Galiani
04.12.2001, 19:22 |
Wenn einer allein Güter nicht 'gerecht' verteilen kann, können es dann mehrere? Thread gesperrt |
Hallo nereus
Zu Deiner hochinteressanten Bemerkung! Du führst in Deinem an mich gerichteten Posting aus:
«... Du behauptest immer, daß der Einzelne niemals entscheiden/bestimmen kann was... gerecht für die Gesellschaft ist.
Wenn dies der Einzelne nicht kann, und das muß ja dann für jedes Individuum gelten, können es zwei, drei, ein Dutzend oder tausend Leute zusammen auch nicht unbedingt....»
Doch, lieber nereus! Du berührst da einen sehr wichtigen Punkt! Sie können das sehr wohl!
Die Sache beginnt schon damit, daß es möglichst viele Individuen braucht, damit überhaupt so was wie ein Markt entsteht. Der unerhört gescheite Ferdinando Galiani hat das einmal wie folgt ausgedrückt: «Wo... wenige Verkäufer wenigen Käufern gegenüberstehen, hat es die freie Preisgestaltung schwer.» [Dove vi sono pochi venditori, o pochi compratori, difficilmente v'è libertà ne' prezzi.] (Tabarelli W.,"Ferdinando Galiani - Über das Geld", Düsseldorf 1999; S. 328) Der Einzelne wird a priori niemals einen"gerechten" Marktpreis bestimmen können, hundert oder gar tausend Menschen, die miteinander - ja! Warum nicht? - "feilschen", gehen am Ende aber durchaus zufrieden auseinander, weil jeder ungefähr das bekommen hat, was er wollte. Das nenne ich Gerechtigkeit! Weit über das Ziel hinaus schießst Du mit Deiner Gleichsetzung von"(Markt-)Gerechtigkeit" mit"Moral". Das verleitet Dich dann zur Frage: «... Führt dies... nicht Begriffe wie Gerechtigkeit oder Moral ad absurdum...» und mündet in die unsinnige Schlußfolgerung: «... Dann würde eine moralisch einwandfreie Gesellschaft... immer die optimalen Entscheidungen fällen im ethischen Sinne....» Das ist ein sehr abschüssiger Irrweg, auf den Du Dich da begibst. Moralisch kann immer nur ein Mensch sein, niemals eine Gruppe von Menschen als Kollektiv. Aber ich möchte bei Deiner Anfangsfrage bleiben. Das andere wäre ein (sehr umfangreiches) Thema für sich...!
Deine Frage, ob mehrere besser entscheiden können als ein einzelner, trifft nämlich noch einen weiteren Punkt, der unerhört wichtig ist und auch Ferdinando Galiani wichtig war. Ich spreche von dem, was ich in meiner Übersetzung und Kommentierung des Meisterwerkes dieses Italieners mehrfach als die"Weisheit der Vielen" bezeichnet habe. In meiner Kommentierung des Galiani'schen Textes habe ich diesem Gedanken einen eigenen ziemlich langen Anhang gewidmet. Es ist vielleicht für einen größeren Kreis im Forum von Interesse, diesen Anhang hier zu zitieren, weil der darin entwickelte Gedanke nicht nur eminente ökonomische Konsequenzen hat, sondern auch Aussagen über Prognosemodelle enthält, von denen die Elliott-Wellen Theorie eine sehr schönes Beispiel ist:
<ul>(Auszug aus dem genannten Werk, S. 412ff):
Anhang 1:
DIE IDEE VON DER
»WEISHEIT DER VIELEN«
Galiani beleuchtet im zweiten und dritten Kapitel des Ersten Buches unter anderem die Frage, wie und von wem »der Wert« bestimmt werde: dem einzelnen und a priori sei das, abgesehen von den methodischen Schwierigkeiten (pag.47 f), auch deshalb nicht möglich, sagt der Autor in diesem Zusammenhang, weil es viel zu viele Einflußfaktoren gebe, deren relatives Gewicht niemand analytisch ermitteln könne. Wozu indes der einzelne nicht in der Lage ist, das sei »einer Vielzahl von Menschen, die untereinander im Wettstreit um ihren jeweiligen Vorteil liegen« (»la moltitudine...che vi hanno interesse«), sehr wohl möglich. Denn was den eigenen Interessen entspreche, wisse eine Vielzahl Unwissender besser als ein Weiser allein.
Der Autor bezieht sich hier nicht auf das versicherungsmathematische Gesetz der großen Zahl. Denn bei einer »Vielzahl von Menschen, die im Wettstreit, jeder für sich, ihre eigenen Interessen verfolgen«, also bei Rückkopplungsprozessen, gilt dieses Gesetz natürlich nicht: Ob und wie viele Tore bei einem Fußballspiel fallen und für wen, ist keine Frage des statistischen Fehlerausgleichs, sondern »des Trachtens der Spieler«. Galiani wiederholt hier vielmehr seine Überzeugung, daß es zur Bestimmung eines Wertes immer des »mondo civile« (Vico), somit stets mehrerer Menschen bedürfe - mindestens zweier (pag. 28), besser jedoch sehr vieler (pag. 44; 54; 102; 104; 172; 280) -, und daß ein »gerecht« festgesetzter Wert, d.h. ein Gleichgewichtspreis, jedenfalls niemals nur der Laune eines einzelnen entspringe (pag. 26f; 45; 53). Viele Menschen zusammengenommen seien (sofern jeder einzelne nur ein Körnchen Wissen über die Sache besitzt; pag. 187) im Vorteil. Sie sind, indem sie nichts anderes tun, als nur ihre ureigensten Interessen zu verfolgen, durchaus in der Lage, die maßgeblichen Daten zu ermitteln und zu verarbeiten; denn ein »falsch« bestimmter Wert würde ja sofort für irgend jemanden zum Nachteil, zu Ungleichgewichten und damit zum Ausgleich führen. Ein außenstehender Beobachter indes wäre damit überfordert.
Es ist dies ein Gedanke, der an die methodologischen Fundamente der ökonomischen Wissenschaft schlechthin rührt. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Frage, ob es prinzipiell irgendeine »bessere« Einschätzung und damit Verteilung der Werte, also des Wohlstandes auf der Welt, geben könne als die, die der freie Wettbewerb vieler herbeiführt, also ein freier Markt. Der zweiundzwanzigjährige Galiani im Jahr 1751: das sei fundamental unmöglich!
Die mittlerweile auch durch gruppendynamische Befunde bestätigte These (Fußnote 1) läßt sich dogmengeschichtlich bis zu Aristoteles zurückverfolgen: »Wenn auch der einzelne kein tüchtiger Mann sein mag, so scheint doch die Menge in ihrer Gesamtheit besser sein zu können... Zusammengenommen wird die Menge wie ein einziger Mensch, der viele Füße, Hände und Sinnesorgane hat; desgleichen, was den Charakter und das Denken betrifft. So beurteilt auch die Menge die Werke der Musik und der Dichter besser...« (Fußnote 2) Ähnlich Machiavelli im ersten Buch seiner Discorsi: »...so behaupte ich, daß das Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat... Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes...« (Fußnote 3)
Karl Marx verwechselt zwar Arbeitszeit und Wert, sieht aber sehr deutlich, daß der Wert im Grunde von der Gesellschaft, nämlich »durch einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt« wird. (Fußnote 4) Auch Pareto ist von der überlegenen »Weisheit der Vielen« überzeugt. Er fordert, der Wirtschaftswissenschaftler müsse »...die in großer Zahl wiederholten, logischen Handlungen studieren, die die Menschen ausführen, um sich jene Sachen zu besorgen, die ihren Geschmack befriedigen«. (Fußnote 5) Für Fritz Machlup ist das Verhalten der Vielen, das eben dadurch der Realität in höherem Maße angemessen ist, auch besser vorhersehbar: »Wie sich ein, zwei oder drei Federal-Reserve-Direktoren entscheiden werden, ist ungewiß. Die Tendenz der Entscheidungen von tausend und abertausend Weizenproduzenten ist bei weitem nicht so ungewiß.« (Fußnote 6) Sehr klar schließlich F.A. von Hayek: »[In] die Bestimmung des relativen Preis- und Lohnsystems...wie es sich auf einem gut funktionierenden Markt von selbst herausbilden wird... wird der Einfluß individueller Informationen, über die jeder der Teilnehmer am Marktprozeß verfügt, mit einfließen - eine Summe von Fakten, die in ihrer Gesamtheit weder dem wissenschaftlichen Beobachter noch irgendeinem anderen Kopf bekannt sein kann. Gewiß liegt hier der Ursprung für die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung.« (Fußnote 7)
Fußnoten:
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1 Die experimentalpsychologische Ausleuchtung der Frage begann erst in unserem Jahrhundert (Münsterberg, 1912). Schon 1897 hatte Triplett allerdings angesichts der Diskrepanzen zwischen der Leistung des auf sich gestellten Einzelnen und der des Individuums im Wettbewerb mit anderen formuliert, daß »...die körperliche Gegenwart von Konkurrenten latente Energien frei werden läßt, die ansonsten nicht zur Verfügung stehen.« (Triplett; zitiert nach der glänzenden Darstellung des Themas durch Hofstätter, l.c. S.47.) Zur Informationsverarbeitung durch den Menschen in der Gesellschaft, auch ohne explizit auf das Konkurrenzelement einzugehen, indes schon Jevons (1871, S.10f): Es ist »...die Größe unserer Gefühle, welche uns fortwährend antreibt, zu verkaufen und zu kaufen, zu borgen und zu leihen, zu arbeiten und zu ruhen, zu erzeugen und zu verbrauchen...« Ein ganz ähnliches Systemgeschehen, das noch weit davon entfernt ist, theoretisch verstanden zu werden, zeigt sich neuerdings übrigens bei der Beschäftigung mit Neuronalen Netzwerken (vgl. z.B. Martin and Biggs, l.c.).
2 Aristoteles, Pol., iii/1281a40-1281b9
3 Machiavelli, Discorsi I/58; l.c. S.78.
4 1867, l.c. S.11.
5 Pareto, l.c., iii, 1; S.142; Pareto hat (nach Hofstätter, S. 26) auch an anderer Stelle auf die Bedeutung von Rückkopplungsprozessen im sozialen Geschehen hingewiesen
6 l.c., S. 42ff
7 F. A. v. Hayek 1978; zitiert nach dem deutschen Text: Bd. i, S. 389
</font></ul>
Grüße
G.
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nereus
05.12.2001, 13:05
@ Galiani
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Re: Wenn einer allein Güter nicht 'gerecht' verteilen kann - Galiani |
Hallo Galiani!
Du schreibst: Die Sache beginnt schon damit, daß es möglichst viele Individuen braucht, damit überhaupt so was wie ein Markt entsteht.
Das bestreite ich keineswegs.
Von einem Chor spricht man ja auch erst wenn sich mehr als nur zwei Leute zusammengefunden haben um ein Lied zu trällern.
Der Einzelne wird a priori niemals einen"gerechten" Marktpreis bestimmen können, hundert oder gar tausend Menschen, die miteinander - ja! Warum nicht? -"feilschen", gehen am Ende aber durchaus zufrieden auseinander, weil jeder ungefähr das bekommen hat, was er wollte. Das nenne ich Gerechtigkeit!
Wenn jeder unbeeinflußt von Werbung, vom Geldbeutel, von seinen Kenntnissen (ist dieses Produkt auch das"richtige" für mich) eine entsprechende Entscheidung fällen kann.
Das sind natürlich utopische Bedingungen, aber wir sollten zumindest festhalten das dem so ist.
Unter praktischen Gesichtspunkten kann ich Dir hier aber zustimmen.
Weit über das Ziel hinaus schießst Du mit Deiner Gleichsetzung von"(Markt-)Gerechtigkeit" mit"Moral". Das verleitet Dich dann zur Frage: «... Führt dies... nicht Begriffe wie Gerechtigkeit oder Moral ad absurdum...» und mündet in die unsinnige Schlußfolgerung: «... Dann würde eine moralisch einwandfreie Gesellschaft... immer die optimalen Entscheidungen fällen im ethischen Sinne....»
Das ist ein sehr abschüssiger Irrweg, auf den Du Dich da begibst. Moralisch kann immer nur ein Mensch sein, niemals eine Gruppe von Menschen als Kollektiv.
Das bestreite ich ganz entschieden. Wenn sich eine Gruppe von Menschen in entsprechenden Verhaltensnormen bewegt und deren gesteckte Grenzen nicht überschreitet, warum soll man dann nicht von einer moralbewußten Gruppe oder Nation reden?
Im Norwegenurlaub kann man ohne Bedenken die Ferienhütte nicht abschließen.
In Deutschland wäre ich mir da nicht mehr so sicher, naja und in Rumänien dürfte alles zu spät sein.
Hoffentlich haben wir jetzt keinen Rumänen hier.
Galiani wiederholt hier vielmehr seine Überzeugung, daß es zur Bestimmung eines Wertes immer des »mondo civile« (Vico), somit stets mehrerer Menschen bedürfe - mindestens zweier (pag. 28), besser jedoch sehr vieler (pag. 44; 54; 102; 104; 172; 280) -, und daß ein »gerecht« festgesetzter Wert, d.h. ein Gleichgewichtspreis, jedenfalls niemals nur der Laune eines einzelnen entspringe (pag. 26f; 45; 53). Viele Menschen zusammengenommen seien (sofern jeder einzelne nur ein Körnchen Wissen über die Sache besitzt; pag. 187) im Vorteil. Sie sind, indem sie nichts anderes tun, als nur ihre ureigensten Interessen zu verfolgen, durchaus in der Lage, die maßgeblichen Daten zu ermitteln und zu verarbeiten; denn ein »falsch« bestimmter Wert würde ja sofort für irgend jemanden zum Nachteil, zu Ungleichgewichten und damit zum Ausgleich führen. Ein außenstehender Beobachter indes wäre damit überfordert.
Unser beliebter dottore pflegt zu sagen: Unter dem Wert kann sich jeder vorstellen was er will.
Der letzlich erzielte Preis ist aber etwas ganz anderes.
Wenn ich nur einen Kunden habe der mein Produkt aber unbedingt kaufen will, kann ich z.B. 2.500 DM als Kaufpreis festlegen. Bieten mir aber 3 Kunden max. 300 DM für mein Produkt erziele ich, falls ich einverstanden bin, nur 900 DM Erlöß. Haben 50 Kunden Kaufinteresse zu maximal 150 DM erziele ich 7.500 DM.
War jetzt irgendein Kaufabschluß ungerecht? Der Markt hat in allen Fällen gerichtet aber mit sehr unterschiedlichem Ergebnis.
Die obenstehende Annahme von Galiani setzt, wie schon zuvor erwähnt, Topinformiertheit voraus. Die aber kann es niemals für alle Marktteilnehmer zu einem definierten Zeitpunkt geben.
Es ist dies ein Gedanke, der an die methodologischen Fundamente der ökonomischen Wissenschaft schlechthin rührt. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Frage, ob es prinzipiell irgendeine »bessere« Einschätzung und damit Verteilung der Werte, also des Wohlstandes auf der Welt, geben könne als die, die der freie Wettbewerb vieler herbeiführt, also ein freier Markt.
..
Wenn auch der einzelne kein tüchtiger Mann sein mag, so scheint doch die Menge in ihrer Gesamtheit besser sein zu können... Zusammengenommen wird die Menge wie ein einziger Mensch, der viele Füße, Hände und Sinnesorgane hat; desgleichen, was den Charakter und das Denken betrifft.
So beurteilt auch die Menge die Werke der Musik und der Dichter besser...« (Fußnote 2) Ähnlich Machiavelli im ersten Buch seiner Discorsi: »...so behaupte ich, daß das Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat...
Das klingt natürlich auf den ersten Blick äußerst plausibel, aber ist dies auch so?
Ich schließe eine"bessere" Gesamtheit natürlich nicht aus, aber sie ist keineswegs in jedem Fall hinreichend gesichert. Die Kaufbereitschaft beginnt doch nicht bei Null, sondern setzt ein bestimmtes Wissen jedes Käufers voraus. Und auf dieses Wissen, gemeint ist die Psyche, kann man mehr oder weniger Einfluß nehmen.
Wenn eine Sendung wie"Vera am Nachmittag" höchste Einschaltquoten erzielt und sich demzufolge besser verkauft, aber der Dokumentarbericht über die Opfer der Drogenmafia keine besondere Einschaltquote erzielt, möchte ich nicht unbedingt von einem klugen Volk sprechen.
Ich bemängele das Ergebnis nicht, aber ich vermeide dann doch von einem richtigen Urteil zu sprechen.
Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes...« (Fußnote 3)
Aber von Gott kommen doch die Verhaltensnormen, z.B. die 10 Gebote. Steht zumindest in der Bibel.
Du hast aber zuvor erwähnt das ein Kollektiv niemals moralisch sein kann.
Und nun vergleicht man das Volk sogar mit Gott.
??
Sehr klar schließlich F.A. von Hayek: »[In] die Bestimmung des relativen Preis- und Lohnsystems...wie es sich auf einem gut funktionierenden Markt von selbst herausbilden wird... wird der Einfluß individueller Informationen, über die jeder der Teilnehmer am Marktprozeß verfügt, mit einfließen - eine Summe von Fakten, die in ihrer Gesamtheit weder dem wissenschaftlichen Beobachter noch irgendeinem anderen Kopf bekannt sein kann. Gewiß liegt hier der Ursprung für die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung.«
Jetzt lehne ich mich mal ganz weit aus denm Fenster.
Der Ursprung der marktwirtschaftlichen Überlegenheit liegt ganz sicher nicht am individuellen Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer sondern an der Möglichkeit am Markt als Käufer oder Verkäufer überhaupt teilnehmen zu können.
Erst diese Voraussetzung schafft die Möglichkeit das ein wirklicher Markt überhaupt erst entsteht.
Und je größer der Markt desto besser kann man kaufen und verkaufen
Was dann am Markt für Preise ausgehandelt werden ist wieder ein ganz anderes Ding.
Ausgangspunkt unserer Diskussion war ja ob es am Markt gerecht oder ungerecht zugeht. Diese Frage läßt sich nach allem gesagtem aber dann schlichtweg nicht beantworten. Damit könnte ich aber auch leben.
mfG
nereus
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Galiani
05.12.2001, 16:31
@ nereus
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@nereus Re: »Gerechte« Verteilung der Güter - Meine Antwort |
Hallo nereus
Du bist ziemlich hartnäckig. Aber gut:
Du schreibst:
«...Wenn sich eine Gruppe von Menschen in entsprechenden Verhaltensnormen bewegt und deren gesteckte Grenzen nicht überschreitet, warum soll man dann nicht von einer moralbewußten Gruppe oder Nation reden?...»
"Moralbewußt" ist ok! Aber"moralisch" muß jeweils der einzelne Mensch für sich sein; das ist eine höchstpersönliche Entscheidung zwischen"gut" und"böse". Ich bestreite nicht, daß durch irgendwelche äußeren Umstände, etwa durch schlechte Vorbilder, in der einer Nation"moralisches" Verhalten von Menschen häufiger anzutreffen sein mag als in einer anderen. Aber dennoch ist für sein Verhalten immer nur der einzelne Mensch verantwortlich! Das Thema wurde vom Soziologen Leopold von Wiese sehr gründlich untersucht. An dessen Ergebnissen ist nicht zu rütteln!
«...Unter dem Wert kann sich jeder vorstellen was er will. Der letzlich erzielte Preis ist aber etwas ganz anderes...»
Stimmt nicht! Unter der Voraussetzung eines freien Marktes sind (für handelbare Güter) Preis und Wert insofern identisch, als der Preis der in Geld ausgedrückte Wert einer Sache für einen Menschen am Markt ist.
Freilich weiß jeder, der einmal etwas verkauft hat, daß man dem Käufer fast immer den Wert des Angebotes erst"zeigen" muß: man muß das Produkt richtig in Szene setzen, dramatisieren! (Ich hab' Dir diesbezüglich doch vor einiger Zeit eine ganz lange praktische Anleitung geschrieben!) Selbst die allergängigste aller"Waren", Sex,"verkauft sich" nicht von alleine. Man muß ihn anziehend verpacken, parfümieren, mit Flitter bestreuen, richtig beleuchten... Der Denkfehler, dem Du erliegst, ist ja gerade, daß Du vom"Wert" als von etwas ganz Abstraktem und Absolutem in einem"idealen Markt" sprichst, auf dem sich"Top-Informierte" herumtreiben. Das ist ein Hirngespinst! Es ist gerade umgekehrt, wie Du sagst: Wenn es einen"idealen" Markt gäbe, wo alle"vollkommen informiert" wären, dann könnte der Wert der Dinge a priori berechnet und die Güter der Welt zentral von einem riesigen Computer-Zentrum aus"gerecht" verteilt werden. Aber das hatten wir doch schon! Das würde uns überfordern und ist deshalb eben unmöglich, weil dieser"mathematisch ermittelte Wert" «...nur Gott allein bekannt ist...» (wie Johannes de Lugo es schon vor fast 400 Jahren ausdrückte)! Für uns reale Menschlein gilt hingegen: Das Substantiv"Wert" kommt von"bewerten"; wir müssn uns immer fragen, für wen ist das ein Wert. Und so spielt sich die Wertbildung ja auch am Markt ab. Galiani sagt an einer Stelle, auf die ich Dich ausdrücklich aufmerksam mache, ganz richtig: "Ich stelle fest, daß sich die Schar derer irrt, die glauben, der Wert der Dinge sei in einer diesen eigenen inneren Qualität begründet und keine äußere Beziehung, die sich je nach dem Ort, nach der Zeit und nach der jeweiligen Person ändert...." Das ist der Punkt! (Und deshalb mußt Du auch Deine Software anständig präsentieren, den Kunden erst von ihrem Wert überzeugen und sie aktiv verkaufen. Denn a priori hat der Kunde keine Ahnung davon, was Deine Programme ihm"wert" sein könnten. Und das"berechnen" kann er schon gar nicht!)[/i]
Natürlich hast Du nicht ganz unrecht, wenn Du feststellst, daß wir in einer zunehmend"banalisierten" Gesellschaft leben, in der die Menschen lieber"Vera am Nachmittag" gucken als wertvolle Bildungs-Sendungen: «...Ich bemängele das Ergebnis nicht, aber ich vermeide dann doch von einem richtigen Urteil zu sprechen...»
Zu Aristoteles' Zeiten gabs natürlich noch kein Fernsehen. Hätte es das schon gegeben, hätten sich wahrscheinlich auch schon die alten Griechen von"Vera am Nachmittag" verdummen lassen. Und wenn Machiavelli schon Leopold von Wiese gekannt hätte, hätte er sich wahrscheinlich vorsichtiger ausgedrückt. Was aber die überlegene Urteilsfähigkeit von Menschengruppen gegenüber dem Einzelnen betrifft, so möchte ich doch annehmen, daß Du gelegentlich mit Deinen Mitarbeitern (oder ggf. mit Deiner Frau) Probleme in der Art einer Brainstorm-Sitzung besprichst und löst. Nach meinen Erfahrungen führt eine solche Vorgehensweise im Team fast ausnahmslos rascher zu besseren Lösungen, als wenn einer allein das Problem zu lösen versucht. Insofern halte ich Deine Skepsis gegenüber der Urteilsfähigkeit der Menschen in Gruppen für unbegründet.
Deine abschließende Überlegung endlich, enthält nebeneinander Richtiges und Falsches: Wenn Du sagst «...Der Ursprung der marktwirtschaftlichen Überlegenheit liegt ganz sicher nicht am individuellen Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer sondern an der Möglichkeit am Markt als Käufer oder Verkäufer überhaupt teilnehmen zu können. Erst diese Voraussetzung schafft die Möglichkeit das ein wirklicher Markt überhaupt erst entsteht... », so hast Du sicher insofern Recht, als man von einem"Markt" definitionsgemäß ja gar nicht sprechen kann, wenn sich nicht Käufer und Verkäufer gegenüberstehen. Sicherlich hast Du auch Recht, wenn Du sagst: «...Und je größer der Markt desto besser kann man kaufen und verkaufen.. »
Wenn Du dann aber anfügst: «...Was dann am Markt für Preise ausgehandelt werden ist wieder ein ganz anderes Ding... », so scheint mir das logisch unvereinbar zu sein mit Deiner apodiktischen Bemerkung ganz am Anfang dieses Absatzes: «...Der Ursprung der marktwirtschaftlichen Überlegenheit liegt ganz sicher nicht am individuellen Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer... »
[i]Natürlich muß zuerst ein Markt da sein, damit dort ein Marktgeschehen ablaufen kann; das ist trivial! Die Tatsache aber, daß ein Markt existiert, schließt doch noch nicht aus, daß die Vorgänge, die auf diesem Markt ablaufen, erklärungsbedürftig sind! So muß man Deinen Satz aber verstehen. Woher nimmst Du die Sicherheit, mit der Du behauptest, daß sich diese Vorgänge nicht durch das Wissen der Marktteilnehmer erklären ließe (ganz abgesehen davon, daß Du hiermit einer zentralen Aussage eines Nobelpreisträgers widersprichst, über die dieser ein halbes Leben lang nachgedacht hat)? Wobei ich überhaupt fürchte, daß Du da etwas mißverstanden hast: es geht nicht um den"Informiertheitsgrad" (wie Du Dich ausdrückst), sondern darum, wo das"Interesse" jedes der Marktteilnehmer liegt. Ich könnte Dir das mit unendlich langen Hayek-Ausführungen erklären, ziehe es aber vor, nochmals (meinen Lieblings-Autor) Galiani zu zitieren (weil sich sein Stil um so vieles leichter liest, auch wenn er natürlich in der Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts verfangen ist):
<ul>[Tabarelli Werner (Hsg.), Ferdinando Galiani - Über das Geld, Düsseldorf 1999; I,3. S. 131-133]:
<font color="0000FF">Ich reagiere... auf jene Menschen gereizt, die sich als »reine Verstandesmenschen« sehen, als »Intellektuelle« apostrophieren lassen und die so häufig, blind vor Stolz auf ihre eigenen Verdienste, die ganze Weltordnung lauthals als ungerecht und chaotisch denunzieren.... Im Gegensatz dazu preise ich jedesmal die Höchste Hand, wenn ich die Ordnung betrachte, durch die alles zu unserem Frommen eingerichtet ist; in ihren Werken sehe ich, wohin ich auch blicke, nur Gerechtigkeit und Ebenmaß. Und... [i]ch bestaune sie um so mehr, je deutlicher ich die Schwierigkeit sehe, die ein einzelner Mensch damit hätte, einen Wert zu berechnen und einen Preis festzusetzen.
<ul>Welcher Mathematiker könnte den Preis eines Pfundes Gold berechnen, einer Ware, die aus Amerika zu uns herangeschafft wird? Tausende und Abertausende von Menschen wenden dafür in verschiedenen Ländern ihre Arbeitskraft auf; in jedem dieser Länder herrschen andere Bedingungen bezüglich Ergiebigkeit der Ernten, Wert des Geldes, Bevölkerung und Volkseinkommen. Dazu kommt, daß Gewinnung und Transport unseres Pfundes Gold einige dieser Menschen vielleicht nur einen Tag lang, andere einen Monat in Anspruch nehmen. Wieder andere beschäftigen sich möglicherweise gar nicht mit unserem Pfund Gold, sondern ihre Arbeit ist auf hundert oder tausend Pfund Gold gleichzeitig gerichtet. Obendrein sind bei so vielen verschiedenen Menschen natürlich auch die Veranlagungen sehr ungleich. Wenn man den Markt betrachtet, wer kann da das richtige Verhältnis finden bei einer so großen Menge von Käufern, deren Geschmack, Neigung, Bedarf und Vermögen verschieden ist, die in unterschiedlicher Zahl in verschiedenen Ländern leben und vom Haupthandelsplatz mehr oder weniger weit entfernt sind? Dazu müßte man dann noch die Zölle der Fürsten, die Wechselkurse der Händler, den »Schwund« durch Betrügereien und Schmuggel rechnen sowie schließlich die unendliche Zahl der sonstigen Gefahren und Verluste, die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit eintreten und ein unterschiedliches Ausmaß an Schäden verursachen.
All das müßte jemand in Rechnung stellen, wenn er den Preis irgendeiner Sache berechnen wollte. Mag indes einer allein angesichts dieser Aufgabe zögern und verzagen, so findet doch eine Vielzahl von Menschen, die untereinander im Wettstreit um ihren jeweiligen Vorteil liegen, den richtigen Preis sehr wohl: denn, was den eigenen Interessen entspricht und was nicht, weiß eine Vielzahl Unwissender besser als ein Weiser allein.</ul>
Es gibt einen einleuchtenden Beweis dafür, daß sich die Leute in der Tat diesbezüglich nie verkalkulieren, und daß der sich bei diesem Verfahren ergebende Marktpreis wirklich der richtige... ist: Einmal vorausgesetzt, daß alle Menschen, die am Markt als Mitbewerber auftreten, mit Geld bezahlen, das sie verdienen müssen, so ist jedenfalls sichergestellt, daß jeder für sich dann den gerechten Gewinn erhält, und daß keiner seinen Partnern geschadet hat, wenn die Fleißigen belohnt und die Nachlässigen aufgrund ihres eigenen Versagens mit Verlusten bestraft werden. Wäre es anders, wenn also eine Klasse von Menschen ständig Verluste erlitte, würde sie die Lust an diesem Gewerbe verlieren und es aufgeben, und so würde der Fluß der gesamten Wirtschaft ins Stocken geraten, wie ein Uhrwerk, das auf Grund des Fehlens eines einzigen Zahnes zum Stillstand kommt. Würde umgekehrt eine andere Klasse dabei übermäßig reich werden, dann stiege die Zahl derer, die ihre ursprünglichen und weniger gewinnbringenden Tätigkeiten aufgeben und sich dieser neuen zuwenden, bald so sehr an, daß der frühere Gewinn sich zusehends verflüchtigen und auf das gerechte Maß einpendeln würde. </ul></font>
Damit sollte es genug sein. Ich würde die Debatte damit gerne beenden. Denn es gibt nicht sehr viel, was ich jetzt noch dazu sagen könnte, um Dich zu überzeugen.
Liebe Grüße
G.
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nereus
05.12.2001, 21:01
@ Galiani
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Re: Re: »Gerechte« Verteilung der Güter - Galiani! und Schluß:-) |
Hallo Galiani!
Du schreibst: Du bist ziemlich hartnäckig...
Ja, das ist was dran.
Oder wolltest Du damit ausdrücken: Es ist gut nun - Du nervst! ;-)
Keine Sorge! Das ist jetzt auch meine letzte Antwort dazu.
Ich bestreite nicht, daß durch irgendwelche äußeren Umstände, etwa durch schlechte Vorbilder, in der einer Nation"moralisches" Verhalten von Menschen häufiger anzutreffen sein mag als in einer anderen. Aber dennoch ist für sein Verhalten immer nur der einzelne Mensch verantwortlich! Das Thema wurde vom Soziologen Leopold von Wiese sehr gründlich untersucht. An dessen Ergebnissen ist nicht zu rütteln!
Vielen herzlichen Dank für diese Erläuterungen.
Diese Zeilen werde ich jetzt jedem Kollektivschuldvertreter oder Sippenhaftungsideologen unter die Nase halten. Dann kann auch ein Volk oder eine Nation niemals schuldig an sich sein, sondern nur die einzelnen Mitglieder derselben.
Man lernt in den Diskussionen mit Dir immer etwas dazu.
Dieses Geschütz werde ich bei der nächsten problematischen politischen Diskussion in Stellung bringen.
Stimmt nicht! Unter der Voraussetzung eines freien Marktes sind (für handelbare Güter) Preis und Wert insofern identisch, als der Preis der in Geld ausgedrückte Wert einer Sache für einen Menschen am Markt ist.
Das sehe ich nach wie vor anders, aber das müssen wir in der Tat nicht weiter auswringen.
Natürlich muß zuerst ein Markt da sein, damit dort ein Marktgeschehen ablaufen kann; das ist trivial!
Das klingt vielleicht trivial, ist es sicher auch, aber deswegen noch lange nicht unwichtig.
Du hast,bzw. der von Dir zitierte Hayek hat von der Überlegenheit der Marktwirtschaft gesprochen, wobei ich Euch beiden vollauf zustimme.
Diese Überlegenheit kann sich ja nur auf andere Wirtschaftsformen beziehen und da sehe ich z.B. die sozialistische Planwirtschaft oder andere per Zwang"regulierte" Märkte.
Aber diese Überlegenheit begründet sich nun mal zuerst [/i] auf das Vorhandensein eines freien Marktes. Deswegen heißt sie ja auch Marktwirtschaft.
Die sich dann entsprechend der Informiertheit oder Interessenlage bildenden Preise, ob gerecht oder ungerecht, haben erst in zweiter Linie damit zu tun.
[b] Zuerst muß man dürfen, dann kann man auch richtig wollen.
Im Ostblock wollten sicher eine ganze Menge, sie durften aber nicht.
Das ist aber der eigentliche Punkt, alles andere leitet sich aus diesem wiederum ab - auch wenn es Deiner Meinung nach trivial scheint.
Das es dann wiederum Rückkoppelungseffekte zwischen den Preisen und dem Markt selbst geben kann und gibt, ist ebenfalls einzusehen.
Damit sollte es genug sein. Ich würde die Debatte damit gerne beenden.
Einverstanden!
mfG
nereus
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Galiani
05.12.2001, 22:19
@ nereus
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@nereus - Doch noch was: nämlich Zustimmung auf der ganzen Linie! |
Hallo nereus
Nicht, weil ich das letzte Wort haben will, aber ich möchte Dir in beiden Punkten, die Du vorbringst, ausdrücklich zustimmen:
Erstens:
Jede Behauptung einer"Kollektivschuld" ist übelste Manipulation! So was gibt es nicht und kann es nicht geben.
Zweitens:
Ich vergaß, woher der Wind weht! Keine Frage, auch da hast Du Recht: Wo es keinen Markt gibt, dort gibt es meiner festen Überzeugung nach auch keine Gerechtigkeit. Ich nehme mein"trivial" mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück! Natürlich ist das NICHT trivial, sondern eine absolute Katastrophe, wenn man den Menschen verwehrt, ihr Glück auf einem funktionierenden, freien Markt zu suchen! Ich vergaß, daß Du, zum Unterschied von mir, von so was in der Praxis betroffen warst.
Nochmals liebe Grüße
G.
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