sich äusserst unklar über das vorherrschende potenziell"gesunde" BIP-Wachstum und die inflationsverträgliche Arbeitslosenquote (NAIRU: englisch für."non-accelerating inflation rate of unemployment"). Die Schätzungen für das langfristig aufrechterhaltbare Wirt-schaftswachstum lag 1999 zwischen 3.0 und 3.5, und für die Inflationsneutrale Arbeitslosigkeit zwischen 4.5 und 5.5 Prozent.
Angesichts offensichtlich vorherrschender Ungleich-gewichte wurden selbstverständlich seitens der Notenbank-mitglieder rege Szenarien geprüft, welche das Ausklingen gesehener Prosperität und einen möglichen anschliessenden Abschwung thematisierten. Eine der bemerkenswertesten Studien (Sustainability and Monetary Policy) hinsichtlich möglicher Zukunftsperspektiven wurde am 20. Januar 2000 von Laurence H. Meyer (Biografie) publiziert. Selektiv zusammenfassend ging es dabei vornehmlich um die Umschreibung von vier Grundszenarien, von welchen sich inzwischen eines - nämlich das Worst-Case Szenario: Hard Landing - ganz klar bewahrheitet hat.
Wo stehen wir?
Diese Frage beschäftigt zur Zeit so ziemlich alle Markt-teilnehmer, die einen Anlagehorizont von weniger als 10 Jahren haben. In Analogie zu den vorhergehenden Bemerkungen sei gesagt, dass das potenzielle Wachstum im Gegensatz zu 1999 für die Vereinigten Staaten zur Zeit - gemessen an der vorherrschenden Produktivitäts - um die knapp zwei Prozent jährlich liegen dürfte. Diese Zahl dürfte wieder ansteigen, sobald es den Amerikanern gelingt ihre Leistung im Verhältnis zu der eingesetzten Zeit wieder in gewohntem Masse zu steigern.
Halten wir also fest, dass das momentan vorherrschende Wirtschaftswachstum niedriger liegt, als dies aus nachhaltiger Sicht tatsächlich möglich wäre. Daraus leitet sich die Frage ab, wann und mit welcher Methodik sich die Rückkehr auf den Wachstumspfad erreichen lässt. Notenbank Gouverneur Meyer hielt fest, dass es zwei Klassen von Hard Landings gibt. Im ersteren"boom bust"-Szenario wird eine Periode überproportional starker Expansion gefolgt von einer bereinigenden Phase, in der sich die Lücke zwischen tatsächlichem und langfristig gesundem Wachstum auf die negative Seite verschiebt - also das tatsächliche Wachstum vorübergehend unter dem potenziellem Output zu liegen kommt. Sollte dies geschehen darf von einer Landung im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Also einer vorübergehenden Anpassungsphase, welche von einer anschliessenden Rückkehr zum normalen Wachstumspfad gefolgt wird. Das weit negativere Szenario einer harten Landung muss eher als Bruchlandung bezeichnet werden. Konkret bedeutet dies, dass der Abschwung nicht von einer raschen Erholung gefolgt wird, sondern von einer gravierenden Intensivierung der degressiven Tendenzen. Etwa vergleichbar mit eine deflationären Entwicklung ähnlich jener Japans. Für welches dieser beiden Zukunftsbilder sich die globale Wirtschaft letztendlich entscheidet ist in erster Linie eine Frage, die uns das Amerikanische Volk beantworten wird. Eine klare Antwort blieb bis anhin jedoch aus.
Rückblickend müssen seitens der Amerikanischen Notenbank ganz klar geldpolitische Fehler konstatiert werden. Die extrem restriktiven Zinsschritte zu Beginn letzten Jahres waren schlussendlich die Erzwinger der gegenwärtige sehr schmerzhaften Anpassungserscheinungen. Eine spekulativ getriebene Wirtschaft hätte nie zugelassen werden dürfen. Greenspan hat fehlenden Mut bewiesen bei der Bekämpfung von entstehenden Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage, die schliesslich das Absacken des Wirtschaftswunders zur Folge hatten. Es ist mir heute noch schleierhaft, weshalb man die Gefahren des"Wealth Effects" auf solch verhängnisvolle Weise ignoriert hat.
In Anbetracht gegenwärtiger Tendenzen darf man von einem fortgeschrittenen Stadium des Anpassungsprozesses ausgehen. Spekulationsblasen sind geplatzt. Die Zinsen sind auf rekordtiefen Levels um zerstörtes Vertrauen wieder auf den Pfad der Genesung zu zwingen. Demnach scheint nun die Rückkehr zu höheren Wachstumsraten vorprogrammiert. Nun, wohl eher käumlich...
Gier ist schwächer als Angst
Im Frühjahr 2000, als noch immer von emporkömmlichen VentureCapitalists aus pupertierenden PC-Freaks dotcom-Gesellschaft generiert wurden, bestimmte nackte Gier das Marktgeschehen. Heute, rund 18 Monate später lecken sich die selbigen gegenseitig solidarisch die Wunden an irgendwelchen Selbsterfahrungs-Events. Einige hartnäckige Vertreter dieser Gilde existieren noch immer und kämpfen Woche für Woche mit den Problemen schwindender Liquidität und abnehmender Aufopferungsbereitschaft desillusionierter Entwickler und Salesforces. Nur ganz wenige realitätsbezogene Jungunternehmer werden diese Phase der Angst überstehen, sofern der Wille zu bedingungsloser Redimensionierungsbereitschaft und Flexibilität gegeben ist.
Anknüpfend an diese etwas bildhaften Beschreibungen erfolgt die Erkenntnis, dass es weitaus einfacher ist eine euphorische Anlegerschaft auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen, als ein Heer fehlgeschlagener Unternehmerkünstler wieder mit Vertrauen in die Zukunft zu versehen. In Tagen wie diesen zeigt sich die massiv höhere Halbwertszeit von Gier im Vergleich zur Angst wieder einmal deutlich.
Rettet uns vor der Deflation
Ähnlich wie das Platzen der Spekulationsblase an den Aktienmärkten durch sukzessive Leitzinserhöhungen provoziert wurde, müsste doch eigentlich im Gegenzug der umgekehrte Prozess in positiver Hinsicht zu erreichen sein. Eine expansive Geldpolitik müsste eigentlich in der Lage sein zerstörtes Vertrauen in die Zukunft wieder aufzubauen.
Leider gestaltet sich dieser Prozess weit schwerer, da man - im Gegensatz zur positiven Übertreibung - mit dem Rücken zur Wand steht. Faktoren wie Handelsbilanzdefizit und hohe Verschuldung verpflichen zu unbedingtem Erfolg. Externe Störfaktoren wie Terroranschläge treffen in solchen Zeiten auf ein äusserst fragiles Gefüge, dass kaum über ein eigenes Immunsystem verfügt.
Stellen Sie sich ein Patient auf der Intensivstation vor, der nur unter Ausschluss aller Krankheitserreger eine Überlebenschance hat. Genau so verhält es sich mit dem Amerikanischen Volk, welches traumatisiert den Dingen harrt die da kommen. Eine expansive Geldpolitik ist ein notwendiges aber nicht hinreichendes Antidepressivum. Eine Depression bzw. Deflation kann jedoch nur dann vermieden werden, wenn externe Störfaktoren ausbleiben. Und dies ist doch eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich.
Zukunft weiter ungewiss
Hin und wieder mehrten sich zuletzt die Zeichen einer möglichen Bodenbildung im Vertrauen der Investoren. Da diese Zeichen jedoch meist nur von kurzer Dauer waren, wird es inzwischen immer schwieriger neue Impulse zu finden, welche den erwünschten nachhaltigen Effekt nachfrageseitig bewirken können. Angebotsseitige Stimulationsspritzen wie Zinssenkungen, Geldmengenexplosionen und Steuer-geschenke sind äusserst zweischneidige Schwerter, welche bei ausbleibendem Erfolg die Situation stark verschlechtern würden.
Hoffen wir also, dass die Instrumente kapitalistischer Planwirtschaft rasch zum einer Stärkung des Amerikanischen Selbstvertrauens führen. Darauf verlassen sollten Sie sich jedoch bis auf weiteres noch nicht. Zu brüchig und hohl sind die Fundamente, welche das Land der unbegrenzten Möglichkeiten tragen.
Die anstehende Woche bietet zum einen eine Vielzahl vorlaufender Indikatoren, welche zur regionalen Stimmung diversrer Industriesektoren Auskunft gibt. Diesbezüglich darf ein uneinheitliches Bild erwartet werden. Desweiteren werden nächsten Freitag die für das tatsächliche Konsum-verhalten wichtigsten Zahlen publiziert. Alles andere als signifikant rückläufige Detailhandelsumsätze für den Monat September dürfte dem Markt weiteren Auftrieb verschaffen.
Eine weitere Verdichtung von Ertragswarnungen dürte in den kommenden Tagen jedoch die jüngsten Erholungskräfte wieder stark in Bedrängnis bringen. Die in dieser Minute erfolgenden Angriffe auf afghanische Bodenziele werden für zusätzliche Verunsicherung führen. Eine Zersplitterung der Antiterrorkoalition dürfte kommende Woche erste Anfänge erfahren. Die extrem-islamische Welt wird über kurz oder lang den Amerikanischen Vergeltungsschlägen mit Argwohn begegnen. Ich erwarte deshalb ein erneut schwächeres Marktumfeld bei Abgaben im Dollar, Anleihe-Renditen und Leitindices an den Börsen.
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