I N T E R V I E W
"Wut und Hass"
Der saudische Politiker Ahmed Saki Jamani über Ã-l, Terror und die Destabilisierung der arabischen Welt
Das Gespräch führte Jürgen Krönig
zeit: Werden die Militärschläge in Afghanistan auf den Ã-lmarkt durchschlagen?
Jamani : Nicht wesentlich. Wenn aber die Aktionen darüber hinausgehen, wird es zu einer sehr ernsten Krise kommen.
zeit: Gilt das vor allem für den Versuch, Saddam Husseins Regime im Irak zu stürzen?
Jamani : Wenn das geschieht, wird das irakische Ã-l vom Weltmarkt verschwinden, immerhin 2,2 Millionen Fass pro Tag. Wer soll das ersetzen?
zeit: Saudi-Arabien.
Jamani : Das Land ist aus politischen Gründen gehemmt. Bei einem Krieg gegen den Irak wird es den Saudis schwer fallen, die Produktion zu erhöhen. Der Ã-lpreis würde unweigerlich über 30 Dollar steigen - es sei denn, Amerika würde seine strategische Reserve anzapfen.
zeit: Ist der Irak eine große Ã-lmacht der Zukunft?
Jamani : Ja, fast so bedeutend wie Saudi-Arabien.
zeit: Ein Grund, den Irak nicht in den Krieg gegen den Terror einzubeziehen?
Jamani : Man kann immer leicht eine Begründung finden, den Irak anzugreifen. Das ist überhaupt kein Problem.
zeit: Falken in Washington plädieren für eine Ausweitung militärischer Aktionen auf den Irak.
Jamani : Man kann nicht den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten. Wer den Irak angreift, muss einen Preis dafür zahlen.
zeit: Der Preis wäre Aufruhr an den Märkten?
Jamani : Die Folge wäre ein erheblich höherer Ã-lpreis zu einer Zeit, in der die Rezession immer tiefer wird.
zeit: Die Opec will ohnehin den Preis oben halten, selbst bei Rezession. Ist diese Strategie richtig?
Jamani : Ich hoffe, die Opec begreift, dass eine solche Politik nicht in ihrem Interesse liegt und bei den Ã-lverbrauchern unerwünschte Reaktionen auslösen würde.
zeit: Aber Saudi-Arabien braucht doch einen Preis von 25 Dollar pro Fass.
Jamani : 25 Dollar ist ein idealer Preis, bei dem das Land seine Verpflichtungen erfüllen kann. Aber die Saudis könnten auch mit 20 Dollar leben.
zeit: Sie haben die Opec immer wieder davor gewarnt, den Preis hochzutreiben, weil andernfalls der Westen Alternativenergien entwickeln würde. Bleiben Sie dabei?
Jamani : Die OECD-Länder arbeiten in vielen Feldern der Energieeinsparung. Die Opec schadet sich bereits selbst. Vor 20 Jahren hieß ein Prozent Wirtschaftswachstum ein Prozent mehr Ã-lverbrauch. Das hat sich dramatisch verändert. Europa verzeichnete vergangenes Jahr erhebliches Wachstum, und der Ã-lverbrauch sank. In den USA stieg der Ã-lverbrauch um weniger als ein Prozent bei einem Wachstum von über vier Prozent - und das selbst angesichts der niedrigen amerikanischen Steuern auf Benzin und Heizöl.
zeit: Nähern wir uns dem Ende des Ã-lzeitalters?
Jamani : Nein, Ã-l wird noch lange wichtig sein. Der hohe Preis wird sogar zu größeren Förderkapazitäten führen, inner- wie außerhalb der Opec. Sollten die politischen Verhältnisse stabil bleiben, erwarte ich sogar sinkende Preise.
zeit: Geologen warnen, dass Ã-l in wenigen Jahrzehnten knapp wird. Haben sie Unrecht?
Jamani : Das sagen sie seit den siebziger Jahren. In Wahrheit erlaubt verbesserte Fördertechnologie, immer neue Reserven zu erschließen.
zeit: Fast 90 Prozent der Weltvorräte liegen im islamischen Raum - im Golf und in asiatischen Ã-lstaaten wie Kasachstan.
Jamani : In der Golfregion wären die Reserven noch größer, wenn dort investiert würde. Die Reserven des Irak könnten sich auf einen Schlag verdoppeln, erhöhte man bei der Förderung den recovery factor, den Ausbeutungsgrad. Er liegt im Golf bei nur 30 Prozent, in den Nordseefeldern dagegen bei bis zu 60 Prozent. Nein, Ã-l wird auf lange Zeit reichlich vorhanden sein. Wir werden das Ã-lzeitalter hinter uns lassen, und im Boden wird es immer noch Reserven geben.
zeit: Saudi-Arabien, das über 12 Prozent des Weltverbrauches deckt, bleibt erst einmal der wichtigste strategische Partner des Westens. Im Krieg gegen den Terror verweigert Riad den Amerikanern die Benutzung der Stützpunkte auf saudischem Boden. Verstehen Sie diese Zurückhaltung?
Jamani : Sie sprechen vom"Krieg gegen den Terror". Wir brauchen erst einmal eine klare Definition des Feindes.
zeit: Sind Sie von der Evidenz gegen bin Laden nicht restlos überzeugt?
Jamani : Ich habe starke Zweifel, ob bin Laden fähig ist, einen solch komplizierten Plan zu organisieren. Vielleicht finanzierte er die Terrorschläge. Aber da muss noch eine andere Größe sein in der Rechnung.
zeit: Bin Laden strebt den Umsturz in Saudi-Arabien an. Fürchten Sie um die Stabilität des Königreichs?
Jamani : Es geht nicht nur um Saudi-Arabien. Die ganze Region wäre betroffen, sollten die Falken in Washington den Konflikt über Afghanistan hinausziehen.
zeit: Halten Sie das ungelöste Palästina-Problem für eine tiefere Ursache des Terrorismus?
Jamani : Kein Zweifel. Wer den Terrorismus bekämpfen will, muss hier ansetzen.
zeit: Was soll der Westen tun? George W. Bush sprach bereits von einem palästinensischen Staat.
Jamani : Amerika muss eingreifen und Israel sagen:"Genug ist genug." Der Westen muss von Israel verlangen, die UN-Sicherheitsrats-Resolutionen zu akzeptieren und das einzulösen, wozu es sich in Oslo und Madrid bereits verpflichtet hat. Die Welt muss fair sein gegenüber den Palästinensern, und Israel muss akzeptieren, dass sie eine Nation sind.
zeit: Das würde zugleich von der arabischen Welt verlangen, die Existenz Israels ohne Vorbehalt zu akzeptieren und den Terror zu unterbinden.
Jamani : Selbstverständlich, aber die arabische Welt erkennt Israel bereits an. Israel dagegen sitzt auf einem Teil des palästinensischen Territoriums. Nach internationalem Recht muss besetztes Gebiet geräumt werden.
zeit: Rechnen Sie damit, dass Israel dies tun wird?
Jamani : Es hängt von Amerika und dem Westen ab. Die Intifada wird andernfalls weitergehen.
Die ganze Region könnte in Flammen aufgehen.
zeit: Würde Saudi-Arabien als erstes Land in den Strudel gezogen?
Jamani : Saudi-Arabien hat eine stabile Regierung. Man darf ihre Stärke nicht unterschätzen. Nein, die ganze Region könnte destabilisiert werden.
zeit: Der saudische Staat ist auch der Hüter der heiligen Stätten. Und in der Bevölkerung gärt es.
Jamani : Natürlich herrschen Wut und Zorn. Wegen Palästina gibt es Bitterkeit und Hass überall in der arabischen Welt.
zeit: Dagegen hilft nur ein stärkeres amerikanisches Engagement im Nahen Osten?
Jamani : Terrorismus ist wie Krebs. Breitet er sich aus, muss man nach den Ursachen schauen und versuchen, sie zu eliminieren.
zeit: Wer, außer bin Laden, könnte noch an den Anschlägen in Amerika beteiligt gewesen sein?
Jamani : Es gibt so viele Fragezeichen. Wer spekulierte vor dem Terroranschlag auf das World Trade Center gegen Fluggesellschaften und Versicherungen? Wer kaufte Staatsanleihen und machte binnen einer Woche einen Gewinn von 20 Prozent? Die Ermittlungen lieferten keine klare Antwort. Fest steht nur, dass Profite von Hunderten Millionen Dollar gemacht wurden.
(c) DIE ZEIT 42/2001
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