In dem von Jagg hier hereingestellten und von SchlauFuchs übersetzten Aufsatz über die österreichische Schule der Ã-konomie (Menger, Hayek, Mises) wird auch ein Fanzose genannt, Frédéric Bastiat, dessen Name - wie ich annehme - nicht allen im Forum etwas sagen wird. Das ist schade. Denn Bastiat, geboren 1801, also vor genau 200 Jahren, war einer der größten Liberalen, die Frankreich hervorgebracht hat. Nachfolgend eine Würdigung (und Buchbesprechung), verfaßt vom Wirtschafts-Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Dr. Gerhard Schwarz, die in der NZZ vom 30. Juni ds. erschien. Ich vervollständige diesen Beitrag mit einer kurzen Übersetzung einer Stelle aus der wohl berühmtesten Abhandlung Bastiat's «Was man sieht und was man nicht sieht». Diese Stelle paßt sehr gut zu den hier im Forum wiederholt diskutierten theoretischen Wirtschaftsthemen:
<font size="6">Der Staat als grosse Fiktion</font>
<font size="5">Zum 200. Geburtstag von Frédéric Bastiat</font>
Nicht nur in Musik und Malerei, sondern auch in der Ã-konomie gibt es vergessene Grössen. Eine von ihnen ist Claude-Frédéric Bastiat (1801-1850), dessen Geburtstag sich heute [G: [i]30. Juni 2001] zum 200. Male jährt, wenn man A. de Foville in seiner Einleitung zu ausgewählten Werken, Bastiats aus dem Jahre 1889 glaubt. Daneben kursieren auch der 19. Juni und der 29. Juni als Geburtsdaten [G: Die 5 Jahre nach Bastiat's Tod von Paillottet herausgegebene 6-bändige Gesamtausgabe von Bastiat's Werken nennt tatsächlich den 19. Juni 1801 als Geburtstag des Autors und erscheint mir vertrauenswürdiger als der Gewährsmann Schwarz's. (Oeuvres complètes de Frédéric Bastiat, Paris 1855) ]. Zu seiner Zeit und noch lange nach seinem Tod gehörte Bastiat zu den meistgelesenen Autoren. Seine Werke, deren wichtigste alle erst in den letzten sechs Jahren seines kurzen Lebens erschienen sind, wurden in alle Weltsprachen übersetzt und auf die gleiche Stufe wie die von Adam Smith gestellt, auch wenn sie diesem ökonomisch wohl nicht das Wasser reichen können. Schumpeter wollte dem Autodidakten gar den Status eines Ã-konomen absprechen, obwohl ihm immerhin die Widerlegung des «ehernen Lohngesetzes» von Ricardo gelungen war, während ihn Hayek für seine Schrift «Was man sieht und was man nicht sieht» als Genie bezeichnete. Zweierlei ist aber ziemlich unumstritten: Bastiat war der bedeutendste freiheitliche französische Ã-konom seiner Zeit, und seine stilistischen Qualitäten sind so ausserordentlich, dass ihm Schumpeter (gewissermassen in ausgleichender Gerechtigkeit) attestierte, der brillanteste Wirtschaftsjournalist gewesen zu sein, «der je lebte». Rechtzeitig zu seinem Geburtstag ist in der Reihe «Meisterdenker der Wirtschaftsphilosophie» ein Buch mit Bastiat-Texten und einem Nachwort von Detmar Doering erschienen, auf das sich auch diese Würdigung zum Teil stützt. (Der Staat - die grosse Fiktion. Ein Claude-Frédéric-Bastiat-Brevier. Hrsg. von Marianne und Claus Diem. Verlag Ott, Thun 2001.)
<font size="5">Die unfaire Konkurrenz der Sonne</font>
Der auch als Friedensrichter, als Verleger und Redaktor sowie als Abgeordneter wirkende Bastiat engagierte sich hauptsächlich mit Verve und grossem Erfolg für den Freihandel und «das Manchestertum», wie es später Konservative vom Schlage eines Disraeli oder Bismarck brandmarken sollten. Seine wohl berühmteste Satire, die «Petition der Kerzenmacher, führt die Argumente gegen den Protektionismus in überspitzter, aber leicht verständlicher Form vor Augen: Die Kerzenmacher sprechen beim Minister vor, um sich über die unfaire Konkurrenz der Sonne zu beschweren. Dabei wäre die Remedur so einfach. Die Regierung müsste nur den Bürgern tagsüber die Verdunkelung der Räume durch Vorhänge befehlen, und schon ginge es den Kerzenmachern besser, aber auch den Metzgern (die mehr Vieh zur Talkgewinnung schlachten müssten), den Herstellern von Bienenwachs, den Dochtproduzenten und so letztlich der ganzen Volkswirtschaft. So absurd die Szene ist, im Kern liegt sie nicht allzu weit vom protektionistischen Argumentarium der Neuzeit entfernt, das nur etwas raffinierter daherkommt.
<font size="5">Was man nicht sieht</font>
Als nach 1870 der Kathedersozialismus aufkam und Konservativismus, Protektionismus und Interventionismus populärer wurden, verschwand Bastiat sukzessive von den Bestsellerlisten, die er auch in Deutschland geziert hatte. Der Staat als die «grosse Fiktion, die alle dazu zu benützen versuchen, um auf Kosten von allen zu leben», wie Bastiat formuliert hatte [G: Das Zitat könnte von dottore stammen! ] setzte sich zunehmend durch. Dass es liberale Ã-konomen immer schwer haben würden, argumentativ obenauf zu schwingen, hatte der Popularisierer liberaler Ideen in «Ce qu'on voit et ce qu'on ne voit pas» [G: «Was man sieht und was man nicht sieht» Die Übersetzung eines kurzen Abschnittes daraus (Oeuvres Bd. 5, p. 375f) schließe ich an. ] dargelegt. Der schlechte, interventionistische Ã-konom sehe immer nur das Unmittelbare. Er erkenne zwar, daß eine eingeworfene Fensterscheibe dem Glaser seine Beschäftigung sichere, aber er vergesse, dass dem Besitzer des Fensters nun Mittel für die Ausgaben beim Schneider fehlten. Genauso sei es in der Wirtschaftspolitik. Viele sähen jeweils nur den Nutzen für eine bestimmte Gruppe, nicht aber den Ressourcenabzug bei anderen. Als Margaret Thatcher Anfang der achtziger Jahre Frankreich besuchte, wollte sie, schreibt Detmar Doering, dem Land ein Kompliment machen und bezeichnete Bastiat als ihren Lieblingsökonomen, musste dann allerdings schnell erfahren, dass ihre Gastgeber nie etwas von ihm gehört hatten. Das ist wohl bezeichnend, bezeichnend für den geringen Bekanntheitsgrad Bastiats, aber auch für den Stellenwert liberalen Denkens - nicht nur in Frankreich.
Ende des Aufsatzes in der NZZ.
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<ul> Kurzer Auszug aus Bastiat's «Ce qu'on voit et ce qu'on ne voit pas», ch. ix,"Kredit" (aus dem Französischen übertragen):
«Seit jeher... hat man davon geträumt, alle Welt reich zu machen, indem man aller Welt Kredit einräumt.... Aber, zum Teufel, diese"Lösung" beruht auf einer optischen Täuschung; - so sehr, wie nur überhaupt irgend etwas auf einer Täuschung beruhen kann. Es beginnt damit, daß man das Zahlungsmittel mit den Produkten verwechselt. Dann verwechselt man die Geldscheine mit dem Zahlungsmittel. Und aus diesen beiden Verwechslungen glaubt man dann reale Vorteile ableiten zu können.
Es ist in dieser Frage jedoch absolut notwendig, daß man zunächst von Gold, Geld, Banknoten und anderen Tauschmitteln absieht, mittels derer Waren von Hand zu Hand gehen, und nur auf die Produkte selbst schaut, die der eigentliche Gegenstand sind, der einen Preis hat.
Denn, wenn sich ein Arbeiter 50 Franc leiht, um sich einen Pflug zu kaufen, so leiht man ihm in Wirklichkeit nicht 50 Franc, sondern den Pflug.
Und wenn sich ein Kaufmann zwanzigtausend Franc leiht, um sich ein Haus zu kaufen, dann schuldet er nicht zwanzigtausend Franc, sondern das Haus.
Geld dient dabei lediglich dazu, die Abmachungen zwischen den Parteien zu erleichtern: Pierre mag seinen Pflug nicht verleihen wollen, Jaques aber ist bereit, sein Geld zu verleihen. Was also macht Willi? Er leiht sich das Geld von Jaques und kauft damit von Pierre den Pflug. Tatsächlich aber leiht sich niemand Geld um des Geldes willen, sondern um an Waren zu kommen.
Nirgendwo auf der Welt können allerdings Produkte, die es gar nicht gibt, von einem Besitzer zum nächsten wechseln.
Wie groß die Papiergeldmenge auch sein mag, so kann doch die Gesamtheit der Borger keinesfalls jemals mehr Pflüge, Häuser, Werkzeuge, Nahrungsmittel oder Rohstoffe erhalten als die Gesamtheit der Verleiher liefern kann.
Stellen wir uns einmal vor, daß jeder, der sich Geld ausleihen will, auch jemand findet, der es ihm leiht. Das können Kredit-Institute leisten. Was sie aber nicht können, ist, auf der Stelle die Anzahl der Pflüge, der Häuser, der Werkzeuge, Lebensmittel und Rohstoffe zu vermehren, wie es geschehen müßte, wenn das Ziel der Reformer erreicht werden soll, durch den Kredit jedem alles zu geben, was er sich wünscht.
Wie also könnte die Abhilfe aussehen? Ganz einfach: - Indem man das Leihgut mit einer"Staatsgarantie" versieht.
Wenn man darüber allerdings nachdenkt, gibt es dabei zwei Aspekte, nämlich etwas, was man sieht, und etwas, was man nicht sieht. Versuchen wir, diese beiden Seiten deutlich zu machen:
Angenommen, es gäbe nur einen einzigen verkäuflichen Pflug auf der Welt und zwei Arbeiter, die ihn gern haben möchten. Der Besitzer dieses einzigen Pfluges sei Pierre. Hans und Jaques möchten ihn leihen.
Hans ist bekanntermaßen rechtschaffen, hat Besitz, einen guten Ruf und kann Sicherheiten bieten. Man glaubt an ihn; er hat Kredit. In Jaques setzt man kein oder doch zumindest weniger Vertrauen. Also wird Pierre seinen Pflug Hans leihen.
Nun aber kommt der Staat mit seinen sozialistischen Gemeinwohl-Vorstellungen ins Spiel und sagt zu Pierre: Leih' deinen Pflug dem Jaques, ich garantiere dir die Rückzahlung und diese Garantie ist mehr wert als die von Hans, denn der kann nur für sich selbst einstehen; ich dagegen besitze zwar selbst nichts, das ist schon richtig, aber ich verfüge über das gesamte Vermögen aller Steuerpflichtigen. Und mit deren Steuerleistung werde ich dir Schuld und Zinsen bezahlen.
Beeindruckt von dieser Garantie leiht Pierre in der Folge seinen Pflug dem Jaques. Das ist das, was man sieht.
Die sozialistischen Gutmenschen reiben sich die Hände und sagen: Seht her, wie toll unser Plan funktioniert hat. Dank der Intervention des Staates hat der arme Jaques seinen Pflug gekriegt. Jetzt muß er die Erde nicht mehr von Hand umgraben. Er hat sein Glück gemacht. Das ist nicht nur für ihn gut, sondern auch für die Nation als Ganzes.
Aber Moment, meine Herren: Für die Nation ist das keineswegs ein Gewinn. Denn da ist noch das, was man nicht sieht:
Was man nicht sieht, ist, daß der Pflug nur deshalb an Jaques gehen konnte, weil Hans ihn nicht bekommen hat.
Was man nicht sieht, ist weiters, daß anstelle von Jaques nun Hans die Erde von Hand umgraben muß.
Was man also irrtümlich als Wachstum durch Kredit angesehen hatte, ist kein Wachstum, sondern nur eine Verschiebung.
Obendrein sieht man aber auch nicht, daß mit dieser Verschiebung zwei Geschädigten gravierende Ungerechtigkeiten zugefügt wurden:
Erstens Hans, der sich durch seine Rechtschaffenheit und seinen Fleiß persönlichen Kredit erworben hat und sich nun um die Früchte seiner Mühen geprellt sieht. Zweitens aber auch die Steuerpflichtigen des Staates, die nun für eine Schuld haften müssen, die sie überhaupt nichts angeht.... </ul>
G.
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